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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Namenschöpfung im Kriege

Wir schließen mit einer sehr ernsten, sehr inhaltsreichen Inschrift religiös-
konfessionellen Hintergrundes. Nach der Liller Kriegszeitung haben Soldaten
über einen Unterstand eine Marienfigur angebracht und die Behausung Maria-
Einsiedeln genannt und über die Tür geschrieben:

Die zweite Hälfte scheint späterer, protestantischer Zusatz zur ersteren zu sein.

Die militärische Namengebung bei unsern Bundesgenossen, den Österreichern,
ist, da die Voraussetzungen dieselben sind, im wesentlichen auch dieselbe wie die
bei uns erörterte, im einzelnen zeigen sich die Besonderheiten der staatlichen
und völkischen Eigenart, doch liegt mir darüber vorerst wenig Material vor.
In den besetzten Ortschaften kommen Namen wie Kaiser-Franz-Josef-, Erz-
Herzog-Friedrich-, Prinzessin-Zita-Straße (oder Platz), auch Danklstraße oder
Prinz-Eugen-Straße vor. Neben dem Namen unseres Kaisers erscheint derjenige
Hindenburgs besonders oft, ein großes ungarisches Lager hieß geradezu Hinden-
burg-Nagnfalu (Großgemeinde Hindenburg). In der Nähe des Dorfes Klimiec
beim Zwinin, das niedergebrannt wurde, um freies Schußfeld zu schaffen,
errichtete man eine neue Barackenstadt mit dem stolzen Namen Zweikaiserstadt.
Bemerkenswert ist, daß in einem Um-Sandberg genannten Lager da, wo
Sozialdemokraten ihre Stätte aufgeschlagen hatten, ein Lassalleplatz, eine Herwegh-
gasse und ein Schuhmeierbrunnen (nach einem ermordeten Wiener sozialdemo¬
kratischen Abgeordneten benannt) entstanden. Von der Tiroler Front las man
Namen wie Villa Fortuna. Zur Venushöhe, Zum Bratwurstglöckel, Zur
Pflasterbude (Hilfsplatz für Sanitäter), Frühstücksstube (Felshöhle). Zu einer
sehr hoch gelegenen Stellung führt eine Tafel: Weg zum Katzeimachertod. und
ein an den Fels geliebtes Schwalbennest von Brettern und dünner Dachpappe
für ein paar Beobachter, der vielleicht höchste Posten in ganz Tirol, trägt den
Namen Franz-Josef-Hütte.

Als Anhang sei auf die höchst ergötzliche Umdeutung französischer und
polnischer Ortsnamen verwiesen, durch die unsere der fremden Sprache nicht
mächtigen Soldaten sich die schwer auszusprechenden Namen mundgerecht zu
machen versuchen. Schon 181S sagte man für Belle Alliance Bullerdanz, 1870
für Mars-la-Tour Marschretour, für Sauvage Sau-Wage, für Se. Valörien
Bullerjahn. Die Umbildung geht gewöhnlich vom Schriftbilde aus und nimmt
ähnlich klingende deutsche Wörter zu Hilfe. Quesnoy, Messines. Berlinval,
Se. Etienne werden zu Genua. Messina, Berlin, Stettin. Bucquoy --- Buckwitz.
Neufchatel ----- Neuschrapnell. Perenchis ----- Bärenschiß, Ourscamp ----- Ortskamp.
Gommöcourt ----- Gummigmt, Se. Mihiel ----- Stinkmickel, Champagne ----- Schlamm-
pagne. Die Stellung bei einer Briqueterie (Ziegelei) heißt Kickeriki, eine Medeah-


Namenschöpfung im Kriege

Wir schließen mit einer sehr ernsten, sehr inhaltsreichen Inschrift religiös-
konfessionellen Hintergrundes. Nach der Liller Kriegszeitung haben Soldaten
über einen Unterstand eine Marienfigur angebracht und die Behausung Maria-
Einsiedeln genannt und über die Tür geschrieben:

Die zweite Hälfte scheint späterer, protestantischer Zusatz zur ersteren zu sein.

Die militärische Namengebung bei unsern Bundesgenossen, den Österreichern,
ist, da die Voraussetzungen dieselben sind, im wesentlichen auch dieselbe wie die
bei uns erörterte, im einzelnen zeigen sich die Besonderheiten der staatlichen
und völkischen Eigenart, doch liegt mir darüber vorerst wenig Material vor.
In den besetzten Ortschaften kommen Namen wie Kaiser-Franz-Josef-, Erz-
Herzog-Friedrich-, Prinzessin-Zita-Straße (oder Platz), auch Danklstraße oder
Prinz-Eugen-Straße vor. Neben dem Namen unseres Kaisers erscheint derjenige
Hindenburgs besonders oft, ein großes ungarisches Lager hieß geradezu Hinden-
burg-Nagnfalu (Großgemeinde Hindenburg). In der Nähe des Dorfes Klimiec
beim Zwinin, das niedergebrannt wurde, um freies Schußfeld zu schaffen,
errichtete man eine neue Barackenstadt mit dem stolzen Namen Zweikaiserstadt.
Bemerkenswert ist, daß in einem Um-Sandberg genannten Lager da, wo
Sozialdemokraten ihre Stätte aufgeschlagen hatten, ein Lassalleplatz, eine Herwegh-
gasse und ein Schuhmeierbrunnen (nach einem ermordeten Wiener sozialdemo¬
kratischen Abgeordneten benannt) entstanden. Von der Tiroler Front las man
Namen wie Villa Fortuna. Zur Venushöhe, Zum Bratwurstglöckel, Zur
Pflasterbude (Hilfsplatz für Sanitäter), Frühstücksstube (Felshöhle). Zu einer
sehr hoch gelegenen Stellung führt eine Tafel: Weg zum Katzeimachertod. und
ein an den Fels geliebtes Schwalbennest von Brettern und dünner Dachpappe
für ein paar Beobachter, der vielleicht höchste Posten in ganz Tirol, trägt den
Namen Franz-Josef-Hütte.

