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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Neue Homerbücher

Ilias eine nach der andern, mit der jüngsten beginnend, abträgt, so die ein.
zelnen Bestandteile des Gedichtes zu sondern und ihr Verhältnis zueinander klar
zu stellen sucht, und gegenüber den Schlüssen, die er daraus zieht, wenn er
immerhin auch "zwei große zusammenhängende Stücke" feststellt, ,die aus den
Büchern 1--7 und 11--15 bestehen!'

Auch Finslers Anschauung vom Werden der Ilias. deren frühestes
Gerüst aus dem 1., 11., 16. und 22. Buch bestanden haben soll, ist zu subjektiv,
als daß sie irgendeinem anderen als ihm selbst auch nur wahrscheinlich
sein könnte.

Umso freudiger aber spreche ich es aus, daß Finster in diesen seinen
letzten Werken für die poetische Erkenntnis und Würdigung des Dichters das
Beste geleistet hat, und empfehle sie um so lieber allen denen, die Beruf oder
Neigung treibt, Homer an der Hand dieses Meisters kennen zu lernen. Das¬
selbe gilt von dem dritten, auch bereits genannten Werke: "Homer in der
Neuzeit", das, aufgebaut auf sorgsälngster Prüfung und Sichtung der
Quellen, die wichtigsten Stimmen der Weltliteratur von Dante bis Goethe
über den ältesten und größten Dichter der Weltliteratur überhaupt vernehmen
läßt.

Dagegen kann ich vor dem Buche von Wilamowitz nur warnen: so er¬
freulich es ist. daß auch er, wie wir sahen, zu dem Glauben an Homer als
den Dichter der Ilias durchgedrungen ist, so unerfreulich ist dies Buch für
alle, die mehr wollen als unfruchtbare Annahmen und unsichere Schlüsse, näm¬
lich einen sicheren Führer ins Reich der hohen Dichtung, eine so herbe Ent¬
täuschung für jeden, der köstliche Nahrung sucht und nun Steine statt Brot
erhält. Und wenn Wilamowitz recht hat mit den Worten: "Auch in der
Wissenschaft kommt es nur auf die Wahrheit an, die ermittelt wird: sie setzt
sich einmal durch, sie bleibt. Aber wer sie ans Licht gezogen hat, der wird
über kurz oder lang gleichgültig." so steht mir jedenfalls fest, daß die von ihm
hier ermittelte "Wahrheit" sich nicht durchsetzen, daß sie nicht bleiben
wird.




Gern weichen wir aus diesem Lande grauer Theorien, "quo6 latus
aurai nsbulas maln8eme ^uppitsr ur^net", wie Hmaz fingt, und folgen
einer freundlichen Führerin ins Reich der griechischen Welt, die durch ihren
Zauberstab vor uns liegt ,wie ein Helles Bild der Wirklichkeit, schimmernd im
Glänze der Farben, der Meere, der Felsen, der Tempel, der Felder'.

Wer aus Homer ein lebendiges Bild seiner Zeit zu gewinnen sucht, der wird
gern zu einem Werke greifen, das Griechenland uns nahe bringt, Land und
Leute mit den Mitteln unserer Zeit schildert, "das Land unserer Sehnsucht
und unserer Erinnerungen, das Land Homers, des Achilles, des Äschylos. des
Platon und Sorrates. des Perikles". Neben Josefs und Julias von Porter
wundervollen "griechischen Landschaften" ist solch ein Buch das von Isolde


Neue Homerbücher

Ilias eine nach der andern, mit der jüngsten beginnend, abträgt, so die ein.
zelnen Bestandteile des Gedichtes zu sondern und ihr Verhältnis zueinander klar
zu stellen sucht, und gegenüber den Schlüssen, die er daraus zieht, wenn er
immerhin auch „zwei große zusammenhängende Stücke" feststellt, ,die aus den
Büchern 1—7 und 11—15 bestehen!'

Auch Finslers Anschauung vom Werden der Ilias. deren frühestes
Gerüst aus dem 1., 11., 16. und 22. Buch bestanden haben soll, ist zu subjektiv,
als daß sie irgendeinem anderen als ihm selbst auch nur wahrscheinlich
sein könnte.

Umso freudiger aber spreche ich es aus, daß Finster in diesen seinen
letzten Werken für die poetische Erkenntnis und Würdigung des Dichters das
Beste geleistet hat, und empfehle sie um so lieber allen denen, die Beruf oder
Neigung treibt, Homer an der Hand dieses Meisters kennen zu lernen. Das¬
selbe gilt von dem dritten, auch bereits genannten Werke: „Homer in der
Neuzeit", das, aufgebaut auf sorgsälngster Prüfung und Sichtung der
Quellen, die wichtigsten Stimmen der Weltliteratur von Dante bis Goethe
über den ältesten und größten Dichter der Weltliteratur überhaupt vernehmen
läßt.

