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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Problem

nur achtzigtausendeinundsechzig Kinder in finnischen und zwölftausendneunhundert
in den schwedischen Schulen. Die Zunahme machte während der zehn Jahre
(bis zum Ende des Schuljahres 1912 bis 1913) sogar sechsundvierzigtausend-
fünfhundertsechsundfünfzig Kinder oder 58,7 Prozent in den finnischen Schulen
aus, in den schwedischen aber nur viertausendachtzig oder 31,6 Prozent. Für
die Städte läßt sich keine genaue Berechnung anstellen, weil die offizielle
Statistik über das Schuljahr 1903 bis 1904 sowohl Abendschulen, wie Fort¬
bildungsschulen und die Schulen für zurückgebliebene Kinder mit zu den Volks¬
schulen rechnet, während solche Schulen in der Statistik über das Schuljahr
1912 bis 1913 in eine besondere Rubrik aufgenommen worden sind.

Dieser großartige Fortschritt der Volksbildungsarbeit in Finnland, wodurch
sich während des letzten statistisch vorliegenden Zeitabschnittes die Anzahl der
Volksschulen mehr als verdoppelt hat, ist um so bewunderungswürdiger, als
das planmäßige Bestreben der russischen Regierung, die kulturtragende Kraft
des Volkes zu verringern, gerade in dieser Zeit sehr fühlbar war. So erhielt
das Volksschulwesen der Städte im Jahre 1912 keine Staatsunterstützung, die
noch 1911 über eine halbe Million und 1910 mehr als eine Million Mark
betragen hatte. Die Kosten der Volksschulen der Landgemeinden betrugen 1913
im ganzen dreizehneinhalb Millionen Mark, wozu der Staat ungefähr die Hälfte
beisteuerte.

Das russische Regime hat nach und nach dahin geführt, daß den Volks¬
hochschulen Finnlands, deren es im Schuljahre 1912 bis 1913 im ganzen einund¬
vierzig (si'ebenundzwanzig finnische und vierzehn schwedische) gab, jegliche Staats¬
unterstützung entzogen worden ist. Noch im Jahre 1911 hatte der Staat
376464 Mark dazu veranschlagt, die Summe aber im folgenden Jahre auf
112500 Mark heruntergesetzt und diesen Beitrag nur den landwirtschaftlichen
und den Haushaltsschulen zugebilligt. Trotz dieses harten Schlages ging keine
Volkshochschule ein, wenn auch die Schülerzahl sowohl in den schwedischen wie
in den finnischen ein wenig abnahm.

Die große Vermehrung der Anzahl der Volksschulen Finnlands beruht
gegebenerweise auch auf der starken Bevölkerungszunahme. Die Einwohnerschaft
des Landes vermehrte sich in den fünfundzwanzig Jahren 1815 bis 1840 von
1096000 auf 1446 000; fünfundzwanzig Jahre später, also 1865, betrug sie
1843000; in den fünfundzwanzig Jahren bis 1890 stieg sie auf 2400000,
und im Jahre 1912 belief sie sich auf 3200000 Einwohner. Diese Be¬
völkerungszunahme ist größer als in den meisten europäischen Ländern und die
größte in Skandinavien. Ihr jährlicher Zuwachs beträgt 1,38 Prozent, während
Deutschland 1,36 Prozent aufweist, Schweden 0,72 Prozent, Dänemark
1,26 Prozent und Norwegen 0.60 Prozent. Geht es so weiter, dann wird
dereinst Finnland die Hauptmacht des Nordens sein, die jetzt Schweden ist,
vorausgesetzt allerdings, daß es Finnland gelingt, staatliche Selbständigkeit zu
erlangen.


Finnlands Problem

nur achtzigtausendeinundsechzig Kinder in finnischen und zwölftausendneunhundert
in den schwedischen Schulen. Die Zunahme machte während der zehn Jahre
(bis zum Ende des Schuljahres 1912 bis 1913) sogar sechsundvierzigtausend-
fünfhundertsechsundfünfzig Kinder oder 58,7 Prozent in den finnischen Schulen
aus, in den schwedischen aber nur viertausendachtzig oder 31,6 Prozent. Für
die Städte läßt sich keine genaue Berechnung anstellen, weil die offizielle
Statistik über das Schuljahr 1903 bis 1904 sowohl Abendschulen, wie Fort¬
bildungsschulen und die Schulen für zurückgebliebene Kinder mit zu den Volks¬
schulen rechnet, während solche Schulen in der Statistik über das Schuljahr
1912 bis 1913 in eine besondere Rubrik aufgenommen worden sind.

Dieser großartige Fortschritt der Volksbildungsarbeit in Finnland, wodurch
sich während des letzten statistisch vorliegenden Zeitabschnittes die Anzahl der
Volksschulen mehr als verdoppelt hat, ist um so bewunderungswürdiger, als
das planmäßige Bestreben der russischen Regierung, die kulturtragende Kraft
des Volkes zu verringern, gerade in dieser Zeit sehr fühlbar war. So erhielt
das Volksschulwesen der Städte im Jahre 1912 keine Staatsunterstützung, die
noch 1911 über eine halbe Million und 1910 mehr als eine Million Mark
betragen hatte. Die Kosten der Volksschulen der Landgemeinden betrugen 1913
im ganzen dreizehneinhalb Millionen Mark, wozu der Staat ungefähr die Hälfte
beisteuerte.

