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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Deutsches Bürgerleben der Gstsecprovinzen

Nacht. Wer sich nicht an dem sckapkar genügen IM, der soll eine halbe
Tonne Bier geben."

Gewiß werden bei dem seßhaften Trinken und der damit verbundenen
Aufwallung der Leidenschaften manche Gewalttaten vorgekommen sein. Daher
werden bestimmte Strafen dafür festgesetzt, wenn jemand seinen Zinnkrug an
eines anderen Kopf schlägt und den Krug dabei verdenke. Darauf kommen
wir bei den Gilden der Kaufleute und der jungen Patrizier näher zu sprechen,
zu deren Schilderung ich jetzt übergehe.

Im Jahre 1354 wurde die Schraa der Gesellschaft der Kaufleute
in Riga erlassen, und diese wird die allgemeine Kompagnie "beides der
Gäste und der Bürger" genannt. Dieser Name hat seine Geschichte.
Ursprünglich bildeten die Kaufleute von Soest, Münster und Lübeck
in Riga eigene Gilden und hatten ihre eigene militärische Organisation
als Gäste d. h. Fremde. Sie kämpften bis zum Jahre 1232 unter einer
besonderen Fahne neben den Bürgern in den Kriegen, die von der Stadt ge¬
führt werden mußten, und hatten sozusagen ein Hansakontor, wie die hanseati¬
schen Kaufleute in Nowgard und Bergen. Hier in Riga, an der Seite einer
deutschen Bürgerschaft, mußten sie im Laufe der Zeit mit dieser verschmelzen,
und dieser Vorgang tritt deutlich auch in der gemeinsamen Gilde zu Tage.
Sie hat den Namen bekommen: de Hof de Kumpanei van den kopluden.
Auch hier wird auf äußere Ehrbarkeit und auf Wahrung des deutschen Volks-
tums gehalten. Keiner soll einen Gast bitten zu trinken, wenn er nicht weiß,
daß er ein guter Knappe sei, bei einem halben Liespfund Wachs. Kein
Knecht darf in der Türe stehen bei einer Mark Strafe. Keiner soll einen Gast
in die Kompagnie bitten, der für Lohn dient, bei einem halben Liespfund
Wachs. Gegenseitige Beleidigungen sind strenge verpönt. Wer mit zornigem
Mute dem andern böse Worte gibt, wie Schalk u. tgi., der soll daS mit
einer halben Mark Silber büßen. Wer "Dieb" sagt, was an seine Ehre
geht und an seine ours (wohl an seine Aufführung, seinen guten Namen),
der soll zur Strafe sogar vier Liespfund Wachs bezahlen, und noch höher ist
die Strafe für den, der den anderen schlägt. -- In der Schraa der
großen Gilde in Neval ist bestimmt: "So jemand aus Zorn mit Bier über¬
gössen wird, der Täter soll jedes Mal büßen eine Mark. Ruft jemand, wenn
der Oldermann die Glocke zieht, und fällt ihm in das Wort, der soll allemal
büßen eine Mark lötigen Silbers".

Die Gilden der jungen Patrizier, der sogenannten Schwarzenhäupter, die sich in
Riga, Neval und Goldingen nachweisen lassen, aber auch wohl in anderen
Orten bestanden, stimmen in manchen Bestimmungen mit den oben genannten
Gilden überein, aber in anderen unterscheiden sie sich von ihnen. Das ist
auch ganz natürlich, denn sie waren eben Vereinigungen der jüngeren Patrizier
oder Junker, wie wir diese auch in den innerdeutschen Städten jener Zeit
finden. -- Zunächst sind die Anordnungen über das äußere Verhalten in den


Deutsches Bürgerleben der Gstsecprovinzen

Nacht. Wer sich nicht an dem sckapkar genügen IM, der soll eine halbe
Tonne Bier geben."

Gewiß werden bei dem seßhaften Trinken und der damit verbundenen
Aufwallung der Leidenschaften manche Gewalttaten vorgekommen sein. Daher
werden bestimmte Strafen dafür festgesetzt, wenn jemand seinen Zinnkrug an
eines anderen Kopf schlägt und den Krug dabei verdenke. Darauf kommen
wir bei den Gilden der Kaufleute und der jungen Patrizier näher zu sprechen,
zu deren Schilderung ich jetzt übergehe.

