Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.Aarl August von Sachsen-Weimar in Belgien heirateten sich viele Jünglinge, mochte die Zukünftige auch über fünfzig, ja achtzig Wie hatte der Klerus gelitten! Kirchen und Klöster führten beredte Sprache. Das Schulwesen lag danieder, Gelehrte hatte Frankreich nicht nötig gehabt, Der Handel hatte durch die Kontinentalsperre und die französischen Mono¬ Auch die Journalisten hatten schlimme Tage gesehen. Die meisten Zeitungen Die Anhänger der alten Ordnung wollten vom Code Napoleon und den Berücksichtigt man alle Klagen und Beschwerden, alle Hoffnungen, denkt Aarl August von Sachsen-Weimar in Belgien heirateten sich viele Jünglinge, mochte die Zukünftige auch über fünfzig, ja achtzig Wie hatte der Klerus gelitten! Kirchen und Klöster führten beredte Sprache. Das Schulwesen lag danieder, Gelehrte hatte Frankreich nicht nötig gehabt, Der Handel hatte durch die Kontinentalsperre und die französischen Mono¬ Auch die Journalisten hatten schlimme Tage gesehen. Die meisten Zeitungen Die Anhänger der alten Ordnung wollten vom Code Napoleon und den Berücksichtigt man alle Klagen und Beschwerden, alle Hoffnungen, denkt <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331517"/> <fw type="header" place="top"> Aarl August von Sachsen-Weimar in Belgien</fw><lb/> <p xml:id="ID_317" prev="#ID_316"> heirateten sich viele Jünglinge, mochte die Zukünftige auch über fünfzig, ja achtzig<lb/> Jahre alt sein. Was tut man nicht in der Verzweiflung I Allerdings: incickit in<lb/> Leyllam, Lupisn8 vitare Ltlar^bulen. Das sahen mit Behagen die gestrengen<lb/> Herren am grünen Tisch.</p><lb/> <p xml:id="ID_318"> Wie hatte der Klerus gelitten! Kirchen und Klöster führten beredte Sprache.<lb/> Der Bischof von Gent, Moritz von Broglie, war wegen seines Widerstandes<lb/> gegen Napoleon schließlich auf die Insel Ste. Marguerite verbannt und auf<lb/> kaiserlichen Befehl durch einen anderen Prälaten ersetzt worden. Als bischöfliche<lb/> Seminaristen sich diesen Anordnungen nicht fügen wollten, wurden ste in die<lb/> kaiserliche Garde in Paris gesteckt. Anderen ging es noch schlimmer. Sie<lb/> wurden als Widerspenstige mit Deserteuren zusammen eingesperrt, eine Seuche<lb/> raffte achtundvierzig von ihnen hin.</p><lb/> <p xml:id="ID_319"> Das Schulwesen lag danieder, Gelehrte hatte Frankreich nicht nötig gehabt,<lb/> sondern Soldaten. Die Kunstfreunde klagten bitter über die Fortführung von<lb/> Meisterwerken. Antwerpen und andere Städte forderten ihre Gemälde zurück;<lb/> Löwen die goldenen Schlüssel, die einst König Karl der Dritte seinen treu<lb/> ergebenen Bürgern gestiftet hatte.</p><lb/> <p xml:id="ID_320"> Der Handel hatte durch die Kontinentalsperre und die französischen Mono¬<lb/> pole große Einbuße erlitten. Der Oise-Schelde-Kanal war noch im Bau und<lb/> konnte daher noch keine Entschädigung bieten. Antwerpen, das zur größten<lb/> Wut der Engländer die großen militärischen Hafenanlagen erhalten hatte,<lb/> wandte sich jetzt stürmisch gegen die Sperre der Scheide und forderte den Frei¬<lb/> handel, während Gent und andere Industriestädte für Schutzzölle eintraten.</p><lb/> <p xml:id="ID_321"> Auch die Journalisten hatten schlimme Tage gesehen. Die meisten Zeitungen<lb/> waren von Napoleon als „überflüssig" unterdrückt worden, der „Moniteur" und<lb/> das „Journal de l'Empire" boten ja allen Wissensdurstigen reichen und richtig<lb/> zubereiteten Stoff. Die wenigen Blätter, die erscheinen durften, führten ein<lb/> elendes Dasein.</p><lb/> <p xml:id="ID_322"> Die Anhänger der alten Ordnung wollten vom Code Napoleon und den<lb/> französischen Einrichtungen nichts wissen. „Die Völker Deutschlands haben die<lb/> Gesetze der Revolution wieder abgeschafft," heißt es in einer Bittschrift des<lb/> Brüsseler Magistrats, „sie huldigen wieder ihrer nationalen Sprache und ihrer<lb/> angestammten Gesetzgebung. Wir müssen heute noch erröten, daß wir unsere<lb/> nationale Sprache in keiner öffentlichen Urkunde anwenden dürfen. I^a pro-<lb/> 8erivtion ac la lanZue nationale Mmanäe etoit es88er."