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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Rußland und Rumänien

ist in Gefahr!" Nunmehr folgte das rumänische Heer über die Donau, und
unter Führung des Fürsten Karl wurde Plenum genommen. Die Belohnung
blieb nicht aus. Rußland ließ sich beim Friedensschlüsse unter Gewalts¬
androhungen gegen Rumänien den 1856 abgetretenen Teil von Bessarabien
zurückgeben, wofür Rumänien die damals ziemlich wertlose Dobrudscha bis zu
einer Linie nördlich von Silistria erhielt. Wenigstens wurde Rumänien auf
dem Berliner Kongresse von 1878 für unabhängig erklärt, und Fürst Karl
nahm 1881 die Königswürde an.

Daß sich Rumänien nach den gemachten Erfahrungen auf das entschiedenste
von Rußland abwandte, ist selbstverständlich. Es trat gleich Italien in ein
Bundesverhältnis zu Deutschland und Österreich. Diesen Mächten verdankte es
denn auch größtenteils seine wirtschaftliche Blüte. Namentlich war ein großer
Teil der rumänischen Anleihen in Deutschland untergebracht. Rumänien zog
Jahrzehnte lang die Vorteile ans dem Bündnisse, um in der Stunde der Ge¬
fahr zu versagen.

Der Wandel der rumänischen Politik beginnt schon einige Jahre vor dem
Kriege. So ließ sich Rumänien in dem zweiten Balkankriege zu dem heim¬
tückischen Überfälle auf das von allen Seiten angegriffene Bulgarien be¬
stimmen, womit es durch einen militärischen Spaziergang die südliche Dobrudscha
erlangte. Der Vorwand war die Erhaltung des Gleichgewichtes auf dem
Balkan, und Rumänien glaubte nach den Worten seines Königs dort die be¬
stimmende Macht geworden zu sein. Doch auch hier galt das Wort: "Du
glaubst zu schieben, und Du wirst geschoben". Rumänien besorgte Rußlands
Geschäfte gegen Bulgarien, das durch seine Machterweiterung anfing, für Ru߬
land selbst lästig zu werden, und begründete damit eine Todfeindschaft zwischen
Rumänien und Bulgarien, die auch nur im russischen Interesse lag.

Doch das Band sollte noch enger werden. Der damalige Thronfolger
und jetzige König Ferdinand von Rumänien warb für seinen ältesten Sohn
Karl um eine russische Kaisertochter und reiste zu diesem Zweck mit ihm nach
Se. Petersburg. Aber die Kaisertochter fahen sich den Jüngling an und
gaben ihm einen Korb. Andererseits ließ sich Kaiser Nikolaus herab, kurz vor
dem Kriege einmal einen Balkanfürsten zu besuchen, allerdings nicht in seiner
Hauptstadt, sondern in Konstanza. Dort wurde mit schönen Reden die russisch-
rumänische Waffenbrüderschaft gefeiert, während doch Rumänien -- was auch
für Rußland kein Geheimnis war -- mit Deutschland und Österreich im Bundes¬
verhältnisse stand.

Im Hintergrunde schwebte dabei den Rumänen wie den Italienern der
Gedanke vor, daß sie keineswegs gegen Deutschland zu kämpfen haben würden.
Vielmehr dachten sie an eine Lösung des deutsch-österreichischen Bündnisses und
an eine Aufteilung Österreichs im gemeinsamen Einverständnis von Deutsch¬
land und Rußland. Gegen Deutschland, dem gegenüber kein feindlicher In¬
teressengegensatz bestand, wollten sie überhaupt nicht Krieg führen. Daher hat


Rußland und Rumänien

ist in Gefahr!" Nunmehr folgte das rumänische Heer über die Donau, und
unter Führung des Fürsten Karl wurde Plenum genommen. Die Belohnung
blieb nicht aus. Rußland ließ sich beim Friedensschlüsse unter Gewalts¬
androhungen gegen Rumänien den 1856 abgetretenen Teil von Bessarabien
zurückgeben, wofür Rumänien die damals ziemlich wertlose Dobrudscha bis zu
einer Linie nördlich von Silistria erhielt. Wenigstens wurde Rumänien auf
dem Berliner Kongresse von 1878 für unabhängig erklärt, und Fürst Karl
nahm 1881 die Königswürde an.

Daß sich Rumänien nach den gemachten Erfahrungen auf das entschiedenste
von Rußland abwandte, ist selbstverständlich. Es trat gleich Italien in ein
Bundesverhältnis zu Deutschland und Österreich. Diesen Mächten verdankte es
denn auch größtenteils seine wirtschaftliche Blüte. Namentlich war ein großer
Teil der rumänischen Anleihen in Deutschland untergebracht. Rumänien zog
Jahrzehnte lang die Vorteile ans dem Bündnisse, um in der Stunde der Ge¬
fahr zu versagen.

Der Wandel der rumänischen Politik beginnt schon einige Jahre vor dem
Kriege. So ließ sich Rumänien in dem zweiten Balkankriege zu dem heim¬
tückischen Überfälle auf das von allen Seiten angegriffene Bulgarien be¬
stimmen, womit es durch einen militärischen Spaziergang die südliche Dobrudscha
erlangte. Der Vorwand war die Erhaltung des Gleichgewichtes auf dem
Balkan, und Rumänien glaubte nach den Worten seines Königs dort die be¬
stimmende Macht geworden zu sein. Doch auch hier galt das Wort: „Du
glaubst zu schieben, und Du wirst geschoben". Rumänien besorgte Rußlands
Geschäfte gegen Bulgarien, das durch seine Machterweiterung anfing, für Ru߬
land selbst lästig zu werden, und begründete damit eine Todfeindschaft zwischen
Rumänien und Bulgarien, die auch nur im russischen Interesse lag.

