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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Wird England katholisch werden?

romfreien Kirchen des Ostens bestehen die freundschaftlichsten Beziehungen, die
von den höchsten kirchlichen Würdenträgern, wie dem Bischof von London, klug
und eifrig gefördert werden. Wie die Bestrebungen auf eine Union mit der
russischen Kirche durch die gegenwärtige und die vermutliche zukünftige politische
Lage gefördert werden, darauf habe ich schon in einem Aufsatz in Heft 15.
Jahrgang 1916 dieser Zeitschrift hingewiesen. Mit Rom ist man freilich noch
zu keinem irgendwie hoffnungsvollen Einvernehmen gekommen, so große Mühe
sich auch die Anglokatholiken darum gegeben haben. Denn Rom will nicht
Verständigung, sondern Unterwerfung unter alle seine Bedingungen, es fordert
Anerkennung der päpstlichen Oberherrschaft und Unfehlbarkeit. Dagegen aber
sträuben sich die Anglokatholiken doch, und in diesem Sinne haben sie recht,
wenn sie sich gegen den Vorwurf des Romanisierens verwahren. Wie von
Wittenberg und Gens, wollen sie auch von Rom unabhängig bleiben. Es gibt
aber einzelne Anglokatholiken, die bereit sind, auch über diesen Graben zu
gehen. So sagt der Rep. Mackay in London in einem Vortrage 1915.-
"Die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit braucht nicht auf
ewig den Weg zur Wiedervereinigung zu versperren. Es läßt sich
eine Lösung in der Lehre derjenigen lateinischen Theologen finden, die
die Bedeutung dieses Dogmas abschwächen. Schließlich muß doch für
praktische Bedürfnisse ein höchster Gerichtshof da sein. Wenn wir nun einen
Nachfolger Petri, der wieder die Stellung des Petrus unter feinen Mitaposteln
einnimmt, bitten, für uns die Überzeugung der ganzen Kirche in unangreifbaren
Sätzen auszusprechen, und oas in den seltenen Fällen nur, wenn ein solches
Aussprechen erforderlich ist, dann haben wir nur getan, was notwendig zur
Wiedervereinigung gehört. Eine so verstandene Unfehlbarkeit schafft uns die
entscheidende Stelle, nach der wir uns um praktischer Bedürfnisse willen alle
sehnen." Und das Organ der Anglokatholiken, die "Church Times", sagt in
einer Besprechung dieses Vortrags: "Wenn Mackay geneigt ist, die petrinischen
Ansprüche des römischen Bistums als eines dauernden Faktors in der Organi¬
sation der Kirche zu übertreiben, so muß man der Nachwelt das Urteil in
dieser Sache überlassen." Also wird hier schon eine Entwicklung für möglich
gehalten, die zuletzt zu einem Siege des Katholischen über das Englische führt.

Überblickt man die tatsächlichen Zustände in der heutigen englischen Kirche,
in der die evangelische Richtung sich in der Rolle der geduldeten fühlt, während
die katholische von zuversichtlicher Siegeshoffnung erfüllt ist und kraftvoll und
zielbewußt der Alleinherrschaft zustrebt, fo kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, daß eine ursprünglich zweifellos evangelische Kirche, in der ein
evangelisches Bekenntnis rechtliche Gültigkeit hat, in der anscheinend unaufhalt¬
samen Rückbildung zu einer katholischen begriffen ist. Das ist sicherlich eine
der merkwürdigsten Erscheinungen der Kirchengeschichte. Der Prozeß wird
wahrscheinlich sehr beschleunigt werden, wenn einmal die Kirche entstaatlicht
sein wird; denn jetzt ist es hauptsächlich der Staat, der der völligen Katholi-


Wird England katholisch werden?

romfreien Kirchen des Ostens bestehen die freundschaftlichsten Beziehungen, die
von den höchsten kirchlichen Würdenträgern, wie dem Bischof von London, klug
und eifrig gefördert werden. Wie die Bestrebungen auf eine Union mit der
russischen Kirche durch die gegenwärtige und die vermutliche zukünftige politische
Lage gefördert werden, darauf habe ich schon in einem Aufsatz in Heft 15.
Jahrgang 1916 dieser Zeitschrift hingewiesen. Mit Rom ist man freilich noch
zu keinem irgendwie hoffnungsvollen Einvernehmen gekommen, so große Mühe
sich auch die Anglokatholiken darum gegeben haben. Denn Rom will nicht
Verständigung, sondern Unterwerfung unter alle seine Bedingungen, es fordert
Anerkennung der päpstlichen Oberherrschaft und Unfehlbarkeit. Dagegen aber
sträuben sich die Anglokatholiken doch, und in diesem Sinne haben sie recht,
wenn sie sich gegen den Vorwurf des Romanisierens verwahren. Wie von
Wittenberg und Gens, wollen sie auch von Rom unabhängig bleiben. Es gibt
aber einzelne Anglokatholiken, die bereit sind, auch über diesen Graben zu
gehen. So sagt der Rep. Mackay in London in einem Vortrage 1915.-
„Die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit braucht nicht auf
ewig den Weg zur Wiedervereinigung zu versperren. Es läßt sich
eine Lösung in der Lehre derjenigen lateinischen Theologen finden, die
die Bedeutung dieses Dogmas abschwächen. Schließlich muß doch für
praktische Bedürfnisse ein höchster Gerichtshof da sein. Wenn wir nun einen
Nachfolger Petri, der wieder die Stellung des Petrus unter feinen Mitaposteln
einnimmt, bitten, für uns die Überzeugung der ganzen Kirche in unangreifbaren
Sätzen auszusprechen, und oas in den seltenen Fällen nur, wenn ein solches
Aussprechen erforderlich ist, dann haben wir nur getan, was notwendig zur
Wiedervereinigung gehört. Eine so verstandene Unfehlbarkeit schafft uns die
entscheidende Stelle, nach der wir uns um praktischer Bedürfnisse willen alle
sehnen." Und das Organ der Anglokatholiken, die „Church Times", sagt in
einer Besprechung dieses Vortrags: „Wenn Mackay geneigt ist, die petrinischen
Ansprüche des römischen Bistums als eines dauernden Faktors in der Organi¬
sation der Kirche zu übertreiben, so muß man der Nachwelt das Urteil in
dieser Sache überlassen." Also wird hier schon eine Entwicklung für möglich
gehalten, die zuletzt zu einem Siege des Katholischen über das Englische führt.

