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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr.

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vom französischen Sozialismus

reichung ihrer Sonderzwecke, zum schnelleren Aufsteigen zur Bourgeoisie. Sie
waren ein unsicheres Element, der Sozialismus für sie ein Durchgangsstadium.
Das lag im Wesen der Sache. Persönliche Eindrücke zum Teil sehr krasser
Art sind mitbestimmend für dieses Bild. Die Lebenskurve eines Briand oder
Millerand hat sich im Kleinen schon unendlich oft wiederholt, sogar bis auf die
Hinschwenkung zum Nationalismus.

Für uns Deutsche ist ja eine solche öffentliche Beteiligung der Beamten¬
schaft an sozialdemokratischen Bestrebungen sehr merkwürdig, und leicht ziehen
wir daraus zu weit gehende Schlüsse. Man konnte Frankreich vielleicht für
sozialistisch ganz durchseucht halten. Besonders wenn man die Sachlage nach
den Gesprächen in den Salons, den Reden und Diskussionen, der Stimmung
unter der Jugend und gewissen Erscheinungen unter der Intelligenz beurteilte.
An jedem Lyzöe konnte man ja einen oder den andern sozialdemokratischen
Professor im Amte finden. Auch sozialistische Richter fehlten nicht, und die
Universitäten weisen Sozialisten von internationalem Ruf auf wie z. B. den
Verwalter des Jaurösschen Nachlasses, den Professor der Rechte an der
Universität Lyon, L6op-Brühl. Sozialistische Studentenvereme waren inte¬
grierender Bestandteil zahreicher Universitäten. Zahlreichen Politikern bedeutete
der internationale Sozialismus Anfang der politischen Laufbahn. Staat¬
liche Behinderung war nur gerade so weit vorhanden, daß sie die Lebens¬
existenz keineswegs gefährdete und doch die Aureole des Heldentums und
damit Befriedigung der Eitelkeit gewährte. Spielen mit der Revolution und
der revolutionären Phrase gehört zu den Lsbensnotwendigkeiten des Franzosen.
Für die Jugend war es ein Lebensstadium, die Zeit des Sturmes und
Dranges, des Glaubens an das 1789er Ideal der Gleichheit. Für die In¬
telligenz vor allem. Diese sprach mit einer gewissen wohlwollenden Achtung
vom Sozialismus, so wie man etwa von seinen Jugendtorheiten spricht. Es
gehört überdies zu den Eigentümlichkeiten des Franzosen, Überzeugungen zu
respektieren, so lange sie seine eigene Ruhe nicht stören, -- eine gewisse negative
Toleranz. Am meisten aber wirkte wohl in achtunggebietender Richtung gerade
bei der Intelligenz der Einfluß der Persönlichkeit von Jaurös.

Großer Redner, geistreich, radikal zwar, aber immer Vertreter der Welt
des Gedankens, immer Vertreter der Idee, hochgebildet, Franzose im besten
Sinne, nie demagogischer Schwätzer, nie gewöhnlicher Maulheld, wahr und
ehrlich und doch von starkem Pathos und nicht frei von französischer Geste,
entsprach er gerade in dieser Mischung französischer Art und französischer
Geistigkeit, wußte er immer wieder felbst die schärfsten parlamentarischen
Gegner zu bezaubern oder doch Interesse für seine Sache zu wecken und Platt¬
heiten seiner Genossen zu verdecken, hob er seine Fraktion auf eine auch der
Intelligenz entsprechende Stufe, chüele ihr unter Jugend und Gebildeten nicht
unerheblich den Weg. Durch ihn unmittelbar und mittelbar durch die In¬
telligenz kam in die französische Sozialdemokratie das geistig Bewegliche, das


vom französischen Sozialismus

reichung ihrer Sonderzwecke, zum schnelleren Aufsteigen zur Bourgeoisie. Sie
waren ein unsicheres Element, der Sozialismus für sie ein Durchgangsstadium.
Das lag im Wesen der Sache. Persönliche Eindrücke zum Teil sehr krasser
Art sind mitbestimmend für dieses Bild. Die Lebenskurve eines Briand oder
Millerand hat sich im Kleinen schon unendlich oft wiederholt, sogar bis auf die
Hinschwenkung zum Nationalismus.

Für uns Deutsche ist ja eine solche öffentliche Beteiligung der Beamten¬
schaft an sozialdemokratischen Bestrebungen sehr merkwürdig, und leicht ziehen
wir daraus zu weit gehende Schlüsse. Man konnte Frankreich vielleicht für
sozialistisch ganz durchseucht halten. Besonders wenn man die Sachlage nach
den Gesprächen in den Salons, den Reden und Diskussionen, der Stimmung
unter der Jugend und gewissen Erscheinungen unter der Intelligenz beurteilte.
An jedem Lyzöe konnte man ja einen oder den andern sozialdemokratischen
Professor im Amte finden. Auch sozialistische Richter fehlten nicht, und die
Universitäten weisen Sozialisten von internationalem Ruf auf wie z. B. den
Verwalter des Jaurösschen Nachlasses, den Professor der Rechte an der
Universität Lyon, L6op-Brühl. Sozialistische Studentenvereme waren inte¬
grierender Bestandteil zahreicher Universitäten. Zahlreichen Politikern bedeutete
der internationale Sozialismus Anfang der politischen Laufbahn. Staat¬
liche Behinderung war nur gerade so weit vorhanden, daß sie die Lebens¬
existenz keineswegs gefährdete und doch die Aureole des Heldentums und
damit Befriedigung der Eitelkeit gewährte. Spielen mit der Revolution und
der revolutionären Phrase gehört zu den Lsbensnotwendigkeiten des Franzosen.
Für die Jugend war es ein Lebensstadium, die Zeit des Sturmes und
Dranges, des Glaubens an das 1789er Ideal der Gleichheit. Für die In¬
telligenz vor allem. Diese sprach mit einer gewissen wohlwollenden Achtung
vom Sozialismus, so wie man etwa von seinen Jugendtorheiten spricht. Es
gehört überdies zu den Eigentümlichkeiten des Franzosen, Überzeugungen zu
respektieren, so lange sie seine eigene Ruhe nicht stören, — eine gewisse negative
Toleranz. Am meisten aber wirkte wohl in achtunggebietender Richtung gerade
bei der Intelligenz der Einfluß der Persönlichkeit von Jaurös.

