Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Uarl August von Sachsen-Weimar in Belgien

nach einigen Tagen wieder abzuziehen. Die Franzosen hatten in Gent so
übel gehaust, daß der General selbst sie als des französischen Namens un¬
würdig brandmarkte. Die Kampfeslust der Belgier mochte dadurch noch ge¬
steigert werden. Als Maison später vor Tournai erschien, widerstand die kleine
Garnison tapfer und fügte dem Gegner nicht unerhebliche Verluste bei. Hier
zeichneten sich auch neu geworbene Belgier aus. Denn gleich anfangs hatten
die Verbündeten an alle Niederländer die Aufforderung gerichtet, gleichfalls
gegen den Tyrannen ins Feld zu rücken. In allen Gemeinden bildeten sich
Werbeämter. Privatmittel flössen reichlich zu, das ruhmreiche Beispiel Preußens
wirkte. In einem Kriegslied, dem "Vosu belZs", wird der Waffenfähige auf¬
gefordert, seine Geliebte zu verlassen, für das Vaterland und die Liebe zu
kämpfen. "Gott, Freiheit, Licht" -- auch hier erscholl dieser Kriegsruf, der
schon Tausende begeistert hatte. In Brüssel, Gent, Mons und Namur wurden
vier Infanterieregimente! aufgestellt, dazu kamen noch ein Kavallerieregiment
und eine Artillerie-Batterie. An die Spitze der belgischen Legion trat der
österreichische Generalleutnant Graf von Murray, dessen Vorfahren einst dem
sieggewohnten wallonischen Regiment den Namen gegeben hatten. Der Adjutant
des Herzogs Graf von Pückler-Muskau, eine bekannte Erscheinung in allen
eleganten Salons, erwarb sich in Flandern große Verdienste um die Ausbildung
von Truppen.

Am 30. März fiel Paris, bald folgte Napoleons Abdankung. "Wir
werden nicht eher Ruhe haben als bis wir Napoleon stürzen", hatte Blücher
gewettert. "()ne aira avra Qoetne ac son äisu tutelaire", spottete gut¬
mütig der Herzog.

Das Militärische trat damit in den Hintergrund. Mitten im Waffenlärm
hatte Karl August auch für die innere Verwaltung Belgiens Sorge getragen
und eine provisorische Regierung ins Leben gerufen. Die Grundlinien waren
von dem Freiherrn vom Stein gezogen, dem Leiter des sogenannten Zentral-
verwaltungsdepartments, dem alle eroberten und in Generalgouvernements ge¬
gliederte Gebiete unterstellt waren. Seinen ursprünglichen Plan, mit den
Abgeordneten der einzelnen belgischen Departements in Verbindung zu treten,
mußte Karl August bei der Schwierigkeit der Verbindungen aufgeben; zuviel
Zeit wäre darüber hingegangen. Daher berief er auf den 12. Februar 1814
in den königlichen Palast die Notabeln ersten Ranges, d. h. die Häupter der
zweiunddreißig angesehensten Familien in Brüssel und trug, da er das Haupt¬
quartier verlegen mußte, seinem Generalstabschef, dem Generalmajor Baron
von Wollzogen, auf, im Verein mit dem preußischen Generalmajor von Boyen
die Verhandlungen zu leiten. Vierundzwanzig von den Eingeladenen er¬
schienen, und nach eingehender Beratung wurden die Beamten der provisorischen
Regierung ernannt.

Es wurden bestimmt und am 15. Februar eingesetzt: als Generalkommissare
der Verbündeten für die Militärverwaltung Graf von Lottum, Gouverneur


Uarl August von Sachsen-Weimar in Belgien

nach einigen Tagen wieder abzuziehen. Die Franzosen hatten in Gent so
übel gehaust, daß der General selbst sie als des französischen Namens un¬
würdig brandmarkte. Die Kampfeslust der Belgier mochte dadurch noch ge¬
steigert werden. Als Maison später vor Tournai erschien, widerstand die kleine
Garnison tapfer und fügte dem Gegner nicht unerhebliche Verluste bei. Hier
zeichneten sich auch neu geworbene Belgier aus. Denn gleich anfangs hatten
die Verbündeten an alle Niederländer die Aufforderung gerichtet, gleichfalls
gegen den Tyrannen ins Feld zu rücken. In allen Gemeinden bildeten sich
Werbeämter. Privatmittel flössen reichlich zu, das ruhmreiche Beispiel Preußens
wirkte. In einem Kriegslied, dem „Vosu belZs", wird der Waffenfähige auf¬
gefordert, seine Geliebte zu verlassen, für das Vaterland und die Liebe zu
kämpfen. „Gott, Freiheit, Licht" — auch hier erscholl dieser Kriegsruf, der
schon Tausende begeistert hatte. In Brüssel, Gent, Mons und Namur wurden
vier Infanterieregimente! aufgestellt, dazu kamen noch ein Kavallerieregiment
und eine Artillerie-Batterie. An die Spitze der belgischen Legion trat der
österreichische Generalleutnant Graf von Murray, dessen Vorfahren einst dem
sieggewohnten wallonischen Regiment den Namen gegeben hatten. Der Adjutant
des Herzogs Graf von Pückler-Muskau, eine bekannte Erscheinung in allen
eleganten Salons, erwarb sich in Flandern große Verdienste um die Ausbildung
von Truppen.

