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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

die ein brauchbarer Führer durch die ver¬
schlungenen Wege der Diplomatie in dem
Kampfe um die wirtschaftliche Erschließung der
asiatischen Türkei sein konnten. Als Quellen-
material hat Mehrmann nach seinen eigenen
Angaben fast ausschließlich die Tagespresse
zur Verfügung gestanden. Er hat keinen Ein¬
blick in Archive -- auch nicht in die der am
Bau beteiligten Gesellschaften -- gehabt. Trotz¬
dem hat er es verstanden, uns ein abge¬
schlossenes Bild von den wechselvollen diplo¬
matischen Kämpfen zu liefern, die jetzt zu dem
blutigen Kriege geführt haben, bei denen die
Feder durch das Schwert ersetzt wurde.

Über die Bagdadbahn-Politik ist viel ge¬
schrieben, lange bevor es bei uns eine solche
gab. Zunächst handelte es sich für Deutsch¬
land in erster Linie darum, daß der mit dem
Bau einer längeren Eisenbahnlinie verbundene
Nutzen einer deutschen Gesellschaft gesichert
wurde. Aus diesem mehr privat-wirtschaft¬
lichem Interesse entstand, vielleicht sogar un¬
bewußt, bei uns der Trieb, an der Er¬
schließung großer wichtiger Gebiete beteiligt
zu sein. Mählich erstarkte der Instinkt zum
Willen. Dadurch wurde aus der rein wirt¬
schaftlichen eine politische Frage. Die Lösung
hat die Diplomatie der europäischen Staaten
in heißem Bemühen versucht. Der Ausbruch
des gegenwärtigen Krieges zerstörte die Hoff¬
nungen der friedlichen Arbeit. Und, wie wir
hoffen, zum Glücke der Türkei und Deutsch¬
lands! Mit dem Schwerte soll ganze Arbeit
geschaffen werden, der Federkrieg hätte zu
Kompromissen geführt.

Mit diesen Worten Heines brachte während
des Russisch-türkischen Krieges ein politisches
Witzblatt die Sehnsucht Rußlands nach dem
Goldenen Horn zum Ausdruck. Sie treffen
auch für den gegenwärtigen Krieg zu. Ja,
sie könnten als Leitstern auf dem langen Wege
der russischen Diplomatie in den letzten Jahr¬

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zehnten gelten. Das zeigt auch die Mehr-
mcmnsche Schrift. Mit einem Auge schielte
Rußland allerdings auch nach einem Wege
zum Indischen Meere.

Englands Interessen wurden naturgemäß
in erster Linie durch den Besitz Indiens be¬
stimmt, wo der Schienenstrang endigen sollte.
Durch den Endpunkt gewann die ganze Bahn¬
linie für London die höchste Bedeutung.

Es ist erklärlich, daß Deutschlands Aus¬
gabe überaus schwer war, seiner Politik gegen¬
über den beiden mächtigsten Staaten Europas
Geltung zu verschaffen. Ob unsere Diplo¬
matie in der Bewältigung dieser Arbeit ein
Meisterstück geliefert hat, überläßt auch Mehr¬
mann dem Urteil der Geschichte. Immerhin
erkennt er die Folgerichtigkeit an, mit der sich
die Handlung in dem ganzen Drama ent¬
wickelt.

Ich bedauere aufrichtig, daß mir das
Mehrmcmnsche Buch erst bekannt wurde, als
mein kurzer Aufsatz "Die türkischen Eisen¬
bahnen" (Ur. 23 der "Grenzboten"), schon im
Druck war. Ich hätte für meine Ausführungen
manche Anregung gewonnen. Mehrmann hat
das Kriegstagebuch im Stäbe des Führers
geschrieben, ich bei einem Stäbe in der Ge¬
fechtslinie. Der eine ist in der Lage, die
Zusammenhänge und Ursachen der Kriegs¬
handlung zu schildern, während der andere
nur den geschichtlichen Verlauf wiedergeben
kann. Die Notizen beider sind von Wert,
sie gewinnen aber durch die gegenseitige Er¬
gänzung. Ich kann daher den verehrten
Lesern der "Grenzboten", die sür diese ganze
Frage Interesse haben -- und wer hätte das
nicht --, die Lektüre der Mehrmannschen
Schrift auf das wärmste empfehlen.

