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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Rußland und Rumänien

Italien die Kriegserklärung über ein Jahr nach der an Österreich unter¬
lassen, und Rumänien hat sie deutscherseits überreicht erhalten. Es kam eben
alles anders.

Der Beginn des Weltkrieges zeigte die Festigkeit des deutsch-österreichi¬
schen Bündnisses. Nunmehr wollte König Karl, dem Bundesvertrage getreu,
auf der deutsch-österreichischen Seite kämpfen. Doch er konnte damit nicht
durchdringen, es war schon zu spät, Rumänien hatte sich mit voller Billigung
des Königs Karl, dem der Raubzug gegen Bulgarien zur Last fällt, bereits
zu tief mit Rußland eingelassen. So blieb nur der Bundesbruch und vor¬
läufig die Neutralität. Vielleicht war es gut so, nicht für Rumänien, aber für
uns. Denn dadurch wurde erst das Bündnis mit Bulgarien möglich.

Die verschiedensten Gründe trieben die Neigungen der Rumänen auf die
andere Seite. Die gebildeten Klaffen fühlten sich als Romanen zu Frankreich
und Italien, die Bauern als Orthodoxe zu Rußland hingezogen. Der Vier¬
verband konnte schon deshalb die größeren Versprechungen leisten, weil im
österreichischen Kaiserstaate mehr Rumänen wohnen als in Rußland. Die
englisch-russischen Bestechungsgelder kamen hinzu. Die Königin, Tochter eines
englischen Prinzen und einer russischen Großfürstin, beherrschte den charakter¬
schwachen, geistig unbedeutenden König. Dazu trat endlich der stetig zu¬
nehmende militärische Druck Rußlands in Bessarabien.

Mit seiner Neutralität meinte Rumänien keineswegs dauernd am Kriege
unbeteiligt zu bleiben. Es wollte nur abwarten, auf welche Seite sich der
Sieg neigte und dann das Zünglein in der Wagschale werden -- ein an sich
verflucht gescheuter Gedanke, wenn er nur gescheut ausgeführt worden wäre,
im übrigen nicht neu, sondern alte gemeine Räubermoral. Zuerst wartete
Rumänien nämlich viel zu lange, und dann schlug es doch noch viel zu früh
los. Vor der Durchbruchsschlacht von Tarnow-Gorlice. als die Russen vor
Krakau standen und schon die Karpathen überschritten hatten, hätte eine Be¬
teiligung Rumäniens ebenso wie Italiens am Kriege in der Tat für Österreich
und damit auch für Deutschland höchst gefährlich werden können. In diesem
Abschnitte des Krieges zögerten aber sowohl Italien wie Rumänien. Es muß
späterer Untersuchung vorbehalten bleiben, inwiefern darin ein Erfolg der viel¬
geschmähten deutschen Diplomatie zu sehen ist. Jedenfalls hatte das erfolg¬
reich vordringende Rußland damals noch nicht das Interesse. Rumänien solche
Versprechungen zu machen, um es unbedingt auf feine Seite zu bringen. Als
aber Rumänien sich endlich zum Kriege entschloß, war es noch viel zu früh,
um durch einen bloßen Siegesspaziergang nach Art des zweiten Balkankrieges
riesige Beutestücke heim zu bringen.

Da spielte nun nach Brussilows Erfolgen gegen die Österreicher in Wolhynien
die von Rußland genährte Sorge Bratianus eine Rolle, wenn Rumänien sich
nun nicht am Kriege beteilige, werde es überhaupt nichts mehr von der Beute
abkriegen. Denn dann werde Rußland auf die rumänische Bundesgenossen-


Grenzboten IV 191" 22
Rußland und Rumänien

Italien die Kriegserklärung über ein Jahr nach der an Österreich unter¬
lassen, und Rumänien hat sie deutscherseits überreicht erhalten. Es kam eben
alles anders.

Der Beginn des Weltkrieges zeigte die Festigkeit des deutsch-österreichi¬
schen Bündnisses. Nunmehr wollte König Karl, dem Bundesvertrage getreu,
auf der deutsch-österreichischen Seite kämpfen. Doch er konnte damit nicht
durchdringen, es war schon zu spät, Rumänien hatte sich mit voller Billigung
des Königs Karl, dem der Raubzug gegen Bulgarien zur Last fällt, bereits
zu tief mit Rußland eingelassen. So blieb nur der Bundesbruch und vor¬
läufig die Neutralität. Vielleicht war es gut so, nicht für Rumänien, aber für
uns. Denn dadurch wurde erst das Bündnis mit Bulgarien möglich.

Die verschiedensten Gründe trieben die Neigungen der Rumänen auf die
andere Seite. Die gebildeten Klaffen fühlten sich als Romanen zu Frankreich
und Italien, die Bauern als Orthodoxe zu Rußland hingezogen. Der Vier¬
verband konnte schon deshalb die größeren Versprechungen leisten, weil im
österreichischen Kaiserstaate mehr Rumänen wohnen als in Rußland. Die
englisch-russischen Bestechungsgelder kamen hinzu. Die Königin, Tochter eines
englischen Prinzen und einer russischen Großfürstin, beherrschte den charakter¬
schwachen, geistig unbedeutenden König. Dazu trat endlich der stetig zu¬
nehmende militärische Druck Rußlands in Bessarabien.

