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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Krisis der russischen Innenpolitik

seine Vorgänger vor ihm mit der Notwendigkeit der Einarbeitung des neuen
Kabinetts. Niemand im Lande glaubt an die Aufrichtigkeit dieser Erklärung,
aber niemand glaubt auch mehr daran, daß die demokratischen Blockelemente
sich auf die wirkliche Majorität des arbeitenden politischen Rußlands stützen.
Das wahre Rußland hat nichts zu tun mit jenen allen Sensationen nachlaufen¬
den Leuten, die die Versammlungen füllen, und die heute dem einen und morgen
dem andern Hurra schreien. Es scheint, als ob das Gefühl der Notwendigkeit
des Sorgens für den kommenden Tag, die Kriegs- und Ernährungsschwierig¬
keiten alles andere übertönt haben.

So war die Situation bis vor ungefähr vierzehn Tagen, als der Kongreß
der Alliierten in Petersburg begann, als die französischen und englischen Zeitungs¬
stimmen auf die Gefahr der Lage hinwiesen. Die west-schweizerische Presse, die
offenbar von Paris inspiriert wurde, sprach sich am deutlichsten aus. Die
Alliierten könnten und dürften nicht mitansehen, daß die inneren Zustände in
Rußland so weiter gingen, wie sie jetzt gehen. Man müsse die Duma gegen
die Regierung, d. h. gegen den Zaren, ausspielen und dafür forgen, daß ein
Ministerium Miljukow ans Ruder komme. Die englische Presse sagte offen,
daß das dynastische Prinzip, das in Rußland, Japan und Deutschland vertreten
sei, ein Hindernis für die westlichen demokratischen Tendenzen darstelle. Man
müsse dafür sorgen, daß der Zar von den Einflüssen entfernt werde, die ihm
das Zusammenarbeiten mit der Duma (d. h. mit dem dem englischen Botschafter
gut ergebenen Herrn Miljukow) unmöglich machen. Es liegen Anzeichen dafür
vor, daß die Herren Doumergue und Lord Milner in Petersburg versucht
haben, sich in die innere Politik des Zarenreiches einzumischen. Man zögerte,
die finanziellen Wünsche Rußlands, dessen Währung auf dem Londoner Markt
immer tiefer und tiefer sank, zu erfüllen, und man scheute sich nicht, gleichzeitg
gewisse Möglichkeiten anzudeuten, die eintreten könnten, wenn man in den ma߬
gebenden Kreisen kein Verständnis sür die Notwendigkeit der Umgestaltung der
russischen inneren Politik zeigen würde.

Vor allen Dingen ist höchst bemerkenswert, daß man in Paris schon offen
davon sprach, daß man sich um die Verwirklichung der Kriegsziele Rußlands
nicht mehr kümmern, sondern Rußland seinem Schicksal überlassen werde. Eine
gewisse russische Presse hat sich soweit in ihrer Würde vergessen, daß sie angst¬
bebend die Franzosen darauf aufmerksam machte, daß auch Frankreich ein ge¬
wisses Interesse daran habe, die russischen Grenzen nicht zu weit nach dem Osten
zurückgeschoben zu sehen.

Was die Herren Doumergue und Genossen in Petersburg ausgerichtet
haben, ist nicht bekannt. Jedenfalls werden die leitenden russischen Kreise
wiederum gesehen haben, daß Stürmer nicht so unrecht hatte, als er dem
Abgeordneten Purischkewitsch gegenüber von den allzu großen Prätentionen der
Verbündeten Rußlands sprach. Ein absolut nicht zur Stürmerschen Gruppe
gehöriger Schriftsteller, A. Petrischtschew, hat in der letzten Nummer der


Die Krisis der russischen Innenpolitik

seine Vorgänger vor ihm mit der Notwendigkeit der Einarbeitung des neuen
Kabinetts. Niemand im Lande glaubt an die Aufrichtigkeit dieser Erklärung,
aber niemand glaubt auch mehr daran, daß die demokratischen Blockelemente
sich auf die wirkliche Majorität des arbeitenden politischen Rußlands stützen.
Das wahre Rußland hat nichts zu tun mit jenen allen Sensationen nachlaufen¬
den Leuten, die die Versammlungen füllen, und die heute dem einen und morgen
dem andern Hurra schreien. Es scheint, als ob das Gefühl der Notwendigkeit
des Sorgens für den kommenden Tag, die Kriegs- und Ernährungsschwierig¬
keiten alles andere übertönt haben.

So war die Situation bis vor ungefähr vierzehn Tagen, als der Kongreß
der Alliierten in Petersburg begann, als die französischen und englischen Zeitungs¬
stimmen auf die Gefahr der Lage hinwiesen. Die west-schweizerische Presse, die
offenbar von Paris inspiriert wurde, sprach sich am deutlichsten aus. Die
Alliierten könnten und dürften nicht mitansehen, daß die inneren Zustände in
Rußland so weiter gingen, wie sie jetzt gehen. Man müsse die Duma gegen
die Regierung, d. h. gegen den Zaren, ausspielen und dafür forgen, daß ein
Ministerium Miljukow ans Ruder komme. Die englische Presse sagte offen,
daß das dynastische Prinzip, das in Rußland, Japan und Deutschland vertreten
sei, ein Hindernis für die westlichen demokratischen Tendenzen darstelle. Man
müsse dafür sorgen, daß der Zar von den Einflüssen entfernt werde, die ihm
das Zusammenarbeiten mit der Duma (d. h. mit dem dem englischen Botschafter
gut ergebenen Herrn Miljukow) unmöglich machen. Es liegen Anzeichen dafür
vor, daß die Herren Doumergue und Lord Milner in Petersburg versucht
haben, sich in die innere Politik des Zarenreiches einzumischen. Man zögerte,
die finanziellen Wünsche Rußlands, dessen Währung auf dem Londoner Markt
immer tiefer und tiefer sank, zu erfüllen, und man scheute sich nicht, gleichzeitg
gewisse Möglichkeiten anzudeuten, die eintreten könnten, wenn man in den ma߬
gebenden Kreisen kein Verständnis sür die Notwendigkeit der Umgestaltung der
russischen inneren Politik zeigen würde.

Vor allen Dingen ist höchst bemerkenswert, daß man in Paris schon offen
davon sprach, daß man sich um die Verwirklichung der Kriegsziele Rußlands
nicht mehr kümmern, sondern Rußland seinem Schicksal überlassen werde. Eine
gewisse russische Presse hat sich soweit in ihrer Würde vergessen, daß sie angst¬
bebend die Franzosen darauf aufmerksam machte, daß auch Frankreich ein ge¬
wisses Interesse daran habe, die russischen Grenzen nicht zu weit nach dem Osten
zurückgeschoben zu sehen.

Was die Herren Doumergue und Genossen in Petersburg ausgerichtet
haben, ist nicht bekannt. Jedenfalls werden die leitenden russischen Kreise
wiederum gesehen haben, daß Stürmer nicht so unrecht hatte, als er dem
Abgeordneten Purischkewitsch gegenüber von den allzu großen Prätentionen der
Verbündeten Rußlands sprach. Ein absolut nicht zur Stürmerschen Gruppe
gehöriger Schriftsteller, A. Petrischtschew, hat in der letzten Nummer der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/241>, abgerufen am 25.08.2024.