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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Goethes häusliches Leben

Berichte das größte Opfer gewesen sind, daß sie ihrem lieben Geheimrat
gebracht hat. Man hört sie förmlich erleichtert aufseufzen, wenn sie eine ihrer
Episteln mit den Worten schließt: "Heute ist mein Brief gewiß besser geschrieben,
denn ich habe mir sehr große Mühe gegeben. Es ist mir aber auch schon
zweimal schlimm geworden, und wär der Brief nicht an Dich, ich hätte schon
längst aufgehört." Ein andermal schließt sie, gewiß ebenfalls im Bewußtsein
treuer Pflichterfüllung: "Nun hoffe ich aber auch, daß mein Allersuperbester
auch ein Laubthälerchen an mich wenden wird, weil ich ein so großer tugend¬
hafter Schatz bin." Als ihr eine Reise in Aussicht steht, meint sie treuherzig:
"Gutes Wetter werden wir gewiß haben, denn ich bin sehr fromm gewesen",
und aus Lauchstädt meldet sie, um ihre Selbstüberwindung ins rechte Licht zu
rücken: "Es ist gut, daß Du nicht hier bist, denn es sind drei Putzhändlerinnen
hier; und wem: Du hier wärst, so würde gewiß allerlei gekauft. Ach Gott,
es sind gar zu schöne Sachen, ich sehe gar nicht hin", und ein andermal:
"Alsdann frühstückten wir zusammen auf dem Keller, wo viele Juden kamen;
es wurde sich aber sehr tugendhaft betragen und nichts gekauft". Einmal, in
ihrem letzten Lebensjahre, zeigt sie sich sogar als eine Tochter der klassizistischen
Zeit, wenn sie die Schweine, von denen sie vier Stück besitzt, die "Odussteischen
langnasigen Völker" nennt.

"Ich habe Dich lieb" --, dieses schlichte Bekenntnis, verbunden mit der
Bitte, sie in der Ferne nicht zu vergessen, kehrt in allen Briefen Christicmens
wieder. Einmal gibt sie mit dem kleinen August dem nach Jena Reisenden
bis Kötschau das Geleit. Am andern Tage meldet sie dann: "Stell Dir vor,
wie lieb Dich Deine beiden Hasen haben: wie Du in Kötschau von uns weg
warst, gingen wir raus und sahen auf dem Berg Deine Kutsche fahren, da
fingen wir beide eins an zu heulen und sagten beide, es wär uns so wunder¬
lich." Goethes Plan, nach Italien zu reisen, beunruhigt sie monatelang.
"Wenn Du so weg bist", schreibt sie, "sehe ich immer, wie schlecht es mir zu
Mute sein wird, wenn Du in Italien sein wirst. Vielleicht kann ich auch das
wegbeten." Ein halbes Jahr später fleht sie: "Ich bitte Dich um alles in
der Welt, gehe itzo nicht nach Italien! Du hast mich so lieb, Du läßt mich
gewiß keine Fehlbitte tun. Was mich die Menschen hier ängstigen, daß Du
nach Italien gingest, das glaubst Du gar nicht; dem einen hat es der Herzog
selbst gesagt, das andere weiß es von Dir gewiß, ich will gar keinen Menschen
mehr sehen und hören. Lieber, Bester, nimm es mir nicht übel, daß ich so
gramsele, aber es wird mir diesmal schwerer als jemals, Dich so lange zu
entbehren; wir waren so aneinander gewöhnt." Sogar zu einer Drohung
versteigt sie sich: "Und wenn Du nach Italien oder sonst eine lange Reise
machst und willst mich nicht mitnehmen, so setze ich mich mit dem Gustel hinten
darauf; denn ich will lieber Wind und Wetter und alles Unangenehme auf
der Reise ausstehen, als wieder so lange ohne Dich sein." Und in dem väter¬
lichen Tone, auf den alle Briefe Goethes an sein "kleines Naturwesen" ge°


