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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Die Krisis der russischen Innenpolitik

"Rußkija Sapiski" offen gesägt, daß man Stürmer doch nur dankbar sein
könne, wenn er die russischen Interessen auch gegenüber seinen Verbündeten ver¬
treten habe. Es sei bedauerlich, daß gewisse Leute keinerlei Verständnis für
diesen Standpunkt hätten.

Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen Deutschlands mit den Ver¬
einigten Staaten wird vorübergehend allen Kriegshetzern in Rußland, namentlich
den Führern der Kadetten, wieder Oberwasser geben. Von einer Begeisterung
aber für die Erfüllung jener uferlosen Pläne, die Trepow und Pokrowski in
ihren Reden zum Ausdruck brachten, wird in dem entnüchterten Rußland
niemand mehr Interesse haben. Die "Rußkaja Wolja", das be¬
kannte, von Jndustriekreisen ins Leben gerufene neue Organ, hat denn
auch jetzt schon vor übertriebenen Kriegszielen in Rußland gewarnt und
solche Pläne uferlos und unbegründet genannt. Die Vernunft wird
allmählich auch in Rußland sich Bahn brechen. Der Fall Rumäniens
hat einen tieferen Eindruck auf das Land gemacht, als man dies aus der
vollkommen geknebelten Presse ersehen kann, und auch der Zusammenbruch der
Unternehmungen von Radko Dimitriew an der Aa hat dazu beigetragen,
weite Schichten der Bevölkerung zu entnüchtern. Der dänische Korrespondent
Toepffer, der neulich in Rußland gewesen ist, und der wegen seiner Beziehungen
zur Kaiserin Witwe Zutritt zu den höchsten Kreisen gehabt hat, hat gesagt,
daß der Durchschnittsbürger in Rußland nicht mehr an den Sieg glaube.
Das wird wohl auch die wahre Stimmung des von Ernährungsschwierigkeiten
und innerem Zwiste aufgeriebenen Volkes sein.




Die Krisis der russischen Innenpolitik

„Rußkija Sapiski" offen gesägt, daß man Stürmer doch nur dankbar sein
könne, wenn er die russischen Interessen auch gegenüber seinen Verbündeten ver¬
treten habe. Es sei bedauerlich, daß gewisse Leute keinerlei Verständnis für
diesen Standpunkt hätten.

Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen Deutschlands mit den Ver¬
einigten Staaten wird vorübergehend allen Kriegshetzern in Rußland, namentlich
den Führern der Kadetten, wieder Oberwasser geben. Von einer Begeisterung
aber für die Erfüllung jener uferlosen Pläne, die Trepow und Pokrowski in
ihren Reden zum Ausdruck brachten, wird in dem entnüchterten Rußland
niemand mehr Interesse haben. Die „Rußkaja Wolja", das be¬
kannte, von Jndustriekreisen ins Leben gerufene neue Organ, hat denn
auch jetzt schon vor übertriebenen Kriegszielen in Rußland gewarnt und
solche Pläne uferlos und unbegründet genannt. Die Vernunft wird
allmählich auch in Rußland sich Bahn brechen. Der Fall Rumäniens
hat einen tieferen Eindruck auf das Land gemacht, als man dies aus der
vollkommen geknebelten Presse ersehen kann, und auch der Zusammenbruch der
Unternehmungen von Radko Dimitriew an der Aa hat dazu beigetragen,
weite Schichten der Bevölkerung zu entnüchtern. Der dänische Korrespondent
Toepffer, der neulich in Rußland gewesen ist, und der wegen seiner Beziehungen
zur Kaiserin Witwe Zutritt zu den höchsten Kreisen gehabt hat, hat gesagt,
daß der Durchschnittsbürger in Rußland nicht mehr an den Sieg glaube.
Das wird wohl auch die wahre Stimmung des von Ernährungsschwierigkeiten
und innerem Zwiste aufgeriebenen Volkes sein.




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[0242] Die Krisis der russischen Innenpolitik „Rußkija Sapiski" offen gesägt, daß man Stürmer doch nur dankbar sein könne, wenn er die russischen Interessen auch gegenüber seinen Verbündeten ver¬ treten habe. Es sei bedauerlich, daß gewisse Leute keinerlei Verständnis für diesen Standpunkt hätten. Der Abbruch der diplomatischen Beziehungen Deutschlands mit den Ver¬ einigten Staaten wird vorübergehend allen Kriegshetzern in Rußland, namentlich den Führern der Kadetten, wieder Oberwasser geben. Von einer Begeisterung aber für die Erfüllung jener uferlosen Pläne, die Trepow und Pokrowski in ihren Reden zum Ausdruck brachten, wird in dem entnüchterten Rußland niemand mehr Interesse haben. Die „Rußkaja Wolja", das be¬ kannte, von Jndustriekreisen ins Leben gerufene neue Organ, hat denn auch jetzt schon vor übertriebenen Kriegszielen in Rußland gewarnt und solche Pläne uferlos und unbegründet genannt. Die Vernunft wird allmählich auch in Rußland sich Bahn brechen. Der Fall Rumäniens hat einen tieferen Eindruck auf das Land gemacht, als man dies aus der vollkommen geknebelten Presse ersehen kann, und auch der Zusammenbruch der Unternehmungen von Radko Dimitriew an der Aa hat dazu beigetragen, weite Schichten der Bevölkerung zu entnüchtern. Der dänische Korrespondent Toepffer, der neulich in Rußland gewesen ist, und der wegen seiner Beziehungen zur Kaiserin Witwe Zutritt zu den höchsten Kreisen gehabt hat, hat gesagt, daß der Durchschnittsbürger in Rußland nicht mehr an den Sieg glaube. Das wird wohl auch die wahre Stimmung des von Ernährungsschwierigkeiten und innerem Zwiste aufgeriebenen Volkes sein.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/242>, abgerufen am 25.08.2024.