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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Deutsches Bürgerleben der Vstsccxrovinzen

schaft eine Redlichkeit und Schraae geben wollten." Wenn wir hier von
den technischen Einzelheiten, in denen sich die verschiedenen Handwerke von¬
einander unterscheiden, absehen, so ist allgemein das erste Erfordernis für
den Eintritt in die Gilde Wohlanständigkeit und Zugehörigkeit zur deutschen
Nation; so heißt es noch in der schon erwähnten Urkunde vom Jahre 1438 im
§ 8 der Brauergesellschaft: "Niemand soll in die Gesellschaft aufgenommen
werden, er sei denn der Gesellschaft würdig und sei ein deutscher Mann und
habe eines guten deutschen Mannes Kind zur Frau."

Der Eintritt in die Gilde war mit besonderen Kosten verbunden. Eine
Bestimmung der Schraaen für die Fuhrleute in Neval lautet folgendermaßen:
"Wer die Kompagnie gewinnen will, soll fünf Mark ausgeben und zwölf
Schillinge zu Wachsgelb (d. h. zu Wachskerzen in der Kirche) und drei Tonnen
Bier und eine Kost mit allem Zubehör den ehrbaren Herrn aus dem Rate
und die uns aus dem Rate als Beisitzer gesetzt sind und der Kompagnie."
Wir finden auch schon in den Gilden die erste Form unserer Krankenkassen,
wenn es in einer Schraae der Schmiedegesellen heißt: In Krankheitsfällen soll
man erst eine Kräuterfrau stellen; wenn einer aber längere Zeit kränkelt, soll
man ihm leihen einen halben Vierding, das sind ungefähr zehn Mark heutigen
Geldes, aus der Büchse, die er ersetzen muß, wenn er gesund ist. Stirbt er
aber, dann soll die Summe aus dem Nachlaß gewonnen werden. Ist er noch
länger krank, dann soll jeder ihm einen Artig, das sind ungefähr 30 Pfennige,
zu seiner Notdurft geben, und wenn er auch dann nicht besser wird, dann sollen
die Herren vom Rate gebeten werden, daß er kommt in den Heiligen Geist in
das Haus ebenda d. h. das Krankenhaus.

Allgemein gültig sind die Bestimmungen über ein ruhiges, gesittetes Verhalten
in. der Gildestübe. So heißt es in der erwähnten Schraae der Schmiedegesellen:
"Vergießt ein Bruder also viel Bier, daß man es nicht mit dem Fuße bedecken
kann, der soll das büßen mit einer Mark Wachs. Und trinkt ein Bruder
mehr, als ihm wohl bekommt, in dem Gildehause, das besehen wird von zwei
Brüdern aus unserer Kompagnie, der soll das büßen mit drei Mark Wachs.
Auf der Straße ist es seine eigne Schande. Ferner soll niemand würfeln in
unserer Kompagnie bei einem halben Liespfund Strafe und käme es vor, daß
jemand seine Kleider verwürfelte oder vertauschte oder in schlechten Häusern
schliefe in "hilgen eiden" (heiligen Stunden), wird er dessen von zwei unserer
Brüder überführt, der soll der Kompagnie eine Tonne Bier geben."

An der Spitze der Gilde stand ein Oldermann, der durch verschiedene
Bestimmungen in der Wahrung seiner Würde als Vorsitzender und als
Hüter der Ordnung unterstützt wurde. Ohne seine Zustimmung darf nicht
gesungen werden. Er hat allein das Recht, die amtliche Sitzung und die Ge¬
selligkeit zu schließen. Wenn er das Ende bestimmt, oder, wie es einmal
heißt, das 8eKaMar fallen läßt, ein Ausdruck, der noch nicht erklärt ist, dann
sollen das die Brüder mit Fröhlichkeit trinken und gehen damit zu guter


Deutsches Bürgerleben der Vstsccxrovinzen

schaft eine Redlichkeit und Schraae geben wollten." Wenn wir hier von
den technischen Einzelheiten, in denen sich die verschiedenen Handwerke von¬
einander unterscheiden, absehen, so ist allgemein das erste Erfordernis für
den Eintritt in die Gilde Wohlanständigkeit und Zugehörigkeit zur deutschen
Nation; so heißt es noch in der schon erwähnten Urkunde vom Jahre 1438 im
§ 8 der Brauergesellschaft: „Niemand soll in die Gesellschaft aufgenommen
werden, er sei denn der Gesellschaft würdig und sei ein deutscher Mann und
habe eines guten deutschen Mannes Kind zur Frau."

Der Eintritt in die Gilde war mit besonderen Kosten verbunden. Eine
Bestimmung der Schraaen für die Fuhrleute in Neval lautet folgendermaßen:
„Wer die Kompagnie gewinnen will, soll fünf Mark ausgeben und zwölf
Schillinge zu Wachsgelb (d. h. zu Wachskerzen in der Kirche) und drei Tonnen
Bier und eine Kost mit allem Zubehör den ehrbaren Herrn aus dem Rate
und die uns aus dem Rate als Beisitzer gesetzt sind und der Kompagnie."
Wir finden auch schon in den Gilden die erste Form unserer Krankenkassen,
wenn es in einer Schraae der Schmiedegesellen heißt: In Krankheitsfällen soll
man erst eine Kräuterfrau stellen; wenn einer aber längere Zeit kränkelt, soll
man ihm leihen einen halben Vierding, das sind ungefähr zehn Mark heutigen
Geldes, aus der Büchse, die er ersetzen muß, wenn er gesund ist. Stirbt er
aber, dann soll die Summe aus dem Nachlaß gewonnen werden. Ist er noch
länger krank, dann soll jeder ihm einen Artig, das sind ungefähr 30 Pfennige,
zu seiner Notdurft geben, und wenn er auch dann nicht besser wird, dann sollen
die Herren vom Rate gebeten werden, daß er kommt in den Heiligen Geist in
das Haus ebenda d. h. das Krankenhaus.

