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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit

die vierzehntägig erschienen. Als Mitarbeiter an diesen hat Herder sich nicht
nur in journalistischer Kleinarbeit, scherzhaften und patriotisch lehrhaften Ge¬
dichten versucht, sondern er hat auch größere Abhandlungen geliefert, z. B.
die Frage beantwortet: "Ist die Schönheit des Körpers ein Bote von der
Schönheit der Seele?" Diese Tätigkeit als Wochenschriftsteller bot ihm wohl
die erste und beste Gelegenheit dazu, um einen Versuch zu machen mit der
Verwirklichung eines Lieblingsgedankens, jener "Philosophie der Menschheit",
die eine Philosophie des Menschen, des gemeinen Volkes, des gesunden Ver¬
standes werden sollte. Er wollte die Philosophie popularisieren, sie auf das
Praktische anwenden. Gerade die auf das Praktische gerichtete Geistesart der
Rigaer und des gesamten Rigaer Lebensstiles hatte in Herder diese Gedanken
von der Popularisierung und Nutzbarmachung der "Philosophie", will heißen
der Wissenschaft, entstehen lassen, sie nahm er als wertvollste Frucht seiner Rigaer
Eindrücke und Erfahrungen von dort mit in sein weiteres Leben hinaus als
Grundlage für seine spätere Humanitätsphilosophie.

Auch das musikalische Interesse war in Riga sehr lebendig. Hamann
schreibt im Jahre 1765 an Herder: "Konzerte pflegen dort ein Schlüssel zum
Umgang zu sein", und noch in späteren Jahren erinnert dieser sich gern daran,
wie die schöne und vornehme Welt in Riga sich gerade bei den Konzerten gerne
habe bewundern lassen. Er selbst stellte, genau so wie er es bei patriotischen
Anlässen mit patriotischen Liedern getan hatte, bei besonderen musikalischen
Anlässen seine Muse in den Dienst der Allgemeinheit: bei der Einweihung der
Katharinenkirche z. B. liefert er den Text zu einer Cantate. Wenn man noch
erwähnt, daß auch wandernde Theatertruppen, im Jahre 1766 die Mendische,
von Zeit zu Zeit in Riga Vorstellungen gaben, und daß diese Vorstellungen in
Herder den Gedanken auslösten, "über die Fehler der hiesigen theatralischen
Gesellschaft in Tragödien" zu schreiben, so ist das Bild von der Regsamkeit des
deutschen Geisteslebens in Riga und der tätigen Anteilnahme Herders daran
wohl vielseitig genug.

Was Wunder, daß ein solcher Mann auch im gesellschaftlichen Leben Rigas
eine beliebte Persönlichkeit war. Zwar ist nicht zu leugnen, daß die Kreise des
wohlhabenden Bürgertums einerseits und vollends gar die des auf den
umliegenden Gütern wohnenden Adels gegeneinander und gegen Fremde von
einer gewissen Zurückhaltung und Abgeschlossenheit waren. Als dann Herder
aber, vermöge seiner persönlichen Eigenschaften und dank dem Umstände, daß er
den Söhnen und Töchtern der besten Familien Privatstunden geben mußte, erst
in jene Kreise Zugang gefunden hatte, da begegnete er dort gastlicher Liebens¬
würdigkeit, einem weltmännisch-gebildeten Ton und einem Lebensstil, der zwar
eine gewisse Verfeinerung, selbst gewissen Luxus zeigte, dennoch aber stets auf
der Grundlage gediegener Einfachheit und Ehrbarkeit beruhte. So legte Herder
den letzten Nest linkischer Wesens, der ihm noch von früher anhaftete, ab und
paßte sich dem Anstand, der Anmut, der leichten Gefälligkeit seiner Rigaer Freunde


Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit

die vierzehntägig erschienen. Als Mitarbeiter an diesen hat Herder sich nicht
nur in journalistischer Kleinarbeit, scherzhaften und patriotisch lehrhaften Ge¬
dichten versucht, sondern er hat auch größere Abhandlungen geliefert, z. B.
die Frage beantwortet: „Ist die Schönheit des Körpers ein Bote von der
Schönheit der Seele?" Diese Tätigkeit als Wochenschriftsteller bot ihm wohl
die erste und beste Gelegenheit dazu, um einen Versuch zu machen mit der
Verwirklichung eines Lieblingsgedankens, jener „Philosophie der Menschheit",
die eine Philosophie des Menschen, des gemeinen Volkes, des gesunden Ver¬
standes werden sollte. Er wollte die Philosophie popularisieren, sie auf das
Praktische anwenden. Gerade die auf das Praktische gerichtete Geistesart der
Rigaer und des gesamten Rigaer Lebensstiles hatte in Herder diese Gedanken
von der Popularisierung und Nutzbarmachung der „Philosophie", will heißen
der Wissenschaft, entstehen lassen, sie nahm er als wertvollste Frucht seiner Rigaer
Eindrücke und Erfahrungen von dort mit in sein weiteres Leben hinaus als
Grundlage für seine spätere Humanitätsphilosophie.

