Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Neue Ziele, neue Wege

Kalb noch eine ganze Reihe anderer falscher Götter anbetet und europäische
Grafen- und Fürstentitel vielleicht höher als bei uns geschätzt werden.

Es fragt sich, ob man sich tatsächlich bei der Weiterentwicklung unseres
staatlichen Lebens grundsätzlich für das demokratische oder aristokratische Prinzip
entscheiden muß oder ob nicht, trotz ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit ein Aus"
gleich beider möglich ist. Man kann für einen aristokratisch-autoritativen, auf
strammer Organisation beruhenden Ausbau unseres staatlichen Lebens, im
weiteren Sinne natürlich, eintreten, schon weil man den aristokratischen Aufbau
der Gesellschaft für das Naturgemäße und auf ewigen Gesetzen Beruhende erachtet
und daneben doch den demokratischen Geist, dem wir in diesem Weltkriege so
viel verdanken, nicht missen wollen. Beruht auf dem ersteren die Fähigkeit,
alle Kräfte für ein großes Ziel zusammenzufassen, so auf dem zweiten, dem
demokratischen Geist, die freudige spontane Mitarbeit jedes einzelnen, die der
geknechtete Mensch nicht kennt. Den Weltkrieg würden wir weder ohne die
eine noch ohne die andere Fähigkeit überstanden haben. Beides sind übrigens
Erbstücke aus unserer alt-germanischen Vergangenheit, und ein Blick auf unsere
ganze Geschichte zeigt, daß das deuische Volk immer dann am höchsten gestanden
hat, wenn der in ihm wohnende demokratische Trotz durch eine starke Organisation
gebändigt und durch eine weitblickende Politik auf große Ziele hingewiesen war.
Auch heute noch haben wir das Nebeneinander dieser beiden großen staatlichen
Kräfte in dem demokratischsten Wahlrecht der Welt, dem Reichstagswahlrecht,
und den mehr oder weniger aristokratisch gearteten bundesstaatlichen Wahlrechten
und Parlamentsvertretungen, in erster Linie dem preußischen Dreiklassen-Wahl¬
recht und dem Herrenhause. Es wäre töricht, über beide Einrichtungen mit
hergebrachten Schlagworten aburteilen zu wollen, hat doch erst kürzlich das
Preußische Dreiklassen-Parlament mit einer aus dem Herzen kommenden Be¬
geisterung die großen Verdienste des auf so ganz anderer Grundlage aufge¬
bauten Reichstages in diesem Kriege freudig anerkannt. Und ebensooft find
auch von anderer Seite die preußischen Leistungen im allgemeinen und auch
die des preußischen Parlaments anerkannt worden, obwohl das eigentlich nicht
nötig gewesen wäre, denn für das preußische Staatsgebilde spricht das ent¬
scheidende Wort wohl am besten die preußische Geschichte selbst mit ihren großen
Erfolgen, die um so höher zu bewerten sind, als sie nur auf Arbeit und Tüchtigkeit,
nicht aber auf dem Reichtum des Bodens und der Gunst der äußeren Ver¬
hältnisse beruhen. Es wäre eine politische Verschwendung sondergleichen, wollte
man ohne zwingende Notwendigkeit eine dieser beiden Kraftquellen des deutschen
Volkes verstopfen nur um einer politischen Theorie willen; besitzen doch auch
andere Länder und gerade die politisch erfolgreichsten neben einem Unterhaus
ein Oberhaus, ja vielleicht haben sie diesem Umstände, daß ein Ausgleich
zwischen dem spontanen Betätigungsdrangs des demokratischen Unterhauses und
des die Tradition und die staatliche Autorität repräsentierenden Oberhauses
geschaffen werde, ihre größten Erfolge zu verdanken.


Neue Ziele, neue Wege

Kalb noch eine ganze Reihe anderer falscher Götter anbetet und europäische
Grafen- und Fürstentitel vielleicht höher als bei uns geschätzt werden.

