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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands

ist aber heute in England die, daß der Grundbesitzer zu wenig Kapital hat, um
seinen Besitz selbst zu bewirtschaften und sich dieses Kapital auch nicht zu an¬
gemessenen Preisen zu verschaffen vermag oder daß er zu viel, beziehungsweise
andere gewinnbringende Interessen hat, die seine geringe Arbeitskraft aufsaugen>
so daß er keine Zeit hat, sich auch noch um seinen Grundbesitz zu kümmern,
welche Sorge ihm dann der Vermögensverwalter. beziehungsweise der Land¬
agent mit den für die Erhaltung des Bodens so nachteiligen Folgen abnimmt.
Also auch hier wieder der Mangel eines richtigen Verhältnisses zum Grund und
Boden, der Mangel einer inneren Qualität, bei dem man im Zweifel sein kann,
ob ihm durch äußere Mittel so leicht abgeholfen werden kann. Eine eigen¬
tümliche, für diesen Stand der Dinge sehr charakteristische Tatsache wird sich
jedem aufgedrängt haben, der Gelegenheit hatte, die Verhältnisse in der englischen
Landwirtschaft genauer zu betrachten, die Tatsache nämlich, daß der Boden um
so nachlässiger behandelt wurde, je niederer die Rente war, die der Farmer zu
erlegen hatte, dessen Augenmerk eben immer nur auf den augenblicklichen Netto¬
nutzen gerichtet ist und der sich um das nächste Jahr nicht kümmert. Dort, wo
eine höhere Rente zu zahlen war, war der Besitzer des Bodens in der Regel
selbst inmitten seiner Pächter und sah auf die Instandhaltung von Haus und
Hof; dort waren die Farmhäuser in gutem Zustande und Reparaturen wurden
zeitgerecht vorgenommen, der Boden wurde gedüngt. Das war aber die Aus¬
nahme, die überall dort nicht zu finden war, wo der Landagent oder Vermögens¬
verwalter der Vertreter des Grundbesitzers war. Hier konnte man in Hof und
Wirtschaft die Spuren der Nachlässigkeit und des Verfalles bemerken, so daß
manche Farmhäuser vor dem Kriege -- und während des Krieges wird sich
hierin kaum viel geändert haben -- den Eindruck von Ruiven machten. Der
Pächter war in der Regel von vornherein auf schnellen Wechsel gestellt, er
gab sich gar nicht die Mühe, seinen Boden und dessen eigenartige Bedingungen
recht kennen zu lernen und mit ihm vertraut zu werden. Der Boden wechselte
eben so oft seinen Bebauer, wie der Bebauer seinen Grundherrn wechselte. So
hat sich das englische Pachtsystem als ein äußerst verschwenderisches und un-
öknomisches erwiesen, von dem weder der Besitzer noch der Pächter einen Vor¬
teil hatten und unter dem das Land am schwersten litt.

Um nun diesem Kardinalübel abzuhelfen, dessen Tragweite man erkennt,
erhebt sich in vielen einsichtigen Kreisen des Landes die Forderung: Bebauung
des eigenen Bodens und Abschaffung des Pachtsystems. Die Regierung hat
aber, als sich diese Forderung zum ersten Male -- es ist einige Monate her --
laut geltend machte, deutlich abgewinkt, denn sie ist heute trotz der offenkundig
zur Schau getragenen Demagogie Lloyd Georges allzu eng mit dem konservativen
Interesse verknüpft, um sich diese Forderung selbst aneignen zu können.
Deshalb wird für jetzt der Nachdruck auf den Schutzzoll und die nach neuen
Gesichtspunkten zu erfolgende Bewirtschaftung des Bodens, auf eine Neuordnung
der landwirtschaftlichen Erziehung gelegt, während die landwirtschaftlichen Besitz-


Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands

ist aber heute in England die, daß der Grundbesitzer zu wenig Kapital hat, um
seinen Besitz selbst zu bewirtschaften und sich dieses Kapital auch nicht zu an¬
gemessenen Preisen zu verschaffen vermag oder daß er zu viel, beziehungsweise
andere gewinnbringende Interessen hat, die seine geringe Arbeitskraft aufsaugen>
so daß er keine Zeit hat, sich auch noch um seinen Grundbesitz zu kümmern,
welche Sorge ihm dann der Vermögensverwalter. beziehungsweise der Land¬
agent mit den für die Erhaltung des Bodens so nachteiligen Folgen abnimmt.
Also auch hier wieder der Mangel eines richtigen Verhältnisses zum Grund und
Boden, der Mangel einer inneren Qualität, bei dem man im Zweifel sein kann,
ob ihm durch äußere Mittel so leicht abgeholfen werden kann. Eine eigen¬
tümliche, für diesen Stand der Dinge sehr charakteristische Tatsache wird sich
jedem aufgedrängt haben, der Gelegenheit hatte, die Verhältnisse in der englischen
Landwirtschaft genauer zu betrachten, die Tatsache nämlich, daß der Boden um
so nachlässiger behandelt wurde, je niederer die Rente war, die der Farmer zu
erlegen hatte, dessen Augenmerk eben immer nur auf den augenblicklichen Netto¬
nutzen gerichtet ist und der sich um das nächste Jahr nicht kümmert. Dort, wo
eine höhere Rente zu zahlen war, war der Besitzer des Bodens in der Regel
selbst inmitten seiner Pächter und sah auf die Instandhaltung von Haus und
Hof; dort waren die Farmhäuser in gutem Zustande und Reparaturen wurden
zeitgerecht vorgenommen, der Boden wurde gedüngt. Das war aber die Aus¬
nahme, die überall dort nicht zu finden war, wo der Landagent oder Vermögens¬
verwalter der Vertreter des Grundbesitzers war. Hier konnte man in Hof und
Wirtschaft die Spuren der Nachlässigkeit und des Verfalles bemerken, so daß
manche Farmhäuser vor dem Kriege — und während des Krieges wird sich
hierin kaum viel geändert haben — den Eindruck von Ruiven machten. Der
Pächter war in der Regel von vornherein auf schnellen Wechsel gestellt, er
gab sich gar nicht die Mühe, seinen Boden und dessen eigenartige Bedingungen
recht kennen zu lernen und mit ihm vertraut zu werden. Der Boden wechselte
eben so oft seinen Bebauer, wie der Bebauer seinen Grundherrn wechselte. So
hat sich das englische Pachtsystem als ein äußerst verschwenderisches und un-
öknomisches erwiesen, von dem weder der Besitzer noch der Pächter einen Vor¬
teil hatten und unter dem das Land am schwersten litt.