Von einer anderenScite behandeltvr.pkil.
Richard Hennig die Frage in der kleinen
Schrift "Die deutschen Bahnbauten in der
Türkei" <Heft 12: Länder und Völker der
Türkei, Schriftensammlung des deutschen
Vorderastatenkomitees, herausgegeben von
or. Hugo Grothe-Leipzig, Verlag von Veit u.
Konz, Leipzig; 0,so M.). Er untersucht in erster
Linie die Frage, was die deutschen Bahnen --
also die anatolische, die Bagdad- und die
Mekkabahn -- während des gegenwärtigen
Krieges geleistet haben. Naturgemäß können

[Ende Spaltensatz]
"Ein Fichtenbaum steht einsam im Norden auf
kahler Höh',
Ihn fröstelt, es umgeben ihn Eis und Schnees
Er träumt von einer Palme, die fern im
Morgenland,
Einsam und schweigend trauert auf brennender
Felsenwand."

Maßgebliches und Unmaßgebliches

[Beginn Spaltensatz]

die ein brauchbarer Führer durch die ver¬
schlungenen Wege der Diplomatie in dem
Kampfe um die wirtschaftliche Erschließung der
asiatischen Türkei sein konnten. Als Quellen-
material hat Mehrmann nach seinen eigenen
Angaben fast ausschließlich die Tagespresse
zur Verfügung gestanden. Er hat keinen Ein¬
blick in Archive — auch nicht in die der am
Bau beteiligten Gesellschaften — gehabt. Trotz¬
dem hat er es verstanden, uns ein abge¬
schlossenes Bild von den wechselvollen diplo¬
matischen Kämpfen zu liefern, die jetzt zu dem
blutigen Kriege geführt haben, bei denen die
Feder durch das Schwert ersetzt wurde.

Über die Bagdadbahn-Politik ist viel ge¬
schrieben, lange bevor es bei uns eine solche
gab. Zunächst handelte es sich für Deutsch¬
land in erster Linie darum, daß der mit dem
Bau einer längeren Eisenbahnlinie verbundene
Nutzen einer deutschen Gesellschaft gesichert
wurde. Aus diesem mehr privat-wirtschaft¬
lichem Interesse entstand, vielleicht sogar un¬
bewußt, bei uns der Trieb, an der Er¬
schließung großer wichtiger Gebiete beteiligt
zu sein. Mählich erstarkte der Instinkt zum
Willen. Dadurch wurde aus der rein wirt¬
schaftlichen eine politische Frage. Die Lösung
hat die Diplomatie der europäischen Staaten
in heißem Bemühen versucht. Der Ausbruch
des gegenwärtigen Krieges zerstörte die Hoff¬
nungen der friedlichen Arbeit. Und, wie wir
hoffen, zum Glücke der Türkei und Deutsch¬
lands! Mit dem Schwerte soll ganze Arbeit
geschaffen werden, der Federkrieg hätte zu
Kompromissen geführt.

Mit diesen Worten Heines brachte während
des Russisch-türkischen Krieges ein politisches
Witzblatt die Sehnsucht Rußlands nach dem
Goldenen Horn zum Ausdruck. Sie treffen
auch für den gegenwärtigen Krieg zu. Ja,
sie könnten als Leitstern auf dem langen Wege
der russischen Diplomatie in den letzten Jahr¬

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zehnten gelten. Das zeigt auch die Mehr-
mcmnsche Schrift. Mit einem Auge schielte
Rußland allerdings auch nach einem Wege
zum Indischen Meere.