Mit seiner Neutralität meinte Rumänien keineswegs dauernd am Kriege
unbeteiligt zu bleiben. Es wollte nur abwarten, auf welche Seite sich der
Sieg neigte und dann das Zünglein in der Wagschale werden — ein an sich
verflucht gescheuter Gedanke, wenn er nur gescheut ausgeführt worden wäre,
im übrigen nicht neu, sondern alte gemeine Räubermoral. Zuerst wartete
Rumänien nämlich viel zu lange, und dann schlug es doch noch viel zu früh
los. Vor der Durchbruchsschlacht von Tarnow-Gorlice. als die Russen vor
Krakau standen und schon die Karpathen überschritten hatten, hätte eine Be¬
teiligung Rumäniens ebenso wie Italiens am Kriege in der Tat für Österreich
und damit auch für Deutschland höchst gefährlich werden können. In diesem
Abschnitte des Krieges zögerten aber sowohl Italien wie Rumänien. Es muß
späterer Untersuchung vorbehalten bleiben, inwiefern darin ein Erfolg der viel¬
geschmähten deutschen Diplomatie zu sehen ist. Jedenfalls hatte das erfolg¬
reich vordringende Rußland damals noch nicht das Interesse. Rumänien solche
Versprechungen zu machen, um es unbedingt auf feine Seite zu bringen. Als
aber Rumänien sich endlich zum Kriege entschloß, war es noch viel zu früh,
um durch einen bloßen Siegesspaziergang nach Art des zweiten Balkankrieges
riesige Beutestücke heim zu bringen.

Da spielte nun nach Brussilows Erfolgen gegen die Österreicher in Wolhynien
die von Rußland genährte Sorge Bratianus eine Rolle, wenn Rumänien sich
nun nicht am Kriege beteilige, werde es überhaupt nichts mehr von der Beute
abkriegen. Denn dann werde Rußland auf die rumänische Bundesgenossen-


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[0349] Rußland und Rumänien Italien die Kriegserklärung über ein Jahr nach der an Österreich unter¬ lassen, und Rumänien hat sie deutscherseits überreicht erhalten. Es kam eben alles anders. Der Beginn des Weltkrieges zeigte die Festigkeit des deutsch-österreichi¬ schen Bündnisses. Nunmehr wollte König Karl, dem Bundesvertrage getreu, auf der deutsch-österreichischen Seite kämpfen. Doch er konnte damit nicht durchdringen, es war schon zu spät, Rumänien hatte sich mit voller Billigung des Königs Karl, dem der Raubzug gegen Bulgarien zur Last fällt, bereits zu tief mit Rußland eingelassen. So blieb nur der Bundesbruch und vor¬ läufig die Neutralität. Vielleicht war es gut so, nicht für Rumänien, aber für uns. Denn dadurch wurde erst das Bündnis mit Bulgarien möglich. Die verschiedensten Gründe trieben die Neigungen der Rumänen auf die andere Seite. Die gebildeten Klaffen fühlten sich als Romanen zu Frankreich und Italien, die Bauern als Orthodoxe zu Rußland hingezogen. Der Vier¬ verband konnte schon deshalb die größeren Versprechungen leisten, weil im österreichischen Kaiserstaate mehr Rumänen wohnen als in Rußland. Die englisch-russischen Bestechungsgelder kamen hinzu. Die Königin, Tochter eines englischen Prinzen und einer russischen Großfürstin, beherrschte den charakter¬ schwachen, geistig unbedeutenden König. Dazu trat endlich der stetig zu¬ nehmende militärische Druck Rußlands in Bessarabien. Mit seiner Neutralität meinte Rumänien keineswegs dauernd am Kriege unbeteiligt zu bleiben. Es wollte nur abwarten, auf welche Seite sich der Sieg neigte und dann das Zünglein in der Wagschale werden — ein an sich verflucht gescheuter Gedanke, wenn er nur gescheut ausgeführt worden wäre, im übrigen nicht neu, sondern alte gemeine Räubermoral. Zuerst wartete Rumänien nämlich viel zu lange, und dann schlug es doch noch viel zu früh los. Vor der Durchbruchsschlacht von Tarnow-Gorlice. als die Russen vor Krakau standen und schon die Karpathen überschritten hatten, hätte eine Be¬ teiligung Rumäniens ebenso wie Italiens am Kriege in der Tat für Österreich und damit auch für Deutschland höchst gefährlich werden können. In diesem Abschnitte des Krieges zögerten aber sowohl Italien wie Rumänien. Es muß späterer Untersuchung vorbehalten bleiben, inwiefern darin ein Erfolg der viel¬ geschmähten deutschen Diplomatie zu sehen ist. Jedenfalls hatte das erfolg¬ reich vordringende Rußland damals noch nicht das Interesse. Rumänien solche Versprechungen zu machen, um es unbedingt auf feine Seite zu bringen. Als aber Rumänien sich endlich zum Kriege entschloß, war es noch viel zu früh, um durch einen bloßen Siegesspaziergang nach Art des zweiten Balkankrieges riesige Beutestücke heim zu bringen. Da spielte nun nach Brussilows Erfolgen gegen die Österreicher in Wolhynien die von Rußland genährte Sorge Bratianus eine Rolle, wenn Rumänien sich nun nicht am Kriege beteilige, werde es überhaupt nichts mehr von der Beute abkriegen. Denn dann werde Rußland auf die rumänische Bundesgenossen- Grenzboten IV 191« 22

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/349>, abgerufen am 03.07.2024.