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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Belgiens Zukunft

Verleihung der Einzelstaats-Angehörigkeit. In dem bisherigen Belgien selbst
ist die Ausübung des Reichstagswahlrechts ausgeschlossen, da es nicht in Reichs¬
tagswahlkreise geteilt wird. Darin liegt aber keine besondere Zurücksetzung der
Belgier. Denn die in Belgien wohnhaften Alt-Deutschen befinden sich in der¬
selben Lage. Es ist derselbe Zustand, der auch sür die in den deutschen Schutz¬
gebieten angesiedelten Reichsangehörigen besteht, ohne daß sie sich dadurch
benachteiligt gefühlt hätten. Nur in dieser einen Beziehung wird das Land
auf derselben Stufe wie die Schutzgebiete behandelt.

Die Staatsgewalt übt der Kaiser im Namen des Reiches ans -- vor¬
läufig unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und in besonderen Fällen,
namentlich bei finanzieller Belastung, solange noch keine eigenen verfassungs¬
rechtlichen Organe im Lande selbst entwickelt sind, unter Zustimmung von
Bundesrat und Reichstag.

Verfassungs- wie verwaltungsrechtlich wird das Land unter Beseitigung
des pseudogeschichtlichen Namens Belgien nach der Sprachgrenze in zwei gänzlich
voneinander unabhängige Reichsländer geteilt, Vlamland mit der Hauptstadt
Brüssel und Wallonei mit der Hauptstadt Lüttich. Das Staatsvermögen wie
die Staatsschulden werden zunächst nach dem Verhältnisse der vom Reiche
unmittelbar übernommenen Verwaltungszweige, wie Heer, Post und der übrigen
zwischen dem Reiche und den beiden Reichsländern und dann der letztere
Vermögensbestandteil zwischen den beiden Reichsländern nach der Kopfzahl der
Bevölkerung verteilt.

Die Aufstellung in zwei Reichsländer entspricht zunächst dem gesunden
politischen Grundsatze des: "Oiviäe et impera".

Sie liegt aber auch in der Richtung der bisherigen politischen Entwicklung,
die das belgische Volk bei Fortdauer seiner Selbständigkeit angesichts des
Zwiespalts der Nationalitäten selbst eingeschlagen haben würde. Vlamen und
Wallonen, beide in der Kunstschöpfung des belgischen Staates zusammengeschweißt,
wollten nichts mehr miteinander zu tun haben. Namentlich die Wallonen
verlangten, wenn die Vlamen die unbedingt notwendige sprachliche Gleich¬
berechtigung erhielten, die administrative Trennung. So wird denn den Belgiern
als Geschenk der deutschen Herrschaft nur das. was sie selbst erstrebten, aber
vielleicht nur auf dem Wege der Revolution erzielt hätten.

Die Teilung in zwei Reichslünder, Vlamland und Wallonei, ist aber auch
durch die sprachlichen Verhältnisse geboten.

Ist Zweisprachigkeit unter Umständen ein notwendiges Übel, so wird Drei¬
sprachigreit, in einem ganzen Lande gleichmüßig durchgeführt, zur Ungeheuer¬
lichkeit. Die in Art. 23 der belgischen Verfassung grundrechtlich gewährleistete
Gleichberechtigung der landesüblichen Sprachen, ist aber auch nie zur Wahrheit
geworden. Die deutsche Sprache in Luxemburg hat daher nie Gleichberechtigung
erlangt, sondern die Deutschen find französisch regiert worden. Das Vlämische
hat die Gleichberechtigung nur allmählich und niemals vollständig errungen.


Belgiens Zukunft

Verleihung der Einzelstaats-Angehörigkeit. In dem bisherigen Belgien selbst
ist die Ausübung des Reichstagswahlrechts ausgeschlossen, da es nicht in Reichs¬
tagswahlkreise geteilt wird. Darin liegt aber keine besondere Zurücksetzung der
Belgier. Denn die in Belgien wohnhaften Alt-Deutschen befinden sich in der¬
selben Lage. Es ist derselbe Zustand, der auch sür die in den deutschen Schutz¬
gebieten angesiedelten Reichsangehörigen besteht, ohne daß sie sich dadurch
benachteiligt gefühlt hätten. Nur in dieser einen Beziehung wird das Land
auf derselben Stufe wie die Schutzgebiete behandelt.

Die Staatsgewalt übt der Kaiser im Namen des Reiches ans — vor¬
läufig unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und in besonderen Fällen,
namentlich bei finanzieller Belastung, solange noch keine eigenen verfassungs¬
rechtlichen Organe im Lande selbst entwickelt sind, unter Zustimmung von
Bundesrat und Reichstag.

Verfassungs- wie verwaltungsrechtlich wird das Land unter Beseitigung
des pseudogeschichtlichen Namens Belgien nach der Sprachgrenze in zwei gänzlich
voneinander unabhängige Reichsländer geteilt, Vlamland mit der Hauptstadt
Brüssel und Wallonei mit der Hauptstadt Lüttich. Das Staatsvermögen wie
die Staatsschulden werden zunächst nach dem Verhältnisse der vom Reiche
unmittelbar übernommenen Verwaltungszweige, wie Heer, Post und der übrigen
zwischen dem Reiche und den beiden Reichsländern und dann der letztere
Vermögensbestandteil zwischen den beiden Reichsländern nach der Kopfzahl der
Bevölkerung verteilt.

