Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Der Krieg als Vermittler

fallen würde, daß dadurch zunächst eine Zeit der größten Verwirrung auf
religiösem Gebiet entstehen würde, bis sich die neue Religion, der die Zukunft
gehöre, ihre feste äußere Form geschaffen hätte, die sie zu dauerndem Bestände
unbedingt brauche.

Zu diesem Entscheidungskampfe ist es nicht gekommen. Der Krieg kam
dazwischen. Und dieser Krieg, der für unser gesamtes Volksleben von größter
Bedeutung ist, er war auch, wie wir schon hervorhoben, für das religiöse Leben
von außerordentlichem Einfluß. Er war wie ein Sturm, der hineinfuhr in die
Seelen und in so manchem Herzen den nur noch glimmenden Funken religiösen
Lebens wieder aufflammen ließ. Aber er hat noch mehr erreicht; er hat ver¬
mittelnd gewirkt zwischen der kirchlichen und der unkirchlichen Frömmigkeit. Er
hat vieles, was trennend zwischen ihnen stand, hinweggefegt und das, was
beiden gemeinsam ist, ans Licht gebracht. Die Gegner, die sich bislang in
immer heftiger werdendem Kampfe gegenüberstanden, lernten sich kennen und
verstehen. Das große gemeinsame Erleben ließ sie empfinden, daß es im
Grunde das Gleiche war, was sie suchten und wollten und daß sie beide
schöpften aus den gleichen Quellen lebendiger Kraft.

Die Kirche tat ihre Tore weit auf. Alles Kleinliche und Engherzige, das
viele so abgestoßen hatte, trat ganz in den Hintergrund. Sie betrachtete es
nicht mehr als wichtigste Aufgabe zu wachen über der Reinheit der Lehre, sondern
sie erkannte ihren eigentlichen Beruf: religiöses Leben zu erwecken und zu pflegen
die Kräfte, die aus der Religion entspringen, dem Volke zu vermitteln. Eine
ganz einfache, schlichte, undogmatische Frömmigkeit war es. die seit dem Tage
des Kriegsausbruches auf den Kanzeln laut ward. Daß noch vor ganz kurzer
Zeit hitzige Kämpfe um kirchlicher Lehrsätze willen geführt wurden, war wie
vergessen. Jetzt galt es Größeres, Wichtigeres: aufzubauen, zu pflegen und zu
stärken, was immer an religiösem Leben sich fand. Man suchte Antwort zu
geben auf alle die Fragen, mit denen die Menschen zum Gotteshause kommen
und Hilfe zu schaffen, für all die äußeren und inneren Nöte, die sie durchmachen
mußten. Freudig erkannte die Kirche dabei an -- vor allem durch die vielen
ergreifenden Zeugnisse aus dem Felde überwunden -- daß echte Frömmigkeit,
wahres religiöses Leben auch da zu finden sei, wo man weit entfernt ist, alle
Glaubensartikel der Kirchenlehre für richtig zu halten und sich zu eigen zu
machen. Daß es bei alledem viele Vertreter der Kirche auch jetzt noch gibt, an
denen der Geist dieser Zeit so gut wie spurlos vorübergegangen ist, läßt sich
leider nicht leugnen, das ändert aber nichts an der Tatsache, daß aufs Ganze
gesehen -- die kirchliche Frömmigkeit neue Züge und neues Leben erhalten hat.

Auf der anderen Seite hat aber auch die neue Frömmigkeit zugelernt.
Zunächst hat sie in dieser Kriegszeit einsehen müssen, welch einen Wert die
Kirche als Organisation hat. Die Landeskirchen wurden, als wäre das ga"z
selbstverständlich, die Mittelpunkte des neuerwachten religiösen Lebens. Man
begriff, welch eine Bedeutung diese große, das ganze Land überspannende,


Der Krieg als Vermittler

fallen würde, daß dadurch zunächst eine Zeit der größten Verwirrung auf
religiösem Gebiet entstehen würde, bis sich die neue Religion, der die Zukunft
gehöre, ihre feste äußere Form geschaffen hätte, die sie zu dauerndem Bestände
unbedingt brauche.

