Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Dänemarks Zukunft

Den Dänen fällt es besonders schwer sich mit den neuen arti-individualistischen
Strömungen zu versöhnen, weil das ein Bruch mit tief eingewurzelten Idealen
bedeutet. Das kulturelle Leben in Dänemark wurde in seiner ganzen modernen
Entwicklung von der von Georg Brandes in den siebziger Jahren hervor¬
gebrachten geistigen Revolution geprägt, und Individualismus, Liberalismus
im westeuropäischen Sinne des Wortes und Unwille gegen jede Autorität sind
seitdem die augenfälligsten Merkmale der maßgebenden dänischen oder vielmehr
Kopenhagener Jntelligenzkreise. Aber es gibt doch Leute und seit dem Ausbruch
des Krieges gibt es deren immer mehr, die verstehen, daß diese Jndividualisten-
kultur veraltet ist, und daß die Losung der neuen Zeit Organisierung heißt.
Zu diesen gehört Paul Drachmann. "Das für die neue Zeit charakteristische",
sagt er, "ist, daß sie durch riesenhaftes, bewußtes Zusammenspiel von sämtlichen
Einzelkräften durch ein psychologisches und physisches Riesenaufgebot eine
gemeinsame Kraft und Macht schafft, und zwar mit dem Zwecke, nicht nur die
Lösung und Erweiterung der gemeinsamen Aufgaben zu ermöglichen, sondern
auch -- und das ist das wichtigste -- der Gesamtheit rückwirkende Kraft zu
geben, die einzelnen Individuen mit weit größerer Stärke erfüllt, als sie jemals
im isolierten Zustande haben könnten". Dieses neue Lebensprinzip war schon
längst im deutschen Volke das herrschende, und von der Notwendigkeit des
Krieges gezwungen beginnen auch Frankreich und England es sich anzueignen.
Und dasselbe ist auch für das dänische Volk notwendig, wenn es in der
Konkurrenz der Völker nicht unterliegen soll.

Der Verfasser zeigt sodann, daß, wenn nur dieses verstanden wird, die
Bedingungen sür ein Gedeihen des dänischen wirtschaftlichen Lebens in reichem
Maß vorhanden sind. Die Rohstoffrage, die früher für die wirtschaftliche
Entwicklung maßgebend war, kommt erst in zweiter Linie. Viel wichtiger ist
jetzt die Transportmöglichkeit, und hier hat Dänemark in seiner ausgedehnten
Küstenlinie und seinen guten Häfen einen großen Vorzug. Die Schiffahrt zeigt
nämlich in Bezug aus Billigkeit eine riesige Überlegenheit dem Eisenbahntransport
gegenüber. Dänemark hat zwar selbst keine Kohlen; die Frachtpreise für die Fahrt
zwischen schottischen und nordenglischen Kohlendistrikten und dänischen Häfen sind
aber nicht größer als die zwischen denselben Distrikten und London oder anderen
Städten in Südengland. Wie viel diese billigen Schiffsfrachten für die Entwicklung
des dänischen Wirtschaftslebens bedeuten, versteht man, wenn man hört, daß die
Seefracht von fast jeder dänischen Stadt nach fernen überseeischen Plätzen weniger
beträgt als die Eisenbahnfracht, die das deutsche Exportgut zahlen muß, um von
mitteldeutschen Produktionsplätzen nach Hamburg oder Bremen zu gelangen.

Diese Tatsache ist die Grundbedingung für das ganze materielle Leben in
Dänemark. Sie hat die Industrialisierung der Landwirtschaft ermöglicht, so
daß es auf Zufuhr von ausländischen Roh- und Hilfsstoffen und entsprechendem
Großexport gegründet ist. Sie hat die emporblühende Industrie geschaffen.
Und auf ihr läßt sich die wirtschaftliche Zukunft aufbauen.