Um nun diesem Kardinalübel abzuhelfen, dessen Tragweite man erkennt,
erhebt sich in vielen einsichtigen Kreisen des Landes die Forderung: Bebauung
des eigenen Bodens und Abschaffung des Pachtsystems. Die Regierung hat
aber, als sich diese Forderung zum ersten Male — es ist einige Monate her —
laut geltend machte, deutlich abgewinkt, denn sie ist heute trotz der offenkundig
zur Schau getragenen Demagogie Lloyd Georges allzu eng mit dem konservativen
Interesse verknüpft, um sich diese Forderung selbst aneignen zu können.
Deshalb wird für jetzt der Nachdruck auf den Schutzzoll und die nach neuen
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[0225] Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands ist aber heute in England die, daß der Grundbesitzer zu wenig Kapital hat, um seinen Besitz selbst zu bewirtschaften und sich dieses Kapital auch nicht zu an¬ gemessenen Preisen zu verschaffen vermag oder daß er zu viel, beziehungsweise andere gewinnbringende Interessen hat, die seine geringe Arbeitskraft aufsaugen> so daß er keine Zeit hat, sich auch noch um seinen Grundbesitz zu kümmern, welche Sorge ihm dann der Vermögensverwalter. beziehungsweise der Land¬ agent mit den für die Erhaltung des Bodens so nachteiligen Folgen abnimmt. Also auch hier wieder der Mangel eines richtigen Verhältnisses zum Grund und Boden, der Mangel einer inneren Qualität, bei dem man im Zweifel sein kann, ob ihm durch äußere Mittel so leicht abgeholfen werden kann. Eine eigen¬ tümliche, für diesen Stand der Dinge sehr charakteristische Tatsache wird sich jedem aufgedrängt haben, der Gelegenheit hatte, die Verhältnisse in der englischen Landwirtschaft genauer zu betrachten, die Tatsache nämlich, daß der Boden um so nachlässiger behandelt wurde, je niederer die Rente war, die der Farmer zu erlegen hatte, dessen Augenmerk eben immer nur auf den augenblicklichen Netto¬ nutzen gerichtet ist und der sich um das nächste Jahr nicht kümmert. Dort, wo eine höhere Rente zu zahlen war, war der Besitzer des Bodens in der Regel selbst inmitten seiner Pächter und sah auf die Instandhaltung von Haus und Hof; dort waren die Farmhäuser in gutem Zustande und Reparaturen wurden zeitgerecht vorgenommen, der Boden wurde gedüngt. Das war aber die Aus¬ nahme, die überall dort nicht zu finden war, wo der Landagent oder Vermögens¬ verwalter der Vertreter des Grundbesitzers war. Hier konnte man in Hof und Wirtschaft die Spuren der Nachlässigkeit und des Verfalles bemerken, so daß manche Farmhäuser vor dem Kriege — und während des Krieges wird sich hierin kaum viel geändert haben — den Eindruck von Ruiven machten. Der Pächter war in der Regel von vornherein auf schnellen Wechsel gestellt, er gab sich gar nicht die Mühe, seinen Boden und dessen eigenartige Bedingungen recht kennen zu lernen und mit ihm vertraut zu werden. Der Boden wechselte eben so oft seinen Bebauer, wie der Bebauer seinen Grundherrn wechselte. So hat sich das englische Pachtsystem als ein äußerst verschwenderisches und un- öknomisches erwiesen, von dem weder der Besitzer noch der Pächter einen Vor¬ teil hatten und unter dem das Land am schwersten litt. Um nun diesem Kardinalübel abzuhelfen, dessen Tragweite man erkennt, erhebt sich in vielen einsichtigen Kreisen des Landes die Forderung: Bebauung des eigenen Bodens und Abschaffung des Pachtsystems. Die Regierung hat aber, als sich diese Forderung zum ersten Male — es ist einige Monate her — laut geltend machte, deutlich abgewinkt, denn sie ist heute trotz der offenkundig zur Schau getragenen Demagogie Lloyd Georges allzu eng mit dem konservativen Interesse verknüpft, um sich diese Forderung selbst aneignen zu können. Deshalb wird für jetzt der Nachdruck auf den Schutzzoll und die nach neuen Gesichtspunkten zu erfolgende Bewirtschaftung des Bodens, auf eine Neuordnung der landwirtschaftlichen Erziehung gelegt, während die landwirtschaftlichen Besitz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/225>, abgerufen am 23.07.2024.