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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Wird England katholisch werden?

fierung im Wege steht. Die englische Kirche ist jetzt noch so gebunden an den
Staat, daß sie z. B. kein Wort ihrer Liturgie ändern kann, ohne dazu durch
eine besondere Parlamentsakte ermächtigt zu sein. Auf die Lösung des bis¬
herigen Verhältnisses wird von zwei Seiten hingearbeitet. Die Liberalen sind
Freunde der Entstaatlichung; sie werden unterstützt von der Arbeiterpartei, die
zwar in England nicht kirchen- und religionsfeindlich ist, in deren Programm
aber natürlich kein Platz ist für eine bevorrechtete Kirche. Lloyd George hat
bereits die Entstaatlichung der Kirche in Wales durchgesetzt; nur die Aus¬
führung des Gesetzes ist bis nach dem Kriege aufgeschoben worden. Daß nach
dem Kriege zu gelegener Zeit die Forderung der Entstaatlichung auf die ganze
Kirche ausgedehnt werden wird, ist wahrscheinlich. Dieser Forderung stimmen
aber auch manche Anglokatholiken zu, weil sie glauben, nur ans diesem Wege
zur Freiheit der Kirche gelangen zu können. Haben sie auch noch nicht die
Mehrheit in ihrer Partei, so machen sie doch schon laut und kräftig genug
ihre Ansicht geltend und helfen die Entwicklung beschleunigen.

Eine Folge der Entstaatlichung würde nun wahrscheinlich der Zerfall der
Kirche sein, d. h. die jetzt noch durch das gemeinsame Band der Staatskirche
zusammengehaltenen Richtungen würden sich zu besonderen Kirchen entwickeln.
Dann würde eine neue katholische Kirche, die englisch-katholische, entstehen,
gebildet aus der Mehrzahl der Glieder der jetzigen Staatskirche. (Das ist
auch die Meinung z. B. von Albett Hauck in seinem Buch über "Deutschland
und England in ihren kirchlichen Beziehungen." Leipzig, 1917.)

Damit wäre freilich die Frage: Wird England katholisch werden? noch
nicht völlig in bejahendem Sinne entschieden. Denn es sind doch
immerhin auch noch in der Kirche evangelische und protestantische Bestand¬
teile enthalten, die sich von einer ganz katholisierten Kirche loslösen
würden. Dann sind ferner die großen Freikirchen der Methodisten.
Baptisten und Presbyterianer da, die in England den Protestantismus
vertreten. Und es ist doch sehr zweifelhaft, ob es der Kirche gelingen wird,
diese großen, mit den kleineren Sekten vielleicht ein gutes Drittel der englischen
Bevölkerung bildenden Gemeinschaften aufzusaugen. Zwar will man in neuerer
Zeit eine Hinneigung vieler Freikirchler zur Staatskirche, ja selbst zum Ritua¬
lismus, beobachten, zwar scheint die Kirche zahlenmäßig und dem Einfluß nach
stärker zu wachsen, als die "Sekten". So meint auch Hauck: "In dem langen
Wetteifer der kirchlichen Gemeinschaften scheint das Übergewicht der Episkopal¬
kirche zuzufallen. Sie scheint der Eigenart des englischen Volkes doch mehr
zu entsprechen, als die freien Gemeinschaften, die sich von ihr ablösten." Aber
gerade der in der Kirche herrschende Anglokatholizismus hat in der Forderung
der Anerkennung des bischöflichen Amts einen Schlagbaum aufgerichtet, der
den Freikirchen die Rückkehr unmöglich macht. Als bloß menschliche Ordnung
würden sich viele ihrer Glieder mit dem Episkopalsystem befreunven können;
aber es anzuerkennen als eine göttliche, zum Bestand der wahren Kirche not-


Wird England katholisch werden?

fierung im Wege steht. Die englische Kirche ist jetzt noch so gebunden an den
Staat, daß sie z. B. kein Wort ihrer Liturgie ändern kann, ohne dazu durch
eine besondere Parlamentsakte ermächtigt zu sein. Auf die Lösung des bis¬
herigen Verhältnisses wird von zwei Seiten hingearbeitet. Die Liberalen sind
Freunde der Entstaatlichung; sie werden unterstützt von der Arbeiterpartei, die
zwar in England nicht kirchen- und religionsfeindlich ist, in deren Programm
aber natürlich kein Platz ist für eine bevorrechtete Kirche. Lloyd George hat
bereits die Entstaatlichung der Kirche in Wales durchgesetzt; nur die Aus¬
führung des Gesetzes ist bis nach dem Kriege aufgeschoben worden. Daß nach
dem Kriege zu gelegener Zeit die Forderung der Entstaatlichung auf die ganze
Kirche ausgedehnt werden wird, ist wahrscheinlich. Dieser Forderung stimmen
aber auch manche Anglokatholiken zu, weil sie glauben, nur ans diesem Wege
zur Freiheit der Kirche gelangen zu können. Haben sie auch noch nicht die
Mehrheit in ihrer Partei, so machen sie doch schon laut und kräftig genug
ihre Ansicht geltend und helfen die Entwicklung beschleunigen.

Eine Folge der Entstaatlichung würde nun wahrscheinlich der Zerfall der
Kirche sein, d. h. die jetzt noch durch das gemeinsame Band der Staatskirche
zusammengehaltenen Richtungen würden sich zu besonderen Kirchen entwickeln.
Dann würde eine neue katholische Kirche, die englisch-katholische, entstehen,
gebildet aus der Mehrzahl der Glieder der jetzigen Staatskirche. (Das ist
auch die Meinung z. B. von Albett Hauck in seinem Buch über „Deutschland
und England in ihren kirchlichen Beziehungen." Leipzig, 1917.)

