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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Der Krieg als Vermittler

Gefühl für die Empfindungen der deutschen Volksseele besitzt, hat einmal in
seiner "Gotteshilfe" gesagt: "Die Menschen von heute wissen vor lauter
religiöser Sehnsucht gar nicht mehr, wo sie hin sollen, nur daß sie nicht in die
Kirche wollen, das wissen sie."

Woran lag es, daß sie nicht in die Kirche wollten, um dort für ihre
Sehnsucht Befriedigung zu suchen? Sie hatten das Gefühl, daß man sie dort
nicht verstände und auf all ihre Fragen und inneren Nöte keine Antwort wüßte.
Sie hatten den Eindruck gewonnen, daß dort kein Raum wäre für ihre Frömmig¬
keit, die sich nicht in die alten Formen und Schablonen der Kirchenlehre pressen
lassen wollte. Sie empfanden voll Schmerz und Empörung, daß die Kirche ihr
aufrichtiges Suchen und ihre besonders geartete Frömmigkeit nicht als echt und
vollwertig ansehen wollte. Die große Entrüstung, die der "Fall Jatho" her¬
vorrief, ist nicht in erster Linie ausgegangen von den Feinden der Religion,
obwohl diese den Fall weidlich ausgeschlachtet haben, sondern von den Freunden
der neuen religiösen Bewegung, die in Jatho einen Menschen sahen, der sie
verstand und der ihnen die Hand entgegenstreckte, um mit ihnen zu suchen und
zu wandern nach gleichen Zielen. Mochten sie auch in vielen Punkten nicht
mit ihm übereinstimmen und ihn nicht verstehen, sie fühlten trotzdem, da ist
Geist von unserm Geist, Leben von der Art, wie es auch in uns sich regt.
Und Johannes Müller -- wodurch hat er auf so viele suchende Seelen eine
so große Macht und Anziehungskraft ausgeübt? Dadurch, daß er freudig alles
echte religiöse Leben, wo auch immer er es fand, anerkannte, und sich bemühte,
das Flämmchen, das in irgendeinem religiös empfindenden Herzen glimmte,
zu echter, Heller, warmer Glut anzufachen.

Die Kirche selbst aber verhielt sich kühl ablehnend gegenüber dieser neuen
undogmatischen und außerkirchlichen Frömmigkeit. Immer schärfer traten die
Gegensätze hervor. Es drohte von dieser Seite damit der Kirche eine ernste
Gefahr, denn diese neue religiöse Bewegung, mochte sie auch immerhin noch
manche Unklarheit und Verschwommenheit an sich haben, sie hatte den festen
Willen, sich ihre Daseinsberechtigung zu erkämpfen und zu sichern, und da gerade
von den geistigen Führern des Volkes viele zu ihren Anhängern gehörten, so
hatte sie auch gute Aussicht, eine immer einflußreichere Macht zu werden.
Würde es der Kirche gelingen, sich ihr gegenüber zu behaupten? Über den
Atheismus, der schon so manchesmal im Laufe der Vergangenheit sie zu über¬
wältigen versucht hatte, war sie stets siegreich geblieben. Er ist eben mehr
verneinend, als bejahend, er reißt nieder, aber baut nicht auf. Es fehlt ihm
die Kraft, Leben zu wecken und neu zu gestalten, die der Kirche, trotz aller
ihrer Fehler und Schwächen, doch innewohnt von jeher. Wie aber würde es
werden, wenn eine junge, zukunftsfreudige religiöse Bewegung gegen die Kirche
den Kampf erklärte, wenn die unkirchliche Frömmigkeit mit allen Mitteln die
kirchliche von ihrem Platze zu verdrängen suchen würde? Rudolf Euckens Über¬
zeugung war die, daß die Kirche in diesem Kampfe unterliegen und dabei zer-


Der Krieg als Vermittler

Gefühl für die Empfindungen der deutschen Volksseele besitzt, hat einmal in
seiner „Gotteshilfe" gesagt: „Die Menschen von heute wissen vor lauter
religiöser Sehnsucht gar nicht mehr, wo sie hin sollen, nur daß sie nicht in die
Kirche wollen, das wissen sie."

Woran lag es, daß sie nicht in die Kirche wollten, um dort für ihre
Sehnsucht Befriedigung zu suchen? Sie hatten das Gefühl, daß man sie dort
nicht verstände und auf all ihre Fragen und inneren Nöte keine Antwort wüßte.
Sie hatten den Eindruck gewonnen, daß dort kein Raum wäre für ihre Frömmig¬
keit, die sich nicht in die alten Formen und Schablonen der Kirchenlehre pressen
lassen wollte. Sie empfanden voll Schmerz und Empörung, daß die Kirche ihr
aufrichtiges Suchen und ihre besonders geartete Frömmigkeit nicht als echt und
vollwertig ansehen wollte. Die große Entrüstung, die der „Fall Jatho" her¬
vorrief, ist nicht in erster Linie ausgegangen von den Feinden der Religion,
obwohl diese den Fall weidlich ausgeschlachtet haben, sondern von den Freunden
der neuen religiösen Bewegung, die in Jatho einen Menschen sahen, der sie
verstand und der ihnen die Hand entgegenstreckte, um mit ihnen zu suchen und
zu wandern nach gleichen Zielen. Mochten sie auch in vielen Punkten nicht
mit ihm übereinstimmen und ihn nicht verstehen, sie fühlten trotzdem, da ist
Geist von unserm Geist, Leben von der Art, wie es auch in uns sich regt.
Und Johannes Müller — wodurch hat er auf so viele suchende Seelen eine
so große Macht und Anziehungskraft ausgeübt? Dadurch, daß er freudig alles
echte religiöse Leben, wo auch immer er es fand, anerkannte, und sich bemühte,
das Flämmchen, das in irgendeinem religiös empfindenden Herzen glimmte,
zu echter, Heller, warmer Glut anzufachen.