Als Anhang sei auf die höchst ergötzliche Umdeutung französischer und
polnischer Ortsnamen verwiesen, durch die unsere der fremden Sprache nicht
mächtigen Soldaten sich die schwer auszusprechenden Namen mundgerecht zu
machen versuchen. Schon 181S sagte man für Belle Alliance Bullerdanz, 1870
für Mars-la-Tour Marschretour, für Sauvage Sau-Wage, für Se. Valörien
Bullerjahn. Die Umbildung geht gewöhnlich vom Schriftbilde aus und nimmt
ähnlich klingende deutsche Wörter zu Hilfe. Quesnoy, Messines. Berlinval,
Se. Etienne werden zu Genua. Messina, Berlin, Stettin. Bucquoy --- Buckwitz.
Neufchatel ----- Neuschrapnell. Perenchis ----- Bärenschiß, Ourscamp ----- Ortskamp.
Gommöcourt ----- Gummigmt, Se. Mihiel ----- Stinkmickel, Champagne ----- Schlamm-
pagne. Die Stellung bei einer Briqueterie (Ziegelei) heißt Kickeriki, eine Medeah-


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[0139] Namenschöpfung im Kriege Wir schließen mit einer sehr ernsten, sehr inhaltsreichen Inschrift religiös- konfessionellen Hintergrundes. Nach der Liller Kriegszeitung haben Soldaten über einen Unterstand eine Marienfigur angebracht und die Behausung Maria- Einsiedeln genannt und über die Tür geschrieben: Die zweite Hälfte scheint späterer, protestantischer Zusatz zur ersteren zu sein. Die militärische Namengebung bei unsern Bundesgenossen, den Österreichern, ist, da die Voraussetzungen dieselben sind, im wesentlichen auch dieselbe wie die bei uns erörterte, im einzelnen zeigen sich die Besonderheiten der staatlichen und völkischen Eigenart, doch liegt mir darüber vorerst wenig Material vor. In den besetzten Ortschaften kommen Namen wie Kaiser-Franz-Josef-, Erz- Herzog-Friedrich-, Prinzessin-Zita-Straße (oder Platz), auch Danklstraße oder Prinz-Eugen-Straße vor. Neben dem Namen unseres Kaisers erscheint derjenige Hindenburgs besonders oft, ein großes ungarisches Lager hieß geradezu Hinden- burg-Nagnfalu (Großgemeinde Hindenburg). In der Nähe des Dorfes Klimiec beim Zwinin, das niedergebrannt wurde, um freies Schußfeld zu schaffen, errichtete man eine neue Barackenstadt mit dem stolzen Namen Zweikaiserstadt. Bemerkenswert ist, daß in einem Um-Sandberg genannten Lager da, wo Sozialdemokraten ihre Stätte aufgeschlagen hatten, ein Lassalleplatz, eine Herwegh- gasse und ein Schuhmeierbrunnen (nach einem ermordeten Wiener sozialdemo¬ kratischen Abgeordneten benannt) entstanden. Von der Tiroler Front las man Namen wie Villa Fortuna. Zur Venushöhe, Zum Bratwurstglöckel, Zur Pflasterbude (Hilfsplatz für Sanitäter), Frühstücksstube (Felshöhle). Zu einer sehr hoch gelegenen Stellung führt eine Tafel: Weg zum Katzeimachertod. und ein an den Fels geliebtes Schwalbennest von Brettern und dünner Dachpappe für ein paar Beobachter, der vielleicht höchste Posten in ganz Tirol, trägt den Namen Franz-Josef-Hütte. Als Anhang sei auf die höchst ergötzliche Umdeutung französischer und polnischer Ortsnamen verwiesen, durch die unsere der fremden Sprache nicht mächtigen Soldaten sich die schwer auszusprechenden Namen mundgerecht zu machen versuchen. Schon 181S sagte man für Belle Alliance Bullerdanz, 1870 für Mars-la-Tour Marschretour, für Sauvage Sau-Wage, für Se. Valörien Bullerjahn. Die Umbildung geht gewöhnlich vom Schriftbilde aus und nimmt ähnlich klingende deutsche Wörter zu Hilfe. Quesnoy, Messines. Berlinval, Se. Etienne werden zu Genua. Messina, Berlin, Stettin. Bucquoy --- Buckwitz. Neufchatel ----- Neuschrapnell. Perenchis ----- Bärenschiß, Ourscamp ----- Ortskamp. Gommöcourt ----- Gummigmt, Se. Mihiel ----- Stinkmickel, Champagne ----- Schlamm- pagne. Die Stellung bei einer Briqueterie (Ziegelei) heißt Kickeriki, eine Medeah-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/139>, abgerufen am 23.07.2024.