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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

denn: "Bei der jetzigen preußischen Verfassung wird dem Landtag ja sogar das
Recht, in der äußeren Politik den Ausschlag zu geben, abgesprochen."
Möglicherweise haben wir hier wieder einen Einschub Freytags, der ja diese
"schriftstellerischen Versuche" seines Mitarbeiters "zurechtzustutzen" pflegte, "wo
der ungelenken Feder die Klarheit versagte." Nichtsdestoweniger ist Gneisenau
gerade für Stosch in allen innerpolitischen Fragen offenbar der liberale Partei¬
held, in dessen Bildnis und Lebensschicksalen der gegenwärtigen Menschheit ein
Spiegel vor die Augen gehalten werden soll. Denn es heißt weiter: "Auch
in den späteren Lebensperioden Gneisenaus werden wir sehen, daß alle seine
staatlichen Anschauungen immer auf das Volk als das allein Macht gebende
zurückgehen. -- Ja selbst in seinen rein militärischen Bestrebungen, in den Kampf
für seine Ideen der Armeereorganisation gegen die zähe widerstrebenden Anhänger
der Alten sucht er die Unterstützung nicht von oben her. sondern benutzt die Tages¬
presse, um seinen Ideen den Sieg zu verschaffen. Es ist das ein Verfahren, welches
man wenigstens heute an betreffender Stelle als demokratisch bezeichnet"*).

Die eigene, wenn auch nur innerliche, politische Kampfstellung läßt Stosch
offenbar ganz übersehen, daß "die etwas phantastische Gedankenrichtung
Gneisenaus" eben auf alle Lebensverhältnisse sich erstreckte und deshalb auch
immer korrekturbedürftig war. Das eine wie das andere wird dadurch
deutlich, daß das Urteil dieses seines Biographen unparteiisch sich geltend macht,
sobald er ihm auf anderem Boden begegnet, vor allem sobald das militärische
Gebiet unbetreten wird. Beweisend dafür ist das, was er zu den Aufsätzen
über die Beteiligung des Volkes am Kampfe zu sagen weiß, die der Staatsrat
Gneisenau dem König im Sommer 1811 vorlegte und die der König mit eigen¬
händigen Bemerkungen versah. Allerdings vermochten dabei die späteren Er¬
eignisse ihm den Anhalt für ein gerades Urteil zu geben. Dieses lautet dahin:
"Der König zeigt nicht das mindeste Vertrauen zu den freiwilligen Leistungen
der eigenen Untertanen; während Gneisenau dagegen den Feind gering und
den allgemeinen Geist des Widerstandes hoch achtet. Beide waren im Unrecht, der
König, indem er sein Volk nach den Leistungen des Jahres 1806 beurteilte, wo es
teilnahmlos den Staat zugrunde gehen ließ. Das Volk hatte ja jetzt erst gelernt,
wie nahe sein Schicksal mit dem des Staates zusammenhing. -- Gneisenau
aber traute jedem Bürger die unerschöpfliche und aufopfernde Tatkraft zu, die er
selbst empfand. Er sah im kühlen, bedächtigen Norddeutschen den im Wider¬
stande wie in seinem ganzen Leben fanatischen Spanier. -- Das Jahr 1813
bewies, wie recht Gneisenau hatte, indem er die Opferwilligkeit und Tatkraft
jedes Preußen hoch anschlug, und wie richtig der König urteilte, indem er die
Kampfesmittel nicht in irregulären Formationen, sondern nur in einer Ver¬
stärkung der regulären Armee suchte."



*) In den Schlußsätzen der ganzen Aufsatzreihe erwähnt Stosch wieder, daß Gneisenau
noch als Feldmarschall "in dem allgemeinen Demagogenschwindel in Erinnerung seiner
früheren geheimen Verbindungen" in Ungnade gefallen sei.
Albrecht von Stosch als Gneisenau-Biograph

denn: „Bei der jetzigen preußischen Verfassung wird dem Landtag ja sogar das
Recht, in der äußeren Politik den Ausschlag zu geben, abgesprochen."
Möglicherweise haben wir hier wieder einen Einschub Freytags, der ja diese
„schriftstellerischen Versuche" seines Mitarbeiters „zurechtzustutzen" pflegte, „wo
der ungelenken Feder die Klarheit versagte." Nichtsdestoweniger ist Gneisenau
gerade für Stosch in allen innerpolitischen Fragen offenbar der liberale Partei¬
held, in dessen Bildnis und Lebensschicksalen der gegenwärtigen Menschheit ein
Spiegel vor die Augen gehalten werden soll. Denn es heißt weiter: „Auch
in den späteren Lebensperioden Gneisenaus werden wir sehen, daß alle seine
staatlichen Anschauungen immer auf das Volk als das allein Macht gebende
zurückgehen. — Ja selbst in seinen rein militärischen Bestrebungen, in den Kampf
für seine Ideen der Armeereorganisation gegen die zähe widerstrebenden Anhänger
der Alten sucht er die Unterstützung nicht von oben her. sondern benutzt die Tages¬
presse, um seinen Ideen den Sieg zu verschaffen. Es ist das ein Verfahren, welches
man wenigstens heute an betreffender Stelle als demokratisch bezeichnet"*).

Die eigene, wenn auch nur innerliche, politische Kampfstellung läßt Stosch
offenbar ganz übersehen, daß „die etwas phantastische Gedankenrichtung
Gneisenaus" eben auf alle Lebensverhältnisse sich erstreckte und deshalb auch
immer korrekturbedürftig war. Das eine wie das andere wird dadurch
deutlich, daß das Urteil dieses seines Biographen unparteiisch sich geltend macht,
sobald er ihm auf anderem Boden begegnet, vor allem sobald das militärische
Gebiet unbetreten wird. Beweisend dafür ist das, was er zu den Aufsätzen
über die Beteiligung des Volkes am Kampfe zu sagen weiß, die der Staatsrat
Gneisenau dem König im Sommer 1811 vorlegte und die der König mit eigen¬
händigen Bemerkungen versah. Allerdings vermochten dabei die späteren Er¬
eignisse ihm den Anhalt für ein gerades Urteil zu geben. Dieses lautet dahin:
„Der König zeigt nicht das mindeste Vertrauen zu den freiwilligen Leistungen
der eigenen Untertanen; während Gneisenau dagegen den Feind gering und
den allgemeinen Geist des Widerstandes hoch achtet. Beide waren im Unrecht, der
König, indem er sein Volk nach den Leistungen des Jahres 1806 beurteilte, wo es
teilnahmlos den Staat zugrunde gehen ließ. Das Volk hatte ja jetzt erst gelernt,
wie nahe sein Schicksal mit dem des Staates zusammenhing. — Gneisenau
aber traute jedem Bürger die unerschöpfliche und aufopfernde Tatkraft zu, die er
selbst empfand. Er sah im kühlen, bedächtigen Norddeutschen den im Wider¬
stande wie in seinem ganzen Leben fanatischen Spanier. — Das Jahr 1813
bewies, wie recht Gneisenau hatte, indem er die Opferwilligkeit und Tatkraft
jedes Preußen hoch anschlug, und wie richtig der König urteilte, indem er die
Kampfesmittel nicht in irregulären Formationen, sondern nur in einer Ver¬
stärkung der regulären Armee suchte."



*) In den Schlußsätzen der ganzen Aufsatzreihe erwähnt Stosch wieder, daß Gneisenau
noch als Feldmarschall „in dem allgemeinen Demagogenschwindel in Erinnerung seiner
früheren geheimen Verbindungen" in Ungnade gefallen sei.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/34>, abgerufen am 25.08.2024.