Großer Redner, geistreich, radikal zwar, aber immer Vertreter der Welt
des Gedankens, immer Vertreter der Idee, hochgebildet, Franzose im besten
Sinne, nie demagogischer Schwätzer, nie gewöhnlicher Maulheld, wahr und
ehrlich und doch von starkem Pathos und nicht frei von französischer Geste,
entsprach er gerade in dieser Mischung französischer Art und französischer
Geistigkeit, wußte er immer wieder felbst die schärfsten parlamentarischen
Gegner zu bezaubern oder doch Interesse für seine Sache zu wecken und Platt¬
heiten seiner Genossen zu verdecken, hob er seine Fraktion auf eine auch der
Intelligenz entsprechende Stufe, chüele ihr unter Jugend und Gebildeten nicht
unerheblich den Weg. Durch ihn unmittelbar und mittelbar durch die In¬
telligenz kam in die französische Sozialdemokratie das geistig Bewegliche, das


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[0276] vom französischen Sozialismus reichung ihrer Sonderzwecke, zum schnelleren Aufsteigen zur Bourgeoisie. Sie waren ein unsicheres Element, der Sozialismus für sie ein Durchgangsstadium. Das lag im Wesen der Sache. Persönliche Eindrücke zum Teil sehr krasser Art sind mitbestimmend für dieses Bild. Die Lebenskurve eines Briand oder Millerand hat sich im Kleinen schon unendlich oft wiederholt, sogar bis auf die Hinschwenkung zum Nationalismus. Für uns Deutsche ist ja eine solche öffentliche Beteiligung der Beamten¬ schaft an sozialdemokratischen Bestrebungen sehr merkwürdig, und leicht ziehen wir daraus zu weit gehende Schlüsse. Man konnte Frankreich vielleicht für sozialistisch ganz durchseucht halten. Besonders wenn man die Sachlage nach den Gesprächen in den Salons, den Reden und Diskussionen, der Stimmung unter der Jugend und gewissen Erscheinungen unter der Intelligenz beurteilte. An jedem Lyzöe konnte man ja einen oder den andern sozialdemokratischen Professor im Amte finden. Auch sozialistische Richter fehlten nicht, und die Universitäten weisen Sozialisten von internationalem Ruf auf wie z. B. den Verwalter des Jaurösschen Nachlasses, den Professor der Rechte an der Universität Lyon, L6op-Brühl. Sozialistische Studentenvereme waren inte¬ grierender Bestandteil zahreicher Universitäten. Zahlreichen Politikern bedeutete der internationale Sozialismus Anfang der politischen Laufbahn. Staat¬ liche Behinderung war nur gerade so weit vorhanden, daß sie die Lebens¬ existenz keineswegs gefährdete und doch die Aureole des Heldentums und damit Befriedigung der Eitelkeit gewährte. Spielen mit der Revolution und der revolutionären Phrase gehört zu den Lsbensnotwendigkeiten des Franzosen. Für die Jugend war es ein Lebensstadium, die Zeit des Sturmes und Dranges, des Glaubens an das 1789er Ideal der Gleichheit. Für die In¬ telligenz vor allem. Diese sprach mit einer gewissen wohlwollenden Achtung vom Sozialismus, so wie man etwa von seinen Jugendtorheiten spricht. Es gehört überdies zu den Eigentümlichkeiten des Franzosen, Überzeugungen zu respektieren, so lange sie seine eigene Ruhe nicht stören, — eine gewisse negative Toleranz. Am meisten aber wirkte wohl in achtunggebietender Richtung gerade bei der Intelligenz der Einfluß der Persönlichkeit von Jaurös. Großer Redner, geistreich, radikal zwar, aber immer Vertreter der Welt des Gedankens, immer Vertreter der Idee, hochgebildet, Franzose im besten Sinne, nie demagogischer Schwätzer, nie gewöhnlicher Maulheld, wahr und ehrlich und doch von starkem Pathos und nicht frei von französischer Geste, entsprach er gerade in dieser Mischung französischer Art und französischer Geistigkeit, wußte er immer wieder felbst die schärfsten parlamentarischen Gegner zu bezaubern oder doch Interesse für seine Sache zu wecken und Platt¬ heiten seiner Genossen zu verdecken, hob er seine Fraktion auf eine auch der Intelligenz entsprechende Stufe, chüele ihr unter Jugend und Gebildeten nicht unerheblich den Weg. Durch ihn unmittelbar und mittelbar durch die In¬ telligenz kam in die französische Sozialdemokratie das geistig Bewegliche, das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330971/276>, abgerufen am 02.07.2024.