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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Deutsches Bürgerleben der Vstseeprovinzen

Versammlungen noch eingehender und strenger. Zu beachten ist, daß der Ein¬
tritt niemanden gestattet wurde, der um Lohn diente oder ein Undeutscher
war, ausgenommen die Goldschmiedegesellen und die Schiffsleute. Wer einen
Hund in die Stube einläßt und nicht sofort hinausjagt, bezahlt einen Pfennig.
Gegen das Schneiden in die Tische und das Verschrammen der Tischplatten
wird kurz und bündig der Satz aufgestellt: "So manche Schramme, so manchen
Pfennig; so manchen Spahn, so manchen Pfennig. Wenn einer ein Glas
Bier ohne Erlaubnis verschenkt oder so viel Bier vergießt, als er mit der
Hand und dem Fuß nicht bedecken kann, bezahlt einen Taler, ebensoviel, wer
während der Kollation schläft, daß man ihm dreimal vergeblich zutrinkt."
Kollation oder None scheint die Morgensprache zu sein und um neun Uhr
morgens stattgefunden zu haben. Wer da Nägel abschneidet oder ein Licht
auftut, bezahlt einen Taler.

Es scheint in dieserKollation ein recht kräftiger Trinkzwang ausgeübt worden zu
sein, aber diesem kann entgehen, wer nicht Lust hat zu trinken. Ein solcher
darf hinter der None kommen, bei einem besonderen Tische sitzen und sich den
Jungen schenken lassen, soviel ihm beliebt. Das ist jedermann frei. standes¬
gemäß ist. daß hier bei Streitigkeiten die blanke Waffe eine Rolle spielt. Daher
schreibt sich die Bestimmung: "Wenn einer den Degen oder die Wehre entblößt
(blotet) oder zu den Waffen ruft, bezahlt einen Taler." Aber im Jähzorn
ließ sich auch wohl ein junger Patrizier zum Werfen mit einem Glase hin¬
reißen. Auch dagegen findet sich eine strenge Satzung.

Den Vorsitz scheinen hier sogenannte Vögte geführt zu haben, denn in einer
Bestimmung heißt es: "Wenn sich einer in der Stube unbillig hält mit Worten
oder Werken, so sollen die Vögte oder deren Stellvertreter ausklopfen und ver¬
bieten Unlust zum ersten Male, zum zweiten Male und zum dritten Male. Will
er es sich dann nicht sagen lassen, so soll man Lukas. Marcus, Matthäus und
Johannes ansprechen, ihn zu strafen."

Besonders glänzend wurde in diesen Gilden Fastnacht gefeiert. "Den
Fastabendstrunk soll man trinken vom Mittwoch vor Fastabend an, und des
ersten Sonntags in der Fasten soll er aus sein. Die vier Tage, dieweil usu
hier tanzt mit Frauen und Jungfrauen, soll man keinen Gast einführen, wenn
nicht etwa fremde Gesellen von draußen hereinkommen." In Dorpat kauften,
wie eine Urkunde uns mitteilt, im Jahre 1445 die Schwarzhüupter zu ihrer
Kleidung "in der Schoduvelschop" d. h. zum Maskenfest (Schauteufel ist ein
Maskierter) vier Ballen blauen Tuches.

Aber auch die Pflichten gegen die Kirche wurden nicht vergessen, wenn die
ernste Fastenzeit angebrochen war. Gerade dann wurden vielfach Vigilien und
Seelenmessen gefeiert für die verstorbenen Gildenbrüder, und aus bestimmten
Stiftungen wurden die Mittel dazu bestritten. So sollen in Goldingen Vigilien
am Freitag zu Fastelabend und Seelenmessen am Sonnabend darauf gehalten
werden. Die Schäffer sollen drei Lichte dazu machen lassen und sollen Frauen


Deutsches Bürgerleben der Vstseeprovinzen

Versammlungen noch eingehender und strenger. Zu beachten ist, daß der Ein¬
tritt niemanden gestattet wurde, der um Lohn diente oder ein Undeutscher
war, ausgenommen die Goldschmiedegesellen und die Schiffsleute. Wer einen
Hund in die Stube einläßt und nicht sofort hinausjagt, bezahlt einen Pfennig.
Gegen das Schneiden in die Tische und das Verschrammen der Tischplatten
wird kurz und bündig der Satz aufgestellt: „So manche Schramme, so manchen
Pfennig; so manchen Spahn, so manchen Pfennig. Wenn einer ein Glas
Bier ohne Erlaubnis verschenkt oder so viel Bier vergießt, als er mit der
Hand und dem Fuß nicht bedecken kann, bezahlt einen Taler, ebensoviel, wer
während der Kollation schläft, daß man ihm dreimal vergeblich zutrinkt."
Kollation oder None scheint die Morgensprache zu sein und um neun Uhr
morgens stattgefunden zu haben. Wer da Nägel abschneidet oder ein Licht
auftut, bezahlt einen Taler.

Es scheint in dieserKollation ein recht kräftiger Trinkzwang ausgeübt worden zu
sein, aber diesem kann entgehen, wer nicht Lust hat zu trinken. Ein solcher
darf hinter der None kommen, bei einem besonderen Tische sitzen und sich den
Jungen schenken lassen, soviel ihm beliebt. Das ist jedermann frei. standes¬
gemäß ist. daß hier bei Streitigkeiten die blanke Waffe eine Rolle spielt. Daher
schreibt sich die Bestimmung: „Wenn einer den Degen oder die Wehre entblößt
(blotet) oder zu den Waffen ruft, bezahlt einen Taler." Aber im Jähzorn
ließ sich auch wohl ein junger Patrizier zum Werfen mit einem Glase hin¬
reißen. Auch dagegen findet sich eine strenge Satzung.

