Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.Goethes häusliches Leben überhebt sie mich aller Sorgen, hier lebt und webt sie; es ist ihr Königreich. Sogar Christianens Urteil scheint dem Dichter nicht so ganz gleichgültig Christiane war vor allem eine unermüdliche, treusorgende Hausfrau, jederzeit Goethes häusliches Leben überhebt sie mich aller Sorgen, hier lebt und webt sie; es ist ihr Königreich. Sogar Christianens Urteil scheint dem Dichter nicht so ganz gleichgültig Christiane war vor allem eine unermüdliche, treusorgende Hausfrau, jederzeit <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0064" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/331036"/> <fw type="header" place="top"> Goethes häusliches Leben</fw><lb/> <p xml:id="ID_151" prev="#ID_150"> überhebt sie mich aller Sorgen, hier lebt und webt sie; es ist ihr Königreich.<lb/> Dabei liebt sie Putz, Geselligkeit und geht gern ins Theater. Es fehlt ihr aber<lb/> nicht an einer Art von Kultur, die sie in meiner Gesellschaft und besonders im<lb/> Theater erlangt hat." Daß die beiden ersten Sätze starke Übertreibungen<lb/> enthalten, beweisen sowohl seine getreuen Berichte über das Fortschreiten seiner<lb/> Arbeiten wie ihre ermutigenden Worte, wenn es mit seinem Schaffen einmal<lb/> „nicht gehen will", vor allem aber Bemerkungen wie die folgenden: „Ich freu<lb/> mich recht, wenn Du wiederkommst, etwas von dem neuen Stück (.Natürliche<lb/> Tochter') zu hören", „Die Scene mit Egmont und Clärchen ist außerordentlich<lb/> gut gegangen, und ich und Caroline (ihre Freundin Caroline Ulrich) haben<lb/> uns an diesem Stück einmal wieder recht erbaut," oder endlich die drastische<lb/> Herzensergießuug: „Mit Deiner Arbeit ist es schön; was Du einmal gemacht<lb/> hast, bleibt ewig, aber mit uns armen Schindludern ist es ganz anders. Ich<lb/> hatte den Hausgarten sehr in Ordnung, gepflanzt und alles. In Einer Nacht<lb/> haben mir die Schnecken beinahe alles aufgefressen, meine schönen Gurken sind<lb/> fast alle weg, und ich muß wieder von vorne anfangen. . . Doch was hilft<lb/> es? ich will es wieder machen; man hat ja nichts ohne Mühe. Es soll mir<lb/> meinen guten Humor nicht verderben."</p><lb/> <p xml:id="ID_152"> Sogar Christianens Urteil scheint dem Dichter nicht so ganz gleichgültig<lb/> gewesen zu sein, wie hätte er ihr und ihrer Gesellschafterin sonst den eben<lb/> gedruckten ersten Teil der „Wahlverwandtschaften" unter der Bedingung senden<lb/> können, das Bändchen bei verschlossenen Türen zu lesen, niemand zu verraten,<lb/> daß sie es gelesen hätten, und bei der Rücksendung etwas über den empfangenen<lb/> Eindruck zu schreiben? Das bei Christianens Interesse an Goethes Arbeiten<lb/> die ökonomischen Rücksichten manchmal stärker waren als die ästhetischen,<lb/> erkennen wir aus dem Briefwechsel nicht ohne heiteres Behagen. Wer hätte je<lb/> daran gedacht, „Hermann und Dorothea" einmal in Verbindung mit Seife<lb/> erwähnt zu finden? Hier lesen wir: „Ich komme auch noch mit einer Bitte<lb/> bei Dir an: es steht mit meiner Seife schlecht, und hier ist sie wieder teuer<lb/> geworden. Ich dächte, wenn das Gedicht fertig wär, bekäme ich einen halben<lb/> Stein." Und Goethe, der den wirtschaftlichen Sinn seiner kleinen Hausgenossin<lb/> zu würdigen weiß und in diesem Punkt sogar von ihr gelernt zu haben bekennt<lb/> — „Hiermit, mein Liebchen, schicke ich Dir fünf leere Bouteillen und sogar die<lb/> Stöpsel dazu, damit Du stehst, daß ich ein gut Beispiel in der Haushaltung<lb/> nachzuahmen weiß" — geht liebevoll auf ihre kleinen Sorgen ein und schreibt<lb/> am 10. August 1807 tröstend aus dem teuern Karlsbad: „Übrigens bin ich<lb/> fleißig gewesen, habe viel diktiert und bringe gewiß für das Doppelte meiner<lb/> Ausgaben Manuskript zurück, an Romanen und kleinen Erzählungen".</p><lb/> <p xml:id="ID_153" next="#ID_154"> Christiane war vor allem eine unermüdliche, treusorgende Hausfrau, jederzeit<lb/> bemüht, das leibliche Wohl ihres „lieben Geheimrath" zu fördern. Sie war<lb/> aber auch eine geschickte Diplomatin, wenn es galt, ihm die zur Arbeit nötige<lb/> Ruhe zu sichern, in seiner Abwesenheit Beziehungen weiterzupflegen. Geschäfte</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0064]
Goethes häusliches Leben
überhebt sie mich aller Sorgen, hier lebt und webt sie; es ist ihr Königreich.