Es fragt sich, ob man sich tatsächlich bei der Weiterentwicklung unseres
staatlichen Lebens grundsätzlich für das demokratische oder aristokratische Prinzip
entscheiden muß oder ob nicht, trotz ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit ein Aus»
gleich beider möglich ist. Man kann für einen aristokratisch-autoritativen, auf
strammer Organisation beruhenden Ausbau unseres staatlichen Lebens, im
weiteren Sinne natürlich, eintreten, schon weil man den aristokratischen Aufbau
der Gesellschaft für das Naturgemäße und auf ewigen Gesetzen Beruhende erachtet
und daneben doch den demokratischen Geist, dem wir in diesem Weltkriege so
viel verdanken, nicht missen wollen. Beruht auf dem ersteren die Fähigkeit,
alle Kräfte für ein großes Ziel zusammenzufassen, so auf dem zweiten, dem
demokratischen Geist, die freudige spontane Mitarbeit jedes einzelnen, die der
geknechtete Mensch nicht kennt. Den Weltkrieg würden wir weder ohne die
eine noch ohne die andere Fähigkeit überstanden haben. Beides sind übrigens
Erbstücke aus unserer alt-germanischen Vergangenheit, und ein Blick auf unsere
ganze Geschichte zeigt, daß das deuische Volk immer dann am höchsten gestanden
hat, wenn der in ihm wohnende demokratische Trotz durch eine starke Organisation
gebändigt und durch eine weitblickende Politik auf große Ziele hingewiesen war.
Auch heute noch haben wir das Nebeneinander dieser beiden großen staatlichen
Kräfte in dem demokratischsten Wahlrecht der Welt, dem Reichstagswahlrecht,
und den mehr oder weniger aristokratisch gearteten bundesstaatlichen Wahlrechten
und Parlamentsvertretungen, in erster Linie dem preußischen Dreiklassen-Wahl¬
recht und dem Herrenhause. Es wäre töricht, über beide Einrichtungen mit
hergebrachten Schlagworten aburteilen zu wollen, hat doch erst kürzlich das
Preußische Dreiklassen-Parlament mit einer aus dem Herzen kommenden Be¬
geisterung die großen Verdienste des auf so ganz anderer Grundlage aufge¬
bauten Reichstages in diesem Kriege freudig anerkannt. Und ebensooft find
auch von anderer Seite die preußischen Leistungen im allgemeinen und auch
die des preußischen Parlaments anerkannt worden, obwohl das eigentlich nicht
nötig gewesen wäre, denn für das preußische Staatsgebilde spricht das ent¬
scheidende Wort wohl am besten die preußische Geschichte selbst mit ihren großen
Erfolgen, die um so höher zu bewerten sind, als sie nur auf Arbeit und Tüchtigkeit,
nicht aber auf dem Reichtum des Bodens und der Gunst der äußeren Ver¬
hältnisse beruhen. Es wäre eine politische Verschwendung sondergleichen, wollte
man ohne zwingende Notwendigkeit eine dieser beiden Kraftquellen des deutschen
Volkes verstopfen nur um einer politischen Theorie willen; besitzen doch auch
andere Länder und gerade die politisch erfolgreichsten neben einem Unterhaus
ein Oberhaus, ja vielleicht haben sie diesem Umstände, daß ein Ausgleich
zwischen dem spontanen Betätigungsdrangs des demokratischen Unterhauses und
des die Tradition und die staatliche Autorität repräsentierenden Oberhauses
geschaffen werde, ihre größten Erfolge zu verdanken.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0401" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331809"/>
          <fw type="header" place="top"> Neue Ziele, neue Wege</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1298" prev="#ID_1297"> Kalb noch eine ganze Reihe anderer falscher Götter anbetet und europäische<lb/>