Die Aufstellung in zwei Reichsländer entspricht zunächst dem gesunden
politischen Grundsatze des: „Oiviäe et impera".

Sie liegt aber auch in der Richtung der bisherigen politischen Entwicklung,
die das belgische Volk bei Fortdauer seiner Selbständigkeit angesichts des
Zwiespalts der Nationalitäten selbst eingeschlagen haben würde. Vlamen und
Wallonen, beide in der Kunstschöpfung des belgischen Staates zusammengeschweißt,
wollten nichts mehr miteinander zu tun haben. Namentlich die Wallonen
verlangten, wenn die Vlamen die unbedingt notwendige sprachliche Gleich¬
berechtigung erhielten, die administrative Trennung. So wird denn den Belgiern
als Geschenk der deutschen Herrschaft nur das. was sie selbst erstrebten, aber
vielleicht nur auf dem Wege der Revolution erzielt hätten.

Die Teilung in zwei Reichslünder, Vlamland und Wallonei, ist aber auch
durch die sprachlichen Verhältnisse geboten.

Ist Zweisprachigkeit unter Umständen ein notwendiges Übel, so wird Drei¬
sprachigreit, in einem ganzen Lande gleichmüßig durchgeführt, zur Ungeheuer¬
lichkeit. Die in Art. 23 der belgischen Verfassung grundrechtlich gewährleistete
Gleichberechtigung der landesüblichen Sprachen, ist aber auch nie zur Wahrheit
geworden. Die deutsche Sprache in Luxemburg hat daher nie Gleichberechtigung
erlangt, sondern die Deutschen find französisch regiert worden. Das Vlämische
hat die Gleichberechtigung nur allmählich und niemals vollständig errungen.


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[0311] Belgiens Zukunft Verleihung der Einzelstaats-Angehörigkeit. In dem bisherigen Belgien selbst ist die Ausübung des Reichstagswahlrechts ausgeschlossen, da es nicht in Reichs¬ tagswahlkreise geteilt wird. Darin liegt aber keine besondere Zurücksetzung der Belgier. Denn die in Belgien wohnhaften Alt-Deutschen befinden sich in der¬ selben Lage. Es ist derselbe Zustand, der auch sür die in den deutschen Schutz¬ gebieten angesiedelten Reichsangehörigen besteht, ohne daß sie sich dadurch benachteiligt gefühlt hätten. Nur in dieser einen Beziehung wird das Land auf derselben Stufe wie die Schutzgebiete behandelt. Die Staatsgewalt übt der Kaiser im Namen des Reiches ans — vor¬ läufig unter Verantwortlichkeit des Reichskanzlers und in besonderen Fällen, namentlich bei finanzieller Belastung, solange noch keine eigenen verfassungs¬ rechtlichen Organe im Lande selbst entwickelt sind, unter Zustimmung von Bundesrat und Reichstag. Verfassungs- wie verwaltungsrechtlich wird das Land unter Beseitigung des pseudogeschichtlichen Namens Belgien nach der Sprachgrenze in zwei gänzlich voneinander unabhängige Reichsländer geteilt, Vlamland mit der Hauptstadt Brüssel und Wallonei mit der Hauptstadt Lüttich. Das Staatsvermögen wie die Staatsschulden werden zunächst nach dem Verhältnisse der vom Reiche unmittelbar übernommenen Verwaltungszweige, wie Heer, Post und der übrigen zwischen dem Reiche und den beiden Reichsländern und dann der letztere Vermögensbestandteil zwischen den beiden Reichsländern nach der Kopfzahl der Bevölkerung verteilt. Die Aufstellung in zwei Reichsländer entspricht zunächst dem gesunden politischen Grundsatze des: „Oiviäe et impera". Sie liegt aber auch in der Richtung der bisherigen politischen Entwicklung, die das belgische Volk bei Fortdauer seiner Selbständigkeit angesichts des Zwiespalts der Nationalitäten selbst eingeschlagen haben würde. Vlamen und Wallonen, beide in der Kunstschöpfung des belgischen Staates zusammengeschweißt, wollten nichts mehr miteinander zu tun haben. Namentlich die Wallonen verlangten, wenn die Vlamen die unbedingt notwendige sprachliche Gleich¬ berechtigung erhielten, die administrative Trennung. So wird denn den Belgiern als Geschenk der deutschen Herrschaft nur das. was sie selbst erstrebten, aber vielleicht nur auf dem Wege der Revolution erzielt hätten. Die Teilung in zwei Reichslünder, Vlamland und Wallonei, ist aber auch durch die sprachlichen Verhältnisse geboten. Ist Zweisprachigkeit unter Umständen ein notwendiges Übel, so wird Drei¬ sprachigreit, in einem ganzen Lande gleichmüßig durchgeführt, zur Ungeheuer¬ lichkeit. Die in Art. 23 der belgischen Verfassung grundrechtlich gewährleistete Gleichberechtigung der landesüblichen Sprachen, ist aber auch nie zur Wahrheit geworden. Die deutsche Sprache in Luxemburg hat daher nie Gleichberechtigung erlangt, sondern die Deutschen find französisch regiert worden. Das Vlämische hat die Gleichberechtigung nur allmählich und niemals vollständig errungen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/311>, abgerufen am 28.06.2024.