Allgemein gültig sind die Bestimmungen über ein ruhiges, gesittetes Verhalten
in. der Gildestübe. So heißt es in der erwähnten Schraae der Schmiedegesellen:
„Vergießt ein Bruder also viel Bier, daß man es nicht mit dem Fuße bedecken
kann, der soll das büßen mit einer Mark Wachs. Und trinkt ein Bruder
mehr, als ihm wohl bekommt, in dem Gildehause, das besehen wird von zwei
Brüdern aus unserer Kompagnie, der soll das büßen mit drei Mark Wachs.
Auf der Straße ist es seine eigne Schande. Ferner soll niemand würfeln in
unserer Kompagnie bei einem halben Liespfund Strafe und käme es vor, daß
jemand seine Kleider verwürfelte oder vertauschte oder in schlechten Häusern
schliefe in „hilgen eiden" (heiligen Stunden), wird er dessen von zwei unserer
Brüder überführt, der soll der Kompagnie eine Tonne Bier geben."

An der Spitze der Gilde stand ein Oldermann, der durch verschiedene
Bestimmungen in der Wahrung seiner Würde als Vorsitzender und als
Hüter der Ordnung unterstützt wurde. Ohne seine Zustimmung darf nicht
gesungen werden. Er hat allein das Recht, die amtliche Sitzung und die Ge¬
selligkeit zu schließen. Wenn er das Ende bestimmt, oder, wie es einmal
heißt, das 8eKaMar fallen läßt, ein Ausdruck, der noch nicht erklärt ist, dann
sollen das die Brüder mit Fröhlichkeit trinken und gehen damit zu guter


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[0098] Deutsches Bürgerleben der Vstsccxrovinzen schaft eine Redlichkeit und Schraae geben wollten." Wenn wir hier von den technischen Einzelheiten, in denen sich die verschiedenen Handwerke von¬ einander unterscheiden, absehen, so ist allgemein das erste Erfordernis für den Eintritt in die Gilde Wohlanständigkeit und Zugehörigkeit zur deutschen Nation; so heißt es noch in der schon erwähnten Urkunde vom Jahre 1438 im § 8 der Brauergesellschaft: „Niemand soll in die Gesellschaft aufgenommen werden, er sei denn der Gesellschaft würdig und sei ein deutscher Mann und habe eines guten deutschen Mannes Kind zur Frau." Der Eintritt in die Gilde war mit besonderen Kosten verbunden. Eine Bestimmung der Schraaen für die Fuhrleute in Neval lautet folgendermaßen: „Wer die Kompagnie gewinnen will, soll fünf Mark ausgeben und zwölf Schillinge zu Wachsgelb (d. h. zu Wachskerzen in der Kirche) und drei Tonnen Bier und eine Kost mit allem Zubehör den ehrbaren Herrn aus dem Rate und die uns aus dem Rate als Beisitzer gesetzt sind und der Kompagnie." Wir finden auch schon in den Gilden die erste Form unserer Krankenkassen, wenn es in einer Schraae der Schmiedegesellen heißt: In Krankheitsfällen soll man erst eine Kräuterfrau stellen; wenn einer aber längere Zeit kränkelt, soll man ihm leihen einen halben Vierding, das sind ungefähr zehn Mark heutigen Geldes, aus der Büchse, die er ersetzen muß, wenn er gesund ist. Stirbt er aber, dann soll die Summe aus dem Nachlaß gewonnen werden. Ist er noch länger krank, dann soll jeder ihm einen Artig, das sind ungefähr 30 Pfennige, zu seiner Notdurft geben, und wenn er auch dann nicht besser wird, dann sollen die Herren vom Rate gebeten werden, daß er kommt in den Heiligen Geist in das Haus ebenda d. h. das Krankenhaus. Allgemein gültig sind die Bestimmungen über ein ruhiges, gesittetes Verhalten in. der Gildestübe. So heißt es in der erwähnten Schraae der Schmiedegesellen: „Vergießt ein Bruder also viel Bier, daß man es nicht mit dem Fuße bedecken kann, der soll das büßen mit einer Mark Wachs. Und trinkt ein Bruder mehr, als ihm wohl bekommt, in dem Gildehause, das besehen wird von zwei Brüdern aus unserer Kompagnie, der soll das büßen mit drei Mark Wachs. Auf der Straße ist es seine eigne Schande. Ferner soll niemand würfeln in unserer Kompagnie bei einem halben Liespfund Strafe und käme es vor, daß jemand seine Kleider verwürfelte oder vertauschte oder in schlechten Häusern schliefe in „hilgen eiden" (heiligen Stunden), wird er dessen von zwei unserer Brüder überführt, der soll der Kompagnie eine Tonne Bier geben." An der Spitze der Gilde stand ein Oldermann, der durch verschiedene Bestimmungen in der Wahrung seiner Würde als Vorsitzender und als Hüter der Ordnung unterstützt wurde. Ohne seine Zustimmung darf nicht gesungen werden. Er hat allein das Recht, die amtliche Sitzung und die Ge¬ selligkeit zu schließen. Wenn er das Ende bestimmt, oder, wie es einmal heißt, das 8eKaMar fallen läßt, ein Ausdruck, der noch nicht erklärt ist, dann sollen das die Brüder mit Fröhlichkeit trinken und gehen damit zu guter

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/98>, abgerufen am 26.06.2024.