Grafen- und Fürstentitel vielleicht höher als bei uns geschätzt werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1299"> Es fragt sich, ob man sich tatsächlich bei der Weiterentwicklung unseres<lb/>
staatlichen Lebens grundsätzlich für das demokratische oder aristokratische Prinzip<lb/>
entscheiden muß oder ob nicht, trotz ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit ein Aus»<lb/>
gleich beider möglich ist. Man kann für einen aristokratisch-autoritativen, auf<lb/>
strammer Organisation beruhenden Ausbau unseres staatlichen Lebens, im<lb/>
weiteren Sinne natürlich, eintreten, schon weil man den aristokratischen Aufbau<lb/>
der Gesellschaft für das Naturgemäße und auf ewigen Gesetzen Beruhende erachtet<lb/>
und daneben doch den demokratischen Geist, dem wir in diesem Weltkriege so<lb/>
viel verdanken, nicht missen wollen. Beruht auf dem ersteren die Fähigkeit,<lb/>
alle Kräfte für ein großes Ziel zusammenzufassen, so auf dem zweiten, dem<lb/>
demokratischen Geist, die freudige spontane Mitarbeit jedes einzelnen, die der<lb/>
geknechtete Mensch nicht kennt. Den Weltkrieg würden wir weder ohne die<lb/>
eine noch ohne die andere Fähigkeit überstanden haben. Beides sind übrigens<lb/>
Erbstücke aus unserer alt-germanischen Vergangenheit, und ein Blick auf unsere<lb/>
ganze Geschichte zeigt, daß das deuische Volk immer dann am höchsten gestanden<lb/>
hat, wenn der in ihm wohnende demokratische Trotz durch eine starke Organisation<lb/>
gebändigt und durch eine weitblickende Politik auf große Ziele hingewiesen war.<lb/>
Auch heute noch haben wir das Nebeneinander dieser beiden großen staatlichen<lb/>
Kräfte in dem demokratischsten Wahlrecht der Welt, dem Reichstagswahlrecht,<lb/>
und den mehr oder weniger aristokratisch gearteten bundesstaatlichen Wahlrechten<lb/>
und Parlamentsvertretungen, in erster Linie dem preußischen Dreiklassen-Wahl¬<lb/>
recht und dem Herrenhause. Es wäre töricht, über beide Einrichtungen mit<lb/>
hergebrachten Schlagworten aburteilen zu wollen, hat doch erst kürzlich das<lb/>
Preußische Dreiklassen-Parlament mit einer aus dem Herzen kommenden Be¬<lb/>
geisterung die großen Verdienste des auf so ganz anderer Grundlage aufge¬<lb/>
bauten Reichstages in diesem Kriege freudig anerkannt. Und ebensooft find<lb/>
auch von anderer Seite die preußischen Leistungen im allgemeinen und auch<lb/>
die des preußischen Parlaments anerkannt worden, obwohl das eigentlich nicht<lb/>
nötig gewesen wäre, denn für das preußische Staatsgebilde spricht das ent¬<lb/>
scheidende Wort wohl am besten die preußische Geschichte selbst mit ihren großen<lb/>
Erfolgen, die um so höher zu bewerten sind, als sie nur auf Arbeit und Tüchtigkeit,<lb/>
nicht aber auf dem Reichtum des Bodens und der Gunst der äußeren Ver¬<lb/>
hältnisse beruhen. Es wäre eine politische Verschwendung sondergleichen, wollte<lb/>
man ohne zwingende Notwendigkeit eine dieser beiden Kraftquellen des deutschen<lb/>
Volkes verstopfen nur um einer politischen Theorie willen; besitzen doch auch<lb/>
andere Länder und gerade die politisch erfolgreichsten neben einem Unterhaus<lb/>
ein Oberhaus, ja vielleicht haben sie diesem Umstände, daß ein Ausgleich<lb/>
zwischen dem spontanen Betätigungsdrangs des demokratischen Unterhauses und<lb/>
des die Tradition und die staatliche Autorität repräsentierenden Oberhauses<lb/>
