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Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

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Karl August von Sachsen-Weimar in Belgien

von Brüssel, für die Zollverwaltung Delius. Als Generalgouvemeur vor¬
läufig der Herzog von Beaufort. Als dessen Stellvertreter Graf Eugen
von Robiano, der mit zwei anderen dem Verwaltungsrat angehörte. Vier
Generalsekretäre für die militärischen Rüstungen; für Polizei und Inneres; für
Finanzen; für Justiz und Klerus. Die Verwaltungseinteilung des Landes
blieb bestehen, nur führten Präfekturen und Präfekten fürderhin den Namen
Intendanzen und Intendanten. Alle Beamten, bis auf die geborenen Franzosen,
konnten auf ihrem Posten bleiben, mußten aber den Verbündeten den Treu-
und Gehorsamseid leisten. Alle Einwohner wurden von dem Eide entbunden,
den sie der französischen Regierung geschworen hatten. Die Franzosen, die das
Land nicht verlassen wollten, erhielten von der Behörde einen Ausweis.

Man erkennt den vortrefflichen Willen, von dem Karl August und seine
Ratgeber beseelt waren. Die Eigenart Belgiens wurde nach Möglichkeit be¬
rücksichtigt, schroffer Willkür machte weise Mäßigung Platz. Im Laufe des
Monats März trat an die Stelle des Herzogs von Beaufort der Freiherr
von der Horst, den Stein als Generalgouvemeur ausersehen hatte; die beiden
Kommissare schieden aus ihren Ämtern. Nach Horst folgte im Mai der öster¬
reichische General Freiherr von Vincent, der lange in Belgien gelebt und das
Regiment Latour befehligt hatte. Vertrat Horst mehr das neue liberale
Preußen, so Vincent das konservative feudale Österreich. Die Kaufmannschaft
und der Advokatenstand fühlte sich mehr zu Horst hingezogen, Adel und Klerus
begrüßten Vincent mit besonderer Freude.

Die provisorische Regierung erhielt ein reiches Feld der Tätigkeit. Überall
galt es die Spuren der napoleonischen Gewaltherrschaft zu vertilgen. Welcher
Jubel entstand in den Gefängnissen und Zuchthäusern unter den Unglücklichen,
die ohne richterliches Urteil hinter Schloß und Riegel schmachteten, weil es so
dem bon plaisir des Herrn Präfekten gepaßt hatte. Der "Mangel an An¬
hänglichkeit an die französische Regierung" war schon ein schweres Vergehen
gewesen. Recht gern hatten die französischen Beamten von dem "Mittel
administrativer Polizei" Gebrauch gemacht und Mißliebige in die Zwangs¬
jacke gesteckt. Jetzt schlug die Stunde der Freiheit. Zahlreiche Begnadigungen
wurden vorgenommen. Einem schneidigen Kosaken, Oberst Bychalow, ging es
damit noch viel zu langsam. Am Jahrestag der Krönung seines kaiserlichen
Herrn gab er in Gent zu Ehren des Zaren Alexander einer Menge Gefangener
den Laufpaß, ohne sich viel um die Schuldfrage zu kümmern.

Um der "verhaßten Landplage der Konskription", um der Zahlung der
drückenden Steuern (clroits rüuniZ) zu entgehen, waren viele Männer in die
Wälder Flanderns geflohen und führten als berüchtigte "Waldgesellen" (Lom-
paZnons as ig, I^oret) ein frohes Räuberleben. Bei der Regelung der Lebens¬
mittelfrage achteten sie natürlich nicht fo peinlich auf die gesetzlichen Vorschriften.
Alle möglichen Listen wurden angewandt, um nicht den bunten Rock anziehen
zu müssen. Da verehelichte Männer von der Heerespflicht befreit waren, ver-


Karl August von Sachsen-Weimar in Belgien

von Brüssel, für die Zollverwaltung Delius. Als Generalgouvemeur vor¬
läufig der Herzog von Beaufort. Als dessen Stellvertreter Graf Eugen
von Robiano, der mit zwei anderen dem Verwaltungsrat angehörte. Vier
Generalsekretäre für die militärischen Rüstungen; für Polizei und Inneres; für
Finanzen; für Justiz und Klerus. Die Verwaltungseinteilung des Landes
blieb bestehen, nur führten Präfekturen und Präfekten fürderhin den Namen
Intendanzen und Intendanten. Alle Beamten, bis auf die geborenen Franzosen,
konnten auf ihrem Posten bleiben, mußten aber den Verbündeten den Treu-
und Gehorsamseid leisten. Alle Einwohner wurden von dem Eide entbunden,
den sie der französischen Regierung geschworen hatten. Die Franzosen, die das
Land nicht verlassen wollten, erhielten von der Behörde einen Ausweis.

Man erkennt den vortrefflichen Willen, von dem Karl August und seine
Ratgeber beseelt waren. Die Eigenart Belgiens wurde nach Möglichkeit be¬
rücksichtigt, schroffer Willkür machte weise Mäßigung Platz. Im Laufe des
Monats März trat an die Stelle des Herzogs von Beaufort der Freiherr
von der Horst, den Stein als Generalgouvemeur ausersehen hatte; die beiden
Kommissare schieden aus ihren Ämtern. Nach Horst folgte im Mai der öster¬
reichische General Freiherr von Vincent, der lange in Belgien gelebt und das
Regiment Latour befehligt hatte. Vertrat Horst mehr das neue liberale
Preußen, so Vincent das konservative feudale Österreich. Die Kaufmannschaft
und der Advokatenstand fühlte sich mehr zu Horst hingezogen, Adel und Klerus
begrüßten Vincent mit besonderer Freude.