Dänemarks Zukunft

Den Dänen fällt es besonders schwer sich mit den neuen arti-individualistischen
Strömungen zu versöhnen, weil das ein Bruch mit tief eingewurzelten Idealen
bedeutet. Das kulturelle Leben in Dänemark wurde in seiner ganzen modernen
Entwicklung von der von Georg Brandes in den siebziger Jahren hervor¬
gebrachten geistigen Revolution geprägt, und Individualismus, Liberalismus
im westeuropäischen Sinne des Wortes und Unwille gegen jede Autorität sind
seitdem die augenfälligsten Merkmale der maßgebenden dänischen oder vielmehr
Kopenhagener Jntelligenzkreise. Aber es gibt doch Leute und seit dem Ausbruch
des Krieges gibt es deren immer mehr, die verstehen, daß diese Jndividualisten-
kultur veraltet ist, und daß die Losung der neuen Zeit Organisierung heißt.
Zu diesen gehört Paul Drachmann. „Das für die neue Zeit charakteristische",
sagt er, „ist, daß sie durch riesenhaftes, bewußtes Zusammenspiel von sämtlichen
Einzelkräften durch ein psychologisches und physisches Riesenaufgebot eine
gemeinsame Kraft und Macht schafft, und zwar mit dem Zwecke, nicht nur die
Lösung und Erweiterung der gemeinsamen Aufgaben zu ermöglichen, sondern
auch — und das ist das wichtigste — der Gesamtheit rückwirkende Kraft zu
geben, die einzelnen Individuen mit weit größerer Stärke erfüllt, als sie jemals
im isolierten Zustande haben könnten". Dieses neue Lebensprinzip war schon
längst im deutschen Volke das herrschende, und von der Notwendigkeit des
Krieges gezwungen beginnen auch Frankreich und England es sich anzueignen.
Und dasselbe ist auch für das dänische Volk notwendig, wenn es in der
Konkurrenz der Völker nicht unterliegen soll.

Der Verfasser zeigt sodann, daß, wenn nur dieses verstanden wird, die
Bedingungen sür ein Gedeihen des dänischen wirtschaftlichen Lebens in reichem
Maß vorhanden sind. Die Rohstoffrage, die früher für die wirtschaftliche
Entwicklung maßgebend war, kommt erst in zweiter Linie. Viel wichtiger ist
jetzt die Transportmöglichkeit, und hier hat Dänemark in seiner ausgedehnten
Küstenlinie und seinen guten Häfen einen großen Vorzug. Die Schiffahrt zeigt
nämlich in Bezug aus Billigkeit eine riesige Überlegenheit dem Eisenbahntransport
gegenüber. Dänemark hat zwar selbst keine Kohlen; die Frachtpreise für die Fahrt
zwischen schottischen und nordenglischen Kohlendistrikten und dänischen Häfen sind
aber nicht größer als die zwischen denselben Distrikten und London oder anderen
Städten in Südengland. Wie viel diese billigen Schiffsfrachten für die Entwicklung
des dänischen Wirtschaftslebens bedeuten, versteht man, wenn man hört, daß die
Seefracht von fast jeder dänischen Stadt nach fernen überseeischen Plätzen weniger
beträgt als die Eisenbahnfracht, die das deutsche Exportgut zahlen muß, um von
mitteldeutschen Produktionsplätzen nach Hamburg oder Bremen zu gelangen.