Zu diesem Entscheidungskampfe ist es nicht gekommen. Der Krieg kam
dazwischen. Und dieser Krieg, der für unser gesamtes Volksleben von größter
Bedeutung ist, er war auch, wie wir schon hervorhoben, für das religiöse Leben
von außerordentlichem Einfluß. Er war wie ein Sturm, der hineinfuhr in die
Seelen und in so manchem Herzen den nur noch glimmenden Funken religiösen
Lebens wieder aufflammen ließ. Aber er hat noch mehr erreicht; er hat ver¬
mittelnd gewirkt zwischen der kirchlichen und der unkirchlichen Frömmigkeit. Er
hat vieles, was trennend zwischen ihnen stand, hinweggefegt und das, was
beiden gemeinsam ist, ans Licht gebracht. Die Gegner, die sich bislang in
immer heftiger werdendem Kampfe gegenüberstanden, lernten sich kennen und
verstehen. Das große gemeinsame Erleben ließ sie empfinden, daß es im
Grunde das Gleiche war, was sie suchten und wollten und daß sie beide
schöpften aus den gleichen Quellen lebendiger Kraft.

Die Kirche tat ihre Tore weit auf. Alles Kleinliche und Engherzige, das
viele so abgestoßen hatte, trat ganz in den Hintergrund. Sie betrachtete es
nicht mehr als wichtigste Aufgabe zu wachen über der Reinheit der Lehre, sondern
sie erkannte ihren eigentlichen Beruf: religiöses Leben zu erwecken und zu pflegen
die Kräfte, die aus der Religion entspringen, dem Volke zu vermitteln. Eine
ganz einfache, schlichte, undogmatische Frömmigkeit war es. die seit dem Tage
des Kriegsausbruches auf den Kanzeln laut ward. Daß noch vor ganz kurzer
Zeit hitzige Kämpfe um kirchlicher Lehrsätze willen geführt wurden, war wie
vergessen. Jetzt galt es Größeres, Wichtigeres: aufzubauen, zu pflegen und zu
stärken, was immer an religiösem Leben sich fand. Man suchte Antwort zu
geben auf alle die Fragen, mit denen die Menschen zum Gotteshause kommen
und Hilfe zu schaffen, für all die äußeren und inneren Nöte, die sie durchmachen
mußten. Freudig erkannte die Kirche dabei an — vor allem durch die vielen
ergreifenden Zeugnisse aus dem Felde überwunden — daß echte Frömmigkeit,
wahres religiöses Leben auch da zu finden sei, wo man weit entfernt ist, alle
Glaubensartikel der Kirchenlehre für richtig zu halten und sich zu eigen zu
machen. Daß es bei alledem viele Vertreter der Kirche auch jetzt noch gibt, an
denen der Geist dieser Zeit so gut wie spurlos vorübergegangen ist, läßt sich
leider nicht leugnen, das ändert aber nichts an der Tatsache, daß aufs Ganze
gesehen — die kirchliche Frömmigkeit neue Züge und neues Leben erhalten hat.

Auf der anderen Seite hat aber auch die neue Frömmigkeit zugelernt.
Zunächst hat sie in dieser Kriegszeit einsehen müssen, welch einen Wert die
Kirche als Organisation hat. Die Landeskirchen wurden, als wäre das ga«z
selbstverständlich, die Mittelpunkte des neuerwachten religiösen Lebens. Man
begriff, welch eine Bedeutung diese große, das ganze Land überspannende,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0257" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331665"/>
          <fw type="header" place="top"> Der Krieg als Vermittler</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_803" prev="#ID_802"> fallen würde, daß dadurch zunächst eine Zeit der größten Verwirrung auf<lb/>
religiösem Gebiet entstehen würde, bis sich die neue Religion, der die Zukunft<lb/>
gehöre, ihre feste äußere Form geschaffen hätte, die sie zu dauerndem Bestände<lb/>
unbedingt brauche.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_804"> Zu diesem Entscheidungskampfe ist es nicht gekommen. Der Krieg kam<lb/>
dazwischen. Und dieser Krieg, der für unser gesamtes Volksleben von größter<lb/>
Bedeutung ist, er war auch, wie wir schon hervorhoben, für das religiöse Leben<lb/>
von außerordentlichem Einfluß. Er war wie ein Sturm, der hineinfuhr in die<lb/>
Seelen und in so manchem Herzen den nur noch glimmenden Funken religiösen<lb/>
Lebens wieder aufflammen ließ. Aber er hat noch mehr erreicht; er hat ver¬<lb/>
mittelnd gewirkt zwischen der kirchlichen und der unkirchlichen Frömmigkeit. Er<lb/>
hat vieles, was trennend zwischen ihnen stand, hinweggefegt und das, was<lb/>
beiden gemeinsam ist, ans Licht gebracht. Die Gegner, die sich bislang in<lb/>
immer heftiger werdendem Kampfe gegenüberstanden, lernten sich kennen und<lb/>
verstehen. Das große gemeinsame Erleben ließ sie empfinden, daß es im<lb/>
Grunde das Gleiche war, was sie suchten und wollten und daß sie beide<lb/>
schöpften aus den gleichen Quellen lebendiger Kraft.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_805"> Die Kirche tat ihre Tore weit auf. Alles Kleinliche und Engherzige, das<lb/>
viele so abgestoßen hatte, trat ganz in den Hintergrund. Sie betrachtete es<lb/>
nicht mehr als wichtigste Aufgabe zu wachen über der Reinheit der Lehre, sondern<lb/>
sie erkannte ihren eigentlichen Beruf: religiöses Leben zu erwecken und zu pflegen<lb/>
die Kräfte, die aus der Religion entspringen, dem Volke zu vermitteln. Eine<lb/>
ganz einfache, schlichte, undogmatische Frömmigkeit war es. die seit dem Tage<lb/>
des Kriegsausbruches auf den Kanzeln laut ward. Daß noch vor ganz kurzer<lb/>
Zeit hitzige Kämpfe um kirchlicher Lehrsätze willen geführt wurden, war wie<lb/>
vergessen. Jetzt galt es Größeres, Wichtigeres: aufzubauen, zu pflegen und zu<lb/>
stärken, was immer an religiösem Leben sich fand. Man suchte Antwort zu<lb/>
geben auf alle die Fragen, mit denen die Menschen zum Gotteshause kommen<lb/>
und Hilfe zu schaffen, für all die äußeren und inneren Nöte, die sie durchmachen<lb/>
mußten. Freudig erkannte die Kirche dabei an &#x2014; vor allem durch die vielen<lb/>
ergreifenden Zeugnisse aus dem Felde überwunden &#x2014; daß echte Frömmigkeit,<lb/>
wahres religiöses Leben auch da zu finden sei, wo man weit entfernt ist, alle<lb/>
Glaubensartikel der Kirchenlehre für richtig zu halten und sich zu eigen zu<lb/>
machen. Daß es bei alledem viele Vertreter der Kirche auch jetzt noch gibt, an<lb/>
denen der Geist dieser Zeit so gut wie spurlos vorübergegangen ist, läßt sich<lb/>
leider nicht leugnen, das ändert aber nichts an der Tatsache, daß aufs Ganze<lb/>
gesehen &#x2014; die kirchliche Frömmigkeit neue Züge und neues Leben erhalten hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_806" next="#ID_807"> Auf der anderen Seite hat aber auch die neue Frömmigkeit zugelernt.<lb/>
Zunächst hat sie in dieser Kriegszeit einsehen müssen, welch einen Wert die<lb/>
Kirche als Organisation hat. Die Landeskirchen wurden, als wäre das ga«z<lb/>
selbstverständlich, die Mittelpunkte des neuerwachten religiösen Lebens. Man<lb/>
begriff, welch eine Bedeutung diese große, das ganze Land überspannende,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257] Der Krieg als Vermittler fallen würde, daß dadurch zunächst eine Zeit der größten Verwirrung auf religiösem Gebiet entstehen würde, bis sich die neue Religion, der die Zukunft gehöre, ihre feste äußere Form geschaffen hätte, die sie zu dauerndem Bestände unbedingt brauche. Zu diesem Entscheidungskampfe ist es nicht gekommen. Der Krieg kam dazwischen. Und dieser Krieg, der für unser gesamtes Volksleben von größter Bedeutung ist, er war auch, wie wir schon hervorhoben, für das religiöse Leben von außerordentlichem Einfluß. Er war wie ein Sturm, der hineinfuhr in die Seelen und in so manchem Herzen den nur noch glimmenden Funken religiösen Lebens wieder aufflammen ließ. Aber er hat noch mehr erreicht; er hat ver¬ mittelnd gewirkt zwischen der kirchlichen und der unkirchlichen Frömmigkeit. Er hat vieles, was trennend zwischen ihnen stand, hinweggefegt und das, was beiden gemeinsam ist, ans Licht gebracht. Die Gegner, die sich bislang in immer heftiger werdendem Kampfe gegenüberstanden, lernten sich kennen und verstehen. Das große gemeinsame Erleben ließ sie empfinden, daß es im Grunde das Gleiche war, was sie suchten und wollten und daß sie beide schöpften aus den gleichen Quellen lebendiger Kraft. Die Kirche tat ihre Tore weit auf. Alles Kleinliche und Engherzige, das viele so abgestoßen hatte, trat ganz in den Hintergrund. Sie betrachtete es nicht mehr als wichtigste Aufgabe zu wachen über der Reinheit der Lehre, sondern sie erkannte ihren eigentlichen Beruf: religiöses Leben zu erwecken und zu pflegen die Kräfte, die aus der Religion entspringen, dem Volke zu vermitteln. Eine ganz einfache, schlichte, undogmatische Frömmigkeit war es. die seit dem Tage des Kriegsausbruches auf den Kanzeln laut ward. Daß noch vor ganz kurzer Zeit hitzige Kämpfe um kirchlicher Lehrsätze willen geführt wurden, war wie vergessen. Jetzt galt es Größeres, Wichtigeres: aufzubauen, zu pflegen und zu stärken, was immer an religiösem Leben sich fand. Man suchte Antwort zu geben auf alle die Fragen, mit denen die Menschen zum Gotteshause kommen und Hilfe zu schaffen, für all die äußeren und inneren Nöte, die sie durchmachen mußten. Freudig erkannte die Kirche dabei an — vor allem durch die vielen ergreifenden Zeugnisse aus dem Felde überwunden — daß echte Frömmigkeit, wahres religiöses Leben auch da zu finden sei, wo man weit entfernt ist, alle Glaubensartikel der Kirchenlehre für richtig zu halten und sich zu eigen zu machen. Daß es bei alledem viele Vertreter der Kirche auch jetzt noch gibt, an denen der Geist dieser Zeit so gut wie spurlos vorübergegangen ist, läßt sich leider nicht leugnen, das ändert aber nichts an der Tatsache, daß aufs Ganze gesehen — die kirchliche Frömmigkeit neue Züge und neues Leben erhalten hat. Auf der anderen Seite hat aber auch die neue Frömmigkeit zugelernt. Zunächst hat sie in dieser Kriegszeit einsehen müssen, welch einen Wert die Kirche als Organisation hat. Die Landeskirchen wurden, als wäre das ga«z selbstverständlich, die Mittelpunkte des neuerwachten religiösen Lebens. Man begriff, welch eine Bedeutung diese große, das ganze Land überspannende,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/257
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/257>, abgerufen am 23.07.2024.