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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Die allgemeine Dienstpflicht

einberufenen Millionen Wehrpflichtiger in den Heereskörper sich vollzieht, hat
das Vorhandensein eines militärischen Organismus zur Voraussetzung, dessen
Einzelheiten wie das Räderwerk einer Niesenmaschine auf ein genaues Ineinander¬
greifen eingestellt sind. Die Heimarmee dagegen stellt, um einen bergmännischen
Ausdruck zu gebrauchen, ein ungeordnetes Haufwerk dar, dessen Elemente zu
einem organischen Ganzen erst umzuformen sind. Was ist natürlicher, als daß
der grüne Tisch, von dem die Verfügungen zur militärischen Mobilmachung
ergehen, Anlehnung an die schon bestehenden Organisationen der Hilfsdienst¬
pflichtigen zu gewinnen sucht. Ein solches Zusammenarbeiten ist in dem Maße
bereits gesichert, daß der Anmarsch der neuen Heerscharen nicht in unübersicht¬
lichen Durcheinander einer Volksmenge, sondern in beruflicher Gliederung der
Mannen mit bestimmten Marschlinien erfolgen wird. Diese Vorarbeit leisten
die wirtschaftlichen Verbände der Industriellen, Gewerbetreibenden und Arbeiter.
Sie machen durch ihre selbstverständliche Mitwirkung sich um das Vaterland
verdient und dienen zugleich den Interessen ihrer Angehörigen, denen ein plan¬
loses Herumsuchen nach den geeigneten Arbeitsstätten durch die Vermittlung
von berufenen Zielrichtern erspart werden kann.

Das gemeinwirtschaftliche Prinzip gelangt durch das Kriegsnotgesetz über
die Reglementierung der Produktion auf deutschem Boden zu seiner
höchsten Ausbildung. Auf dem Gebiete der Volksverpflegung haben die staat¬
lichen Eingriffe zugunsten einer gleichmüßigen Verteilung der Lebensmittel uns
bereits kommunistischen Grundsätzen angenähert. Der freie Marktverkehr ist
für die wichtigsten Bedarfsartikel der großen Masse unterbunden. Durch
behördliche Preisfestsetzungen und Konsumbeschränkungen wird die private Wirt¬
schaftsfreiheit in vielen Richtungen in enge Grenzen gebannt. Von der Ein¬
führung eines Produktionszwangs bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln
aber haben wir bisher Abstand genommen, weil der durchgreifende Erfolg
eines solchen Schrittes mit Recht angezweifelt wird. Nunmehr werden auch
für die Produktion Richtlinien insofern vorgezeichnet, als für bestimmte Zweige
derselben durch ein Fürsorgegesetz die Produktionsmittel in Gestalt von Arbeits¬
kräften bereitgestellt werden. Man darf annehmen, daß in diese Absichten der
Produktionsförderung auch die erleichterte Beschaffung von Rohmaterial ein¬
geschlossen ist. und man darf nach den Zielpunkten des Gesetzes erwarten, daß
zu gegebener Zeit eine Unterstützung der Lebensmittelerzeugung gleichfalls statt¬
finden wird. Ein eigentlicher Zwang auf die Produktion wird trotzdem nicht
ausgeübt, denn es steht jedem Unternehmer frei, seinen Betrieb der Reichs¬
industrie dienstbar zu machen oder nicht, sowie es auch den einzelnen Land¬
wirten anheimgegeben ist, welche Gewächse sie anbauen und wieviel Vieh sie
halten wollen. Die Beeinträchtigung der privatrechtlichen Freiheit geht mithin
nicht bis zur Nötigung der Erzeugung vorgeschriebener Güter in zugemessenen
Mengen. Der Mechanismus der Produktion bleibt also auch fernerhin grund¬
sätzlich unberührt, zumal der kapitalistische Produktionsfaktor in Privatbauten ruht.


