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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Neue Ziele, neue ZVege

So lange England auf dem Gebiete der auswärtigen Politik seine größten
Erfolge hatte, stand auch das Oberhaus auf der Höhe feiner Macht.

Doch soll natürlich für uns nicht das Vorbild des Auslandes in einer
so wichtigen deutschen Lebensfrage maßgebend sein. Uns genügt es, festzu¬
stellen, das unsere deutschen staatlichen Einrichtungen sich bewährt haben, um
weiter an ihnen festzuhalten.

Selbstverständlich ist damit nicht die Frage der Reformbedürftigkeit der
einen oder anderen Einrichtung überhaupt erledigt. Hinsichtlich des Reichs¬
tags hat sich dieses Bedürfnis höchstens bei einigen reaktionären Außenseitern
bemerkbar gemacht, und seine Haltung in diesem Weltkriege hat wohl am
besten bewiesen, daß er auf der Höhe seiner Aufgaben steht. Ebensowenig
allerdings wird man einen derartigen Vorwurf gegen das Preußische Abgeord¬
netenhaus erheben können, dessen Verhandlungen, was staatliches Verantwort¬
lichkeitsgefühl und hohes geistiges Niveau betrifft, es mit jedem Parlament
der Welt aufnehmen können, ja das manchmal an politischer Besonnenheit den
Reichstag übertroffen hat. Man kann auf diesem Standpunkte stehen und
trotzdem die Ansicht vertreten, daß das preußische Wahlrecht reformbedürftig
sei, nicht dem demokratischen Prinzip zuliebe, dem im deutschen Reichstage
Genüge geschehen ist, sondern weil es den seit dem Erlaß der preußischen
Verfassung völlig veränderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen nicht
mehr gerecht wird und tatsächlich aus diesem Grunde erhebliche Teile des
Volkes verärgert und mißmutig abseits stehen und sich am politischen Leben
nicht beteiligen. Das aber ist ein Luxus, eine Verschwendung der Volkskraft,
die wir uns besonders in den schweren Zeiten, die nach dem Kriege kommen
werden, nicht mehr leisten können. Und wenn dieser Krieg etwas gezeigt hat,
so ist es die Mündigkeit auch der breiten Massen, die sich in diesem Kriege so
glänzend bewährt haben. Von diesem Geschlecht wird man nicht befürchten
brauchen, daß es um politischer Schlagworte willen an dem Fundamente des
Staates rühren wird. Hat doch z. B. gerade infolge des Krieges das Schlag¬
wort vom Kapitalismus, sonst eines der feuergefährlichsten, viel von seiner
Zugkraft verloren. Vielleicht deshalb, weil dank unserer sozialen Gesetzgebung
und unserer weitblickenden wirtschaftlichen Politik, in ganz Deutschland ein
Hochstand der Lebenshaltung auch der unteren Klassen erreicht ist, der keinen
heißen Haß gegen den Besitzenden mehr recht aufkommen läßt und selbst der
Arbeiterstand an dem Beispiel seiner Führer und Unternehmer einsieht, daß
Reichtum -- von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen -- nicht Müßiggang
und leichtes Leben, sondern im Gegenteil erhöhte Pflichten und erhöhte Sorgen
bedeutet und daß von ihm das stolze Wort "noblere obliZs" heute ebenso
gilt wie vom Adel. Der Reiche ist heute viel weniger ein Nutznießer seines
Besitzes, als sein Verwalter im allgemeinen und öffentlichen Interesse, und man
läßt ihm diese Verwaltung, weil sich gezeigt hat, daß sie bei ihm in besseren
Händen liegt als bei einer staatlichen Zentrale. Gerade die Erfahrungen, die


Neue Ziele, neue ZVege

So lange England auf dem Gebiete der auswärtigen Politik seine größten
Erfolge hatte, stand auch das Oberhaus auf der Höhe feiner Macht.

Doch soll natürlich für uns nicht das Vorbild des Auslandes in einer
so wichtigen deutschen Lebensfrage maßgebend sein. Uns genügt es, festzu¬
stellen, das unsere deutschen staatlichen Einrichtungen sich bewährt haben, um
weiter an ihnen festzuhalten.

