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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Albrecht von Stosch als Gneisenall-Biograph

dings geschieht dies im Vergleich mit dem Freiherrn von Stein. "Gneisenau
ist eine brillante Persönlichkeit, die überall da, wo sie zur Handlung berufen
wurde, den Genius bewies und Großes leistete; Stein aber war eine durch
und durch solide Natur, die seiner Zeit nicht nur, sondern auch der ganzen
Entwicklung des preußischen Staats den Stempel seines Geistes aufgedrückt hat."

Besser, unbefangener befreundet sich der Soldat mit dem Soldaten. Hier ist
zumal die Anerkennung der in Kolberg bewiesenen Führereigenschaften vollkommen.

"Am 29. April übernahm Gneisenau die Verteidigung dieser Festung und
entwickelte vom ersten Augenblick an eine Sicherheit des Befehls, eine Kenntnis
seiner Stellung, eine Gabe der Herrschaft über Stadt und Land, ein Erfassen
der großen politischen Verhältnisse, eine persönliche Ausdauer und Allgegenwart
und dabei eine Kühnheit in der Anlage und Durchführung seiner Gefechte,
welche vereinten Eigenschaften es allein möglich machten, eine bis dahin in Bau,
Ausrüstung und Verproviantierung gänzlich vernachlässigte Festung gegen einen
siegreichen, in allen Richtungen viel überlegenen Gegner glücklich zu behaupten ..."
"Denn das war das Eigentümliche des neuen Kommandanten, daß er in allen
Dingen immer weit über das Zunächstliegende hinaussah. In ihm waren ein
sehr klarer Verstand, mühsam erworbene Kenntnisse, ein in der Not gestählter
Wille sehr merkwürdig mit höchst elastischem, sanguinischen Sinn und einer
stets regen Phantasie verbunden." In der Fülle und dem Überschwang dieser
Phantasie lag, nach Stoschs Ausfassung, aber doch auch für die feldherrnmäßige
Tätigkeit Gneisenaus eine Gefahr, die eben dadurch sich milderte, daß er gerade
Blücher zur Seite gestellt war. Das geistige Verhältnis zu diesem und die
gegenseitige Ergänzung beider in der Praxis der Heerführung wird in folgende
charakteristische Worte gekleidet: "Das instinktartige Gefühl, welches Blücher für
das momentan Richtige eigen war, hat ebensooft die Kombinationen Gneisenaus
auf das unmittelbar Notwendige zurückgeführt, als Gneisenau die einfachen
Truppenhandhabungen Blüchers zu einem meisterhaft durchgeführten Feldzug
zusammengefügt hat... Die etwas phantastische Gedankenrichwng Gneisenaus
wurde durch die realistische Natur Blüchers gezügelt, das stets unbefangene
nur dem Moment angehörende Leben Blüchers aber durch Gneisenau zu einer
planmäßigen, die Weltgeschichte regelnden Handlung gemacht." Wir denken
heute allerdings von Blüchers Feldherrngaben höher, als Stosch sie werten
mag; Gneisenaus Verdienst wird deshalb doch nicht geschmälert. Die Ver¬
schiedenheit der Naturen ist gewiß richtig von Stosch eingeschätzt: sie waren Er¬
gänzungen, zusammengehalten durch den gleichen entschlossenen Willen zum Siege.

Nun aber zeigt uns die Geschichte Gneisenaus diesen militärischen Genius
zugleich noch berufen und gewillt, in staatsmännischem Sinne an der Reorga¬
nisation Preußens mitzuwirken und auch für eine Neugestaltung Deutschlands
sich zu betätigen. Stosch führt uns mit jenem in den Kreis der "an kleinem
Ort in gleicher Arbeit und gleichem Ziel vereinigten Männer, auf welche das
Volk fah," der Stein, Vincke, Scharnhorst, Boyen, Grolman und Goetzen.


Albrecht von Stosch als Gneisenall-Biograph

dings geschieht dies im Vergleich mit dem Freiherrn von Stein. „Gneisenau
ist eine brillante Persönlichkeit, die überall da, wo sie zur Handlung berufen
wurde, den Genius bewies und Großes leistete; Stein aber war eine durch
und durch solide Natur, die seiner Zeit nicht nur, sondern auch der ganzen
Entwicklung des preußischen Staats den Stempel seines Geistes aufgedrückt hat."

Besser, unbefangener befreundet sich der Soldat mit dem Soldaten. Hier ist
zumal die Anerkennung der in Kolberg bewiesenen Führereigenschaften vollkommen.