Dagegen kann ich vor dem Buche von Wilamowitz nur warnen: so er¬
freulich es ist. daß auch er, wie wir sahen, zu dem Glauben an Homer als
den Dichter der Ilias durchgedrungen ist, so unerfreulich ist dies Buch für
alle, die mehr wollen als unfruchtbare Annahmen und unsichere Schlüsse, näm¬
lich einen sicheren Führer ins Reich der hohen Dichtung, eine so herbe Ent¬
täuschung für jeden, der köstliche Nahrung sucht und nun Steine statt Brot
erhält. Und wenn Wilamowitz recht hat mit den Worten: „Auch in der
Wissenschaft kommt es nur auf die Wahrheit an, die ermittelt wird: sie setzt
sich einmal durch, sie bleibt. Aber wer sie ans Licht gezogen hat, der wird
über kurz oder lang gleichgültig." so steht mir jedenfalls fest, daß die von ihm
hier ermittelte „Wahrheit" sich nicht durchsetzen, daß sie nicht bleiben
wird.




Gern weichen wir aus diesem Lande grauer Theorien, „quo6 latus
aurai nsbulas maln8eme ^uppitsr ur^net", wie Hmaz fingt, und folgen
einer freundlichen Führerin ins Reich der griechischen Welt, die durch ihren
Zauberstab vor uns liegt ,wie ein Helles Bild der Wirklichkeit, schimmernd im
Glänze der Farben, der Meere, der Felsen, der Tempel, der Felder'.

Wer aus Homer ein lebendiges Bild seiner Zeit zu gewinnen sucht, der wird
gern zu einem Werke greifen, das Griechenland uns nahe bringt, Land und
Leute mit den Mitteln unserer Zeit schildert, „das Land unserer Sehnsucht
und unserer Erinnerungen, das Land Homers, des Achilles, des Äschylos. des
Platon und Sorrates. des Perikles". Neben Josefs und Julias von Porter
wundervollen „griechischen Landschaften" ist solch ein Buch das von Isolde


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[0427] Neue Homerbücher Ilias eine nach der andern, mit der jüngsten beginnend, abträgt, so die ein. zelnen Bestandteile des Gedichtes zu sondern und ihr Verhältnis zueinander klar zu stellen sucht, und gegenüber den Schlüssen, die er daraus zieht, wenn er immerhin auch „zwei große zusammenhängende Stücke" feststellt, ,die aus den Büchern 1—7 und 11—15 bestehen!' Auch Finslers Anschauung vom Werden der Ilias. deren frühestes Gerüst aus dem 1., 11., 16. und 22. Buch bestanden haben soll, ist zu subjektiv, als daß sie irgendeinem anderen als ihm selbst auch nur wahrscheinlich sein könnte. Umso freudiger aber spreche ich es aus, daß Finster in diesen seinen letzten Werken für die poetische Erkenntnis und Würdigung des Dichters das Beste geleistet hat, und empfehle sie um so lieber allen denen, die Beruf oder Neigung treibt, Homer an der Hand dieses Meisters kennen zu lernen. Das¬ selbe gilt von dem dritten, auch bereits genannten Werke: „Homer in der Neuzeit", das, aufgebaut auf sorgsälngster Prüfung und Sichtung der Quellen, die wichtigsten Stimmen der Weltliteratur von Dante bis Goethe über den ältesten und größten Dichter der Weltliteratur überhaupt vernehmen läßt. Dagegen kann ich vor dem Buche von Wilamowitz nur warnen: so er¬ freulich es ist. daß auch er, wie wir sahen, zu dem Glauben an Homer als den Dichter der Ilias durchgedrungen ist, so unerfreulich ist dies Buch für alle, die mehr wollen als unfruchtbare Annahmen und unsichere Schlüsse, näm¬ lich einen sicheren Führer ins Reich der hohen Dichtung, eine so herbe Ent¬ täuschung für jeden, der köstliche Nahrung sucht und nun Steine statt Brot erhält. Und wenn Wilamowitz recht hat mit den Worten: „Auch in der Wissenschaft kommt es nur auf die Wahrheit an, die ermittelt wird: sie setzt sich einmal durch, sie bleibt. Aber wer sie ans Licht gezogen hat, der wird über kurz oder lang gleichgültig." so steht mir jedenfalls fest, daß die von ihm hier ermittelte „Wahrheit" sich nicht durchsetzen, daß sie nicht bleiben wird. Gern weichen wir aus diesem Lande grauer Theorien, „quo6 latus aurai nsbulas maln8eme ^uppitsr ur^net", wie Hmaz fingt, und folgen einer freundlichen Führerin ins Reich der griechischen Welt, die durch ihren Zauberstab vor uns liegt ,wie ein Helles Bild der Wirklichkeit, schimmernd im Glänze der Farben, der Meere, der Felsen, der Tempel, der Felder'. Wer aus Homer ein lebendiges Bild seiner Zeit zu gewinnen sucht, der wird gern zu einem Werke greifen, das Griechenland uns nahe bringt, Land und Leute mit den Mitteln unserer Zeit schildert, „das Land unserer Sehnsucht und unserer Erinnerungen, das Land Homers, des Achilles, des Äschylos. des Platon und Sorrates. des Perikles". Neben Josefs und Julias von Porter wundervollen „griechischen Landschaften" ist solch ein Buch das von Isolde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/427>, abgerufen am 23.07.2024.