Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.Das Schicksal des Völkerrechts nach volkstümlicher Rechtskunde auf einem Gebiete dienen, das ihm bisher ent¬ Für alle drei Arbeiten ist charakteristisch, daß das Kriegsrecht einen breiten Allerdings wird der Krieg heute von vielen Völkerrechtlern als ein "Rechts¬ , Wie viele neue "Tatsachen" aber hat der Weltkrieg zutage gefördert! Der Das Schicksal des Völkerrechts nach volkstümlicher Rechtskunde auf einem Gebiete dienen, das ihm bisher ent¬ Für alle drei Arbeiten ist charakteristisch, daß das Kriegsrecht einen breiten Allerdings wird der Krieg heute von vielen Völkerrechtlern als ein „Rechts¬ , Wie viele neue „Tatsachen" aber hat der Weltkrieg zutage gefördert! Der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0072" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331044"/> <fw type="header" place="top"> Das Schicksal des Völkerrechts</fw><lb/> <p xml:id="ID_172" prev="#ID_171"> nach volkstümlicher Rechtskunde auf einem Gebiete dienen, das ihm bisher ent¬<lb/> zogen war. Triepel beschränkt sich in der Hauptsache auf einige Gesichtspunkte<lb/> im Rechte der internationalen Streitigkeiten und die Mittel zu ihrer Beilegung,<lb/> vor allem den Krieg. Eltzbacher verfolgt Wandlungen des Völkerrechts in der<lb/> Geschichte, insbesondere die Verschärfung der Kriege, die Hineinziehung der<lb/> Völker in den Krieg, erblickt die Vorstufen des „Völkerkriegs" in der englischen<lb/> Kriegführung und der Kontinentalsperre, hält das bisherige Kriegsrecht für tot,<lb/> nämlich im Weltkrieg erschlagen und stellt die neuen „Grundsätze des Völkerkriegs"<lb/> auf (wobei die zulässigen Kampfmittel gegen die bürgerliche Bevölkerung und die<lb/> Rechte der Neutralen vorzugsweise Beachtung finden), um schließlich in der „Nutz¬<lb/> anwendung" zum Ergebnis zu kommen: Das alte Völkerrecht bietet uns nur<lb/> eine Grundlage zu Klagen und Anklagen, deren Wirkungsloftgkeit wir nach¬<lb/> gerade erkannt haben sollten; das neue Völkerrecht gibt uns die Freiheit zu<lb/> eignem kraftvollen Handeln.</p><lb/> <p xml:id="ID_173"> Für alle drei Arbeiten ist charakteristisch, daß das Kriegsrecht einen breiten<lb/> Raum in ihnen einnimmt, ja daß sie fast ausschließlich kriegsrechtliche Normen<lb/> wiedergeben und zur Beweisführung heranziehen. Bornhak handelt davon<lb/> auf 39 von 102 Seiten, Eltzbacher auf 60 von 74, Triepel auf der Hälfte<lb/> von 30 Seiten, aber auch z. B. Seite 6 ff. Damit haben sie den für die<lb/> Gegenwart interessantesten und wichtigsten Teil des Völkerrechts unterstrichen.<lb/> Ob das aber ihre Beweise stärkt, möchte ich dahingestellt sein lassen.</p><lb/> <p xml:id="ID_174"> Allerdings wird der Krieg heute von vielen Völkerrechtlern als ein „Rechts¬<lb/> verhältnis" angeehen, das dient zwar als gewaltsames Mittel, völkerrechtliche<lb/> Ansprüche oder Wünsche zur Erfüllung zu bringen, aber nicht mehr als ein<lb/> willkürlicher und barbarischer Kampf, sondern ein in seinen Voraussetzungen,<lb/> seinen Gebräuchen und seinem Ende völkerrechtlich geregelter Kampf. Auch ich<lb/> habe in meinen „Grundzügen des Völkerrechts" (Leipzig, Gloeckner 1915, Seite<lb/> 126) die Rechtverhältnis-Theorie — wenigstens nicht abgelehnt, ich möchte<lb/> aber auf Grund der Erfahrungen im Weltkriege schon heute' an Stelle des<lb/> Wortes „Rechtsverhältnis" vorschlagen: Vom Rechte anerkanntes Tatsachen¬<lb/> verhältnis (juristisch der „Notwehr" vergleichbar). Liegt aber im Kriegsrecht<lb/> der Schwerpunkt auf den Tatsachen und nicht auf den Rechtssätzen, so ist das<lb/> Kriegsrecht ein wenig geeigneter Prüfstein für die Rechtsnatur, das Wesen,<lb/> die Wandlungen und die Zukunft des Völkerrechts.