„Am 29. April übernahm Gneisenau die Verteidigung dieser Festung und
entwickelte vom ersten Augenblick an eine Sicherheit des Befehls, eine Kenntnis
seiner Stellung, eine Gabe der Herrschaft über Stadt und Land, ein Erfassen
der großen politischen Verhältnisse, eine persönliche Ausdauer und Allgegenwart
und dabei eine Kühnheit in der Anlage und Durchführung seiner Gefechte,
welche vereinten Eigenschaften es allein möglich machten, eine bis dahin in Bau,
Ausrüstung und Verproviantierung gänzlich vernachlässigte Festung gegen einen
siegreichen, in allen Richtungen viel überlegenen Gegner glücklich zu behaupten ..."
„Denn das war das Eigentümliche des neuen Kommandanten, daß er in allen
Dingen immer weit über das Zunächstliegende hinaussah. In ihm waren ein
sehr klarer Verstand, mühsam erworbene Kenntnisse, ein in der Not gestählter
Wille sehr merkwürdig mit höchst elastischem, sanguinischen Sinn und einer
stets regen Phantasie verbunden." In der Fülle und dem Überschwang dieser
Phantasie lag, nach Stoschs Ausfassung, aber doch auch für die feldherrnmäßige
Tätigkeit Gneisenaus eine Gefahr, die eben dadurch sich milderte, daß er gerade
Blücher zur Seite gestellt war. Das geistige Verhältnis zu diesem und die
gegenseitige Ergänzung beider in der Praxis der Heerführung wird in folgende
charakteristische Worte gekleidet: „Das instinktartige Gefühl, welches Blücher für
das momentan Richtige eigen war, hat ebensooft die Kombinationen Gneisenaus
auf das unmittelbar Notwendige zurückgeführt, als Gneisenau die einfachen
Truppenhandhabungen Blüchers zu einem meisterhaft durchgeführten Feldzug
zusammengefügt hat... Die etwas phantastische Gedankenrichwng Gneisenaus
wurde durch die realistische Natur Blüchers gezügelt, das stets unbefangene
nur dem Moment angehörende Leben Blüchers aber durch Gneisenau zu einer
planmäßigen, die Weltgeschichte regelnden Handlung gemacht." Wir denken
heute allerdings von Blüchers Feldherrngaben höher, als Stosch sie werten
mag; Gneisenaus Verdienst wird deshalb doch nicht geschmälert. Die Ver¬
schiedenheit der Naturen ist gewiß richtig von Stosch eingeschätzt: sie waren Er¬
gänzungen, zusammengehalten durch den gleichen entschlossenen Willen zum Siege.

Nun aber zeigt uns die Geschichte Gneisenaus diesen militärischen Genius
zugleich noch berufen und gewillt, in staatsmännischem Sinne an der Reorga¬
nisation Preußens mitzuwirken und auch für eine Neugestaltung Deutschlands
sich zu betätigen. Stosch führt uns mit jenem in den Kreis der „an kleinem
Ort in gleicher Arbeit und gleichem Ziel vereinigten Männer, auf welche das
Volk fah," der Stein, Vincke, Scharnhorst, Boyen, Grolman und Goetzen.


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[0032] Albrecht von Stosch als Gneisenall-Biograph dings geschieht dies im Vergleich mit dem Freiherrn von Stein. „Gneisenau ist eine brillante Persönlichkeit, die überall da, wo sie zur Handlung berufen wurde, den Genius bewies und Großes leistete; Stein aber war eine durch und durch solide Natur, die seiner Zeit nicht nur, sondern auch der ganzen Entwicklung des preußischen Staats den Stempel seines Geistes aufgedrückt hat." Besser, unbefangener befreundet sich der Soldat mit dem Soldaten. Hier ist zumal die Anerkennung der in Kolberg bewiesenen Führereigenschaften vollkommen. „Am 29. April übernahm Gneisenau die Verteidigung dieser Festung und entwickelte vom ersten Augenblick an eine Sicherheit des Befehls, eine Kenntnis seiner Stellung, eine Gabe der Herrschaft über Stadt und Land, ein Erfassen der großen politischen Verhältnisse, eine persönliche Ausdauer und Allgegenwart und dabei eine Kühnheit in der Anlage und Durchführung seiner Gefechte, welche vereinten Eigenschaften es allein möglich machten, eine bis dahin in Bau, Ausrüstung und Verproviantierung gänzlich vernachlässigte Festung gegen einen siegreichen, in allen Richtungen viel überlegenen Gegner glücklich zu behaupten ..." „Denn das war das Eigentümliche des neuen Kommandanten, daß er in allen Dingen immer weit über das Zunächstliegende hinaussah. In ihm waren ein sehr klarer Verstand, mühsam erworbene Kenntnisse, ein in der Not gestählter Wille sehr merkwürdig mit höchst elastischem, sanguinischen Sinn und einer stets regen Phantasie verbunden." In der Fülle und dem Überschwang dieser Phantasie lag, nach Stoschs Ausfassung, aber doch auch für die feldherrnmäßige Tätigkeit Gneisenaus eine Gefahr, die eben dadurch sich milderte, daß er gerade Blücher zur Seite gestellt war. Das geistige Verhältnis zu diesem und die gegenseitige Ergänzung beider in der Praxis der Heerführung wird in folgende charakteristische Worte gekleidet: „Das instinktartige Gefühl, welches Blücher für das momentan Richtige eigen war, hat ebensooft die Kombinationen Gneisenaus auf das unmittelbar Notwendige zurückgeführt, als Gneisenau die einfachen Truppenhandhabungen Blüchers zu einem meisterhaft durchgeführten Feldzug zusammengefügt hat... Die etwas phantastische Gedankenrichwng Gneisenaus wurde durch die realistische Natur Blüchers gezügelt, das stets unbefangene nur dem Moment angehörende Leben Blüchers aber durch Gneisenau zu einer planmäßigen, die Weltgeschichte regelnden Handlung gemacht." Wir denken heute allerdings von Blüchers Feldherrngaben höher, als Stosch sie werten mag; Gneisenaus Verdienst wird deshalb doch nicht geschmälert. Die Ver¬ schiedenheit der Naturen ist gewiß richtig von Stosch eingeschätzt: sie waren Er¬ gänzungen, zusammengehalten durch den gleichen entschlossenen Willen zum Siege. Nun aber zeigt uns die Geschichte Gneisenaus diesen militärischen Genius zugleich noch berufen und gewillt, in staatsmännischem Sinne an der Reorga¬ nisation Preußens mitzuwirken und auch für eine Neugestaltung Deutschlands sich zu betätigen. Stosch führt uns mit jenem in den Kreis der „an kleinem Ort in gleicher Arbeit und gleichem Ziel vereinigten Männer, auf welche das Volk fah," der Stein, Vincke, Scharnhorst, Boyen, Grolman und Goetzen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/32>, abgerufen am 25.08.2024.