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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit

an. So manchen Abend verlebte er in den Familien des Ratsherrn Behrens
und seiner Brüder, eines Freundes Hamanns und Kants, ferner bei den
Familien Schwarz, Grave. Znckerbecker u. a. Im Hause des Kaufmanns Busch
findet er eine Seelenfreundin in dessen Frau. Namentlich im Hause Hartknochs
herrschte eine geistig angeregte Geselligkeit. Man las sich Stellen aus literarischen
Werken vor, um ein andermal bei einem feurigen Trunk bis in die Nacht hinein
zu schwärmen. Im Sommer ging es hinaus auf die "Höschen", die Sommer"
sitze der reichen Rigaer Kaufleute vor der Stadt, und auf die Güter der
Adligen in der Umgegend. Eines von diesen, Gravcnheide, das Gut des Herrn
von Schreivogel, besingt Herder in einem schwärmerischen Gedichte:

seiner Freundschaft mit dem jungen Baron Budberg auf Traftehof setzt
er in einem gefühlvollen Widmungsgedicht ein Denkmal:

Nur den Verkehr mit tiefer wissenschaftlich gebildeten Männern, wie er
ihn in der Universitätsstadt Königsberg gewohnt gewesen war, mußte Herder
in der Kaufmannstadt Riga entbehren. In seinem Reisejournal von der See¬
reise nach Nantes gesteht er das später selber ein. Dieser Umstand, ferner
die Anfeindungen seiner geistlichen Widersacher und endlich sein ins Weite
strebender Geist, der nach größeren und umfassenderen Aufgaben verlangte als
sie ihm die verhältnismäßig engen und bürgerlich umschränkten Verhältnisse
Rigas bieten konnten, trieben Herder schließlich doch von Riga fort, von jenem
vorgeschobenen Posten des Deutschtums wieder zurück mitten in das volle
Fluten des deutschen Geisteslebens im deutschen Vaterlande. 1769 verließ er
Riga zu Schiff, um nunmehr nach Frankreich zu fahren. Er sagt selbst:
"Geliebt von Stadt und Gemeinde, angebetet von meinen Freunden und einer
Anzahl von Jünglingen, die mich für ihren Christus hielten, der Günstling
des Gouvernements und der Ritterschaft, . . . ging ich ungeachtet vom Gipfel
dieses Beifalls, taub zu allen Vorschlägen, unter Tränen aller, die mich
kannten, weg, da mir mein Genius unwiderstehlich zurief: Nutze deine Jahre
und blicke in die WeltI Und noch hat es mich keinen Augenblick gereut."


Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit

an. So manchen Abend verlebte er in den Familien des Ratsherrn Behrens
und seiner Brüder, eines Freundes Hamanns und Kants, ferner bei den
Familien Schwarz, Grave. Znckerbecker u. a. Im Hause des Kaufmanns Busch
findet er eine Seelenfreundin in dessen Frau. Namentlich im Hause Hartknochs
herrschte eine geistig angeregte Geselligkeit. Man las sich Stellen aus literarischen
Werken vor, um ein andermal bei einem feurigen Trunk bis in die Nacht hinein
zu schwärmen. Im Sommer ging es hinaus auf die „Höschen", die Sommer»
sitze der reichen Rigaer Kaufleute vor der Stadt, und auf die Güter der
Adligen in der Umgegend. Eines von diesen, Gravcnheide, das Gut des Herrn
von Schreivogel, besingt Herder in einem schwärmerischen Gedichte:

seiner Freundschaft mit dem jungen Baron Budberg auf Traftehof setzt
er in einem gefühlvollen Widmungsgedicht ein Denkmal:

Nur den Verkehr mit tiefer wissenschaftlich gebildeten Männern, wie er
ihn in der Universitätsstadt Königsberg gewohnt gewesen war, mußte Herder
in der Kaufmannstadt Riga entbehren. In seinem Reisejournal von der See¬
reise nach Nantes gesteht er das später selber ein. Dieser Umstand, ferner
die Anfeindungen seiner geistlichen Widersacher und endlich sein ins Weite
strebender Geist, der nach größeren und umfassenderen Aufgaben verlangte als
sie ihm die verhältnismäßig engen und bürgerlich umschränkten Verhältnisse
Rigas bieten konnten, trieben Herder schließlich doch von Riga fort, von jenem
vorgeschobenen Posten des Deutschtums wieder zurück mitten in das volle
Fluten des deutschen Geisteslebens im deutschen Vaterlande. 1769 verließ er
Riga zu Schiff, um nunmehr nach Frankreich zu fahren. Er sagt selbst:
„Geliebt von Stadt und Gemeinde, angebetet von meinen Freunden und einer
Anzahl von Jünglingen, die mich für ihren Christus hielten, der Günstling
des Gouvernements und der Ritterschaft, . . . ging ich ungeachtet vom Gipfel
dieses Beifalls, taub zu allen Vorschlägen, unter Tränen aller, die mich
kannten, weg, da mir mein Genius unwiderstehlich zurief: Nutze deine Jahre
und blicke in die WeltI Und noch hat es mich keinen Augenblick gereut."


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[0291] Deutsches Leben in Riga zu Herders Zeit an. So manchen Abend verlebte er in den Familien des Ratsherrn Behrens und seiner Brüder, eines Freundes Hamanns und Kants, ferner bei den Familien Schwarz, Grave. Znckerbecker u. a. Im Hause des Kaufmanns Busch findet er eine Seelenfreundin in dessen Frau. Namentlich im Hause Hartknochs herrschte eine geistig angeregte Geselligkeit. Man las sich Stellen aus literarischen Werken vor, um ein andermal bei einem feurigen Trunk bis in die Nacht hinein zu schwärmen. Im Sommer ging es hinaus auf die „Höschen", die Sommer» sitze der reichen Rigaer Kaufleute vor der Stadt, und auf die Güter der Adligen in der Umgegend. Eines von diesen, Gravcnheide, das Gut des Herrn von Schreivogel, besingt Herder in einem schwärmerischen Gedichte: seiner Freundschaft mit dem jungen Baron Budberg auf Traftehof setzt er in einem gefühlvollen Widmungsgedicht ein Denkmal: Nur den Verkehr mit tiefer wissenschaftlich gebildeten Männern, wie er ihn in der Universitätsstadt Königsberg gewohnt gewesen war, mußte Herder in der Kaufmannstadt Riga entbehren. In seinem Reisejournal von der See¬ reise nach Nantes gesteht er das später selber ein. Dieser Umstand, ferner die Anfeindungen seiner geistlichen Widersacher und endlich sein ins Weite strebender Geist, der nach größeren und umfassenderen Aufgaben verlangte als sie ihm die verhältnismäßig engen und bürgerlich umschränkten Verhältnisse Rigas bieten konnten, trieben Herder schließlich doch von Riga fort, von jenem vorgeschobenen Posten des Deutschtums wieder zurück mitten in das volle Fluten des deutschen Geisteslebens im deutschen Vaterlande. 1769 verließ er Riga zu Schiff, um nunmehr nach Frankreich zu fahren. Er sagt selbst: „Geliebt von Stadt und Gemeinde, angebetet von meinen Freunden und einer Anzahl von Jünglingen, die mich für ihren Christus hielten, der Günstling des Gouvernements und der Ritterschaft, . . . ging ich ungeachtet vom Gipfel dieses Beifalls, taub zu allen Vorschlägen, unter Tränen aller, die mich kannten, weg, da mir mein Genius unwiderstehlich zurief: Nutze deine Jahre und blicke in die WeltI Und noch hat es mich keinen Augenblick gereut."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/291>, abgerufen am 22.07.2024.