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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Aarl August von Sachsen-Weimar in Belgien

heirateten sich viele Jünglinge, mochte die Zukünftige auch über fünfzig, ja achtzig
Jahre alt sein. Was tut man nicht in der Verzweiflung I Allerdings: incickit in
Leyllam, Lupisn8 vitare Ltlar^bulen. Das sahen mit Behagen die gestrengen
Herren am grünen Tisch.

Wie hatte der Klerus gelitten! Kirchen und Klöster führten beredte Sprache.
Der Bischof von Gent, Moritz von Broglie, war wegen seines Widerstandes
gegen Napoleon schließlich auf die Insel Ste. Marguerite verbannt und auf
kaiserlichen Befehl durch einen anderen Prälaten ersetzt worden. Als bischöfliche
Seminaristen sich diesen Anordnungen nicht fügen wollten, wurden ste in die
kaiserliche Garde in Paris gesteckt. Anderen ging es noch schlimmer. Sie
wurden als Widerspenstige mit Deserteuren zusammen eingesperrt, eine Seuche
raffte achtundvierzig von ihnen hin.

Das Schulwesen lag danieder, Gelehrte hatte Frankreich nicht nötig gehabt,
sondern Soldaten. Die Kunstfreunde klagten bitter über die Fortführung von
Meisterwerken. Antwerpen und andere Städte forderten ihre Gemälde zurück;
Löwen die goldenen Schlüssel, die einst König Karl der Dritte seinen treu
ergebenen Bürgern gestiftet hatte.

Der Handel hatte durch die Kontinentalsperre und die französischen Mono¬
pole große Einbuße erlitten. Der Oise-Schelde-Kanal war noch im Bau und
konnte daher noch keine Entschädigung bieten. Antwerpen, das zur größten
Wut der Engländer die großen militärischen Hafenanlagen erhalten hatte,
wandte sich jetzt stürmisch gegen die Sperre der Scheide und forderte den Frei¬
handel, während Gent und andere Industriestädte für Schutzzölle eintraten.

Auch die Journalisten hatten schlimme Tage gesehen. Die meisten Zeitungen
waren von Napoleon als "überflüssig" unterdrückt worden, der "Moniteur" und
das "Journal de l'Empire" boten ja allen Wissensdurstigen reichen und richtig
zubereiteten Stoff. Die wenigen Blätter, die erscheinen durften, führten ein
elendes Dasein.

Die Anhänger der alten Ordnung wollten vom Code Napoleon und den
französischen Einrichtungen nichts wissen. "Die Völker Deutschlands haben die
Gesetze der Revolution wieder abgeschafft," heißt es in einer Bittschrift des
Brüsseler Magistrats, "sie huldigen wieder ihrer nationalen Sprache und ihrer
angestammten Gesetzgebung. Wir müssen heute noch erröten, daß wir unsere
nationale Sprache in keiner öffentlichen Urkunde anwenden dürfen. I^a pro-
8erivtion ac la lanZue nationale Mmanäe etoit es88er."

Berücksichtigt man alle Klagen und Beschwerden, alle Hoffnungen, denkt
man daran, daß die Wünsche der Belgier hinsichtlich der Zukunft ihres Landes
weit auseinandergingen, so erkennt man, welch mühselig heikle Aufgabe der
provisorischen Regierung zufiel. An kleineren Unruhen fehlte es in Brüssel
und anderwärts auch nicht. Die zurückgebliebenen Franzosen machten viel
Schwierigkeiten. Die Bevölkerung war nicht so leicht zu nehmen. Das Urteil
eines französischen Präfekten aus dem November 1813 lautet recht scharf: "Die


Aarl August von Sachsen-Weimar in Belgien

heirateten sich viele Jünglinge, mochte die Zukünftige auch über fünfzig, ja achtzig
Jahre alt sein. Was tut man nicht in der Verzweiflung I Allerdings: incickit in
Leyllam, Lupisn8 vitare Ltlar^bulen. Das sahen mit Behagen die gestrengen
Herren am grünen Tisch.

Wie hatte der Klerus gelitten! Kirchen und Klöster führten beredte Sprache.
Der Bischof von Gent, Moritz von Broglie, war wegen seines Widerstandes
gegen Napoleon schließlich auf die Insel Ste. Marguerite verbannt und auf
kaiserlichen Befehl durch einen anderen Prälaten ersetzt worden. Als bischöfliche
Seminaristen sich diesen Anordnungen nicht fügen wollten, wurden ste in die
kaiserliche Garde in Paris gesteckt. Anderen ging es noch schlimmer. Sie
wurden als Widerspenstige mit Deserteuren zusammen eingesperrt, eine Seuche
raffte achtundvierzig von ihnen hin.

Das Schulwesen lag danieder, Gelehrte hatte Frankreich nicht nötig gehabt,
sondern Soldaten. Die Kunstfreunde klagten bitter über die Fortführung von
Meisterwerken. Antwerpen und andere Städte forderten ihre Gemälde zurück;
Löwen die goldenen Schlüssel, die einst König Karl der Dritte seinen treu
ergebenen Bürgern gestiftet hatte.

Der Handel hatte durch die Kontinentalsperre und die französischen Mono¬
pole große Einbuße erlitten. Der Oise-Schelde-Kanal war noch im Bau und
konnte daher noch keine Entschädigung bieten. Antwerpen, das zur größten
Wut der Engländer die großen militärischen Hafenanlagen erhalten hatte,
wandte sich jetzt stürmisch gegen die Sperre der Scheide und forderte den Frei¬
handel, während Gent und andere Industriestädte für Schutzzölle eintraten.

Auch die Journalisten hatten schlimme Tage gesehen. Die meisten Zeitungen
waren von Napoleon als „überflüssig" unterdrückt worden, der „Moniteur" und
das „Journal de l'Empire" boten ja allen Wissensdurstigen reichen und richtig
zubereiteten Stoff. Die wenigen Blätter, die erscheinen durften, führten ein
elendes Dasein.

Die Anhänger der alten Ordnung wollten vom Code Napoleon und den
französischen Einrichtungen nichts wissen. „Die Völker Deutschlands haben die
Gesetze der Revolution wieder abgeschafft," heißt es in einer Bittschrift des
Brüsseler Magistrats, „sie huldigen wieder ihrer nationalen Sprache und ihrer
angestammten Gesetzgebung. Wir müssen heute noch erröten, daß wir unsere
nationale Sprache in keiner öffentlichen Urkunde anwenden dürfen. I^a pro-
8erivtion ac la lanZue nationale Mmanäe etoit es88er."

Berücksichtigt man alle Klagen und Beschwerden, alle Hoffnungen, denkt
man daran, daß die Wünsche der Belgier hinsichtlich der Zukunft ihres Landes
weit auseinandergingen, so erkennt man, welch mühselig heikle Aufgabe der
provisorischen Regierung zufiel. An kleineren Unruhen fehlte es in Brüssel
und anderwärts auch nicht. Die zurückgebliebenen Franzosen machten viel
Schwierigkeiten. Die Bevölkerung war nicht so leicht zu nehmen. Das Urteil
eines französischen Präfekten aus dem November 1813 lautet recht scharf: „Die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/107>, abgerufen am 25.08.2024.