Diese Tatsache ist die Grundbedingung für das ganze materielle Leben in
Dänemark. Sie hat die Industrialisierung der Landwirtschaft ermöglicht, so
daß es auf Zufuhr von ausländischen Roh- und Hilfsstoffen und entsprechendem
Großexport gegründet ist. Sie hat die emporblühende Industrie geschaffen.
Und auf ihr läßt sich die wirtschaftliche Zukunft aufbauen.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330612"/>
          <fw type="header" place="top"> Dänemarks Zukunft</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_238"> Den Dänen fällt es besonders schwer sich mit den neuen arti-individualistischen<lb/>
Strömungen zu versöhnen, weil das ein Bruch mit tief eingewurzelten Idealen<lb/>
bedeutet. Das kulturelle Leben in Dänemark wurde in seiner ganzen modernen<lb/>
Entwicklung von der von Georg Brandes in den siebziger Jahren hervor¬<lb/>
gebrachten geistigen Revolution geprägt, und Individualismus, Liberalismus<lb/>
im westeuropäischen Sinne des Wortes und Unwille gegen jede Autorität sind<lb/>
seitdem die augenfälligsten Merkmale der maßgebenden dänischen oder vielmehr<lb/>
Kopenhagener Jntelligenzkreise. Aber es gibt doch Leute und seit dem Ausbruch<lb/>
des Krieges gibt es deren immer mehr, die verstehen, daß diese Jndividualisten-<lb/>
kultur veraltet ist, und daß die Losung der neuen Zeit Organisierung heißt.<lb/>
Zu diesen gehört Paul Drachmann. &#x201E;Das für die neue Zeit charakteristische",<lb/>
sagt er, &#x201E;ist, daß sie durch riesenhaftes, bewußtes Zusammenspiel von sämtlichen<lb/>
Einzelkräften durch ein psychologisches und physisches Riesenaufgebot eine<lb/>
gemeinsame Kraft und Macht schafft, und zwar mit dem Zwecke, nicht nur die<lb/>
Lösung und Erweiterung der gemeinsamen Aufgaben zu ermöglichen, sondern<lb/>
auch &#x2014; und das ist das wichtigste &#x2014; der Gesamtheit rückwirkende Kraft zu<lb/>
geben, die einzelnen Individuen mit weit größerer Stärke erfüllt, als sie jemals<lb/>
im isolierten Zustande haben könnten". Dieses neue Lebensprinzip war schon<lb/>
längst im deutschen Volke das herrschende, und von der Notwendigkeit des<lb/>
Krieges gezwungen beginnen auch Frankreich und England es sich anzueignen.<lb/>
Und dasselbe ist auch für das dänische Volk notwendig, wenn es in der<lb/>
Konkurrenz der Völker nicht unterliegen soll.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_239"> Der Verfasser zeigt sodann, daß, wenn nur dieses verstanden wird, die<lb/>
Bedingungen sür ein Gedeihen des dänischen wirtschaftlichen Lebens in reichem<lb/>
Maß vorhanden sind. Die Rohstoffrage, die früher für die wirtschaftliche<lb/>
Entwicklung maßgebend war, kommt erst in zweiter Linie. Viel wichtiger ist<lb/>
jetzt die Transportmöglichkeit, und hier hat Dänemark in seiner ausgedehnten<lb/>
Küstenlinie und seinen guten Häfen einen großen Vorzug. Die Schiffahrt zeigt<lb/>
nämlich in Bezug aus Billigkeit eine riesige Überlegenheit dem Eisenbahntransport<lb/>
gegenüber. Dänemark hat zwar selbst keine Kohlen; die Frachtpreise für die Fahrt<lb/>
zwischen schottischen und nordenglischen Kohlendistrikten und dänischen Häfen sind<lb/>
aber nicht größer als die zwischen denselben Distrikten und London oder anderen<lb/>
Städten in Südengland. Wie viel diese billigen Schiffsfrachten für die Entwicklung<lb/>
des dänischen Wirtschaftslebens bedeuten, versteht man, wenn man hört, daß die<lb/>
Seefracht von fast jeder dänischen Stadt nach fernen überseeischen Plätzen weniger<lb/>
beträgt als die Eisenbahnfracht, die das deutsche Exportgut zahlen muß, um von<lb/>
mitteldeutschen Produktionsplätzen nach Hamburg oder Bremen zu gelangen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_240"> Diese Tatsache ist die Grundbedingung für das ganze materielle Leben in<lb/>