Im Jahre 1354 wurde die Schraa der Gesellschaft der Kaufleute
in Riga erlassen, und diese wird die allgemeine Kompagnie „beides der
Gäste und der Bürger" genannt. Dieser Name hat seine Geschichte.
Ursprünglich bildeten die Kaufleute von Soest, Münster und Lübeck
in Riga eigene Gilden und hatten ihre eigene militärische Organisation
als Gäste d. h. Fremde. Sie kämpften bis zum Jahre 1232 unter einer
besonderen Fahne neben den Bürgern in den Kriegen, die von der Stadt ge¬
führt werden mußten, und hatten sozusagen ein Hansakontor, wie die hanseati¬
schen Kaufleute in Nowgard und Bergen. Hier in Riga, an der Seite einer
deutschen Bürgerschaft, mußten sie im Laufe der Zeit mit dieser verschmelzen,
und dieser Vorgang tritt deutlich auch in der gemeinsamen Gilde zu Tage.
Sie hat den Namen bekommen: de Hof de Kumpanei van den kopluden.
Auch hier wird auf äußere Ehrbarkeit und auf Wahrung des deutschen Volks-
tums gehalten. Keiner soll einen Gast bitten zu trinken, wenn er nicht weiß,
daß er ein guter Knappe sei, bei einem halben Liespfund Wachs. Kein
Knecht darf in der Türe stehen bei einer Mark Strafe. Keiner soll einen Gast
in die Kompagnie bitten, der für Lohn dient, bei einem halben Liespfund
Wachs. Gegenseitige Beleidigungen sind strenge verpönt. Wer mit zornigem
Mute dem andern böse Worte gibt, wie Schalk u. tgi., der soll daS mit
einer halben Mark Silber büßen. Wer „Dieb" sagt, was an seine Ehre
geht und an seine ours (wohl an seine Aufführung, seinen guten Namen),
der soll zur Strafe sogar vier Liespfund Wachs bezahlen, und noch höher ist
die Strafe für den, der den anderen schlägt. — In der Schraa der
großen Gilde in Neval ist bestimmt: „So jemand aus Zorn mit Bier über¬
gössen wird, der Täter soll jedes Mal büßen eine Mark. Ruft jemand, wenn
der Oldermann die Glocke zieht, und fällt ihm in das Wort, der soll allemal
büßen eine Mark lötigen Silbers".

Die Gilden der jungen Patrizier, der sogenannten Schwarzenhäupter, die sich in
Riga, Neval und Goldingen nachweisen lassen, aber auch wohl in anderen
Orten bestanden, stimmen in manchen Bestimmungen mit den oben genannten
Gilden überein, aber in anderen unterscheiden sie sich von ihnen. Das ist
auch ganz natürlich, denn sie waren eben Vereinigungen der jüngeren Patrizier
oder Junker, wie wir diese auch in den innerdeutschen Städten jener Zeit
finden. — Zunächst sind die Anordnungen über das äußere Verhalten in den


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[0099] Deutsches Bürgerleben der Gstsecprovinzen Nacht. Wer sich nicht an dem sckapkar genügen IM, der soll eine halbe Tonne Bier geben." Gewiß werden bei dem seßhaften Trinken und der damit verbundenen Aufwallung der Leidenschaften manche Gewalttaten vorgekommen sein. Daher werden bestimmte Strafen dafür festgesetzt, wenn jemand seinen Zinnkrug an eines anderen Kopf schlägt und den Krug dabei verdenke. Darauf kommen wir bei den Gilden der Kaufleute und der jungen Patrizier näher zu sprechen, zu deren Schilderung ich jetzt übergehe. Im Jahre 1354 wurde die Schraa der Gesellschaft der Kaufleute in Riga erlassen, und diese wird die allgemeine Kompagnie „beides der Gäste und der Bürger" genannt. Dieser Name hat seine Geschichte. Ursprünglich bildeten die Kaufleute von Soest, Münster und Lübeck in Riga eigene Gilden und hatten ihre eigene militärische Organisation als Gäste d. h. Fremde. Sie kämpften bis zum Jahre 1232 unter einer besonderen Fahne neben den Bürgern in den Kriegen, die von der Stadt ge¬ führt werden mußten, und hatten sozusagen ein Hansakontor, wie die hanseati¬ schen Kaufleute in Nowgard und Bergen. Hier in Riga, an der Seite einer deutschen Bürgerschaft, mußten sie im Laufe der Zeit mit dieser verschmelzen, und dieser Vorgang tritt deutlich auch in der gemeinsamen Gilde zu Tage. Sie hat den Namen bekommen: de Hof de Kumpanei van den kopluden. Auch hier wird auf äußere Ehrbarkeit und auf Wahrung des deutschen Volks- tums gehalten. Keiner soll einen Gast bitten zu trinken, wenn er nicht weiß, daß er ein guter Knappe sei, bei einem halben Liespfund Wachs. Kein Knecht darf in der Türe stehen bei einer Mark Strafe. Keiner soll einen Gast in die Kompagnie bitten, der für Lohn dient, bei einem halben Liespfund Wachs. Gegenseitige Beleidigungen sind strenge verpönt. Wer mit zornigem Mute dem andern böse Worte gibt, wie Schalk u. tgi., der soll daS mit einer halben Mark Silber büßen. Wer „Dieb" sagt, was an seine Ehre geht und an seine ours (wohl an seine Aufführung, seinen guten Namen), der soll zur Strafe sogar vier Liespfund Wachs bezahlen, und noch höher ist die Strafe für den, der den anderen schlägt. — In der Schraa der großen Gilde in Neval ist bestimmt: „So jemand aus Zorn mit Bier über¬ gössen wird, der Täter soll jedes Mal büßen eine Mark. Ruft jemand, wenn der Oldermann die Glocke zieht, und fällt ihm in das Wort, der soll allemal büßen eine Mark lötigen Silbers". Die Gilden der jungen Patrizier, der sogenannten Schwarzenhäupter, die sich in Riga, Neval und Goldingen nachweisen lassen, aber auch wohl in anderen Orten bestanden, stimmen in manchen Bestimmungen mit den oben genannten Gilden überein, aber in anderen unterscheiden sie sich von ihnen. Das ist auch ganz natürlich, denn sie waren eben Vereinigungen der jüngeren Patrizier oder Junker, wie wir diese auch in den innerdeutschen Städten jener Zeit finden. — Zunächst sind die Anordnungen über das äußere Verhalten in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/99>, abgerufen am 29.06.2024.