Den Vorsitz scheinen hier sogenannte Vögte geführt zu haben, denn in einer
Bestimmung heißt es: „Wenn sich einer in der Stube unbillig hält mit Worten
oder Werken, so sollen die Vögte oder deren Stellvertreter ausklopfen und ver¬
bieten Unlust zum ersten Male, zum zweiten Male und zum dritten Male. Will
er es sich dann nicht sagen lassen, so soll man Lukas. Marcus, Matthäus und
Johannes ansprechen, ihn zu strafen."

Besonders glänzend wurde in diesen Gilden Fastnacht gefeiert. „Den
Fastabendstrunk soll man trinken vom Mittwoch vor Fastabend an, und des
ersten Sonntags in der Fasten soll er aus sein. Die vier Tage, dieweil usu
hier tanzt mit Frauen und Jungfrauen, soll man keinen Gast einführen, wenn
nicht etwa fremde Gesellen von draußen hereinkommen." In Dorpat kauften,
wie eine Urkunde uns mitteilt, im Jahre 1445 die Schwarzhüupter zu ihrer
Kleidung „in der Schoduvelschop" d. h. zum Maskenfest (Schauteufel ist ein
Maskierter) vier Ballen blauen Tuches.

Aber auch die Pflichten gegen die Kirche wurden nicht vergessen, wenn die
ernste Fastenzeit angebrochen war. Gerade dann wurden vielfach Vigilien und
Seelenmessen gefeiert für die verstorbenen Gildenbrüder, und aus bestimmten
Stiftungen wurden die Mittel dazu bestritten. So sollen in Goldingen Vigilien
am Freitag zu Fastelabend und Seelenmessen am Sonnabend darauf gehalten
werden. Die Schäffer sollen drei Lichte dazu machen lassen und sollen Frauen


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[0100] Deutsches Bürgerleben der Vstseeprovinzen Versammlungen noch eingehender und strenger. Zu beachten ist, daß der Ein¬ tritt niemanden gestattet wurde, der um Lohn diente oder ein Undeutscher war, ausgenommen die Goldschmiedegesellen und die Schiffsleute. Wer einen Hund in die Stube einläßt und nicht sofort hinausjagt, bezahlt einen Pfennig. Gegen das Schneiden in die Tische und das Verschrammen der Tischplatten wird kurz und bündig der Satz aufgestellt: „So manche Schramme, so manchen Pfennig; so manchen Spahn, so manchen Pfennig. Wenn einer ein Glas Bier ohne Erlaubnis verschenkt oder so viel Bier vergießt, als er mit der Hand und dem Fuß nicht bedecken kann, bezahlt einen Taler, ebensoviel, wer während der Kollation schläft, daß man ihm dreimal vergeblich zutrinkt." Kollation oder None scheint die Morgensprache zu sein und um neun Uhr morgens stattgefunden zu haben. Wer da Nägel abschneidet oder ein Licht auftut, bezahlt einen Taler. Es scheint in dieserKollation ein recht kräftiger Trinkzwang ausgeübt worden zu sein, aber diesem kann entgehen, wer nicht Lust hat zu trinken. Ein solcher darf hinter der None kommen, bei einem besonderen Tische sitzen und sich den Jungen schenken lassen, soviel ihm beliebt. Das ist jedermann frei. standes¬ gemäß ist. daß hier bei Streitigkeiten die blanke Waffe eine Rolle spielt. Daher schreibt sich die Bestimmung: „Wenn einer den Degen oder die Wehre entblößt (blotet) oder zu den Waffen ruft, bezahlt einen Taler." Aber im Jähzorn ließ sich auch wohl ein junger Patrizier zum Werfen mit einem Glase hin¬ reißen. Auch dagegen findet sich eine strenge Satzung. Den Vorsitz scheinen hier sogenannte Vögte geführt zu haben, denn in einer Bestimmung heißt es: „Wenn sich einer in der Stube unbillig hält mit Worten oder Werken, so sollen die Vögte oder deren Stellvertreter ausklopfen und ver¬ bieten Unlust zum ersten Male, zum zweiten Male und zum dritten Male. Will er es sich dann nicht sagen lassen, so soll man Lukas. Marcus, Matthäus und Johannes ansprechen, ihn zu strafen." Besonders glänzend wurde in diesen Gilden Fastnacht gefeiert. „Den Fastabendstrunk soll man trinken vom Mittwoch vor Fastabend an, und des ersten Sonntags in der Fasten soll er aus sein. Die vier Tage, dieweil usu hier tanzt mit Frauen und Jungfrauen, soll man keinen Gast einführen, wenn nicht etwa fremde Gesellen von draußen hereinkommen." In Dorpat kauften, wie eine Urkunde uns mitteilt, im Jahre 1445 die Schwarzhüupter zu ihrer Kleidung „in der Schoduvelschop" d. h. zum Maskenfest (Schauteufel ist ein Maskierter) vier Ballen blauen Tuches. Aber auch die Pflichten gegen die Kirche wurden nicht vergessen, wenn die ernste Fastenzeit angebrochen war. Gerade dann wurden vielfach Vigilien und Seelenmessen gefeiert für die verstorbenen Gildenbrüder, und aus bestimmten Stiftungen wurden die Mittel dazu bestritten. So sollen in Goldingen Vigilien am Freitag zu Fastelabend und Seelenmessen am Sonnabend darauf gehalten werden. Die Schäffer sollen drei Lichte dazu machen lassen und sollen Frauen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/100>, abgerufen am 23.07.2024.