</p><lb/> <p xml:id="ID_175" next="#ID_176"> , Wie viele neue „Tatsachen" aber hat der Weltkrieg zutage gefördert! Der<lb/> Unterseeboot- und Luftkrieg, die zum Angriff bewaffneten Handelsdampfer, die<lb/> nicht wirksame Blockade, der Bomben-, Handgranaten- und Gaskrieg, die sinn¬<lb/> losen Luftangriffe auf unverteidigte Plätze ohne strategische Bedeutung sind<lb/> solche „Tatsachen". Sind sie als „Tatsachen" Kriegsrecht und damit Völker¬<lb/> recht geworden? Für den Unterseeboot-, Bomben- und Luftkrieg möchte man<lb/> die Frage bejahen. Ist aber der Gasangriff eine „Waffe"? Oder eine er¬<lb/> laubte „Kriegslist"? Wie steh: es mit den zum Überfall und Angriff be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0072]
Das Schicksal des Völkerrechts
nach volkstümlicher Rechtskunde auf einem Gebiete dienen, das ihm bisher ent¬
zogen war. Triepel beschränkt sich in der Hauptsache auf einige Gesichtspunkte
im Rechte der internationalen Streitigkeiten und die Mittel zu ihrer Beilegung,
vor allem den Krieg. Eltzbacher verfolgt Wandlungen des Völkerrechts in der
Geschichte, insbesondere die Verschärfung der Kriege, die Hineinziehung der
Völker in den Krieg, erblickt die Vorstufen des „Völkerkriegs" in der englischen
Kriegführung und der Kontinentalsperre, hält das bisherige Kriegsrecht für tot,
nämlich im Weltkrieg erschlagen und stellt die neuen „Grundsätze des Völkerkriegs"
auf (wobei die zulässigen Kampfmittel gegen die bürgerliche Bevölkerung und die
Rechte der Neutralen vorzugsweise Beachtung finden), um schließlich in der „Nutz¬
anwendung" zum Ergebnis zu kommen: Das alte Völkerrecht bietet uns nur
eine Grundlage zu Klagen und Anklagen, deren Wirkungsloftgkeit wir nach¬
gerade erkannt haben sollten; das neue Völkerrecht gibt uns die Freiheit zu
eignem kraftvollen Handeln.
Für alle drei Arbeiten ist charakteristisch, daß das Kriegsrecht einen breiten
Raum in ihnen einnimmt, ja daß sie fast ausschließlich kriegsrechtliche Normen
wiedergeben und zur Beweisführung heranziehen. Bornhak handelt davon
auf 39 von 102 Seiten, Eltzbacher auf 60 von 74, Triepel auf der Hälfte
von 30 Seiten, aber auch z. B. Seite 6 ff. Damit haben sie den für die
Gegenwart interessantesten und wichtigsten Teil des Völkerrechts unterstrichen.
Ob das aber ihre Beweise stärkt, möchte ich dahingestellt sein lassen.
Allerdings wird der Krieg heute von vielen Völkerrechtlern als ein „Rechts¬
verhältnis" angeehen, das dient zwar als gewaltsames Mittel, völkerrechtliche
Ansprüche oder Wünsche zur Erfüllung zu bringen, aber nicht mehr als ein
willkürlicher und barbarischer Kampf, sondern ein in seinen Voraussetzungen,
seinen Gebräuchen und seinem Ende völkerrechtlich geregelter Kampf. Auch ich
habe in meinen „Grundzügen des Völkerrechts" (Leipzig, Gloeckner 1915, Seite
126) die Rechtverhältnis-Theorie — wenigstens nicht abgelehnt, ich möchte
aber auf Grund der Erfahrungen im Weltkriege schon heute' an Stelle des
Wortes „Rechtsverhältnis" vorschlagen: Vom Rechte anerkanntes Tatsachen¬
verhältnis (juristisch der „Notwehr" vergleichbar). Liegt aber im Kriegsrecht
der Schwerpunkt auf den Tatsachen und nicht auf den Rechtssätzen, so ist das
Kriegsrecht ein wenig geeigneter Prüfstein für die Rechtsnatur, das Wesen,
die Wandlungen und die Zukunft des Völkerrechts.
, Wie viele neue „Tatsachen" aber hat der Weltkrieg zutage gefördert! Der
Unterseeboot- und Luftkrieg, die zum Angriff bewaffneten Handelsdampfer, die
nicht wirksame Blockade, der Bomben-, Handgranaten- und Gaskrieg, die sinn¬
losen Luftangriffe auf unverteidigte Plätze ohne strategische Bedeutung sind
solche „Tatsachen". Sind sie als „Tatsachen" Kriegsrecht und damit Völker¬
recht geworden? Für den Unterseeboot-, Bomben- und Luftkrieg möchte man
die Frage bejahen. Ist aber der Gasangriff eine „Waffe"? Oder eine er¬
laubte „Kriegslist"? Wie steh: es mit den zum Überfall und Angriff be-
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