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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Goethes häusliches Leben

abzuwickeln und dem Gatten eigene oder fremde Wünsche behutsam zu unter¬
breiten. Goethes Vertrauen zu ihren Fähigkeiten als Vermittlerin tritt aus
vielen brieflichen Äußerungen zutage, und Aufträge wie: "Wende alles, was
Du kannst, die nächsten acht Tage von mir ab, denn ich bin gerade jetzt in
der Arbeit so begriffen, wie ich sie seit einem Jahre nicht habe anfassen können.
Würde ich jetzo gestört, so wäre alles für mich verloren, was ich ganz nahe
vor mir sehe, und was in kurzer Zeit zu erreichen ist. Wie gesagt, mein
Kind, laß nur die nächsten acht Tage nichts an mich heran, was abzuhalten
ist," lesen wir mehr als einmal. Während seiner häufigen Abwesenheit in
Jena und Karlsbad, wo er offenbar erst die rechte Ruhe zum Schaffen fand,
dient sie ihm als Referentin für Theaterangelegenheiten, die nicht nur über die
Wirkung der Stücke, die Leistungen der Schauspieler, Intrigen und Krawatte, --
bei den Lauchstädter Aufführungen sogar über die Kasseneinnahmen -- ge¬
wissenhaft berichtet, sondern auch die Verbindung der Mitglieder mit dem Chef
aufrechterhält und ihm ihre mannigfachen Wünsche getreulich übermittelt. Da
bittet z. B. eine Theaternovize um die Erlaubnis, mit der Truppe nach Lauch-
städt gehen zu dürfen, und dann, als ihr dies bewilligt und sie bei Madame
Beck in Kost gegeben ist, um ein wöchentliches Taschengeld von vier Groschen;
"sie wäre doch nur noch ein Kind, und die Kinder hätten doch manchmal auch
außer Tischzeit Appetit." Ein andermal heißt es: "Die ganze Gesellschaft
vom Theater empfiehlt sich Deinem Andenken, besonders aber Denn, welcher
äußerte, daß, wenn Madame Teller sterben sollte, seine Frau in diesem Fach
aushelfen wollte, komische Alte habe sie schon mit Beifall gespielt. Und sie
wünscht weiter nichts, als, wenn Du zurückkommst, bei Dir einmal eine Probe
von dieser Art abzulegen." Aber Christiane greift gelegentlich auch mit Rat
und Tat in die Theaterangelegenheiten ein, so, wenn sie dem Gatten meldet:
"Den Tod der Madame Teller wirst Du wohl von Gemahl erfahren haben.
Madame Ackermann wird Dich wohl nun mit vielen Schreiben inkommodieren.
Aber zu einem Engagement wollte ich doch ja nicht raten; es ist doch besser,
Junge zu engagieren, da einige bei der Gesellschaft doch schon alt sind," oder
wenn sie sich mit berechtigtem Stolz ein wenig als Beschützerin unterdrückter
Talente aufspielt: "Es ist aber sehr gut, daß ich dieses Jahr wieder hier (in
Lauchstädt) war, denn ich habe vielerlei im Stillen für Lortzings würken können,
wo ich denn doch täglich mehr sehe, daß die gewissen Leuten nur ein Dorn im
Auge sind, und wovon ich Dir allerlei zu erzählen habe."

In ihrer Leidenschaft für das Theater, wie in der Bereitwilligkeit, für
andere Menschen, besonders für Schauspieler, ein gutes Wort einzulegen, zeigt
die kleine Frau Berührungspunkte mit Goethes Mutter, wie sich denn überhaupt
aus diesem Briefwechsel eine unleugbare Seelenverwandtschaft zwischen beiden
offenbart. Was Christianer dem Leser vor allem empfiehlt, ist ihr naiver
Humor. Sie. die zum Lesen nie Zeit und Geduld hatte, muß sich auch zum
Briefschreiben zwingen, und wir dürfen annehmen, daß ihre ausführlichen