geschaffen werde, ihre größten Erfolge zu verdanken.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0401] Neue Ziele, neue Wege Kalb noch eine ganze Reihe anderer falscher Götter anbetet und europäische Grafen- und Fürstentitel vielleicht höher als bei uns geschätzt werden. Es fragt sich, ob man sich tatsächlich bei der Weiterentwicklung unseres staatlichen Lebens grundsätzlich für das demokratische oder aristokratische Prinzip entscheiden muß oder ob nicht, trotz ihrer scheinbaren Gegensätzlichkeit ein Aus» gleich beider möglich ist. Man kann für einen aristokratisch-autoritativen, auf strammer Organisation beruhenden Ausbau unseres staatlichen Lebens, im weiteren Sinne natürlich, eintreten, schon weil man den aristokratischen Aufbau der Gesellschaft für das Naturgemäße und auf ewigen Gesetzen Beruhende erachtet und daneben doch den demokratischen Geist, dem wir in diesem Weltkriege so viel verdanken, nicht missen wollen. Beruht auf dem ersteren die Fähigkeit, alle Kräfte für ein großes Ziel zusammenzufassen, so auf dem zweiten, dem demokratischen Geist, die freudige spontane Mitarbeit jedes einzelnen, die der geknechtete Mensch nicht kennt. Den Weltkrieg würden wir weder ohne die eine noch ohne die andere Fähigkeit überstanden haben. Beides sind übrigens Erbstücke aus unserer alt-germanischen Vergangenheit, und ein Blick auf unsere ganze Geschichte zeigt, daß das deuische Volk immer dann am höchsten gestanden hat, wenn der in ihm wohnende demokratische Trotz durch eine starke Organisation gebändigt und durch eine weitblickende Politik auf große Ziele hingewiesen war. Auch heute noch haben wir das Nebeneinander dieser beiden großen staatlichen Kräfte in dem demokratischsten Wahlrecht der Welt, dem Reichstagswahlrecht, und den mehr oder weniger aristokratisch gearteten bundesstaatlichen Wahlrechten und Parlamentsvertretungen, in erster Linie dem preußischen Dreiklassen-Wahl¬ recht und dem Herrenhause. Es wäre töricht, über beide Einrichtungen mit hergebrachten Schlagworten aburteilen zu wollen, hat doch erst kürzlich das Preußische Dreiklassen-Parlament mit einer aus dem Herzen kommenden Be¬ geisterung die großen Verdienste des auf so ganz anderer Grundlage aufge¬ bauten Reichstages in diesem Kriege freudig anerkannt. Und ebensooft find auch von anderer Seite die preußischen Leistungen im allgemeinen und auch die des preußischen Parlaments anerkannt worden, obwohl das eigentlich nicht nötig gewesen wäre, denn für das preußische Staatsgebilde spricht das ent¬ scheidende Wort wohl am besten die preußische Geschichte selbst mit ihren großen Erfolgen, die um so höher zu bewerten sind, als sie nur auf Arbeit und Tüchtigkeit, nicht aber auf dem Reichtum des Bodens und der Gunst der äußeren Ver¬ hältnisse beruhen. Es wäre eine politische Verschwendung sondergleichen, wollte man ohne zwingende Notwendigkeit eine dieser beiden Kraftquellen des deutschen Volkes verstopfen nur um einer politischen Theorie willen; besitzen doch auch andere Länder und gerade die politisch erfolgreichsten neben einem Unterhaus ein Oberhaus, ja vielleicht haben sie diesem Umstände, daß ein Ausgleich zwischen dem spontanen Betätigungsdrangs des demokratischen Unterhauses und des die Tradition und die staatliche Autorität repräsentierenden Oberhauses geschaffen werde, ihre größten Erfolge zu verdanken.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/401
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/401>, abgerufen am 23.07.2024.