Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands

Figuranten spielte und keinen Einfluß auf dessen Entschließungen hatte. I"
England hat es eben die Industrie und das kapitalistische Interesse stets ver¬
standen, der Landwirtschaft und jedem ihrer Versuche zum Aufschwung
Prügel in den Weg zu werfen; Vorurteil und Unwissenheit gegenüber land¬
wirtschaftlichen Dingen konnten ungehemmt ihre Wege gehen, die zu der
einseitigen Industrialisierung des Landes führten, und der Ruf einsichtigerer
Männer verhallte ungehört bis heute, wo man alles Heil von einer schnellen
landwirtschaftlichen Neuorganisation erwartet, die durch die drei Schlagworte:
Schutzzoll, landwirtschaftliche Erziehung und Reform des Grundbesitzes um¬
schrieben wird.

Zweifellos sind diese drei Forderungen unerläßlich, wenn man die lebens¬
fähige Neugestaltung einer im Notfalle das Land erhaltenden Landwirtschaft
erzielen will; aber wenn es sich bei der eisten Forderung doch nur um eine,
wenn auch schwerwiegende, gesetzliche Maßnahme handelt, so find für die
beiden anderen Bedingungen zu erfüllen, die nicht im Handumdrehen zu ver¬
wirklichen sind. Da kommt vor allem der Kern der Frage, die Persönlichkeit
des englischen Landwirth, der Besitzer des Grundes, vorwiegend aber des
englischen "Farmers" in Betracht, der die eigentliche landwirtschaftliche Arbeit
leistet. Der englische Farmer, der an sich ein nicht weniger kluger und schlauer
Kopf ist wie unsere Bauern, ist nun im vollsten Sinne des Wortes ein Kind des
Freihandels, ein Produkt der Politiker der Manchesterschule, die ihm seine, die
Arbeit stark beeinflussenden Wesenszüge eingeprägt und ihn zu dem gemacht
hat, was er heute, wenn auch nicht durchgängig, so doch zum großen Teile ist:
zum Parasiten des Bodens, statt dessen Pfleger und Nutznießer zu sein. Die
englische Farmerwirtschaft ist deshalb unter dem Einfluß der Manchesterlehre
dem Lande zum Unheil geworden, weil sie keinen Dauergedanken, sondern nur
den des unmittelbaren Nutzens und der in Schillingen und Pence nachzurechnenden
Ersparnis in sich trägt, und dieser Mangel konnte weiter nur deshalb so
schädlich wirken, wie er gewirkt hat, weil auch der Landbesitzer, der seinen Bode.i
an den Farmer verpachtete, an diesem Boden nur insoweit Interesse nahm, als
die Renten regelmäßig eingingen. Der Vermögensverwalter oder der Land¬
agent wurde so zum beständigen Mittelsmann zwischen Grundbesitzer und Pächter,
und keiner dieser drei hatte -- von verhältnismäßig wenigen Ausnahmen ab¬
gesehen -- den Trieb, fühlte die innere Veranlassung, den Boden als etwas
anderes anzusehen als irgend eine Ware, aus der man möglichst schnellen und
unmittelbaren Nutzen herausschlagen müsse. So ist es gekommen, daß der
englische Landbesitzer im Verlaufe der Zeiten das richtige Verhältnis zum Grund
und Boden verloren hat, daß die Liebe zur Scholle nur noch in verhältnismäßig
wenigen Ausnahmen vorhanden ist. Man muß heute nach dem Nordwesten
Englands gehen, um noch den alten, von der Tradition verherrlichten Souire
anzutreffen, der in seinem alten Hofe, seine Gärten und Felder selbst behauend,
inmitten seiner Pächter sitzt und sein Auge über ihrer Arbeit hat. Die Regel


Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands

Figuranten spielte und keinen Einfluß auf dessen Entschließungen hatte. I»
England hat es eben die Industrie und das kapitalistische Interesse stets ver¬
standen, der Landwirtschaft und jedem ihrer Versuche zum Aufschwung
Prügel in den Weg zu werfen; Vorurteil und Unwissenheit gegenüber land¬
wirtschaftlichen Dingen konnten ungehemmt ihre Wege gehen, die zu der
einseitigen Industrialisierung des Landes führten, und der Ruf einsichtigerer
Männer verhallte ungehört bis heute, wo man alles Heil von einer schnellen
landwirtschaftlichen Neuorganisation erwartet, die durch die drei Schlagworte:
Schutzzoll, landwirtschaftliche Erziehung und Reform des Grundbesitzes um¬
schrieben wird.

Zweifellos sind diese drei Forderungen unerläßlich, wenn man die lebens¬
fähige Neugestaltung einer im Notfalle das Land erhaltenden Landwirtschaft
erzielen will; aber wenn es sich bei der eisten Forderung doch nur um eine,
wenn auch schwerwiegende, gesetzliche Maßnahme handelt, so find für die
beiden anderen Bedingungen zu erfüllen, die nicht im Handumdrehen zu ver¬
wirklichen sind. Da kommt vor allem der Kern der Frage, die Persönlichkeit
des englischen Landwirth, der Besitzer des Grundes, vorwiegend aber des
englischen „Farmers" in Betracht, der die eigentliche landwirtschaftliche Arbeit
leistet. Der englische Farmer, der an sich ein nicht weniger kluger und schlauer
Kopf ist wie unsere Bauern, ist nun im vollsten Sinne des Wortes ein Kind des
Freihandels, ein Produkt der Politiker der Manchesterschule, die ihm seine, die
Arbeit stark beeinflussenden Wesenszüge eingeprägt und ihn zu dem gemacht
hat, was er heute, wenn auch nicht durchgängig, so doch zum großen Teile ist:
zum Parasiten des Bodens, statt dessen Pfleger und Nutznießer zu sein. Die
englische Farmerwirtschaft ist deshalb unter dem Einfluß der Manchesterlehre
dem Lande zum Unheil geworden, weil sie keinen Dauergedanken, sondern nur
den des unmittelbaren Nutzens und der in Schillingen und Pence nachzurechnenden
Ersparnis in sich trägt, und dieser Mangel konnte weiter nur deshalb so
schädlich wirken, wie er gewirkt hat, weil auch der Landbesitzer, der seinen Bode.i
an den Farmer verpachtete, an diesem Boden nur insoweit Interesse nahm, als
die Renten regelmäßig eingingen. Der Vermögensverwalter oder der Land¬
agent wurde so zum beständigen Mittelsmann zwischen Grundbesitzer und Pächter,
und keiner dieser drei hatte — von verhältnismäßig wenigen Ausnahmen ab¬
gesehen — den Trieb, fühlte die innere Veranlassung, den Boden als etwas
anderes anzusehen als irgend eine Ware, aus der man möglichst schnellen und
unmittelbaren Nutzen herausschlagen müsse. So ist es gekommen, daß der
englische Landbesitzer im Verlaufe der Zeiten das richtige Verhältnis zum Grund
und Boden verloren hat, daß die Liebe zur Scholle nur noch in verhältnismäßig
wenigen Ausnahmen vorhanden ist. Man muß heute nach dem Nordwesten
Englands gehen, um noch den alten, von der Tradition verherrlichten Souire
anzutreffen, der in seinem alten Hofe, seine Gärten und Felder selbst behauend,
inmitten seiner Pächter sitzt und sein Auge über ihrer Arbeit hat. Die Regel


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0224" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331632"/>
          <fw type="header" place="top"> Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_712" prev="#ID_711"> Figuranten spielte und keinen Einfluß auf dessen Entschließungen hatte. I»<lb/>
England hat es eben die Industrie und das kapitalistische Interesse stets ver¬<lb/>
standen, der Landwirtschaft und jedem ihrer Versuche zum Aufschwung<lb/>
Prügel in den Weg zu werfen; Vorurteil und Unwissenheit gegenüber land¬<lb/>
wirtschaftlichen Dingen konnten ungehemmt ihre Wege gehen, die zu der<lb/>
einseitigen Industrialisierung des Landes führten, und der Ruf einsichtigerer<lb/>
Männer verhallte ungehört bis heute, wo man alles Heil von einer schnellen<lb/>
landwirtschaftlichen Neuorganisation erwartet, die durch die drei Schlagworte:<lb/>
Schutzzoll, landwirtschaftliche Erziehung und Reform des Grundbesitzes um¬<lb/>
schrieben wird.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_713" next="#ID_714"> Zweifellos sind diese drei Forderungen unerläßlich, wenn man die lebens¬<lb/>
fähige Neugestaltung einer im Notfalle das Land erhaltenden Landwirtschaft<lb/>
erzielen will; aber wenn es sich bei der eisten Forderung doch nur um eine,<lb/>
wenn auch schwerwiegende, gesetzliche Maßnahme handelt, so find für die<lb/>
beiden anderen Bedingungen zu erfüllen, die nicht im Handumdrehen zu ver¬<lb/>
wirklichen sind. Da kommt vor allem der Kern der Frage, die Persönlichkeit<lb/>
des englischen Landwirth, der Besitzer des Grundes, vorwiegend aber des<lb/>
englischen &#x201E;Farmers" in Betracht, der die eigentliche landwirtschaftliche Arbeit<lb/>
leistet. Der englische Farmer, der an sich ein nicht weniger kluger und schlauer<lb/>
Kopf ist wie unsere Bauern, ist nun im vollsten Sinne des Wortes ein Kind des<lb/>
Freihandels, ein Produkt der Politiker der Manchesterschule, die ihm seine, die<lb/>
Arbeit stark beeinflussenden Wesenszüge eingeprägt und ihn zu dem gemacht<lb/>
hat, was er heute, wenn auch nicht durchgängig, so doch zum großen Teile ist:<lb/>
zum Parasiten des Bodens, statt dessen Pfleger und Nutznießer zu sein. Die<lb/>
englische Farmerwirtschaft ist deshalb unter dem Einfluß der Manchesterlehre<lb/>
dem Lande zum Unheil geworden, weil sie keinen Dauergedanken, sondern nur<lb/>
den des unmittelbaren Nutzens und der in Schillingen und Pence nachzurechnenden<lb/>
Ersparnis in sich trägt, und dieser Mangel konnte weiter nur deshalb so<lb/>
schädlich wirken, wie er gewirkt hat, weil auch der Landbesitzer, der seinen Bode.i<lb/>
an den Farmer verpachtete, an diesem Boden nur insoweit Interesse nahm, als<lb/>
die Renten regelmäßig eingingen. Der Vermögensverwalter oder der Land¬<lb/>
agent wurde so zum beständigen Mittelsmann zwischen Grundbesitzer und Pächter,<lb/>
und keiner dieser drei hatte &#x2014; von verhältnismäßig wenigen Ausnahmen ab¬<lb/>
gesehen &#x2014; den Trieb, fühlte die innere Veranlassung, den Boden als etwas<lb/>
anderes anzusehen als irgend eine Ware, aus der man möglichst schnellen und<lb/>
unmittelbaren Nutzen herausschlagen müsse. So ist es gekommen, daß der<lb/>
englische Landbesitzer im Verlaufe der Zeiten das richtige Verhältnis zum Grund<lb/>
und Boden verloren hat, daß die Liebe zur Scholle nur noch in verhältnismäßig<lb/>
wenigen Ausnahmen vorhanden ist. Man muß heute nach dem Nordwesten<lb/>
Englands gehen, um noch den alten, von der Tradition verherrlichten Souire<lb/>
anzutreffen, der in seinem alten Hofe, seine Gärten und Felder selbst behauend,<lb/>
inmitten seiner Pächter sitzt und sein Auge über ihrer Arbeit hat.  Die Regel</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0224] Landwirtschaftliche Neugestaltung Englands Figuranten spielte und keinen Einfluß auf dessen Entschließungen hatte. I» England hat es eben die Industrie und das kapitalistische Interesse stets ver¬ standen, der Landwirtschaft und jedem ihrer Versuche zum Aufschwung Prügel in den Weg zu werfen; Vorurteil und Unwissenheit gegenüber land¬ wirtschaftlichen Dingen konnten ungehemmt ihre Wege gehen, die zu der einseitigen Industrialisierung des Landes führten, und der Ruf einsichtigerer Männer verhallte ungehört bis heute, wo man alles Heil von einer schnellen landwirtschaftlichen Neuorganisation erwartet, die durch die drei Schlagworte: Schutzzoll, landwirtschaftliche Erziehung und Reform des Grundbesitzes um¬ schrieben wird. Zweifellos sind diese drei Forderungen unerläßlich, wenn man die lebens¬ fähige Neugestaltung einer im Notfalle das Land erhaltenden Landwirtschaft erzielen will; aber wenn es sich bei der eisten Forderung doch nur um eine, wenn auch schwerwiegende, gesetzliche Maßnahme handelt, so find für die beiden anderen Bedingungen zu erfüllen, die nicht im Handumdrehen zu ver¬ wirklichen sind. Da kommt vor allem der Kern der Frage, die Persönlichkeit des englischen Landwirth, der Besitzer des Grundes, vorwiegend aber des englischen „Farmers" in Betracht, der die eigentliche landwirtschaftliche Arbeit leistet. Der englische Farmer, der an sich ein nicht weniger kluger und schlauer Kopf ist wie unsere Bauern, ist nun im vollsten Sinne des Wortes ein Kind des Freihandels, ein Produkt der Politiker der Manchesterschule, die ihm seine, die Arbeit stark beeinflussenden Wesenszüge eingeprägt und ihn zu dem gemacht hat, was er heute, wenn auch nicht durchgängig, so doch zum großen Teile ist: zum Parasiten des Bodens, statt dessen Pfleger und Nutznießer zu sein. Die englische Farmerwirtschaft ist deshalb unter dem Einfluß der Manchesterlehre dem Lande zum Unheil geworden, weil sie keinen Dauergedanken, sondern nur den des unmittelbaren Nutzens und der in Schillingen und Pence nachzurechnenden Ersparnis in sich trägt, und dieser Mangel konnte weiter nur deshalb so schädlich wirken, wie er gewirkt hat, weil auch der Landbesitzer, der seinen Bode.i an den Farmer verpachtete, an diesem Boden nur insoweit Interesse nahm, als die Renten regelmäßig eingingen. Der Vermögensverwalter oder der Land¬ agent wurde so zum beständigen Mittelsmann zwischen Grundbesitzer und Pächter, und keiner dieser drei hatte — von verhältnismäßig wenigen Ausnahmen ab¬ gesehen — den Trieb, fühlte die innere Veranlassung, den Boden als etwas anderes anzusehen als irgend eine Ware, aus der man möglichst schnellen und unmittelbaren Nutzen herausschlagen müsse. So ist es gekommen, daß der englische Landbesitzer im Verlaufe der Zeiten das richtige Verhältnis zum Grund und Boden verloren hat, daß die Liebe zur Scholle nur noch in verhältnismäßig wenigen Ausnahmen vorhanden ist. Man muß heute nach dem Nordwesten Englands gehen, um noch den alten, von der Tradition verherrlichten Souire anzutreffen, der in seinem alten Hofe, seine Gärten und Felder selbst behauend, inmitten seiner Pächter sitzt und sein Auge über ihrer Arbeit hat. Die Regel

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/224
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/224>, abgerufen am 23.07.2024.