Goethes häusliches Leben

abzuwickeln und dem Gatten eigene oder fremde Wünsche behutsam zu unter¬
breiten. Goethes Vertrauen zu ihren Fähigkeiten als Vermittlerin tritt aus
vielen brieflichen Äußerungen zutage, und Aufträge wie: „Wende alles, was
Du kannst, die nächsten acht Tage von mir ab, denn ich bin gerade jetzt in
der Arbeit so begriffen, wie ich sie seit einem Jahre nicht habe anfassen können.
Würde ich jetzo gestört, so wäre alles für mich verloren, was ich ganz nahe
vor mir sehe, und was in kurzer Zeit zu erreichen ist. Wie gesagt, mein
Kind, laß nur die nächsten acht Tage nichts an mich heran, was abzuhalten
ist," lesen wir mehr als einmal. Während seiner häufigen Abwesenheit in
Jena und Karlsbad, wo er offenbar erst die rechte Ruhe zum Schaffen fand,
dient sie ihm als Referentin für Theaterangelegenheiten, die nicht nur über die
Wirkung der Stücke, die Leistungen der Schauspieler, Intrigen und Krawatte, —
bei den Lauchstädter Aufführungen sogar über die Kasseneinnahmen — ge¬
wissenhaft berichtet, sondern auch die Verbindung der Mitglieder mit dem Chef
aufrechterhält und ihm ihre mannigfachen Wünsche getreulich übermittelt. Da
bittet z. B. eine Theaternovize um die Erlaubnis, mit der Truppe nach Lauch-
städt gehen zu dürfen, und dann, als ihr dies bewilligt und sie bei Madame
Beck in Kost gegeben ist, um ein wöchentliches Taschengeld von vier Groschen;
„sie wäre doch nur noch ein Kind, und die Kinder hätten doch manchmal auch
außer Tischzeit Appetit." Ein andermal heißt es: „Die ganze Gesellschaft
vom Theater empfiehlt sich Deinem Andenken, besonders aber Denn, welcher
äußerte, daß, wenn Madame Teller sterben sollte, seine Frau in diesem Fach
aushelfen wollte, komische Alte habe sie schon mit Beifall gespielt. Und sie
wünscht weiter nichts, als, wenn Du zurückkommst, bei Dir einmal eine Probe
von dieser Art abzulegen." Aber Christiane greift gelegentlich auch mit Rat
und Tat in die Theaterangelegenheiten ein, so, wenn sie dem Gatten meldet:
„Den Tod der Madame Teller wirst Du wohl von Gemahl erfahren haben.
Madame Ackermann wird Dich wohl nun mit vielen Schreiben inkommodieren.
Aber zu einem Engagement wollte ich doch ja nicht raten; es ist doch besser,
Junge zu engagieren, da einige bei der Gesellschaft doch schon alt sind," oder
wenn sie sich mit berechtigtem Stolz ein wenig als Beschützerin unterdrückter
Talente aufspielt: „Es ist aber sehr gut, daß ich dieses Jahr wieder hier (in
Lauchstädt) war, denn ich habe vielerlei im Stillen für Lortzings würken können,
wo ich denn doch täglich mehr sehe, daß die gewissen Leuten nur ein Dorn im
Auge sind, und wovon ich Dir allerlei zu erzählen habe."

In ihrer Leidenschaft für das Theater, wie in der Bereitwilligkeit, für
andere Menschen, besonders für Schauspieler, ein gutes Wort einzulegen, zeigt
die kleine Frau Berührungspunkte mit Goethes Mutter, wie sich denn überhaupt
aus diesem Briefwechsel eine unleugbare Seelenverwandtschaft zwischen beiden
offenbart. Was Christianer dem Leser vor allem empfiehlt, ist ihr naiver
Humor. Sie. die zum Lesen nie Zeit und Geduld hatte, muß sich auch zum
Briefschreiben zwingen, und wir dürfen annehmen, daß ihre ausführlichen


