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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Finnlands Problem

Finnlands wachsende Kraft wird besonders durch das finnische Volks¬
element manifestiert. Aber das schwedische bläst darum noch nicht zum Rück¬
züge. In dem Maße, wie die finnischen Staatsschulen die schwedischen ver¬
drängt haben, find mit großer Opferwilligkeit schwedische Privatschulen errichtet
worden. Auf der Ostseite des Bohnischen Meerbusens steht das Schwedentum
auch auf anderen Gebieten als dem des Schulwesens in hartem Kampfe
um sein Leben. So ist die Konkurrenz zwischen den finnischen und den
schwedischen Zeitungen schon lange ein Moment jener Fehde gewesen und bis
heute geblieben. Es ist der schwedischen Presse an einigen Orten immer
schwerer geworden, sich unter dem Drucke der fortschreitenden Verfilmung zu
behaupten. Die Zahl der schwedischen Lokalblätter hat sich in den letzten Jahren
immer mehr verringert. Sowohl in Fredrikshamn wie in Uleaborg haben die
schwedischen Ortszeitungen eingehen müssen. Auch im Privatverkehre zwischen den
beiden Volkselementen nimmt das Finnische kraft seines Majoritätsrechtes immer
mehr überHand. "Wenn ein Schwede und ein Finne", schreibt F. W. Klingstedt in
der Zeitschrift "schwedisch in Finnland", "tagaus tagein, zusammen in derselben
Fabrik arbeiten, so muß der Schwede finnisch lernen, denn der Finne hält be¬
kanntlich eigensinnig an seiner Sprache fest, und es wird ihm in der Regel
auch schwer, eine andere Sprache als seine Muttersprache gründlich zu erlernen.
Daher wird bei gemischten Ehen auch im Hause meistens finnisch gesprochen".

Finnlands politische Geschichte nach seiner Lostrennung von Schweden ist
zum großen Teile auch eine Geschichte des Sprachkampfes. Nach dem 1808 bis
1809 gegen Rußland geführten Kriege befand sich das entsetzlich ausgesogene
Land in politischer Hinficht lange im Verfall, aber in dem Maße, wie die Ent-
Wickelung fortschritt und Runeberg durch seine Lieder ein tiefes Vaterlandsbe¬
wußtsein in den beiden Nationen Finnlands erweckte, erwachte auch wieder das
allgemeine Interesse an politischen Fragen. In den finnisch sprechenden Gemeinden
war der Übelstand, das die schwedischen Richter oft die Sprache des gemeinen
Mannes nicht beherrschten, sehr fühlbar geworden, weshalb man im Jahre 1851
die Verordnung erließ, daß in deu Gegenden, wo das Finnische die Haupt¬
sprache sei, niemals Richter angestellt werden dürsten, denen es an vollständigem
Vertrautsein mit dieser Sprache fehle. Die Reform wurde bald auf alle
anderen Beamten ausgedehnt. Während eines Besuches, den der Zar Alexander
der Zweite im Sommer 1863 in Finnland machte, erlangte man die Zustimmung
zu einer Verordnung, welche die finnische Sprache im Verkehr der Behörden mit
dem Volke der schwedischen völlig gleichstellte. Doch auch dies beendete den
Streit noch nicht. Im Jahre 1865 wurde eine neue, ins einzelne gehende Ver¬
ordnung erlassen. Sie wurde von den Fennomanen so aufgefaßt, als solle
dadurch von dem 1863 gegebenen Versprechen des Zaren etwas abgedungen
werden. Ihre Führer, der Senator Snellman und Professor Forsman (Arjö-
Koskinen) opponierten aufs heftigste, und der letztere wurde sogar zu einer
Geldstrafe wegen Hochverrats verurteilt.


Grenzboten I 1917 10
Finnlands Problem

Finnlands wachsende Kraft wird besonders durch das finnische Volks¬
element manifestiert. Aber das schwedische bläst darum noch nicht zum Rück¬
züge. In dem Maße, wie die finnischen Staatsschulen die schwedischen ver¬
drängt haben, find mit großer Opferwilligkeit schwedische Privatschulen errichtet
worden. Auf der Ostseite des Bohnischen Meerbusens steht das Schwedentum
auch auf anderen Gebieten als dem des Schulwesens in hartem Kampfe
um sein Leben. So ist die Konkurrenz zwischen den finnischen und den
schwedischen Zeitungen schon lange ein Moment jener Fehde gewesen und bis
heute geblieben. Es ist der schwedischen Presse an einigen Orten immer
schwerer geworden, sich unter dem Drucke der fortschreitenden Verfilmung zu
behaupten. Die Zahl der schwedischen Lokalblätter hat sich in den letzten Jahren
immer mehr verringert. Sowohl in Fredrikshamn wie in Uleaborg haben die
schwedischen Ortszeitungen eingehen müssen. Auch im Privatverkehre zwischen den
beiden Volkselementen nimmt das Finnische kraft seines Majoritätsrechtes immer
mehr überHand. „Wenn ein Schwede und ein Finne", schreibt F. W. Klingstedt in
der Zeitschrift „schwedisch in Finnland", „tagaus tagein, zusammen in derselben
Fabrik arbeiten, so muß der Schwede finnisch lernen, denn der Finne hält be¬
kanntlich eigensinnig an seiner Sprache fest, und es wird ihm in der Regel
auch schwer, eine andere Sprache als seine Muttersprache gründlich zu erlernen.
Daher wird bei gemischten Ehen auch im Hause meistens finnisch gesprochen".

