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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Wird England katholisch werden?

Sein Ziel ist, alles wieder auszuscheiden, was durch die "kontinentale
Reformation" an Protestantismus in die englische Kirche eingedrungen ist.
Ein antiprotestantischer Zug war von Anfang an in der Oxforder Bewegung
enthalten, denn ihr galt der Protestantismus als Quelle des Liberalismus,
der feindlich gegen die Kirche auftrat, und des "Erastianismus". der sie in
die Abhängigkeit vom Staat gebracht hatte. Antiprotestantisch war in gewissem
Sinne auch die alte hochkirchliche Partei gewesen, aber ebenso scharf auch anti¬
römisch. Nun wurde die Front einseitig gegen den Protestantismus gerichtet
Newman bekennt, daß auch er in dem Glauben aufgewachsen sei, daß der Papst
der Antichrist sei. Es war der Einfluß Froudes, der ihm diesen Glauben
nahm, und ihn in der römischen Kirche eine echte, wenn auch hier und da
verunreinigte Kirche sehen ließ, mit der die englische viel enger zusammen¬
gehört, als mit den evangelischen Gemeinschaften, denen ein Hauptmerkmal der
wahren Kirche, das bischöfliche Amt, fehlt. Diese antiprotestantische Stimmung
hat sich nach dem Ausscheiden Newmans nicht etwa geändert, sondern sie ist
geblieben und hat sich mehr und mehr der ganzen englischen Kirche mitgeteilt.
Es ist ganz irrtümlich, anzunehmen, daß es sich bei dem Traktarianismus um
eine vorübergegangene Erscheinung handle, im Gegenteil, wir haben es bei
seiner Fortsetzung, dem Anglokatholizismus, mit einer höchst lebendigen Macht
zu tun, die ein großes Gebiet erobert hat, und nicht ruhen will, bis sie die
ganze englische Kirche sich Untertan gemacht hat. Die These: "Unsere Kirche
ist katholisch, nicht protestantisch" ist in weitem Umfang angenommen und wird
von zahlreichen Theologen und Bischöfen vertreten. Ein Beweis für die fort¬
geschrittene Katholisierung ist schon die Tatsache, daß die Leiter der Kirche teils
nicht den Willen, teils nicht die Macht mehr haben, den Ritualismus zu unter¬
drücken. Noch mehr zeugt dafür, daß die englische Kirche sich immer schärfer
von den evangelischen Kirchen sondert und sich immer mehr von dem Zu¬
sammenleben und Zusammenarbeiten mit ihnen zurückzieht. Wenn einzelne
ihrer Gesellschaften oder Mitglieder sich noch an allgemein-evangelischen Be¬
strebungen beteiligen, wie z. B. an der Edinburger Missionskonferenz, so kann
das nur unter vielfachem, entschiedenem Widerspruch geschehen. Vor 75 Jahren
konnte der Erzbischof von Canterbury noch mit der preußischen Landeskirche
zusammen das evangelische Bistum Jerusalem gründen, schon damals freilich
nur unter scharfem Protest Newmans; heute wäre ein ähnliches Unternehmen
ganz undenkbar. Wie Newman und seine Freunde schon 1838 sich weigerten,
sich für die Errichtung eines Denkmals für die protestantischen Märtyrer unter
der blutigen Maria zu interessieren, so hat 1883 die Universität Oxford die
Beteiligung an der Lutherfeier abgelehnt. Und es würde nicht bloß der Krieg
die Ursache sein, wenn auf eine etwaige Einladung zur vierhundertjährigen
Jubelfeier der Reformation die englische Kirche eine Absage erteilen würde.
In demselben Maße, wie sie sich von den evangelischen Kirchen entfernt hat,
hat sich die englische Kirche den katholischen genähert. Besonders mit den


Wird England katholisch werden?

Sein Ziel ist, alles wieder auszuscheiden, was durch die „kontinentale
Reformation" an Protestantismus in die englische Kirche eingedrungen ist.
Ein antiprotestantischer Zug war von Anfang an in der Oxforder Bewegung
enthalten, denn ihr galt der Protestantismus als Quelle des Liberalismus,
der feindlich gegen die Kirche auftrat, und des „Erastianismus". der sie in
die Abhängigkeit vom Staat gebracht hatte. Antiprotestantisch war in gewissem
Sinne auch die alte hochkirchliche Partei gewesen, aber ebenso scharf auch anti¬
römisch. Nun wurde die Front einseitig gegen den Protestantismus gerichtet
Newman bekennt, daß auch er in dem Glauben aufgewachsen sei, daß der Papst
der Antichrist sei. Es war der Einfluß Froudes, der ihm diesen Glauben
nahm, und ihn in der römischen Kirche eine echte, wenn auch hier und da
verunreinigte Kirche sehen ließ, mit der die englische viel enger zusammen¬
gehört, als mit den evangelischen Gemeinschaften, denen ein Hauptmerkmal der
wahren Kirche, das bischöfliche Amt, fehlt. Diese antiprotestantische Stimmung
hat sich nach dem Ausscheiden Newmans nicht etwa geändert, sondern sie ist
geblieben und hat sich mehr und mehr der ganzen englischen Kirche mitgeteilt.
Es ist ganz irrtümlich, anzunehmen, daß es sich bei dem Traktarianismus um
eine vorübergegangene Erscheinung handle, im Gegenteil, wir haben es bei
seiner Fortsetzung, dem Anglokatholizismus, mit einer höchst lebendigen Macht
zu tun, die ein großes Gebiet erobert hat, und nicht ruhen will, bis sie die
ganze englische Kirche sich Untertan gemacht hat. Die These: „Unsere Kirche
ist katholisch, nicht protestantisch" ist in weitem Umfang angenommen und wird
von zahlreichen Theologen und Bischöfen vertreten. Ein Beweis für die fort¬
geschrittene Katholisierung ist schon die Tatsache, daß die Leiter der Kirche teils
nicht den Willen, teils nicht die Macht mehr haben, den Ritualismus zu unter¬
drücken. Noch mehr zeugt dafür, daß die englische Kirche sich immer schärfer
von den evangelischen Kirchen sondert und sich immer mehr von dem Zu¬
sammenleben und Zusammenarbeiten mit ihnen zurückzieht. Wenn einzelne
ihrer Gesellschaften oder Mitglieder sich noch an allgemein-evangelischen Be¬
strebungen beteiligen, wie z. B. an der Edinburger Missionskonferenz, so kann
das nur unter vielfachem, entschiedenem Widerspruch geschehen. Vor 75 Jahren
konnte der Erzbischof von Canterbury noch mit der preußischen Landeskirche
zusammen das evangelische Bistum Jerusalem gründen, schon damals freilich
nur unter scharfem Protest Newmans; heute wäre ein ähnliches Unternehmen
ganz undenkbar. Wie Newman und seine Freunde schon 1838 sich weigerten,
sich für die Errichtung eines Denkmals für die protestantischen Märtyrer unter
der blutigen Maria zu interessieren, so hat 1883 die Universität Oxford die
Beteiligung an der Lutherfeier abgelehnt. Und es würde nicht bloß der Krieg
die Ursache sein, wenn auf eine etwaige Einladung zur vierhundertjährigen
Jubelfeier der Reformation die englische Kirche eine Absage erteilen würde.
In demselben Maße, wie sie sich von den evangelischen Kirchen entfernt hat,
hat sich die englische Kirche den katholischen genähert. Besonders mit den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/410>, abgerufen am 23.07.2024.