Dabei liebt sie Putz, Geselligkeit und geht gern ins Theater. Es fehlt ihr aber
nicht an einer Art von Kultur, die sie in meiner Gesellschaft und besonders im
Theater erlangt hat." Daß die beiden ersten Sätze starke Übertreibungen
enthalten, beweisen sowohl seine getreuen Berichte über das Fortschreiten seiner
Arbeiten wie ihre ermutigenden Worte, wenn es mit seinem Schaffen einmal
„nicht gehen will", vor allem aber Bemerkungen wie die folgenden: „Ich freu
mich recht, wenn Du wiederkommst, etwas von dem neuen Stück (.Natürliche
Tochter') zu hören", „Die Scene mit Egmont und Clärchen ist außerordentlich
gut gegangen, und ich und Caroline (ihre Freundin Caroline Ulrich) haben
uns an diesem Stück einmal wieder recht erbaut," oder endlich die drastische
Herzensergießuug: „Mit Deiner Arbeit ist es schön; was Du einmal gemacht
hast, bleibt ewig, aber mit uns armen Schindludern ist es ganz anders. Ich
hatte den Hausgarten sehr in Ordnung, gepflanzt und alles. In Einer Nacht
haben mir die Schnecken beinahe alles aufgefressen, meine schönen Gurken sind
fast alle weg, und ich muß wieder von vorne anfangen. . . Doch was hilft
es? ich will es wieder machen; man hat ja nichts ohne Mühe. Es soll mir
meinen guten Humor nicht verderben."
Sogar Christianens Urteil scheint dem Dichter nicht so ganz gleichgültig
gewesen zu sein, wie hätte er ihr und ihrer Gesellschafterin sonst den eben
gedruckten ersten Teil der „Wahlverwandtschaften" unter der Bedingung senden
können, das Bändchen bei verschlossenen Türen zu lesen, niemand zu verraten,
daß sie es gelesen hätten, und bei der Rücksendung etwas über den empfangenen
Eindruck zu schreiben? Das bei Christianens Interesse an Goethes Arbeiten
die ökonomischen Rücksichten manchmal stärker waren als die ästhetischen,
erkennen wir aus dem Briefwechsel nicht ohne heiteres Behagen. Wer hätte je
daran gedacht, „Hermann und Dorothea" einmal in Verbindung mit Seife
erwähnt zu finden? Hier lesen wir: „Ich komme auch noch mit einer Bitte
bei Dir an: es steht mit meiner Seife schlecht, und hier ist sie wieder teuer
geworden. Ich dächte, wenn das Gedicht fertig wär, bekäme ich einen halben
Stein." Und Goethe, der den wirtschaftlichen Sinn seiner kleinen Hausgenossin
zu würdigen weiß und in diesem Punkt sogar von ihr gelernt zu haben bekennt
— „Hiermit, mein Liebchen, schicke ich Dir fünf leere Bouteillen und sogar die
Stöpsel dazu, damit Du stehst, daß ich ein gut Beispiel in der Haushaltung
nachzuahmen weiß" — geht liebevoll auf ihre kleinen Sorgen ein und schreibt
am 10. August 1807 tröstend aus dem teuern Karlsbad: „Übrigens bin ich
fleißig gewesen, habe viel diktiert und bringe gewiß für das Doppelte meiner
Ausgaben Manuskript zurück, an Romanen und kleinen Erzählungen".
Christiane war vor allem eine unermüdliche, treusorgende Hausfrau, jederzeit
bemüht, das leibliche Wohl ihres „lieben Geheimrath" zu fördern. Sie war
aber auch eine geschickte Diplomatin, wenn es galt, ihm die zur Arbeit nötige
Ruhe zu sichern, in seiner Abwesenheit Beziehungen weiterzupflegen. Geschäfte
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