Selbstverständlich ist damit nicht die Frage der Reformbedürftigkeit der
einen oder anderen Einrichtung überhaupt erledigt. Hinsichtlich des Reichs¬
tags hat sich dieses Bedürfnis höchstens bei einigen reaktionären Außenseitern
bemerkbar gemacht, und seine Haltung in diesem Weltkriege hat wohl am
besten bewiesen, daß er auf der Höhe seiner Aufgaben steht. Ebensowenig
allerdings wird man einen derartigen Vorwurf gegen das Preußische Abgeord¬
netenhaus erheben können, dessen Verhandlungen, was staatliches Verantwort¬
lichkeitsgefühl und hohes geistiges Niveau betrifft, es mit jedem Parlament
der Welt aufnehmen können, ja das manchmal an politischer Besonnenheit den
Reichstag übertroffen hat. Man kann auf diesem Standpunkte stehen und
trotzdem die Ansicht vertreten, daß das preußische Wahlrecht reformbedürftig
sei, nicht dem demokratischen Prinzip zuliebe, dem im deutschen Reichstage
Genüge geschehen ist, sondern weil es den seit dem Erlaß der preußischen
Verfassung völlig veränderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen nicht
mehr gerecht wird und tatsächlich aus diesem Grunde erhebliche Teile des
Volkes verärgert und mißmutig abseits stehen und sich am politischen Leben
nicht beteiligen. Das aber ist ein Luxus, eine Verschwendung der Volkskraft,
die wir uns besonders in den schweren Zeiten, die nach dem Kriege kommen
werden, nicht mehr leisten können. Und wenn dieser Krieg etwas gezeigt hat,
so ist es die Mündigkeit auch der breiten Massen, die sich in diesem Kriege so
glänzend bewährt haben. Von diesem Geschlecht wird man nicht befürchten
brauchen, daß es um politischer Schlagworte willen an dem Fundamente des
Staates rühren wird. Hat doch z. B. gerade infolge des Krieges das Schlag¬
wort vom Kapitalismus, sonst eines der feuergefährlichsten, viel von seiner
Zugkraft verloren. Vielleicht deshalb, weil dank unserer sozialen Gesetzgebung
und unserer weitblickenden wirtschaftlichen Politik, in ganz Deutschland ein
Hochstand der Lebenshaltung auch der unteren Klassen erreicht ist, der keinen
heißen Haß gegen den Besitzenden mehr recht aufkommen läßt und selbst der
Arbeiterstand an dem Beispiel seiner Führer und Unternehmer einsieht, daß
Reichtum — von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen — nicht Müßiggang
und leichtes Leben, sondern im Gegenteil erhöhte Pflichten und erhöhte Sorgen
bedeutet und daß von ihm das stolze Wort „noblere obliZs" heute ebenso
gilt wie vom Adel. Der Reiche ist heute viel weniger ein Nutznießer seines
Besitzes, als sein Verwalter im allgemeinen und öffentlichen Interesse, und man
läßt ihm diese Verwaltung, weil sich gezeigt hat, daß sie bei ihm in besseren
Händen liegt als bei einer staatlichen Zentrale. Gerade die Erfahrungen, die


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[0402] Neue Ziele, neue ZVege So lange England auf dem Gebiete der auswärtigen Politik seine größten Erfolge hatte, stand auch das Oberhaus auf der Höhe feiner Macht. Doch soll natürlich für uns nicht das Vorbild des Auslandes in einer so wichtigen deutschen Lebensfrage maßgebend sein. Uns genügt es, festzu¬ stellen, das unsere deutschen staatlichen Einrichtungen sich bewährt haben, um weiter an ihnen festzuhalten. Selbstverständlich ist damit nicht die Frage der Reformbedürftigkeit der einen oder anderen Einrichtung überhaupt erledigt. Hinsichtlich des Reichs¬ tags hat sich dieses Bedürfnis höchstens bei einigen reaktionären Außenseitern bemerkbar gemacht, und seine Haltung in diesem Weltkriege hat wohl am besten bewiesen, daß er auf der Höhe seiner Aufgaben steht. Ebensowenig allerdings wird man einen derartigen Vorwurf gegen das Preußische Abgeord¬ netenhaus erheben können, dessen Verhandlungen, was staatliches Verantwort¬ lichkeitsgefühl und hohes geistiges Niveau betrifft, es mit jedem Parlament der Welt aufnehmen können, ja das manchmal an politischer Besonnenheit den Reichstag übertroffen hat. Man kann auf diesem Standpunkte stehen und trotzdem die Ansicht vertreten, daß das preußische Wahlrecht reformbedürftig sei, nicht dem demokratischen Prinzip zuliebe, dem im deutschen Reichstage Genüge geschehen ist, sondern weil es den seit dem Erlaß der preußischen Verfassung völlig veränderten wirtschaftlichen und sozialen Bedingungen nicht mehr gerecht wird und tatsächlich aus diesem Grunde erhebliche Teile des Volkes verärgert und mißmutig abseits stehen und sich am politischen Leben nicht beteiligen. Das aber ist ein Luxus, eine Verschwendung der Volkskraft, die wir uns besonders in den schweren Zeiten, die nach dem Kriege kommen werden, nicht mehr leisten können. Und wenn dieser Krieg etwas gezeigt hat, so ist es die Mündigkeit auch der breiten Massen, die sich in diesem Kriege so glänzend bewährt haben. Von diesem Geschlecht wird man nicht befürchten brauchen, daß es um politischer Schlagworte willen an dem Fundamente des Staates rühren wird. Hat doch z. B. gerade infolge des Krieges das Schlag¬ wort vom Kapitalismus, sonst eines der feuergefährlichsten, viel von seiner Zugkraft verloren. Vielleicht deshalb, weil dank unserer sozialen Gesetzgebung und unserer weitblickenden wirtschaftlichen Politik, in ganz Deutschland ein Hochstand der Lebenshaltung auch der unteren Klassen erreicht ist, der keinen heißen Haß gegen den Besitzenden mehr recht aufkommen läßt und selbst der Arbeiterstand an dem Beispiel seiner Führer und Unternehmer einsieht, daß Reichtum — von einigen wenigen Ausnahmen abgesehen — nicht Müßiggang und leichtes Leben, sondern im Gegenteil erhöhte Pflichten und erhöhte Sorgen bedeutet und daß von ihm das stolze Wort „noblere obliZs" heute ebenso gilt wie vom Adel. Der Reiche ist heute viel weniger ein Nutznießer seines Besitzes, als sein Verwalter im allgemeinen und öffentlichen Interesse, und man läßt ihm diese Verwaltung, weil sich gezeigt hat, daß sie bei ihm in besseren Händen liegt als bei einer staatlichen Zentrale. Gerade die Erfahrungen, die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/402>, abgerufen am 23.07.2024.