Englands Interessen wurden naturgemäß
in erster Linie durch den Besitz Indiens be¬
stimmt, wo der Schienenstrang endigen sollte.
Durch den Endpunkt gewann die ganze Bahn¬
linie für London die höchste Bedeutung.

Es ist erklärlich, daß Deutschlands Aus¬
gabe überaus schwer war, seiner Politik gegen¬
über den beiden mächtigsten Staaten Europas
Geltung zu verschaffen. Ob unsere Diplo¬
matie in der Bewältigung dieser Arbeit ein
Meisterstück geliefert hat, überläßt auch Mehr¬
mann dem Urteil der Geschichte. Immerhin
erkennt er die Folgerichtigkeit an, mit der sich
die Handlung in dem ganzen Drama ent¬
wickelt.

Ich bedauere aufrichtig, daß mir das
Mehrmcmnsche Buch erst bekannt wurde, als
mein kurzer Aufsatz „Die türkischen Eisen¬
bahnen" (Ur. 23 der „Grenzboten"), schon im
Druck war. Ich hätte für meine Ausführungen
manche Anregung gewonnen. Mehrmann hat
das Kriegstagebuch im Stäbe des Führers
geschrieben, ich bei einem Stäbe in der Ge¬
fechtslinie. Der eine ist in der Lage, die
Zusammenhänge und Ursachen der Kriegs¬
handlung zu schildern, während der andere
nur den geschichtlichen Verlauf wiedergeben
kann. Die Notizen beider sind von Wert,
sie gewinnen aber durch die gegenseitige Er¬
gänzung. Ich kann daher den verehrten
Lesern der „Grenzboten", die sür diese ganze
Frage Interesse haben — und wer hätte das
nicht —, die Lektüre der Mehrmannschen
Schrift auf das wärmste empfehlen.

Von einer anderenScite behandeltvr.pkil.
Richard Hennig die Frage in der kleinen
Schrift „Die deutschen Bahnbauten in der
Türkei" <Heft 12: Länder und Völker der
Türkei, Schriftensammlung des deutschen
Vorderastatenkomitees, herausgegeben von
or. Hugo Grothe-Leipzig, Verlag von Veit u.
Konz, Leipzig; 0,so M.). Er untersucht in erster
Linie die Frage, was die deutschen Bahnen —
also die anatolische, die Bagdad- und die
Mekkabahn — während des gegenwärtigen
Krieges geleistet haben. Naturgemäß können

[Ende Spaltensatz]
„Ein Fichtenbaum steht einsam im Norden auf
kahler Höh',
Ihn fröstelt, es umgeben ihn Eis und Schnees
Er träumt von einer Palme, die fern im
Morgenland,
Einsam und schweigend trauert auf brennender
Felsenwand."