Die provisorische Regierung erhielt ein reiches Feld der Tätigkeit. Überall
galt es die Spuren der napoleonischen Gewaltherrschaft zu vertilgen. Welcher
Jubel entstand in den Gefängnissen und Zuchthäusern unter den Unglücklichen,
die ohne richterliches Urteil hinter Schloß und Riegel schmachteten, weil es so
dem bon plaisir des Herrn Präfekten gepaßt hatte. Der „Mangel an An¬
hänglichkeit an die französische Regierung" war schon ein schweres Vergehen
gewesen. Recht gern hatten die französischen Beamten von dem „Mittel
administrativer Polizei" Gebrauch gemacht und Mißliebige in die Zwangs¬
jacke gesteckt. Jetzt schlug die Stunde der Freiheit. Zahlreiche Begnadigungen
wurden vorgenommen. Einem schneidigen Kosaken, Oberst Bychalow, ging es
damit noch viel zu langsam. Am Jahrestag der Krönung seines kaiserlichen
Herrn gab er in Gent zu Ehren des Zaren Alexander einer Menge Gefangener
den Laufpaß, ohne sich viel um die Schuldfrage zu kümmern.

Um der „verhaßten Landplage der Konskription", um der Zahlung der
drückenden Steuern (clroits rüuniZ) zu entgehen, waren viele Männer in die
Wälder Flanderns geflohen und führten als berüchtigte „Waldgesellen" (Lom-
paZnons as ig, I^oret) ein frohes Räuberleben. Bei der Regelung der Lebens¬
mittelfrage achteten sie natürlich nicht fo peinlich auf die gesetzlichen Vorschriften.
Alle möglichen Listen wurden angewandt, um nicht den bunten Rock anziehen
zu müssen. Da verehelichte Männer von der Heerespflicht befreit waren, ver-


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[0106] Karl August von Sachsen-Weimar in Belgien von Brüssel, für die Zollverwaltung Delius. Als Generalgouvemeur vor¬ läufig der Herzog von Beaufort. Als dessen Stellvertreter Graf Eugen von Robiano, der mit zwei anderen dem Verwaltungsrat angehörte. Vier Generalsekretäre für die militärischen Rüstungen; für Polizei und Inneres; für Finanzen; für Justiz und Klerus. Die Verwaltungseinteilung des Landes blieb bestehen, nur führten Präfekturen und Präfekten fürderhin den Namen Intendanzen und Intendanten. Alle Beamten, bis auf die geborenen Franzosen, konnten auf ihrem Posten bleiben, mußten aber den Verbündeten den Treu- und Gehorsamseid leisten. Alle Einwohner wurden von dem Eide entbunden, den sie der französischen Regierung geschworen hatten. Die Franzosen, die das Land nicht verlassen wollten, erhielten von der Behörde einen Ausweis. Man erkennt den vortrefflichen Willen, von dem Karl August und seine Ratgeber beseelt waren. Die Eigenart Belgiens wurde nach Möglichkeit be¬ rücksichtigt, schroffer Willkür machte weise Mäßigung Platz. Im Laufe des Monats März trat an die Stelle des Herzogs von Beaufort der Freiherr von der Horst, den Stein als Generalgouvemeur ausersehen hatte; die beiden Kommissare schieden aus ihren Ämtern. Nach Horst folgte im Mai der öster¬ reichische General Freiherr von Vincent, der lange in Belgien gelebt und das Regiment Latour befehligt hatte. Vertrat Horst mehr das neue liberale Preußen, so Vincent das konservative feudale Österreich. Die Kaufmannschaft und der Advokatenstand fühlte sich mehr zu Horst hingezogen, Adel und Klerus begrüßten Vincent mit besonderer Freude. Die provisorische Regierung erhielt ein reiches Feld der Tätigkeit. Überall galt es die Spuren der napoleonischen Gewaltherrschaft zu vertilgen. Welcher Jubel entstand in den Gefängnissen und Zuchthäusern unter den Unglücklichen, die ohne richterliches Urteil hinter Schloß und Riegel schmachteten, weil es so dem bon plaisir des Herrn Präfekten gepaßt hatte. Der „Mangel an An¬ hänglichkeit an die französische Regierung" war schon ein schweres Vergehen gewesen. Recht gern hatten die französischen Beamten von dem „Mittel administrativer Polizei" Gebrauch gemacht und Mißliebige in die Zwangs¬ jacke gesteckt. Jetzt schlug die Stunde der Freiheit. Zahlreiche Begnadigungen wurden vorgenommen. Einem schneidigen Kosaken, Oberst Bychalow, ging es damit noch viel zu langsam. Am Jahrestag der Krönung seines kaiserlichen Herrn gab er in Gent zu Ehren des Zaren Alexander einer Menge Gefangener den Laufpaß, ohne sich viel um die Schuldfrage zu kümmern. Um der „verhaßten Landplage der Konskription", um der Zahlung der drückenden Steuern (clroits rüuniZ) zu entgehen, waren viele Männer in die Wälder Flanderns geflohen und führten als berüchtigte „Waldgesellen" (Lom- paZnons as ig, I^oret) ein frohes Räuberleben. Bei der Regelung der Lebens¬ mittelfrage achteten sie natürlich nicht fo peinlich auf die gesetzlichen Vorschriften. Alle möglichen Listen wurden angewandt, um nicht den bunten Rock anziehen zu müssen. Da verehelichte Männer von der Heerespflicht befreit waren, ver-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/106>, abgerufen am 23.07.2024.