Finnlands politische Geschichte nach seiner Lostrennung von Schweden ist
zum großen Teile auch eine Geschichte des Sprachkampfes. Nach dem 1808 bis
1809 gegen Rußland geführten Kriege befand sich das entsetzlich ausgesogene
Land in politischer Hinficht lange im Verfall, aber in dem Maße, wie die Ent-
Wickelung fortschritt und Runeberg durch seine Lieder ein tiefes Vaterlandsbe¬
wußtsein in den beiden Nationen Finnlands erweckte, erwachte auch wieder das
allgemeine Interesse an politischen Fragen. In den finnisch sprechenden Gemeinden
war der Übelstand, das die schwedischen Richter oft die Sprache des gemeinen
Mannes nicht beherrschten, sehr fühlbar geworden, weshalb man im Jahre 1851
die Verordnung erließ, daß in deu Gegenden, wo das Finnische die Haupt¬
sprache sei, niemals Richter angestellt werden dürsten, denen es an vollständigem
Vertrautsein mit dieser Sprache fehle. Die Reform wurde bald auf alle
anderen Beamten ausgedehnt. Während eines Besuches, den der Zar Alexander
der Zweite im Sommer 1863 in Finnland machte, erlangte man die Zustimmung
zu einer Verordnung, welche die finnische Sprache im Verkehr der Behörden mit
dem Volke der schwedischen völlig gleichstellte. Doch auch dies beendete den
Streit noch nicht. Im Jahre 1865 wurde eine neue, ins einzelne gehende Ver¬
ordnung erlassen. Sie wurde von den Fennomanen so aufgefaßt, als solle
dadurch von dem 1863 gegebenen Versprechen des Zaren etwas abgedungen
werden. Ihre Führer, der Senator Snellman und Professor Forsman (Arjö-
Koskinen) opponierten aufs heftigste, und der letztere wurde sogar zu einer
Geldstrafe wegen Hochverrats verurteilt.


Grenzboten I 1917 10
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[0157] Finnlands Problem Finnlands wachsende Kraft wird besonders durch das finnische Volks¬ element manifestiert. Aber das schwedische bläst darum noch nicht zum Rück¬ züge. In dem Maße, wie die finnischen Staatsschulen die schwedischen ver¬ drängt haben, find mit großer Opferwilligkeit schwedische Privatschulen errichtet worden. Auf der Ostseite des Bohnischen Meerbusens steht das Schwedentum auch auf anderen Gebieten als dem des Schulwesens in hartem Kampfe um sein Leben. So ist die Konkurrenz zwischen den finnischen und den schwedischen Zeitungen schon lange ein Moment jener Fehde gewesen und bis heute geblieben. Es ist der schwedischen Presse an einigen Orten immer schwerer geworden, sich unter dem Drucke der fortschreitenden Verfilmung zu behaupten. Die Zahl der schwedischen Lokalblätter hat sich in den letzten Jahren immer mehr verringert. Sowohl in Fredrikshamn wie in Uleaborg haben die schwedischen Ortszeitungen eingehen müssen. Auch im Privatverkehre zwischen den beiden Volkselementen nimmt das Finnische kraft seines Majoritätsrechtes immer mehr überHand. „Wenn ein Schwede und ein Finne", schreibt F. W. Klingstedt in der Zeitschrift „schwedisch in Finnland", „tagaus tagein, zusammen in derselben Fabrik arbeiten, so muß der Schwede finnisch lernen, denn der Finne hält be¬ kanntlich eigensinnig an seiner Sprache fest, und es wird ihm in der Regel auch schwer, eine andere Sprache als seine Muttersprache gründlich zu erlernen. Daher wird bei gemischten Ehen auch im Hause meistens finnisch gesprochen". Finnlands politische Geschichte nach seiner Lostrennung von Schweden ist zum großen Teile auch eine Geschichte des Sprachkampfes. Nach dem 1808 bis 1809 gegen Rußland geführten Kriege befand sich das entsetzlich ausgesogene Land in politischer Hinficht lange im Verfall, aber in dem Maße, wie die Ent- Wickelung fortschritt und Runeberg durch seine Lieder ein tiefes Vaterlandsbe¬ wußtsein in den beiden Nationen Finnlands erweckte, erwachte auch wieder das allgemeine Interesse an politischen Fragen. In den finnisch sprechenden Gemeinden war der Übelstand, das die schwedischen Richter oft die Sprache des gemeinen Mannes nicht beherrschten, sehr fühlbar geworden, weshalb man im Jahre 1851 die Verordnung erließ, daß in deu Gegenden, wo das Finnische die Haupt¬ sprache sei, niemals Richter angestellt werden dürsten, denen es an vollständigem Vertrautsein mit dieser Sprache fehle. Die Reform wurde bald auf alle anderen Beamten ausgedehnt. Während eines Besuches, den der Zar Alexander der Zweite im Sommer 1863 in Finnland machte, erlangte man die Zustimmung zu einer Verordnung, welche die finnische Sprache im Verkehr der Behörden mit dem Volke der schwedischen völlig gleichstellte. Doch auch dies beendete den Streit noch nicht. Im Jahre 1865 wurde eine neue, ins einzelne gehende Ver¬ ordnung erlassen. Sie wurde von den Fennomanen so aufgefaßt, als solle dadurch von dem 1863 gegebenen Versprechen des Zaren etwas abgedungen werden. Ihre Führer, der Senator Snellman und Professor Forsman (Arjö- Koskinen) opponierten aufs heftigste, und der letztere wurde sogar zu einer Geldstrafe wegen Hochverrats verurteilt. Grenzboten I 1917 10

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/157>, abgerufen am 23.07.2024.