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[0393] Maßgebliches und Unmaßgebliches die ein brauchbarer Führer durch die ver¬ schlungenen Wege der Diplomatie in dem Kampfe um die wirtschaftliche Erschließung der asiatischen Türkei sein konnten. Als Quellen- material hat Mehrmann nach seinen eigenen Angaben fast ausschließlich die Tagespresse zur Verfügung gestanden. Er hat keinen Ein¬ blick in Archive — auch nicht in die der am Bau beteiligten Gesellschaften — gehabt. Trotz¬ dem hat er es verstanden, uns ein abge¬ schlossenes Bild von den wechselvollen diplo¬ matischen Kämpfen zu liefern, die jetzt zu dem blutigen Kriege geführt haben, bei denen die Feder durch das Schwert ersetzt wurde. Über die Bagdadbahn-Politik ist viel ge¬ schrieben, lange bevor es bei uns eine solche gab. Zunächst handelte es sich für Deutsch¬ land in erster Linie darum, daß der mit dem Bau einer längeren Eisenbahnlinie verbundene Nutzen einer deutschen Gesellschaft gesichert wurde. Aus diesem mehr privat-wirtschaft¬ lichem Interesse entstand, vielleicht sogar un¬ bewußt, bei uns der Trieb, an der Er¬ schließung großer wichtiger Gebiete beteiligt zu sein. Mählich erstarkte der Instinkt zum Willen. Dadurch wurde aus der rein wirt¬ schaftlichen eine politische Frage. Die Lösung hat die Diplomatie der europäischen Staaten in heißem Bemühen versucht. Der Ausbruch des gegenwärtigen Krieges zerstörte die Hoff¬ nungen der friedlichen Arbeit. Und, wie wir hoffen, zum Glücke der Türkei und Deutsch¬ lands! Mit dem Schwerte soll ganze Arbeit geschaffen werden, der Federkrieg hätte zu Kompromissen geführt. Mit diesen Worten Heines brachte während des Russisch-türkischen Krieges ein politisches Witzblatt die Sehnsucht Rußlands nach dem Goldenen Horn zum Ausdruck. Sie treffen auch für den gegenwärtigen Krieg zu. Ja, sie könnten als Leitstern auf dem langen Wege der russischen Diplomatie in den letzten Jahr¬ zehnten gelten. Das zeigt auch die Mehr- mcmnsche Schrift. Mit einem Auge schielte Rußland allerdings auch nach einem Wege zum Indischen Meere. Englands Interessen wurden naturgemäß in erster Linie durch den Besitz Indiens be¬ stimmt, wo der Schienenstrang endigen sollte. Durch den Endpunkt gewann die ganze Bahn¬ linie für London die höchste Bedeutung. Es ist erklärlich, daß Deutschlands Aus¬ gabe überaus schwer war, seiner Politik gegen¬ über den beiden mächtigsten Staaten Europas Geltung zu verschaffen. Ob unsere Diplo¬ matie in der Bewältigung dieser Arbeit ein Meisterstück geliefert hat, überläßt auch Mehr¬ mann dem Urteil der Geschichte. Immerhin erkennt er die Folgerichtigkeit an, mit der sich die Handlung in dem ganzen Drama ent¬ wickelt. Ich bedauere aufrichtig, daß mir das Mehrmcmnsche Buch erst bekannt wurde, als mein kurzer Aufsatz „Die türkischen Eisen¬ bahnen" (Ur. 23 der „Grenzboten"), schon im Druck war. Ich hätte für meine Ausführungen manche Anregung gewonnen. Mehrmann hat das Kriegstagebuch im Stäbe des Führers geschrieben, ich bei einem Stäbe in der Ge¬ fechtslinie. Der eine ist in der Lage, die Zusammenhänge und Ursachen der Kriegs¬ handlung zu schildern, während der andere nur den geschichtlichen Verlauf wiedergeben kann. Die Notizen beider sind von Wert, sie gewinnen aber durch die gegenseitige Er¬ gänzung. Ich kann daher den verehrten Lesern der „Grenzboten", die sür diese ganze Frage Interesse haben — und wer hätte das nicht —, die Lektüre der Mehrmannschen Schrift auf das wärmste empfehlen. Von einer anderenScite behandeltvr.pkil. Richard Hennig die Frage in der kleinen Schrift „Die deutschen Bahnbauten in der Türkei" <Heft 12: Länder und Völker der Türkei, Schriftensammlung des deutschen Vorderastatenkomitees, herausgegeben von or. Hugo Grothe-Leipzig, Verlag von Veit u. Konz, Leipzig; 0,so M.). Er untersucht in erster Linie die Frage, was die deutschen Bahnen — also die anatolische, die Bagdad- und die Mekkabahn — während des gegenwärtigen Krieges geleistet haben. Naturgemäß können „Ein Fichtenbaum steht einsam im Norden auf kahler Höh', Ihn fröstelt, es umgeben ihn Eis und Schnees Er träumt von einer Palme, die fern im Morgenland, Einsam und schweigend trauert auf brennender Felsenwand."

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/393>, abgerufen am 28.09.2024.