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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Stadt und Land

menschlich schön, aus Gründen einer höheren Staatsoernunft aber in unserem
Falle geradezu ein Verbrechen. Ich betone hier ausdrücklich, daß ich mit
diesem Satz nicht gegen die Hindenburgspenden und Ähnliches eifere -- sie
sind selbstverständliche Pflicht --, meine Gedanken umfassen nur die tatsächlich
verlangten Opfer, die eine Behinderung der Erzeugung bedeuten. Die Richtigkeit
dieser Gedanken hätte eigentlich jedem Deutschen von dem Augenblicke an klar
sein müssen, da England den Plan des Hungerkrieges offen aussprach. Der
Weitblick unserer Heeresleitung erkannte das sofort und trug dem durch die
Bebauung des feindlichen Landes Rechnung, die Masse des Volkes erkannte
das nicht, ja es ist sehr zu bezweifeln, ob die leitenden Stellen unserer inneren
Wirtschaft allezeit sich völlige Klarheit über die vernunftgemäße Grenze der
landwirtschaftlichen Leistungspflicht und der tatsächlichen Leistungsfähigkeit be¬
wahrten. Nur aus der völligen eigenen Unklarheit jener Stellen ist die Ver¬
säumnis einer eingehenden Volksaufklärung über das Wollen, Können und
Tun der Landwirtschaft zu verstehen und zu entschuldigen; sonst wäre kein
Tadel scharf genug, um die Lässigkeit zu kennzeichnen, mit der man tatenlos
der Hetze gegen die Landwirtschaft zugeschaut hat.

Inwieweit beruhen die unablässig erhobenen Vorwürfe auf Tatsachen?
Hat die Landwirtschaft ihre gewaltige Aufgabe: die Ernährung eines Achtund-
sechzigmillionen - Volkes -- jetzt im Kriege unter fast völligem Abschluß vom
Weltmarkt -- zu lösen versucht? Mit welchen Schwierigkeiten hat sie dabei zu
kämpfen?

Es kann nicht meine Absicht sein, auf die einzelnen Behinderungen ein¬
zugehen, denn ihre Zahl ist fortwährend aus einigen falschen Grundmaßnahmen
heraus so gewachsen, daß ihre Aufzählung nur ermüden und bei Nichtfachleuten
den Eindruck übelwollender Kritikasterei erwecken würde. Ich beschränke mich
also nur auf eine Darstellung der Zusammenhänge. Ohne jeden Umschweiß
sei zugegeben, daß sehr viele Landwirte und Landwirtsfrauen ihrer Nächsten¬
pflicht nicht fo nachgekommen sind, wie sie das hätten tun können, -- genau
wie auch in den Städten die Nächstenliebe nicht immer Triumphe feiert.

Ist man berechtigt, all' solche unschönen Geschehnisse dem Stande als
solchem zur Last zu legen? Jeder Stand hat üble Vertreter vorzuweisen, also auch
die Landwirtschaft. Die Beurteilung der Landwirtschaft bezüglich ihrer sittlichen
Kräfte geschieht aber überhaupt stets von gänzlich falscher Grundlage aus.
Jeder urteilt nach dem vertrauten Maßstabe seines Standes, ohne, zu be>
denken, daß sein Stand nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Volkstums
bedeutet, erwachsen auf einer ziemlich einheitlichen Grundlage geistiger und be¬
ruflicher Bildung aller seiner Genossen. Es entbehrt im allgemeinen nicht einer
gewissen Berechtigung, wenn man bei allzu häufiger Wiederkehr des gleichen Fehlers
diesen dem ganzen Stande zur Last legt. Anders bei unserem Beruf. In
ihm ist unter der gleichen Kennmarke alles vertreten von der höchsten Bildung
qes Geistes, des Wissens und der praktischen Arbeit bis zur völligen Stumpfheit


Stadt und Land

menschlich schön, aus Gründen einer höheren Staatsoernunft aber in unserem
Falle geradezu ein Verbrechen. Ich betone hier ausdrücklich, daß ich mit
diesem Satz nicht gegen die Hindenburgspenden und Ähnliches eifere — sie
sind selbstverständliche Pflicht —, meine Gedanken umfassen nur die tatsächlich
verlangten Opfer, die eine Behinderung der Erzeugung bedeuten. Die Richtigkeit
dieser Gedanken hätte eigentlich jedem Deutschen von dem Augenblicke an klar
sein müssen, da England den Plan des Hungerkrieges offen aussprach. Der
Weitblick unserer Heeresleitung erkannte das sofort und trug dem durch die
Bebauung des feindlichen Landes Rechnung, die Masse des Volkes erkannte
das nicht, ja es ist sehr zu bezweifeln, ob die leitenden Stellen unserer inneren
Wirtschaft allezeit sich völlige Klarheit über die vernunftgemäße Grenze der
landwirtschaftlichen Leistungspflicht und der tatsächlichen Leistungsfähigkeit be¬
wahrten. Nur aus der völligen eigenen Unklarheit jener Stellen ist die Ver¬
säumnis einer eingehenden Volksaufklärung über das Wollen, Können und
Tun der Landwirtschaft zu verstehen und zu entschuldigen; sonst wäre kein
Tadel scharf genug, um die Lässigkeit zu kennzeichnen, mit der man tatenlos
der Hetze gegen die Landwirtschaft zugeschaut hat.

Inwieweit beruhen die unablässig erhobenen Vorwürfe auf Tatsachen?
Hat die Landwirtschaft ihre gewaltige Aufgabe: die Ernährung eines Achtund-
sechzigmillionen - Volkes — jetzt im Kriege unter fast völligem Abschluß vom
Weltmarkt — zu lösen versucht? Mit welchen Schwierigkeiten hat sie dabei zu
kämpfen?

Es kann nicht meine Absicht sein, auf die einzelnen Behinderungen ein¬
zugehen, denn ihre Zahl ist fortwährend aus einigen falschen Grundmaßnahmen
heraus so gewachsen, daß ihre Aufzählung nur ermüden und bei Nichtfachleuten
den Eindruck übelwollender Kritikasterei erwecken würde. Ich beschränke mich
also nur auf eine Darstellung der Zusammenhänge. Ohne jeden Umschweiß
sei zugegeben, daß sehr viele Landwirte und Landwirtsfrauen ihrer Nächsten¬
pflicht nicht fo nachgekommen sind, wie sie das hätten tun können, — genau
wie auch in den Städten die Nächstenliebe nicht immer Triumphe feiert.

Ist man berechtigt, all' solche unschönen Geschehnisse dem Stande als
solchem zur Last zu legen? Jeder Stand hat üble Vertreter vorzuweisen, also auch
die Landwirtschaft. Die Beurteilung der Landwirtschaft bezüglich ihrer sittlichen
Kräfte geschieht aber überhaupt stets von gänzlich falscher Grundlage aus.
Jeder urteilt nach dem vertrauten Maßstabe seines Standes, ohne, zu be>
denken, daß sein Stand nur einen kleinen Ausschnitt des gesamten Volkstums
bedeutet, erwachsen auf einer ziemlich einheitlichen Grundlage geistiger und be¬
ruflicher Bildung aller seiner Genossen. Es entbehrt im allgemeinen nicht einer
gewissen Berechtigung, wenn man bei allzu häufiger Wiederkehr des gleichen Fehlers
diesen dem ganzen Stande zur Last legt. Anders bei unserem Beruf. In
ihm ist unter der gleichen Kennmarke alles vertreten von der höchsten Bildung
qes Geistes, des Wissens und der praktischen Arbeit bis zur völligen Stumpfheit


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/84>, abgerufen am 23.07.2024.