Doch das Band sollte noch enger werden. Der damalige Thronfolger
und jetzige König Ferdinand von Rumänien warb für seinen ältesten Sohn
Karl um eine russische Kaisertochter und reiste zu diesem Zweck mit ihm nach
Se. Petersburg. Aber die Kaisertochter fahen sich den Jüngling an und
gaben ihm einen Korb. Andererseits ließ sich Kaiser Nikolaus herab, kurz vor
dem Kriege einmal einen Balkanfürsten zu besuchen, allerdings nicht in seiner
Hauptstadt, sondern in Konstanza. Dort wurde mit schönen Reden die russisch-
rumänische Waffenbrüderschaft gefeiert, während doch Rumänien — was auch
für Rußland kein Geheimnis war — mit Deutschland und Österreich im Bundes¬
verhältnisse stand.

Im Hintergrunde schwebte dabei den Rumänen wie den Italienern der
Gedanke vor, daß sie keineswegs gegen Deutschland zu kämpfen haben würden.
Vielmehr dachten sie an eine Lösung des deutsch-österreichischen Bündnisses und
an eine Aufteilung Österreichs im gemeinsamen Einverständnis von Deutsch¬
land und Rußland. Gegen Deutschland, dem gegenüber kein feindlicher In¬
teressengegensatz bestand, wollten sie überhaupt nicht Krieg führen. Daher hat


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[0348] Rußland und Rumänien ist in Gefahr!" Nunmehr folgte das rumänische Heer über die Donau, und unter Führung des Fürsten Karl wurde Plenum genommen. Die Belohnung blieb nicht aus. Rußland ließ sich beim Friedensschlüsse unter Gewalts¬ androhungen gegen Rumänien den 1856 abgetretenen Teil von Bessarabien zurückgeben, wofür Rumänien die damals ziemlich wertlose Dobrudscha bis zu einer Linie nördlich von Silistria erhielt. Wenigstens wurde Rumänien auf dem Berliner Kongresse von 1878 für unabhängig erklärt, und Fürst Karl nahm 1881 die Königswürde an. Daß sich Rumänien nach den gemachten Erfahrungen auf das entschiedenste von Rußland abwandte, ist selbstverständlich. Es trat gleich Italien in ein Bundesverhältnis zu Deutschland und Österreich. Diesen Mächten verdankte es denn auch größtenteils seine wirtschaftliche Blüte. Namentlich war ein großer Teil der rumänischen Anleihen in Deutschland untergebracht. Rumänien zog Jahrzehnte lang die Vorteile ans dem Bündnisse, um in der Stunde der Ge¬ fahr zu versagen. Der Wandel der rumänischen Politik beginnt schon einige Jahre vor dem Kriege. So ließ sich Rumänien in dem zweiten Balkankriege zu dem heim¬ tückischen Überfälle auf das von allen Seiten angegriffene Bulgarien be¬ stimmen, womit es durch einen militärischen Spaziergang die südliche Dobrudscha erlangte. Der Vorwand war die Erhaltung des Gleichgewichtes auf dem Balkan, und Rumänien glaubte nach den Worten seines Königs dort die be¬ stimmende Macht geworden zu sein. Doch auch hier galt das Wort: „Du glaubst zu schieben, und Du wirst geschoben". Rumänien besorgte Rußlands Geschäfte gegen Bulgarien, das durch seine Machterweiterung anfing, für Ru߬ land selbst lästig zu werden, und begründete damit eine Todfeindschaft zwischen Rumänien und Bulgarien, die auch nur im russischen Interesse lag. Doch das Band sollte noch enger werden. Der damalige Thronfolger und jetzige König Ferdinand von Rumänien warb für seinen ältesten Sohn Karl um eine russische Kaisertochter und reiste zu diesem Zweck mit ihm nach Se. Petersburg. Aber die Kaisertochter fahen sich den Jüngling an und gaben ihm einen Korb. Andererseits ließ sich Kaiser Nikolaus herab, kurz vor dem Kriege einmal einen Balkanfürsten zu besuchen, allerdings nicht in seiner Hauptstadt, sondern in Konstanza. Dort wurde mit schönen Reden die russisch- rumänische Waffenbrüderschaft gefeiert, während doch Rumänien — was auch für Rußland kein Geheimnis war — mit Deutschland und Österreich im Bundes¬ verhältnisse stand. Im Hintergrunde schwebte dabei den Rumänen wie den Italienern der Gedanke vor, daß sie keineswegs gegen Deutschland zu kämpfen haben würden. Vielmehr dachten sie an eine Lösung des deutsch-österreichischen Bündnisses und an eine Aufteilung Österreichs im gemeinsamen Einverständnis von Deutsch¬ land und Rußland. Gegen Deutschland, dem gegenüber kein feindlicher In¬ teressengegensatz bestand, wollten sie überhaupt nicht Krieg führen. Daher hat

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/348>, abgerufen am 23.07.2024.