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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

Es ist nun äußerst interessant zu ersehen, in welchem Lichte und von welchem
politischen Standpunkte aus der Generalstabsoberst König Wilhelms des Ersten die
Wirksamkeit dieser berühmten Schar betrachtet. Er schreibt: "Aus dieser Ge-
meinsamkeit gründete sich eine Genossenschaft, die sich durch alle ferneren Kämpfe,
innere wie äußere, erhielt und die durch ihre Mitglieder, welche in der Re¬
gierung blieben, in dieser die Kraft des Volkes repräsentierte und die Be¬
freiung des Vaterlandes, man möchte sagen fast gegen den Willen des Königs
durchsetzte. -- Weil diese Männer aber einerseits ihre Kraft nur im Volle
suchten, entfremdeten sie sich den Anhängern des Alten, den eigentlichen Hof¬
kreisen, und weil das Ziel ihres Strebens auf die Befreiung des Vaterlandes,
die Vertreibung der Franzosen gerichtet war, schufen sie sich in diesen erklärte
Feinde. -- Um das Volk zu gewinnen, mußte die Reorganisation des Staates
auf durchaus liberalen Grundlagen erfolgen, und um sich der Macht der Fran¬
zosen zu entziehen, war man genötigt, die Tätigkeit in das Gewand des Ge¬
heimnisses zu kleiden. So kamen die Hofpartei und die Franzosen in ein gemein¬
schaftliches Interesse gegen Stein, Scharnhorst, Gneisenau usw. Und ebenso
traten diese in ein geheimes Bündnis mit allen Bestrebungen, welche die fran¬
zösische Revolution in den Massen wachgerufen hatte." Wie manches in dieser
Darstellung auch schief gesehen ist, liegt ja zutage. Um das Urteil über
König Friedrich den Dritten kämpft man noch heute; Stosch scheut sich nicht,
aus dem Verhalten des Monarchen im Jahre 1805 und einer aus dem
Februar 1812 überlieferten Äußerung desselben "keine große Empfindlichkeit
des Königs für die Ehre des Staates zu entnehmen". Dagegen steht Stosch
mit vollem Herzen auf feiten der obengenannten Männer und umschreibt
Gneisenaus Stellung in dieser Genossenschaft wie folgt: "Wie mit den Menschen
war Gneisenau mit allen Plänen und Werken derselben in Gemeinschaft. Er
beteiligte sich ebensowohl an den Arbeiten für die Neukonstituierung des
Staates, als auch für die Armeereorganisation. In ersterer Beziehung hielt
er eine Verfassung, welche den Bürger an den höchsten Interessen des Staates
teilnehmen macht, für notwendig, nicht allein um die Kräfte des Staates zu
heben, sondern auch um seine Wehrkraft nach außen zu bestärken. Aus diesem
Gedanken heraus erklärte er sich schon damals für ein Volksheer, für allgemeine
Wehrpflicht."

Die große Frage war nun dabei die praktische Regelung der Rechte einer
Landesvertretung, wie sie auch von dem "liberalen Aristokraten" Gneisenau
gewünscht wurde, dessen "Ideal die englische Verfassung gewesen zu sein scheint".
Stosch ist überzeugt, daß sein Held eine besonders breite Basis für die Be¬
teiligung des Volkes an der Regierung vorausgesetzt habe und vielleicht gar
überzeugt gewesen sei, die der Bevölkerung aufgelegte große Last der allgemeinen
Wehrpflicht müsse durch das Recht der Mitwirkung zu den Beschlüssen über
Krieg und Frieden aufgewogen werden. Diese weitgehende Befugnis wäre ihm
durchaus verständlich und angemessen erschienen, freilich auch schwer erreichbar,


Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

Es ist nun äußerst interessant zu ersehen, in welchem Lichte und von welchem
politischen Standpunkte aus der Generalstabsoberst König Wilhelms des Ersten die
Wirksamkeit dieser berühmten Schar betrachtet. Er schreibt: „Aus dieser Ge-
meinsamkeit gründete sich eine Genossenschaft, die sich durch alle ferneren Kämpfe,
innere wie äußere, erhielt und die durch ihre Mitglieder, welche in der Re¬
gierung blieben, in dieser die Kraft des Volkes repräsentierte und die Be¬
freiung des Vaterlandes, man möchte sagen fast gegen den Willen des Königs
durchsetzte. — Weil diese Männer aber einerseits ihre Kraft nur im Volle
suchten, entfremdeten sie sich den Anhängern des Alten, den eigentlichen Hof¬
kreisen, und weil das Ziel ihres Strebens auf die Befreiung des Vaterlandes,
die Vertreibung der Franzosen gerichtet war, schufen sie sich in diesen erklärte
Feinde. — Um das Volk zu gewinnen, mußte die Reorganisation des Staates
auf durchaus liberalen Grundlagen erfolgen, und um sich der Macht der Fran¬
zosen zu entziehen, war man genötigt, die Tätigkeit in das Gewand des Ge¬
heimnisses zu kleiden. So kamen die Hofpartei und die Franzosen in ein gemein¬
schaftliches Interesse gegen Stein, Scharnhorst, Gneisenau usw. Und ebenso
traten diese in ein geheimes Bündnis mit allen Bestrebungen, welche die fran¬
zösische Revolution in den Massen wachgerufen hatte." Wie manches in dieser
Darstellung auch schief gesehen ist, liegt ja zutage. Um das Urteil über
König Friedrich den Dritten kämpft man noch heute; Stosch scheut sich nicht,
aus dem Verhalten des Monarchen im Jahre 1805 und einer aus dem
Februar 1812 überlieferten Äußerung desselben „keine große Empfindlichkeit
des Königs für die Ehre des Staates zu entnehmen". Dagegen steht Stosch
mit vollem Herzen auf feiten der obengenannten Männer und umschreibt
Gneisenaus Stellung in dieser Genossenschaft wie folgt: „Wie mit den Menschen
war Gneisenau mit allen Plänen und Werken derselben in Gemeinschaft. Er
beteiligte sich ebensowohl an den Arbeiten für die Neukonstituierung des
Staates, als auch für die Armeereorganisation. In ersterer Beziehung hielt
er eine Verfassung, welche den Bürger an den höchsten Interessen des Staates
teilnehmen macht, für notwendig, nicht allein um die Kräfte des Staates zu
heben, sondern auch um seine Wehrkraft nach außen zu bestärken. Aus diesem
Gedanken heraus erklärte er sich schon damals für ein Volksheer, für allgemeine
Wehrpflicht."

Die große Frage war nun dabei die praktische Regelung der Rechte einer
Landesvertretung, wie sie auch von dem „liberalen Aristokraten" Gneisenau
gewünscht wurde, dessen „Ideal die englische Verfassung gewesen zu sein scheint".
Stosch ist überzeugt, daß sein Held eine besonders breite Basis für die Be¬
teiligung des Volkes an der Regierung vorausgesetzt habe und vielleicht gar
überzeugt gewesen sei, die der Bevölkerung aufgelegte große Last der allgemeinen
Wehrpflicht müsse durch das Recht der Mitwirkung zu den Beschlüssen über
Krieg und Frieden aufgewogen werden. Diese weitgehende Befugnis wäre ihm
durchaus verständlich und angemessen erschienen, freilich auch schwer erreichbar,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/33>, abgerufen am 25.08.2024.