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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Poincarö, Frankreich und die Revanche

et 8ouvenir", jene beiden Worte und Ideen zugleich, die wie zwei Sterne
dem Nationalismus in Frankreich seit über vierzig Jahren voranleuchteten
und eine der großen Licht- und Kraftquellen der französischen Nation waren.

Bleibt das Gebiet der Instinkte, bleibt die Revanche als Trieb und die
inneren Beziehungen zwischen ihm und der bildungslosen Volksmasse.

Völker hätten ein schlechtes Gedächtnis, behauptet man. Beispiele aus
der politischen Geschichte sogar der neuesten Zeit scheinen dem Recht zu geben.
Man verweist auf die "entends coräiale". Aber der Schein trügt.

Diese Entente hat in Wirklichkeit jenes tiefe jahrhundertealte Mißtrauen
und jene instinktive Abneigung, die dem Durchschnittssranzosen seit seinen Vor¬
eltern England gegenüber im Blute sitzt, kaum zu mildern vermocht. Und
dies trotz bezahlter Presse, trotz ergebenheits- und freundschaftstriefender Reden
und trotz aller geschäftigen Freundschaftsreisen. Wie sollten wir uns da
wundern, wenn allem Deutschen gegenüber die Gefühle noch einige Grade
tiefer stehen? Wie konnten wir uns überhaupt je über diese Tatsache täuschenI
Wie konnten wir glauben, die Revanchegelüste seien im französischen Volke in
der Abnahme begriffenI Wenn Völker ein schlechtes Gedächtnis haben, so be¬
sitzen sie dafür um so bessere und stärkere Instinkte. Mit ganz instinktiver
Wucht bäumt sich die französische Seele gegen uns auf. Wir sind es gewesen,
die dieses Volk von seiner glanzvollen Höhe heruntergestoßen haben, wir haben
es in allem und jedem überflügelt, von uns hat die Welt täglich mehr geredet
in Neid und Sorge, wir haben Frankreich verdunkelt, ihm den Ruf des ersten
Kulturvolkes der Erde mit Erfolg streitig gemacht. Man muß den ganzen
Stolz des Galliers, seine ganze reizbare Empfindlichkeit, sein fast tragisches
Sehnen nach Geltung in der Welt, nach Geltendmachung wenigstens einer
geistigen Vorherrschaft kennen, man muß sich klar machen, wie brennend ein
Schwacher die Ursache seiner Schwachheit haßt, um zu erfassen, wie tief, wie
wild, wie besinnungslos der Haß der französischen Seele gegen den Deutschen
sein kann und oft auch ist. Kennen muß man auch den instinktiven Haß. den
der Franzose, wie jeder Romane, gegen alle über die Befriedigung des un¬
bedingten Lebensbedürfnisses hinausgehende Arbeitscmspammng, den er gegen
den Fleiß und die Energie des germanischen Deutschen im Blute sitzen hat,
kennen auch seinen von den verrücktesten und lächerlichsten Vorstellungen ge¬
tränkten Demokratenhaß und Demokratendünkel gegenüber dem monarchischen,
also -- das ist die gegebene Logik der Franzosen -- "barbarischen" Deutschland.

Zeitweilig konnte es scheinen, als ob alles Vergangene vergessen, als ob
Deutscher und Franzose zur Freundschaft reif seien. Man konnte so glauben,
weil eben die führenden Männer Frankreichs alles daran setzten, den Volks"
instinkt zurückzubannen, das Volk auf andere Ziele zu lenken. Man ließ sich
täuschen. Der Wunsch war nur zu sehr auch hier der Vater des Gedankens.
Die tiefgreifende Wandlung, die das Land da drüben durchmachte, kam uns
nur unsicher zum Bewußtsein und erst spät wurde es uns klar, daß nicht ehr-


Poincarö, Frankreich und die Revanche

et 8ouvenir", jene beiden Worte und Ideen zugleich, die wie zwei Sterne
dem Nationalismus in Frankreich seit über vierzig Jahren voranleuchteten
und eine der großen Licht- und Kraftquellen der französischen Nation waren.

Bleibt das Gebiet der Instinkte, bleibt die Revanche als Trieb und die
inneren Beziehungen zwischen ihm und der bildungslosen Volksmasse.

Völker hätten ein schlechtes Gedächtnis, behauptet man. Beispiele aus
der politischen Geschichte sogar der neuesten Zeit scheinen dem Recht zu geben.
Man verweist auf die „entends coräiale". Aber der Schein trügt.