Goethes häusliches Leben

Berichte das größte Opfer gewesen sind, daß sie ihrem lieben Geheimrat
gebracht hat. Man hört sie förmlich erleichtert aufseufzen, wenn sie eine ihrer
Episteln mit den Worten schließt: „Heute ist mein Brief gewiß besser geschrieben,
denn ich habe mir sehr große Mühe gegeben. Es ist mir aber auch schon
zweimal schlimm geworden, und wär der Brief nicht an Dich, ich hätte schon
längst aufgehört." Ein andermal schließt sie, gewiß ebenfalls im Bewußtsein
treuer Pflichterfüllung: „Nun hoffe ich aber auch, daß mein Allersuperbester
auch ein Laubthälerchen an mich wenden wird, weil ich ein so großer tugend¬
hafter Schatz bin." Als ihr eine Reise in Aussicht steht, meint sie treuherzig:
„Gutes Wetter werden wir gewiß haben, denn ich bin sehr fromm gewesen",
und aus Lauchstädt meldet sie, um ihre Selbstüberwindung ins rechte Licht zu
rücken: „Es ist gut, daß Du nicht hier bist, denn es sind drei Putzhändlerinnen
hier; und wem: Du hier wärst, so würde gewiß allerlei gekauft. Ach Gott,
es sind gar zu schöne Sachen, ich sehe gar nicht hin", und ein andermal:
„Alsdann frühstückten wir zusammen auf dem Keller, wo viele Juden kamen;
es wurde sich aber sehr tugendhaft betragen und nichts gekauft". Einmal, in
ihrem letzten Lebensjahre, zeigt sie sich sogar als eine Tochter der klassizistischen
Zeit, wenn sie die Schweine, von denen sie vier Stück besitzt, die „Odussteischen
langnasigen Völker" nennt.

„Ich habe Dich lieb" —, dieses schlichte Bekenntnis, verbunden mit der
Bitte, sie in der Ferne nicht zu vergessen, kehrt in allen Briefen Christicmens
wieder. Einmal gibt sie mit dem kleinen August dem nach Jena Reisenden
bis Kötschau das Geleit. Am andern Tage meldet sie dann: „Stell Dir vor,
wie lieb Dich Deine beiden Hasen haben: wie Du in Kötschau von uns weg
warst, gingen wir raus und sahen auf dem Berg Deine Kutsche fahren, da
fingen wir beide eins an zu heulen und sagten beide, es wär uns so wunder¬
lich." Goethes Plan, nach Italien zu reisen, beunruhigt sie monatelang.
„Wenn Du so weg bist", schreibt sie, „sehe ich immer, wie schlecht es mir zu
Mute sein wird, wenn Du in Italien sein wirst. Vielleicht kann ich auch das
wegbeten." Ein halbes Jahr später fleht sie: „Ich bitte Dich um alles in
der Welt, gehe itzo nicht nach Italien! Du hast mich so lieb, Du läßt mich
gewiß keine Fehlbitte tun. Was mich die Menschen hier ängstigen, daß Du
nach Italien gingest, das glaubst Du gar nicht; dem einen hat es der Herzog
selbst gesagt, das andere weiß es von Dir gewiß, ich will gar keinen Menschen
mehr sehen und hören. Lieber, Bester, nimm es mir nicht übel, daß ich so
gramsele, aber es wird mir diesmal schwerer als jemals, Dich so lange zu
entbehren; wir waren so aneinander gewöhnt." Sogar zu einer Drohung
versteigt sie sich: „Und wenn Du nach Italien oder sonst eine lange Reise
machst und willst mich nicht mitnehmen, so setze ich mich mit dem Gustel hinten
darauf; denn ich will lieber Wind und Wetter und alles Unangenehme auf
der Reise ausstehen, als wieder so lange ohne Dich sein." Und in dem väter¬
lichen Tone, auf den alle Briefe Goethes an sein „kleines Naturwesen" ge°


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/66>, abgerufen am 23.07.2024.