Die allgemeine Dienstpflicht

einberufenen Millionen Wehrpflichtiger in den Heereskörper sich vollzieht, hat
das Vorhandensein eines militärischen Organismus zur Voraussetzung, dessen
Einzelheiten wie das Räderwerk einer Niesenmaschine auf ein genaues Ineinander¬
greifen eingestellt sind. Die Heimarmee dagegen stellt, um einen bergmännischen
Ausdruck zu gebrauchen, ein ungeordnetes Haufwerk dar, dessen Elemente zu
einem organischen Ganzen erst umzuformen sind. Was ist natürlicher, als daß
der grüne Tisch, von dem die Verfügungen zur militärischen Mobilmachung
ergehen, Anlehnung an die schon bestehenden Organisationen der Hilfsdienst¬
pflichtigen zu gewinnen sucht. Ein solches Zusammenarbeiten ist in dem Maße
bereits gesichert, daß der Anmarsch der neuen Heerscharen nicht in unübersicht¬
lichen Durcheinander einer Volksmenge, sondern in beruflicher Gliederung der
Mannen mit bestimmten Marschlinien erfolgen wird. Diese Vorarbeit leisten
die wirtschaftlichen Verbände der Industriellen, Gewerbetreibenden und Arbeiter.
Sie machen durch ihre selbstverständliche Mitwirkung sich um das Vaterland
verdient und dienen zugleich den Interessen ihrer Angehörigen, denen ein plan¬
loses Herumsuchen nach den geeigneten Arbeitsstätten durch die Vermittlung
von berufenen Zielrichtern erspart werden kann.

Das gemeinwirtschaftliche Prinzip gelangt durch das Kriegsnotgesetz über
die Reglementierung der Produktion auf deutschem Boden zu seiner
höchsten Ausbildung. Auf dem Gebiete der Volksverpflegung haben die staat¬
lichen Eingriffe zugunsten einer gleichmüßigen Verteilung der Lebensmittel uns
bereits kommunistischen Grundsätzen angenähert. Der freie Marktverkehr ist
für die wichtigsten Bedarfsartikel der großen Masse unterbunden. Durch
behördliche Preisfestsetzungen und Konsumbeschränkungen wird die private Wirt¬
schaftsfreiheit in vielen Richtungen in enge Grenzen gebannt. Von der Ein¬
führung eines Produktionszwangs bei der Versorgung mit Nahrungsmitteln
aber haben wir bisher Abstand genommen, weil der durchgreifende Erfolg
eines solchen Schrittes mit Recht angezweifelt wird. Nunmehr werden auch
für die Produktion Richtlinien insofern vorgezeichnet, als für bestimmte Zweige
derselben durch ein Fürsorgegesetz die Produktionsmittel in Gestalt von Arbeits¬
kräften bereitgestellt werden. Man darf annehmen, daß in diese Absichten der
Produktionsförderung auch die erleichterte Beschaffung von Rohmaterial ein¬
geschlossen ist. und man darf nach den Zielpunkten des Gesetzes erwarten, daß
zu gegebener Zeit eine Unterstützung der Lebensmittelerzeugung gleichfalls statt¬
finden wird. Ein eigentlicher Zwang auf die Produktion wird trotzdem nicht
ausgeübt, denn es steht jedem Unternehmer frei, seinen Betrieb der Reichs¬
industrie dienstbar zu machen oder nicht, sowie es auch den einzelnen Land¬
wirten anheimgegeben ist, welche Gewächse sie anbauen und wieviel Vieh sie
halten wollen. Die Beeinträchtigung der privatrechtlichen Freiheit geht mithin
nicht bis zur Nötigung der Erzeugung vorgeschriebener Güter in zugemessenen
Mengen. Der Mechanismus der Produktion bleibt also auch fernerhin grund¬
sätzlich unberührt, zumal der kapitalistische Produktionsfaktor in Privatbauten ruht.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/373>, abgerufen am 23.07.2024.