Die Kirche selbst aber verhielt sich kühl ablehnend gegenüber dieser neuen
undogmatischen und außerkirchlichen Frömmigkeit. Immer schärfer traten die
Gegensätze hervor. Es drohte von dieser Seite damit der Kirche eine ernste
Gefahr, denn diese neue religiöse Bewegung, mochte sie auch immerhin noch
manche Unklarheit und Verschwommenheit an sich haben, sie hatte den festen
Willen, sich ihre Daseinsberechtigung zu erkämpfen und zu sichern, und da gerade
von den geistigen Führern des Volkes viele zu ihren Anhängern gehörten, so
hatte sie auch gute Aussicht, eine immer einflußreichere Macht zu werden.
Würde es der Kirche gelingen, sich ihr gegenüber zu behaupten? Über den
Atheismus, der schon so manchesmal im Laufe der Vergangenheit sie zu über¬
wältigen versucht hatte, war sie stets siegreich geblieben. Er ist eben mehr
verneinend, als bejahend, er reißt nieder, aber baut nicht auf. Es fehlt ihm
die Kraft, Leben zu wecken und neu zu gestalten, die der Kirche, trotz aller
ihrer Fehler und Schwächen, doch innewohnt von jeher. Wie aber würde es
werden, wenn eine junge, zukunftsfreudige religiöse Bewegung gegen die Kirche
den Kampf erklärte, wenn die unkirchliche Frömmigkeit mit allen Mitteln die
kirchliche von ihrem Platze zu verdrängen suchen würde? Rudolf Euckens Über¬
zeugung war die, daß die Kirche in diesem Kampfe unterliegen und dabei zer-


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[0256] Der Krieg als Vermittler Gefühl für die Empfindungen der deutschen Volksseele besitzt, hat einmal in seiner „Gotteshilfe" gesagt: „Die Menschen von heute wissen vor lauter religiöser Sehnsucht gar nicht mehr, wo sie hin sollen, nur daß sie nicht in die Kirche wollen, das wissen sie." Woran lag es, daß sie nicht in die Kirche wollten, um dort für ihre Sehnsucht Befriedigung zu suchen? Sie hatten das Gefühl, daß man sie dort nicht verstände und auf all ihre Fragen und inneren Nöte keine Antwort wüßte. Sie hatten den Eindruck gewonnen, daß dort kein Raum wäre für ihre Frömmig¬ keit, die sich nicht in die alten Formen und Schablonen der Kirchenlehre pressen lassen wollte. Sie empfanden voll Schmerz und Empörung, daß die Kirche ihr aufrichtiges Suchen und ihre besonders geartete Frömmigkeit nicht als echt und vollwertig ansehen wollte. Die große Entrüstung, die der „Fall Jatho" her¬ vorrief, ist nicht in erster Linie ausgegangen von den Feinden der Religion, obwohl diese den Fall weidlich ausgeschlachtet haben, sondern von den Freunden der neuen religiösen Bewegung, die in Jatho einen Menschen sahen, der sie verstand und der ihnen die Hand entgegenstreckte, um mit ihnen zu suchen und zu wandern nach gleichen Zielen. Mochten sie auch in vielen Punkten nicht mit ihm übereinstimmen und ihn nicht verstehen, sie fühlten trotzdem, da ist Geist von unserm Geist, Leben von der Art, wie es auch in uns sich regt. Und Johannes Müller — wodurch hat er auf so viele suchende Seelen eine so große Macht und Anziehungskraft ausgeübt? Dadurch, daß er freudig alles echte religiöse Leben, wo auch immer er es fand, anerkannte, und sich bemühte, das Flämmchen, das in irgendeinem religiös empfindenden Herzen glimmte, zu echter, Heller, warmer Glut anzufachen. Die Kirche selbst aber verhielt sich kühl ablehnend gegenüber dieser neuen undogmatischen und außerkirchlichen Frömmigkeit. Immer schärfer traten die Gegensätze hervor. Es drohte von dieser Seite damit der Kirche eine ernste Gefahr, denn diese neue religiöse Bewegung, mochte sie auch immerhin noch manche Unklarheit und Verschwommenheit an sich haben, sie hatte den festen Willen, sich ihre Daseinsberechtigung zu erkämpfen und zu sichern, und da gerade von den geistigen Führern des Volkes viele zu ihren Anhängern gehörten, so hatte sie auch gute Aussicht, eine immer einflußreichere Macht zu werden. Würde es der Kirche gelingen, sich ihr gegenüber zu behaupten? Über den Atheismus, der schon so manchesmal im Laufe der Vergangenheit sie zu über¬ wältigen versucht hatte, war sie stets siegreich geblieben. Er ist eben mehr verneinend, als bejahend, er reißt nieder, aber baut nicht auf. Es fehlt ihm die Kraft, Leben zu wecken und neu zu gestalten, die der Kirche, trotz aller ihrer Fehler und Schwächen, doch innewohnt von jeher. Wie aber würde es werden, wenn eine junge, zukunftsfreudige religiöse Bewegung gegen die Kirche den Kampf erklärte, wenn die unkirchliche Frömmigkeit mit allen Mitteln die kirchliche von ihrem Platze zu verdrängen suchen würde? Rudolf Euckens Über¬ zeugung war die, daß die Kirche in diesem Kampfe unterliegen und dabei zer-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/256>, abgerufen am 23.07.2024.