Damit wäre freilich die Frage: Wird England katholisch werden? noch
nicht völlig in bejahendem Sinne entschieden. Denn es sind doch
immerhin auch noch in der Kirche evangelische und protestantische Bestand¬
teile enthalten, die sich von einer ganz katholisierten Kirche loslösen
würden. Dann sind ferner die großen Freikirchen der Methodisten.
Baptisten und Presbyterianer da, die in England den Protestantismus
vertreten. Und es ist doch sehr zweifelhaft, ob es der Kirche gelingen wird,
diese großen, mit den kleineren Sekten vielleicht ein gutes Drittel der englischen
Bevölkerung bildenden Gemeinschaften aufzusaugen. Zwar will man in neuerer
Zeit eine Hinneigung vieler Freikirchler zur Staatskirche, ja selbst zum Ritua¬
lismus, beobachten, zwar scheint die Kirche zahlenmäßig und dem Einfluß nach
stärker zu wachsen, als die „Sekten". So meint auch Hauck: „In dem langen
Wetteifer der kirchlichen Gemeinschaften scheint das Übergewicht der Episkopal¬
kirche zuzufallen. Sie scheint der Eigenart des englischen Volkes doch mehr
zu entsprechen, als die freien Gemeinschaften, die sich von ihr ablösten." Aber
gerade der in der Kirche herrschende Anglokatholizismus hat in der Forderung
der Anerkennung des bischöflichen Amts einen Schlagbaum aufgerichtet, der
den Freikirchen die Rückkehr unmöglich macht. Als bloß menschliche Ordnung
würden sich viele ihrer Glieder mit dem Episkopalsystem befreunven können;
aber es anzuerkennen als eine göttliche, zum Bestand der wahren Kirche not-


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[0412] Wird England katholisch werden? fierung im Wege steht. Die englische Kirche ist jetzt noch so gebunden an den Staat, daß sie z. B. kein Wort ihrer Liturgie ändern kann, ohne dazu durch eine besondere Parlamentsakte ermächtigt zu sein. Auf die Lösung des bis¬ herigen Verhältnisses wird von zwei Seiten hingearbeitet. Die Liberalen sind Freunde der Entstaatlichung; sie werden unterstützt von der Arbeiterpartei, die zwar in England nicht kirchen- und religionsfeindlich ist, in deren Programm aber natürlich kein Platz ist für eine bevorrechtete Kirche. Lloyd George hat bereits die Entstaatlichung der Kirche in Wales durchgesetzt; nur die Aus¬ führung des Gesetzes ist bis nach dem Kriege aufgeschoben worden. Daß nach dem Kriege zu gelegener Zeit die Forderung der Entstaatlichung auf die ganze Kirche ausgedehnt werden wird, ist wahrscheinlich. Dieser Forderung stimmen aber auch manche Anglokatholiken zu, weil sie glauben, nur ans diesem Wege zur Freiheit der Kirche gelangen zu können. Haben sie auch noch nicht die Mehrheit in ihrer Partei, so machen sie doch schon laut und kräftig genug ihre Ansicht geltend und helfen die Entwicklung beschleunigen. Eine Folge der Entstaatlichung würde nun wahrscheinlich der Zerfall der Kirche sein, d. h. die jetzt noch durch das gemeinsame Band der Staatskirche zusammengehaltenen Richtungen würden sich zu besonderen Kirchen entwickeln. Dann würde eine neue katholische Kirche, die englisch-katholische, entstehen, gebildet aus der Mehrzahl der Glieder der jetzigen Staatskirche. (Das ist auch die Meinung z. B. von Albett Hauck in seinem Buch über „Deutschland und England in ihren kirchlichen Beziehungen." Leipzig, 1917.) Damit wäre freilich die Frage: Wird England katholisch werden? noch nicht völlig in bejahendem Sinne entschieden. Denn es sind doch immerhin auch noch in der Kirche evangelische und protestantische Bestand¬ teile enthalten, die sich von einer ganz katholisierten Kirche loslösen würden. Dann sind ferner die großen Freikirchen der Methodisten. Baptisten und Presbyterianer da, die in England den Protestantismus vertreten. Und es ist doch sehr zweifelhaft, ob es der Kirche gelingen wird, diese großen, mit den kleineren Sekten vielleicht ein gutes Drittel der englischen Bevölkerung bildenden Gemeinschaften aufzusaugen. Zwar will man in neuerer Zeit eine Hinneigung vieler Freikirchler zur Staatskirche, ja selbst zum Ritua¬ lismus, beobachten, zwar scheint die Kirche zahlenmäßig und dem Einfluß nach stärker zu wachsen, als die „Sekten". So meint auch Hauck: „In dem langen Wetteifer der kirchlichen Gemeinschaften scheint das Übergewicht der Episkopal¬ kirche zuzufallen. Sie scheint der Eigenart des englischen Volkes doch mehr zu entsprechen, als die freien Gemeinschaften, die sich von ihr ablösten." Aber gerade der in der Kirche herrschende Anglokatholizismus hat in der Forderung der Anerkennung des bischöflichen Amts einen Schlagbaum aufgerichtet, der den Freikirchen die Rückkehr unmöglich macht. Als bloß menschliche Ordnung würden sich viele ihrer Glieder mit dem Episkopalsystem befreunven können; aber es anzuerkennen als eine göttliche, zum Bestand der wahren Kirche not-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/412>, abgerufen am 23.07.2024.