</p><lb/> <p xml:id="ID_323" next="#ID_324"> Berücksichtigt man alle Klagen und Beschwerden, alle Hoffnungen, denkt<lb/> man daran, daß die Wünsche der Belgier hinsichtlich der Zukunft ihres Landes<lb/> weit auseinandergingen, so erkennt man, welch mühselig heikle Aufgabe der<lb/> provisorischen Regierung zufiel. An kleineren Unruhen fehlte es in Brüssel<lb/> und anderwärts auch nicht. Die zurückgebliebenen Franzosen machten viel<lb/> Schwierigkeiten. Die Bevölkerung war nicht so leicht zu nehmen. Das Urteil<lb/> eines französischen Präfekten aus dem November 1813 lautet recht scharf: „Die</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
Aarl August von Sachsen-Weimar in Belgien
heirateten sich viele Jünglinge, mochte die Zukünftige auch über fünfzig, ja achtzig
Jahre alt sein. Was tut man nicht in der Verzweiflung I Allerdings: incickit in
Leyllam, Lupisn8 vitare Ltlar^bulen. Das sahen mit Behagen die gestrengen
Herren am grünen Tisch.
Wie hatte der Klerus gelitten! Kirchen und Klöster führten beredte Sprache.
Der Bischof von Gent, Moritz von Broglie, war wegen seines Widerstandes
gegen Napoleon schließlich auf die Insel Ste. Marguerite verbannt und auf
kaiserlichen Befehl durch einen anderen Prälaten ersetzt worden. Als bischöfliche
Seminaristen sich diesen Anordnungen nicht fügen wollten, wurden ste in die
kaiserliche Garde in Paris gesteckt. Anderen ging es noch schlimmer. Sie
wurden als Widerspenstige mit Deserteuren zusammen eingesperrt, eine Seuche
raffte achtundvierzig von ihnen hin.
Das Schulwesen lag danieder, Gelehrte hatte Frankreich nicht nötig gehabt,
sondern Soldaten. Die Kunstfreunde klagten bitter über die Fortführung von
Meisterwerken. Antwerpen und andere Städte forderten ihre Gemälde zurück;
Löwen die goldenen Schlüssel, die einst König Karl der Dritte seinen treu
ergebenen Bürgern gestiftet hatte.
Der Handel hatte durch die Kontinentalsperre und die französischen Mono¬
pole große Einbuße erlitten. Der Oise-Schelde-Kanal war noch im Bau und
konnte daher noch keine Entschädigung bieten. Antwerpen, das zur größten
Wut der Engländer die großen militärischen Hafenanlagen erhalten hatte,
wandte sich jetzt stürmisch gegen die Sperre der Scheide und forderte den Frei¬
handel, während Gent und andere Industriestädte für Schutzzölle eintraten.
Auch die Journalisten hatten schlimme Tage gesehen. Die meisten Zeitungen
waren von Napoleon als „überflüssig" unterdrückt worden, der „Moniteur" und
das „Journal de l'Empire" boten ja allen Wissensdurstigen reichen und richtig
zubereiteten Stoff. Die wenigen Blätter, die erscheinen durften, führten ein
elendes Dasein.
Die Anhänger der alten Ordnung wollten vom Code Napoleon und den
französischen Einrichtungen nichts wissen. „Die Völker Deutschlands haben die
Gesetze der Revolution wieder abgeschafft," heißt es in einer Bittschrift des
Brüsseler Magistrats, „sie huldigen wieder ihrer nationalen Sprache und ihrer
angestammten Gesetzgebung. Wir müssen heute noch erröten, daß wir unsere
nationale Sprache in keiner öffentlichen Urkunde anwenden dürfen. I^a pro-
8erivtion ac la lanZue nationale Mmanäe etoit es88er."
Berücksichtigt man alle Klagen und Beschwerden, alle Hoffnungen, denkt
man daran, daß die Wünsche der Belgier hinsichtlich der Zukunft ihres Landes
weit auseinandergingen, so erkennt man, welch mühselig heikle Aufgabe der
provisorischen Regierung zufiel. An kleineren Unruhen fehlte es in Brüssel
und anderwärts auch nicht. Die zurückgebliebenen Franzosen machten viel
Schwierigkeiten. Die Bevölkerung war nicht so leicht zu nehmen. Das Urteil
eines französischen Präfekten aus dem November 1813 lautet recht scharf: „Die
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |