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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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Belgiens Zukunft

weiter ausgeführt werden. Indem Deutschland eines der ersten Industrieländer
der Welt an seine Volkswirtschaft anschließt, steigt es selbst zu einer unbestrittenen
ersten Industriemacht der Welt empor, ohne doch gleich England der Gefahr
ausgesetzt zu sein, seine Landwirtschaft zu vernichten. Auch hier begegnen sich
wieder die Interessen Deutschlands mit denen des belgischen Wirtschaftslebens.
Denn ein reicherer Gewinn kann den belgischen Industriellen nicht in den Schoß
geschüttet werden, als der freie Markt für ihre Erzeugnisse in einem Reiche
von siebzig Millionen, statt in dem bisherigen Kleinstaate.

Es handelt sich nur darum, für den Anschluß Belgiens an das Deutsche
Reich die geeigneten staatsrechtlichen Formen zu finden, die freilich außerhalb
des Nahmens unseres bisherigen Reichsstaatsrechts liegen müssen.

Belgien ist durch völkerrechtliche Eroberung (äebellatio) untergegangen
und völkerrechtlich d. h. im Verhältnisse zu andern Staaten der Völkerrechts¬
gemeinschaft Bestandteil des Deutschen Reiches geworden. Nach Untergang der
eigenen belgischen Staatsgewalt, besteht in ihm keine andere Staatsgewalt, als
die des Reiches. Damit wäre es vorläufig etwa in den Rechtszustand eines
deutschen Schutzgebietes versetzt.

Darin soll es aber nicht bleiben. Es ist wie Elsaß-Lothringen und
Helgoland durch ein den Art. 1 der Reichsverfassung änderndes Gesetz auch
staatsrechtlich dem dort verfassungsmüßig feststehenden Bundesgebiet einzuverleiben
und tritt ihm hinzu. Damit wird es auch staatsrechtlich Reichsland. Die
bisherigen Belgier werden daher deutsche Reichsangehörige und zwar nur Reichs¬
angehörige, da es eine ergänzende Landesstaatsgewalt nicht gibt -- es sei denn,
sie beantragen ihre Entlassung und wanderten binnen Jahresfrist nach der
Entlassung aus. In diesem Falle wären sie aber binnen der Frist eines
weiteren Jahres verpflichtet, auch ihren im Inlande befindlichen Grundbesitz
und Gewerbebetrieb bei Vermeidung der Enteignung aufzugeben. Daraus
ergeben sich weitere Folgen für Land und Bewohner.

Das Land ist in jeder Beziehung als Reichsinland zu betrachten. Ins¬
besondere wird es, vorbehaltlich eines Freihafenbezirks bei Antwerpen, in das
deutsche Zollgebiet einbezogen. Es gehört auch zum Reichsgebiete. Die sonst
für die Reichskasse erhobenen Abgaben fließen ihr auch hier zu.

Die Bewohner, mit Ausnahme der ausländischen Staatsangehörigen, sind
Reichsangehörige mit deren Pflichten und Rechten. Sie unterliegen demnach
der allgemeinen Wehrpflicht. Da aber besondere belgische Truppenteile nicht
gebildet werden, können sie ihrer Wehrpflicht nur in der bestehenden bewaffneten
Macht des Reiches genügen. Bis auf weiteres ist es auch ausgeschlossen, daß
sie ihrer Wehrpflicht in den in Belgien stehenden Truppenteilen genügen. Sie
werden in Alt-Deutschland eingestellt. Damit lernt die männliche Jugend nicht
nur die deutsche Sprache, sondern auch deutsche Verhältnisse und Zustände kennen.
Belgier, die in Alt-Deutschland ihren Wohnsitz nehmen, können hier als Reichs¬
angehörige ohne weiteres zum Reichstag wählen, haben auch Anspruch auf


Belgiens Zukunft

weiter ausgeführt werden. Indem Deutschland eines der ersten Industrieländer
der Welt an seine Volkswirtschaft anschließt, steigt es selbst zu einer unbestrittenen
ersten Industriemacht der Welt empor, ohne doch gleich England der Gefahr
ausgesetzt zu sein, seine Landwirtschaft zu vernichten. Auch hier begegnen sich
wieder die Interessen Deutschlands mit denen des belgischen Wirtschaftslebens.
Denn ein reicherer Gewinn kann den belgischen Industriellen nicht in den Schoß
geschüttet werden, als der freie Markt für ihre Erzeugnisse in einem Reiche
von siebzig Millionen, statt in dem bisherigen Kleinstaate.

Es handelt sich nur darum, für den Anschluß Belgiens an das Deutsche
Reich die geeigneten staatsrechtlichen Formen zu finden, die freilich außerhalb
des Nahmens unseres bisherigen Reichsstaatsrechts liegen müssen.

Belgien ist durch völkerrechtliche Eroberung (äebellatio) untergegangen
und völkerrechtlich d. h. im Verhältnisse zu andern Staaten der Völkerrechts¬
gemeinschaft Bestandteil des Deutschen Reiches geworden. Nach Untergang der
eigenen belgischen Staatsgewalt, besteht in ihm keine andere Staatsgewalt, als
die des Reiches. Damit wäre es vorläufig etwa in den Rechtszustand eines
deutschen Schutzgebietes versetzt.

Darin soll es aber nicht bleiben. Es ist wie Elsaß-Lothringen und
Helgoland durch ein den Art. 1 der Reichsverfassung änderndes Gesetz auch
staatsrechtlich dem dort verfassungsmüßig feststehenden Bundesgebiet einzuverleiben
und tritt ihm hinzu. Damit wird es auch staatsrechtlich Reichsland. Die
bisherigen Belgier werden daher deutsche Reichsangehörige und zwar nur Reichs¬
angehörige, da es eine ergänzende Landesstaatsgewalt nicht gibt — es sei denn,
sie beantragen ihre Entlassung und wanderten binnen Jahresfrist nach der
Entlassung aus. In diesem Falle wären sie aber binnen der Frist eines
weiteren Jahres verpflichtet, auch ihren im Inlande befindlichen Grundbesitz
und Gewerbebetrieb bei Vermeidung der Enteignung aufzugeben. Daraus
ergeben sich weitere Folgen für Land und Bewohner.

Das Land ist in jeder Beziehung als Reichsinland zu betrachten. Ins¬
besondere wird es, vorbehaltlich eines Freihafenbezirks bei Antwerpen, in das
deutsche Zollgebiet einbezogen. Es gehört auch zum Reichsgebiete. Die sonst
für die Reichskasse erhobenen Abgaben fließen ihr auch hier zu.

Die Bewohner, mit Ausnahme der ausländischen Staatsangehörigen, sind
Reichsangehörige mit deren Pflichten und Rechten. Sie unterliegen demnach
der allgemeinen Wehrpflicht. Da aber besondere belgische Truppenteile nicht
gebildet werden, können sie ihrer Wehrpflicht nur in der bestehenden bewaffneten
Macht des Reiches genügen. Bis auf weiteres ist es auch ausgeschlossen, daß
sie ihrer Wehrpflicht in den in Belgien stehenden Truppenteilen genügen. Sie
werden in Alt-Deutschland eingestellt. Damit lernt die männliche Jugend nicht
nur die deutsche Sprache, sondern auch deutsche Verhältnisse und Zustände kennen.
Belgier, die in Alt-Deutschland ihren Wohnsitz nehmen, können hier als Reichs¬
angehörige ohne weiteres zum Reichstag wählen, haben auch Anspruch auf


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[0310] Belgiens Zukunft weiter ausgeführt werden. Indem Deutschland eines der ersten Industrieländer der Welt an seine Volkswirtschaft anschließt, steigt es selbst zu einer unbestrittenen ersten Industriemacht der Welt empor, ohne doch gleich England der Gefahr ausgesetzt zu sein, seine Landwirtschaft zu vernichten. Auch hier begegnen sich wieder die Interessen Deutschlands mit denen des belgischen Wirtschaftslebens. Denn ein reicherer Gewinn kann den belgischen Industriellen nicht in den Schoß geschüttet werden, als der freie Markt für ihre Erzeugnisse in einem Reiche von siebzig Millionen, statt in dem bisherigen Kleinstaate. Es handelt sich nur darum, für den Anschluß Belgiens an das Deutsche Reich die geeigneten staatsrechtlichen Formen zu finden, die freilich außerhalb des Nahmens unseres bisherigen Reichsstaatsrechts liegen müssen. Belgien ist durch völkerrechtliche Eroberung (äebellatio) untergegangen und völkerrechtlich d. h. im Verhältnisse zu andern Staaten der Völkerrechts¬ gemeinschaft Bestandteil des Deutschen Reiches geworden. Nach Untergang der eigenen belgischen Staatsgewalt, besteht in ihm keine andere Staatsgewalt, als die des Reiches. Damit wäre es vorläufig etwa in den Rechtszustand eines deutschen Schutzgebietes versetzt. Darin soll es aber nicht bleiben. Es ist wie Elsaß-Lothringen und Helgoland durch ein den Art. 1 der Reichsverfassung änderndes Gesetz auch staatsrechtlich dem dort verfassungsmüßig feststehenden Bundesgebiet einzuverleiben und tritt ihm hinzu. Damit wird es auch staatsrechtlich Reichsland. Die bisherigen Belgier werden daher deutsche Reichsangehörige und zwar nur Reichs¬ angehörige, da es eine ergänzende Landesstaatsgewalt nicht gibt — es sei denn, sie beantragen ihre Entlassung und wanderten binnen Jahresfrist nach der Entlassung aus. In diesem Falle wären sie aber binnen der Frist eines weiteren Jahres verpflichtet, auch ihren im Inlande befindlichen Grundbesitz und Gewerbebetrieb bei Vermeidung der Enteignung aufzugeben. Daraus ergeben sich weitere Folgen für Land und Bewohner. Das Land ist in jeder Beziehung als Reichsinland zu betrachten. Ins¬ besondere wird es, vorbehaltlich eines Freihafenbezirks bei Antwerpen, in das deutsche Zollgebiet einbezogen. Es gehört auch zum Reichsgebiete. Die sonst für die Reichskasse erhobenen Abgaben fließen ihr auch hier zu. Die Bewohner, mit Ausnahme der ausländischen Staatsangehörigen, sind Reichsangehörige mit deren Pflichten und Rechten. Sie unterliegen demnach der allgemeinen Wehrpflicht. Da aber besondere belgische Truppenteile nicht gebildet werden, können sie ihrer Wehrpflicht nur in der bestehenden bewaffneten Macht des Reiches genügen. Bis auf weiteres ist es auch ausgeschlossen, daß sie ihrer Wehrpflicht in den in Belgien stehenden Truppenteilen genügen. Sie werden in Alt-Deutschland eingestellt. Damit lernt die männliche Jugend nicht nur die deutsche Sprache, sondern auch deutsche Verhältnisse und Zustände kennen. Belgier, die in Alt-Deutschland ihren Wohnsitz nehmen, können hier als Reichs¬ angehörige ohne weiteres zum Reichstag wählen, haben auch Anspruch auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/310>, abgerufen am 23.06.2024.