Am 30. März fiel Paris, bald folgte Napoleons Abdankung. „Wir
werden nicht eher Ruhe haben als bis wir Napoleon stürzen", hatte Blücher
gewettert. „()ne aira avra Qoetne ac son äisu tutelaire", spottete gut¬
mütig der Herzog.

Das Militärische trat damit in den Hintergrund. Mitten im Waffenlärm
hatte Karl August auch für die innere Verwaltung Belgiens Sorge getragen
und eine provisorische Regierung ins Leben gerufen. Die Grundlinien waren
von dem Freiherrn vom Stein gezogen, dem Leiter des sogenannten Zentral-
verwaltungsdepartments, dem alle eroberten und in Generalgouvernements ge¬
gliederte Gebiete unterstellt waren. Seinen ursprünglichen Plan, mit den
Abgeordneten der einzelnen belgischen Departements in Verbindung zu treten,
mußte Karl August bei der Schwierigkeit der Verbindungen aufgeben; zuviel
Zeit wäre darüber hingegangen. Daher berief er auf den 12. Februar 1814
in den königlichen Palast die Notabeln ersten Ranges, d. h. die Häupter der
zweiunddreißig angesehensten Familien in Brüssel und trug, da er das Haupt¬
quartier verlegen mußte, seinem Generalstabschef, dem Generalmajor Baron
von Wollzogen, auf, im Verein mit dem preußischen Generalmajor von Boyen
die Verhandlungen zu leiten. Vierundzwanzig von den Eingeladenen er¬
schienen, und nach eingehender Beratung wurden die Beamten der provisorischen
Regierung ernannt.

Es wurden bestimmt und am 15. Februar eingesetzt: als Generalkommissare
der Verbündeten für die Militärverwaltung Graf von Lottum, Gouverneur


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0105" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331515"/>
          <fw type="header" place="top"> Uarl August von Sachsen-Weimar in Belgien</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_309" prev="#ID_308"> nach einigen Tagen wieder abzuziehen. Die Franzosen hatten in Gent so<lb/>
übel gehaust, daß der General selbst sie als des französischen Namens un¬<lb/>
würdig brandmarkte. Die Kampfeslust der Belgier mochte dadurch noch ge¬<lb/>
steigert werden. Als Maison später vor Tournai erschien, widerstand die kleine<lb/>
Garnison tapfer und fügte dem Gegner nicht unerhebliche Verluste bei. Hier<lb/>
zeichneten sich auch neu geworbene Belgier aus. Denn gleich anfangs hatten<lb/>
die Verbündeten an alle Niederländer die Aufforderung gerichtet, gleichfalls<lb/>
gegen den Tyrannen ins Feld zu rücken. In allen Gemeinden bildeten sich<lb/>
Werbeämter. Privatmittel flössen reichlich zu, das ruhmreiche Beispiel Preußens<lb/>
wirkte. In einem Kriegslied, dem &#x201E;Vosu belZs", wird der Waffenfähige auf¬<lb/>
gefordert, seine Geliebte zu verlassen, für das Vaterland und die Liebe zu<lb/>
kämpfen. &#x201E;Gott, Freiheit, Licht" &#x2014; auch hier erscholl dieser Kriegsruf, der<lb/>
schon Tausende begeistert hatte. In Brüssel, Gent, Mons und Namur wurden<lb/>
vier Infanterieregimente! aufgestellt, dazu kamen noch ein Kavallerieregiment<lb/>
und eine Artillerie-Batterie. An die Spitze der belgischen Legion trat der<lb/>
österreichische Generalleutnant Graf von Murray, dessen Vorfahren einst dem<lb/>
sieggewohnten wallonischen Regiment den Namen gegeben hatten. Der Adjutant<lb/>
des Herzogs Graf von Pückler-Muskau, eine bekannte Erscheinung in allen<lb/>
eleganten Salons, erwarb sich in Flandern große Verdienste um die Ausbildung<lb/>
von Truppen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_310"> Am 30. März fiel Paris, bald folgte Napoleons Abdankung. &#x201E;Wir<lb/>
werden nicht eher Ruhe haben als bis wir Napoleon stürzen", hatte Blücher<lb/>
gewettert. &#x201E;()ne aira avra Qoetne ac son äisu tutelaire", spottete gut¬<lb/>
mütig der Herzog.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_311"> Das Militärische trat damit in den Hintergrund. Mitten im Waffenlärm<lb/>
hatte Karl August auch für die innere Verwaltung Belgiens Sorge getragen<lb/>
und eine provisorische Regierung ins Leben gerufen. Die Grundlinien waren<lb/>
von dem Freiherrn vom Stein gezogen, dem Leiter des sogenannten Zentral-<lb/>
verwaltungsdepartments, dem alle eroberten und in Generalgouvernements ge¬<lb/>
gliederte Gebiete unterstellt waren. Seinen ursprünglichen Plan, mit den<lb/>
Abgeordneten der einzelnen belgischen Departements in Verbindung zu treten,<lb/>
mußte Karl August bei der Schwierigkeit der Verbindungen aufgeben; zuviel<lb/>
Zeit wäre darüber hingegangen. Daher berief er auf den 12. Februar 1814<lb/>
in den königlichen Palast die Notabeln ersten Ranges, d. h. die Häupter der<lb/>
zweiunddreißig angesehensten Familien in Brüssel und trug, da er das Haupt¬<lb/>
quartier verlegen mußte, seinem Generalstabschef, dem Generalmajor Baron<lb/>
von Wollzogen, auf, im Verein mit dem preußischen Generalmajor von Boyen<lb/>
die Verhandlungen zu leiten. Vierundzwanzig von den Eingeladenen er¬<lb/>
schienen, und nach eingehender Beratung wurden die Beamten der provisorischen<lb/>
Regierung ernannt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_312" next="#ID_313"> Es wurden bestimmt und am 15. Februar eingesetzt: als Generalkommissare<lb/>
der Verbündeten für die Militärverwaltung Graf von Lottum, Gouverneur</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0105] Uarl August von Sachsen-Weimar in Belgien nach einigen Tagen wieder abzuziehen. Die Franzosen hatten in Gent so übel gehaust, daß der General selbst sie als des französischen Namens un¬ würdig brandmarkte. Die Kampfeslust der Belgier mochte dadurch noch ge¬ steigert werden. Als Maison später vor Tournai erschien, widerstand die kleine Garnison tapfer und fügte dem Gegner nicht unerhebliche Verluste bei. Hier zeichneten sich auch neu geworbene Belgier aus. Denn gleich anfangs hatten die Verbündeten an alle Niederländer die Aufforderung gerichtet, gleichfalls gegen den Tyrannen ins Feld zu rücken. In allen Gemeinden bildeten sich Werbeämter. Privatmittel flössen reichlich zu, das ruhmreiche Beispiel Preußens wirkte. In einem Kriegslied, dem „Vosu belZs", wird der Waffenfähige auf¬ gefordert, seine Geliebte zu verlassen, für das Vaterland und die Liebe zu kämpfen. „Gott, Freiheit, Licht" — auch hier erscholl dieser Kriegsruf, der schon Tausende begeistert hatte. In Brüssel, Gent, Mons und Namur wurden vier Infanterieregimente! aufgestellt, dazu kamen noch ein Kavallerieregiment und eine Artillerie-Batterie. An die Spitze der belgischen Legion trat der österreichische Generalleutnant Graf von Murray, dessen Vorfahren einst dem sieggewohnten wallonischen Regiment den Namen gegeben hatten. Der Adjutant des Herzogs Graf von Pückler-Muskau, eine bekannte Erscheinung in allen eleganten Salons, erwarb sich in Flandern große Verdienste um die Ausbildung von Truppen. Am 30. März fiel Paris, bald folgte Napoleons Abdankung. „Wir werden nicht eher Ruhe haben als bis wir Napoleon stürzen", hatte Blücher gewettert. „()ne aira avra Qoetne ac son äisu tutelaire", spottete gut¬ mütig der Herzog. Das Militärische trat damit in den Hintergrund. Mitten im Waffenlärm hatte Karl August auch für die innere Verwaltung Belgiens Sorge getragen und eine provisorische Regierung ins Leben gerufen. Die Grundlinien waren von dem Freiherrn vom Stein gezogen, dem Leiter des sogenannten Zentral- verwaltungsdepartments, dem alle eroberten und in Generalgouvernements ge¬ gliederte Gebiete unterstellt waren. Seinen ursprünglichen Plan, mit den Abgeordneten der einzelnen belgischen Departements in Verbindung zu treten, mußte Karl August bei der Schwierigkeit der Verbindungen aufgeben; zuviel Zeit wäre darüber hingegangen. Daher berief er auf den 12. Februar 1814 in den königlichen Palast die Notabeln ersten Ranges, d. h. die Häupter der zweiunddreißig angesehensten Familien in Brüssel und trug, da er das Haupt¬ quartier verlegen mußte, seinem Generalstabschef, dem Generalmajor Baron von Wollzogen, auf, im Verein mit dem preußischen Generalmajor von Boyen die Verhandlungen zu leiten. Vierundzwanzig von den Eingeladenen er¬ schienen, und nach eingehender Beratung wurden die Beamten der provisorischen Regierung ernannt. Es wurden bestimmt und am 15. Februar eingesetzt: als Generalkommissare der Verbündeten für die Militärverwaltung Graf von Lottum, Gouverneur

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/105
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 76, 1917, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341905_331409/105>, abgerufen am 23.07.2024.