Das russische Regime hat nach und nach dahin geführt, daß den Volks¬
hochschulen Finnlands, deren es im Schuljahre 1912 bis 1913 im ganzen einund¬
vierzig (si'ebenundzwanzig finnische und vierzehn schwedische) gab, jegliche Staats¬
unterstützung entzogen worden ist. Noch im Jahre 1911 hatte der Staat
376464 Mark dazu veranschlagt, die Summe aber im folgenden Jahre auf
112500 Mark heruntergesetzt und diesen Beitrag nur den landwirtschaftlichen
und den Haushaltsschulen zugebilligt. Trotz dieses harten Schlages ging keine
Volkshochschule ein, wenn auch die Schülerzahl sowohl in den schwedischen wie
in den finnischen ein wenig abnahm.

Die große Vermehrung der Anzahl der Volksschulen Finnlands beruht
gegebenerweise auch auf der starken Bevölkerungszunahme. Die Einwohnerschaft
des Landes vermehrte sich in den fünfundzwanzig Jahren 1815 bis 1840 von
1096000 auf 1446 000; fünfundzwanzig Jahre später, also 1865, betrug sie
1843000; in den fünfundzwanzig Jahren bis 1890 stieg sie auf 2400000,
und im Jahre 1912 belief sie sich auf 3200000 Einwohner. Diese Be¬
völkerungszunahme ist größer als in den meisten europäischen Ländern und die
größte in Skandinavien. Ihr jährlicher Zuwachs beträgt 1,38 Prozent, während
Deutschland 1,36 Prozent aufweist, Schweden 0,72 Prozent, Dänemark
1,26 Prozent und Norwegen 0.60 Prozent. Geht es so weiter, dann wird
dereinst Finnland die Hauptmacht des Nordens sein, die jetzt Schweden ist,
vorausgesetzt allerdings, daß es Finnland gelingt, staatliche Selbständigkeit zu
erlangen.


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[0156] Finnlands Problem nur achtzigtausendeinundsechzig Kinder in finnischen und zwölftausendneunhundert in den schwedischen Schulen. Die Zunahme machte während der zehn Jahre (bis zum Ende des Schuljahres 1912 bis 1913) sogar sechsundvierzigtausend- fünfhundertsechsundfünfzig Kinder oder 58,7 Prozent in den finnischen Schulen aus, in den schwedischen aber nur viertausendachtzig oder 31,6 Prozent. Für die Städte läßt sich keine genaue Berechnung anstellen, weil die offizielle Statistik über das Schuljahr 1903 bis 1904 sowohl Abendschulen, wie Fort¬ bildungsschulen und die Schulen für zurückgebliebene Kinder mit zu den Volks¬ schulen rechnet, während solche Schulen in der Statistik über das Schuljahr 1912 bis 1913 in eine besondere Rubrik aufgenommen worden sind. Dieser großartige Fortschritt der Volksbildungsarbeit in Finnland, wodurch sich während des letzten statistisch vorliegenden Zeitabschnittes die Anzahl der Volksschulen mehr als verdoppelt hat, ist um so bewunderungswürdiger, als das planmäßige Bestreben der russischen Regierung, die kulturtragende Kraft des Volkes zu verringern, gerade in dieser Zeit sehr fühlbar war. So erhielt das Volksschulwesen der Städte im Jahre 1912 keine Staatsunterstützung, die noch 1911 über eine halbe Million und 1910 mehr als eine Million Mark betragen hatte. Die Kosten der Volksschulen der Landgemeinden betrugen 1913 im ganzen dreizehneinhalb Millionen Mark, wozu der Staat ungefähr die Hälfte beisteuerte. Das russische Regime hat nach und nach dahin geführt, daß den Volks¬ hochschulen Finnlands, deren es im Schuljahre 1912 bis 1913 im ganzen einund¬ vierzig (si'ebenundzwanzig finnische und vierzehn schwedische) gab, jegliche Staats¬ unterstützung entzogen worden ist. Noch im Jahre 1911 hatte der Staat 376464 Mark dazu veranschlagt, die Summe aber im folgenden Jahre auf 112500 Mark heruntergesetzt und diesen Beitrag nur den landwirtschaftlichen und den Haushaltsschulen zugebilligt. Trotz dieses harten Schlages ging keine Volkshochschule ein, wenn auch die Schülerzahl sowohl in den schwedischen wie in den finnischen ein wenig abnahm. Die große Vermehrung der Anzahl der Volksschulen Finnlands beruht gegebenerweise auch auf der starken Bevölkerungszunahme. Die Einwohnerschaft des Landes vermehrte sich in den fünfundzwanzig Jahren 1815 bis 1840 von 1096000 auf 1446 000; fünfundzwanzig Jahre später, also 1865, betrug sie 1843000; in den fünfundzwanzig Jahren bis 1890 stieg sie auf 2400000, und im Jahre 1912 belief sie sich auf 3200000 Einwohner. Diese Be¬ völkerungszunahme ist größer als in den meisten europäischen Ländern und die größte in Skandinavien. Ihr jährlicher Zuwachs beträgt 1,38 Prozent, während Deutschland 1,36 Prozent aufweist, Schweden 0,72 Prozent, Dänemark 1,26 Prozent und Norwegen 0.60 Prozent. Geht es so weiter, dann wird dereinst Finnland die Hauptmacht des Nordens sein, die jetzt Schweden ist, vorausgesetzt allerdings, daß es Finnland gelingt, staatliche Selbständigkeit zu erlangen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/156>, abgerufen am 23.07.2024.