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[0065] Goethes häusliches Leben abzuwickeln und dem Gatten eigene oder fremde Wünsche behutsam zu unter¬ breiten. Goethes Vertrauen zu ihren Fähigkeiten als Vermittlerin tritt aus vielen brieflichen Äußerungen zutage, und Aufträge wie: „Wende alles, was Du kannst, die nächsten acht Tage von mir ab, denn ich bin gerade jetzt in der Arbeit so begriffen, wie ich sie seit einem Jahre nicht habe anfassen können. Würde ich jetzo gestört, so wäre alles für mich verloren, was ich ganz nahe vor mir sehe, und was in kurzer Zeit zu erreichen ist. Wie gesagt, mein Kind, laß nur die nächsten acht Tage nichts an mich heran, was abzuhalten ist," lesen wir mehr als einmal. Während seiner häufigen Abwesenheit in Jena und Karlsbad, wo er offenbar erst die rechte Ruhe zum Schaffen fand, dient sie ihm als Referentin für Theaterangelegenheiten, die nicht nur über die Wirkung der Stücke, die Leistungen der Schauspieler, Intrigen und Krawatte, — bei den Lauchstädter Aufführungen sogar über die Kasseneinnahmen — ge¬ wissenhaft berichtet, sondern auch die Verbindung der Mitglieder mit dem Chef aufrechterhält und ihm ihre mannigfachen Wünsche getreulich übermittelt. Da bittet z. B. eine Theaternovize um die Erlaubnis, mit der Truppe nach Lauch- städt gehen zu dürfen, und dann, als ihr dies bewilligt und sie bei Madame Beck in Kost gegeben ist, um ein wöchentliches Taschengeld von vier Groschen; „sie wäre doch nur noch ein Kind, und die Kinder hätten doch manchmal auch außer Tischzeit Appetit." Ein andermal heißt es: „Die ganze Gesellschaft vom Theater empfiehlt sich Deinem Andenken, besonders aber Denn, welcher äußerte, daß, wenn Madame Teller sterben sollte, seine Frau in diesem Fach aushelfen wollte, komische Alte habe sie schon mit Beifall gespielt. Und sie wünscht weiter nichts, als, wenn Du zurückkommst, bei Dir einmal eine Probe von dieser Art abzulegen." Aber Christiane greift gelegentlich auch mit Rat und Tat in die Theaterangelegenheiten ein, so, wenn sie dem Gatten meldet: „Den Tod der Madame Teller wirst Du wohl von Gemahl erfahren haben. Madame Ackermann wird Dich wohl nun mit vielen Schreiben inkommodieren. Aber zu einem Engagement wollte ich doch ja nicht raten; es ist doch besser, Junge zu engagieren, da einige bei der Gesellschaft doch schon alt sind," oder wenn sie sich mit berechtigtem Stolz ein wenig als Beschützerin unterdrückter Talente aufspielt: „Es ist aber sehr gut, daß ich dieses Jahr wieder hier (in Lauchstädt) war, denn ich habe vielerlei im Stillen für Lortzings würken können, wo ich denn doch täglich mehr sehe, daß die gewissen Leuten nur ein Dorn im Auge sind, und wovon ich Dir allerlei zu erzählen habe." In ihrer Leidenschaft für das Theater, wie in der Bereitwilligkeit, für andere Menschen, besonders für Schauspieler, ein gutes Wort einzulegen, zeigt die kleine Frau Berührungspunkte mit Goethes Mutter, wie sich denn überhaupt aus diesem Briefwechsel eine unleugbare Seelenverwandtschaft zwischen beiden offenbart. Was Christianer dem Leser vor allem empfiehlt, ist ihr naiver Humor. Sie. die zum Lesen nie Zeit und Geduld hatte, muß sich auch zum Briefschreiben zwingen, und wir dürfen annehmen, daß ihre ausführlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/65>, abgerufen am 23.07.2024.