Auch das musikalische Interesse war in Riga sehr lebendig. Hamann
schreibt im Jahre 1765 an Herder: „Konzerte pflegen dort ein Schlüssel zum
Umgang zu sein", und noch in späteren Jahren erinnert dieser sich gern daran,
wie die schöne und vornehme Welt in Riga sich gerade bei den Konzerten gerne
habe bewundern lassen. Er selbst stellte, genau so wie er es bei patriotischen
Anlässen mit patriotischen Liedern getan hatte, bei besonderen musikalischen
Anlässen seine Muse in den Dienst der Allgemeinheit: bei der Einweihung der
Katharinenkirche z. B. liefert er den Text zu einer Cantate. Wenn man noch
erwähnt, daß auch wandernde Theatertruppen, im Jahre 1766 die Mendische,
von Zeit zu Zeit in Riga Vorstellungen gaben, und daß diese Vorstellungen in
Herder den Gedanken auslösten, „über die Fehler der hiesigen theatralischen
Gesellschaft in Tragödien" zu schreiben, so ist das Bild von der Regsamkeit des
deutschen Geisteslebens in Riga und der tätigen Anteilnahme Herders daran
wohl vielseitig genug.

Was Wunder, daß ein solcher Mann auch im gesellschaftlichen Leben Rigas
eine beliebte Persönlichkeit war. Zwar ist nicht zu leugnen, daß die Kreise des
wohlhabenden Bürgertums einerseits und vollends gar die des auf den
umliegenden Gütern wohnenden Adels gegeneinander und gegen Fremde von
einer gewissen Zurückhaltung und Abgeschlossenheit waren. Als dann Herder
aber, vermöge seiner persönlichen Eigenschaften und dank dem Umstände, daß er
den Söhnen und Töchtern der besten Familien Privatstunden geben mußte, erst
in jene Kreise Zugang gefunden hatte, da begegnete er dort gastlicher Liebens¬
würdigkeit, einem weltmännisch-gebildeten Ton und einem Lebensstil, der zwar
eine gewisse Verfeinerung, selbst gewissen Luxus zeigte, dennoch aber stets auf
der Grundlage gediegener Einfachheit und Ehrbarkeit beruhte. So legte Herder
den letzten Nest linkischer Wesens, der ihm noch von früher anhaftete, ab und
paßte sich dem Anstand, der Anmut, der leichten Gefälligkeit seiner Rigaer Freunde


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[0290] Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit die vierzehntägig erschienen. Als Mitarbeiter an diesen hat Herder sich nicht nur in journalistischer Kleinarbeit, scherzhaften und patriotisch lehrhaften Ge¬ dichten versucht, sondern er hat auch größere Abhandlungen geliefert, z. B. die Frage beantwortet: „Ist die Schönheit des Körpers ein Bote von der Schönheit der Seele?" Diese Tätigkeit als Wochenschriftsteller bot ihm wohl die erste und beste Gelegenheit dazu, um einen Versuch zu machen mit der Verwirklichung eines Lieblingsgedankens, jener „Philosophie der Menschheit", die eine Philosophie des Menschen, des gemeinen Volkes, des gesunden Ver¬ standes werden sollte. Er wollte die Philosophie popularisieren, sie auf das Praktische anwenden. Gerade die auf das Praktische gerichtete Geistesart der Rigaer und des gesamten Rigaer Lebensstiles hatte in Herder diese Gedanken von der Popularisierung und Nutzbarmachung der „Philosophie", will heißen der Wissenschaft, entstehen lassen, sie nahm er als wertvollste Frucht seiner Rigaer Eindrücke und Erfahrungen von dort mit in sein weiteres Leben hinaus als Grundlage für seine spätere Humanitätsphilosophie. Auch das musikalische Interesse war in Riga sehr lebendig. Hamann schreibt im Jahre 1765 an Herder: „Konzerte pflegen dort ein Schlüssel zum Umgang zu sein", und noch in späteren Jahren erinnert dieser sich gern daran, wie die schöne und vornehme Welt in Riga sich gerade bei den Konzerten gerne habe bewundern lassen. Er selbst stellte, genau so wie er es bei patriotischen Anlässen mit patriotischen Liedern getan hatte, bei besonderen musikalischen Anlässen seine Muse in den Dienst der Allgemeinheit: bei der Einweihung der Katharinenkirche z. B. liefert er den Text zu einer Cantate. Wenn man noch erwähnt, daß auch wandernde Theatertruppen, im Jahre 1766 die Mendische, von Zeit zu Zeit in Riga Vorstellungen gaben, und daß diese Vorstellungen in Herder den Gedanken auslösten, „über die Fehler der hiesigen theatralischen Gesellschaft in Tragödien" zu schreiben, so ist das Bild von der Regsamkeit des deutschen Geisteslebens in Riga und der tätigen Anteilnahme Herders daran wohl vielseitig genug. Was Wunder, daß ein solcher Mann auch im gesellschaftlichen Leben Rigas eine beliebte Persönlichkeit war. Zwar ist nicht zu leugnen, daß die Kreise des wohlhabenden Bürgertums einerseits und vollends gar die des auf den umliegenden Gütern wohnenden Adels gegeneinander und gegen Fremde von einer gewissen Zurückhaltung und Abgeschlossenheit waren. Als dann Herder aber, vermöge seiner persönlichen Eigenschaften und dank dem Umstände, daß er den Söhnen und Töchtern der besten Familien Privatstunden geben mußte, erst in jene Kreise Zugang gefunden hatte, da begegnete er dort gastlicher Liebens¬ würdigkeit, einem weltmännisch-gebildeten Ton und einem Lebensstil, der zwar eine gewisse Verfeinerung, selbst gewissen Luxus zeigte, dennoch aber stets auf der Grundlage gediegener Einfachheit und Ehrbarkeit beruhte. So legte Herder den letzten Nest linkischer Wesens, der ihm noch von früher anhaftete, ab und paßte sich dem Anstand, der Anmut, der leichten Gefälligkeit seiner Rigaer Freunde

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/290>, abgerufen am 03.07.2024.