Dänemark. Sie hat die Industrialisierung der Landwirtschaft ermöglicht, so<lb/>
daß es auf Zufuhr von ausländischen Roh- und Hilfsstoffen und entsprechendem<lb/>
Großexport gegründet ist. Sie hat die emporblühende Industrie geschaffen.<lb/>
Und auf ihr läßt sich die wirtschaftliche Zukunft aufbauen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0074] Dänemarks Zukunft Den Dänen fällt es besonders schwer sich mit den neuen arti-individualistischen Strömungen zu versöhnen, weil das ein Bruch mit tief eingewurzelten Idealen bedeutet. Das kulturelle Leben in Dänemark wurde in seiner ganzen modernen Entwicklung von der von Georg Brandes in den siebziger Jahren hervor¬ gebrachten geistigen Revolution geprägt, und Individualismus, Liberalismus im westeuropäischen Sinne des Wortes und Unwille gegen jede Autorität sind seitdem die augenfälligsten Merkmale der maßgebenden dänischen oder vielmehr Kopenhagener Jntelligenzkreise. Aber es gibt doch Leute und seit dem Ausbruch des Krieges gibt es deren immer mehr, die verstehen, daß diese Jndividualisten- kultur veraltet ist, und daß die Losung der neuen Zeit Organisierung heißt. Zu diesen gehört Paul Drachmann. „Das für die neue Zeit charakteristische", sagt er, „ist, daß sie durch riesenhaftes, bewußtes Zusammenspiel von sämtlichen Einzelkräften durch ein psychologisches und physisches Riesenaufgebot eine gemeinsame Kraft und Macht schafft, und zwar mit dem Zwecke, nicht nur die Lösung und Erweiterung der gemeinsamen Aufgaben zu ermöglichen, sondern auch — und das ist das wichtigste — der Gesamtheit rückwirkende Kraft zu geben, die einzelnen Individuen mit weit größerer Stärke erfüllt, als sie jemals im isolierten Zustande haben könnten". Dieses neue Lebensprinzip war schon längst im deutschen Volke das herrschende, und von der Notwendigkeit des Krieges gezwungen beginnen auch Frankreich und England es sich anzueignen. Und dasselbe ist auch für das dänische Volk notwendig, wenn es in der Konkurrenz der Völker nicht unterliegen soll. Der Verfasser zeigt sodann, daß, wenn nur dieses verstanden wird, die Bedingungen sür ein Gedeihen des dänischen wirtschaftlichen Lebens in reichem Maß vorhanden sind. Die Rohstoffrage, die früher für die wirtschaftliche Entwicklung maßgebend war, kommt erst in zweiter Linie. Viel wichtiger ist jetzt die Transportmöglichkeit, und hier hat Dänemark in seiner ausgedehnten Küstenlinie und seinen guten Häfen einen großen Vorzug. Die Schiffahrt zeigt nämlich in Bezug aus Billigkeit eine riesige Überlegenheit dem Eisenbahntransport gegenüber. Dänemark hat zwar selbst keine Kohlen; die Frachtpreise für die Fahrt zwischen schottischen und nordenglischen Kohlendistrikten und dänischen Häfen sind aber nicht größer als die zwischen denselben Distrikten und London oder anderen Städten in Südengland. Wie viel diese billigen Schiffsfrachten für die Entwicklung des dänischen Wirtschaftslebens bedeuten, versteht man, wenn man hört, daß die Seefracht von fast jeder dänischen Stadt nach fernen überseeischen Plätzen weniger beträgt als die Eisenbahnfracht, die das deutsche Exportgut zahlen muß, um von mitteldeutschen Produktionsplätzen nach Hamburg oder Bremen zu gelangen. Diese Tatsache ist die Grundbedingung für das ganze materielle Leben in Dänemark. Sie hat die Industrialisierung der Landwirtschaft ermöglicht, so daß es auf Zufuhr von ausländischen Roh- und Hilfsstoffen und entsprechendem Großexport gegründet ist. Sie hat die emporblühende Industrie geschaffen. Und auf ihr läßt sich die wirtschaftliche Zukunft aufbauen.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/74
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/74>, abgerufen am 23.07.2024.