Überblickt man die tatsächlichen Zustände in der heutigen englischen Kirche,
in der die evangelische Richtung sich in der Rolle der geduldeten fühlt, während
die katholische von zuversichtlicher Siegeshoffnung erfüllt ist und kraftvoll und
zielbewußt der Alleinherrschaft zustrebt, fo kann man sich des Eindrucks nicht
erwehren, daß eine ursprünglich zweifellos evangelische Kirche, in der ein
evangelisches Bekenntnis rechtliche Gültigkeit hat, in der anscheinend unaufhalt¬
samen Rückbildung zu einer katholischen begriffen ist. Das ist sicherlich eine
der merkwürdigsten Erscheinungen der Kirchengeschichte. Der Prozeß wird
wahrscheinlich sehr beschleunigt werden, wenn einmal die Kirche entstaatlicht
sein wird; denn jetzt ist es hauptsächlich der Staat, der der völligen Katholi-


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[0411] Wird England katholisch werden? romfreien Kirchen des Ostens bestehen die freundschaftlichsten Beziehungen, die von den höchsten kirchlichen Würdenträgern, wie dem Bischof von London, klug und eifrig gefördert werden. Wie die Bestrebungen auf eine Union mit der russischen Kirche durch die gegenwärtige und die vermutliche zukünftige politische Lage gefördert werden, darauf habe ich schon in einem Aufsatz in Heft 15. Jahrgang 1916 dieser Zeitschrift hingewiesen. Mit Rom ist man freilich noch zu keinem irgendwie hoffnungsvollen Einvernehmen gekommen, so große Mühe sich auch die Anglokatholiken darum gegeben haben. Denn Rom will nicht Verständigung, sondern Unterwerfung unter alle seine Bedingungen, es fordert Anerkennung der päpstlichen Oberherrschaft und Unfehlbarkeit. Dagegen aber sträuben sich die Anglokatholiken doch, und in diesem Sinne haben sie recht, wenn sie sich gegen den Vorwurf des Romanisierens verwahren. Wie von Wittenberg und Gens, wollen sie auch von Rom unabhängig bleiben. Es gibt aber einzelne Anglokatholiken, die bereit sind, auch über diesen Graben zu gehen. So sagt der Rep. Mackay in London in einem Vortrage 1915.- „Die Lehre von der päpstlichen Unfehlbarkeit braucht nicht auf ewig den Weg zur Wiedervereinigung zu versperren. Es läßt sich eine Lösung in der Lehre derjenigen lateinischen Theologen finden, die die Bedeutung dieses Dogmas abschwächen. Schließlich muß doch für praktische Bedürfnisse ein höchster Gerichtshof da sein. Wenn wir nun einen Nachfolger Petri, der wieder die Stellung des Petrus unter feinen Mitaposteln einnimmt, bitten, für uns die Überzeugung der ganzen Kirche in unangreifbaren Sätzen auszusprechen, und oas in den seltenen Fällen nur, wenn ein solches Aussprechen erforderlich ist, dann haben wir nur getan, was notwendig zur Wiedervereinigung gehört. Eine so verstandene Unfehlbarkeit schafft uns die entscheidende Stelle, nach der wir uns um praktischer Bedürfnisse willen alle sehnen." Und das Organ der Anglokatholiken, die „Church Times", sagt in einer Besprechung dieses Vortrags: „Wenn Mackay geneigt ist, die petrinischen Ansprüche des römischen Bistums als eines dauernden Faktors in der Organi¬ sation der Kirche zu übertreiben, so muß man der Nachwelt das Urteil in dieser Sache überlassen." Also wird hier schon eine Entwicklung für möglich gehalten, die zuletzt zu einem Siege des Katholischen über das Englische führt. Überblickt man die tatsächlichen Zustände in der heutigen englischen Kirche, in der die evangelische Richtung sich in der Rolle der geduldeten fühlt, während die katholische von zuversichtlicher Siegeshoffnung erfüllt ist und kraftvoll und zielbewußt der Alleinherrschaft zustrebt, fo kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, daß eine ursprünglich zweifellos evangelische Kirche, in der ein evangelisches Bekenntnis rechtliche Gültigkeit hat, in der anscheinend unaufhalt¬ samen Rückbildung zu einer katholischen begriffen ist. Das ist sicherlich eine der merkwürdigsten Erscheinungen der Kirchengeschichte. Der Prozeß wird wahrscheinlich sehr beschleunigt werden, wenn einmal die Kirche entstaatlicht sein wird; denn jetzt ist es hauptsächlich der Staat, der der völligen Katholi-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/411>, abgerufen am 23.07.2024.