Diese Entente hat in Wirklichkeit jenes tiefe jahrhundertealte Mißtrauen
und jene instinktive Abneigung, die dem Durchschnittssranzosen seit seinen Vor¬
eltern England gegenüber im Blute sitzt, kaum zu mildern vermocht. Und
dies trotz bezahlter Presse, trotz ergebenheits- und freundschaftstriefender Reden
und trotz aller geschäftigen Freundschaftsreisen. Wie sollten wir uns da
wundern, wenn allem Deutschen gegenüber die Gefühle noch einige Grade
tiefer stehen? Wie konnten wir uns überhaupt je über diese Tatsache täuschenI
Wie konnten wir glauben, die Revanchegelüste seien im französischen Volke in
der Abnahme begriffenI Wenn Völker ein schlechtes Gedächtnis haben, so be¬
sitzen sie dafür um so bessere und stärkere Instinkte. Mit ganz instinktiver
Wucht bäumt sich die französische Seele gegen uns auf. Wir sind es gewesen,
die dieses Volk von seiner glanzvollen Höhe heruntergestoßen haben, wir haben
es in allem und jedem überflügelt, von uns hat die Welt täglich mehr geredet
in Neid und Sorge, wir haben Frankreich verdunkelt, ihm den Ruf des ersten
Kulturvolkes der Erde mit Erfolg streitig gemacht. Man muß den ganzen
Stolz des Galliers, seine ganze reizbare Empfindlichkeit, sein fast tragisches
Sehnen nach Geltung in der Welt, nach Geltendmachung wenigstens einer
geistigen Vorherrschaft kennen, man muß sich klar machen, wie brennend ein
Schwacher die Ursache seiner Schwachheit haßt, um zu erfassen, wie tief, wie
wild, wie besinnungslos der Haß der französischen Seele gegen den Deutschen
sein kann und oft auch ist. Kennen muß man auch den instinktiven Haß. den
der Franzose, wie jeder Romane, gegen alle über die Befriedigung des un¬
bedingten Lebensbedürfnisses hinausgehende Arbeitscmspammng, den er gegen
den Fleiß und die Energie des germanischen Deutschen im Blute sitzen hat,
kennen auch seinen von den verrücktesten und lächerlichsten Vorstellungen ge¬
tränkten Demokratenhaß und Demokratendünkel gegenüber dem monarchischen,
also — das ist die gegebene Logik der Franzosen — „barbarischen" Deutschland.

Zeitweilig konnte es scheinen, als ob alles Vergangene vergessen, als ob
Deutscher und Franzose zur Freundschaft reif seien. Man konnte so glauben,
weil eben die führenden Männer Frankreichs alles daran setzten, den Volks»
instinkt zurückzubannen, das Volk auf andere Ziele zu lenken. Man ließ sich
täuschen. Der Wunsch war nur zu sehr auch hier der Vater des Gedankens.
Die tiefgreifende Wandlung, die das Land da drüben durchmachte, kam uns
nur unsicher zum Bewußtsein und erst spät wurde es uns klar, daß nicht ehr-


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[0084] Poincarö, Frankreich und die Revanche et 8ouvenir", jene beiden Worte und Ideen zugleich, die wie zwei Sterne dem Nationalismus in Frankreich seit über vierzig Jahren voranleuchteten und eine der großen Licht- und Kraftquellen der französischen Nation waren. Bleibt das Gebiet der Instinkte, bleibt die Revanche als Trieb und die inneren Beziehungen zwischen ihm und der bildungslosen Volksmasse. Völker hätten ein schlechtes Gedächtnis, behauptet man. Beispiele aus der politischen Geschichte sogar der neuesten Zeit scheinen dem Recht zu geben. Man verweist auf die „entends coräiale". Aber der Schein trügt. Diese Entente hat in Wirklichkeit jenes tiefe jahrhundertealte Mißtrauen und jene instinktive Abneigung, die dem Durchschnittssranzosen seit seinen Vor¬ eltern England gegenüber im Blute sitzt, kaum zu mildern vermocht. Und dies trotz bezahlter Presse, trotz ergebenheits- und freundschaftstriefender Reden und trotz aller geschäftigen Freundschaftsreisen. Wie sollten wir uns da wundern, wenn allem Deutschen gegenüber die Gefühle noch einige Grade tiefer stehen? Wie konnten wir uns überhaupt je über diese Tatsache täuschenI Wie konnten wir glauben, die Revanchegelüste seien im französischen Volke in der Abnahme begriffenI Wenn Völker ein schlechtes Gedächtnis haben, so be¬ sitzen sie dafür um so bessere und stärkere Instinkte. Mit ganz instinktiver Wucht bäumt sich die französische Seele gegen uns auf. Wir sind es gewesen, die dieses Volk von seiner glanzvollen Höhe heruntergestoßen haben, wir haben es in allem und jedem überflügelt, von uns hat die Welt täglich mehr geredet in Neid und Sorge, wir haben Frankreich verdunkelt, ihm den Ruf des ersten Kulturvolkes der Erde mit Erfolg streitig gemacht. Man muß den ganzen Stolz des Galliers, seine ganze reizbare Empfindlichkeit, sein fast tragisches Sehnen nach Geltung in der Welt, nach Geltendmachung wenigstens einer geistigen Vorherrschaft kennen, man muß sich klar machen, wie brennend ein Schwacher die Ursache seiner Schwachheit haßt, um zu erfassen, wie tief, wie wild, wie besinnungslos der Haß der französischen Seele gegen den Deutschen sein kann und oft auch ist. Kennen muß man auch den instinktiven Haß. den der Franzose, wie jeder Romane, gegen alle über die Befriedigung des un¬ bedingten Lebensbedürfnisses hinausgehende Arbeitscmspammng, den er gegen den Fleiß und die Energie des germanischen Deutschen im Blute sitzen hat, kennen auch seinen von den verrücktesten und lächerlichsten Vorstellungen ge¬ tränkten Demokratenhaß und Demokratendünkel gegenüber dem monarchischen, also — das ist die gegebene Logik der Franzosen — „barbarischen" Deutschland. Zeitweilig konnte es scheinen, als ob alles Vergangene vergessen, als ob Deutscher und Franzose zur Freundschaft reif seien. Man konnte so glauben, weil eben die führenden Männer Frankreichs alles daran setzten, den Volks» instinkt zurückzubannen, das Volk auf andere Ziele zu lenken. Man ließ sich täuschen. Der Wunsch war nur zu sehr auch hier der Vater des Gedankens. Die tiefgreifende Wandlung, die das Land da drüben durchmachte, kam uns nur unsicher zum Bewußtsein und erst spät wurde es uns klar, daß nicht ehr-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/84>, abgerufen am 01.10.2024.