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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Finanzen nach dem Kriege

fähigen Preisen anbieten kann. Diese Gefahr hat die City allerdings auch
erkannt, vermeidet aber, offen darüber zu reden. Der Abwendung der Gefahr
diente die Pariser Konferenz, die die Verbündeten zu einer wechselseitigen Be¬
fruchtung ihrer ökonomischen Energien veranlassen soll. Allein England verfolgt
auch dabei unmittelbar seine eigenen Interessen, wenn es sein muß, auf Kosten
seiner Waffen geführten von heute. Bezeichnend hierfür ist ein Aufsatz, der am
9. September 1916 im "Economist" erschien. In akademischer Form werden
in ihm die Handelsbeziehungen Englands und Rußlands untersucht, erwähnt,
daß Rußland einmal der Weizenlieferant Altenglands war, daß es im Fall
einer Mißernte in Nordamerika oder Australien sogar noch 1904, 1905 und
1910 ausgeholfen habe. Der Aufsatz entdeckt dann förmlich, daß Rußland als
Lieferant von Nahrungs- und Genußmitteln und von Rohstoffen weit hinter
den Vereinigten Staaten stehe. Daß die Dardanellen zuvor erobert werden
müssen, ist für den "Economist" mehr Tatsache als Voraussetzung. Der Zweck
der Übung enthüllt sich damit: England braucht für Nahrungsmittel und Roh¬
stoffe einen Lieferanten, dem es nicht verschuldet ist; es will der Gefahr aus¬
weichen, von der nordamerikanischen Union abhängig zu werden. Und da
Rußland erhebliche Verpflichtungen gegenüber London hat, deckt es diese
zum Teil durch Warenausfuhr. Mit Abänderung des Abzuändernden gelten
diese Verhältnisse auch für Frankreich. Es hat ebenfalls einige Milliarden
in der Union verpfändet; der tatsächliche Betrag läßt sich nicht feststellen, ist
keineswegs aus den offiziellen Angaben zu entnehmen. Eher sind Schlüsse aus
der Höhe des Notenumlaufs in Frankreich möglich, wenn man die Neigung
der Franzosen zur Thesaurierung berücksichtigt. Der Notenumlauf hat 13 Milliarden
Mark bereits überschritten, obschon er nur für eine Bevölkerung von 36 Millionen
bestimmt ist. Wenn trotzdem die französische Valuta als relativ günstig bezeichnet
werden kann, so erhellt daraus, daß nicht die Inflation mit Papiergeld allein
die Ursache der gewiesenen Wechselkurse sein kann. Dies behauptet unter anderen
auch Professor Gustaf Cassel in seiner Studie über Deutschlands wirtschaftliche
Widerstandskraft, in der er die Erklärung für die ungünstige Valuta Deutschlands
in der Überflutung mit Papiergeld sucht. Das ist schon als Tatsache nicht
richtig, weil der Notenumlauf in Frankreich relativ und absolut höher ist.
Trotzdem darf nicht verkannt werden, daß ein Zusammenhang der un¬
günstigen Valuta Deutschlands mit seinen Geldverhältnissen besteht. Hier
offenbart sich die Schädlichkeit und Gemeingefährlichkeit der Preistreibereien.
England hat einen hoch ausgebildeten bargeldlosen Zahlungsverkehr, der ihm
ermöglicht, die Banknotenausgabe auf ein unerläßliches Maß zu beschränken.
Daß wir ebenso zu dieser Sitte übergehen müssen, ist nicht nur eine kriegs¬
wirtschaftlich gebotene Notwendigkeit, sondern muß eine dauernde Einrichtung
und Gewohnheit bleiben. Unsere Valuta beeinflußt das nur mittelbar; ihre
Verbesserung wird die Aufhebung der Blockade und den freien Eingang zu
den Weltmärkten bringen. Wobei aber damit zu rechnen ist, daß die vor dem


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fähigen Preisen anbieten kann. Diese Gefahr hat die City allerdings auch
erkannt, vermeidet aber, offen darüber zu reden. Der Abwendung der Gefahr
diente die Pariser Konferenz, die die Verbündeten zu einer wechselseitigen Be¬
fruchtung ihrer ökonomischen Energien veranlassen soll. Allein England verfolgt
auch dabei unmittelbar seine eigenen Interessen, wenn es sein muß, auf Kosten
seiner Waffen geführten von heute. Bezeichnend hierfür ist ein Aufsatz, der am
9. September 1916 im „Economist" erschien. In akademischer Form werden
in ihm die Handelsbeziehungen Englands und Rußlands untersucht, erwähnt,
daß Rußland einmal der Weizenlieferant Altenglands war, daß es im Fall
einer Mißernte in Nordamerika oder Australien sogar noch 1904, 1905 und
1910 ausgeholfen habe. Der Aufsatz entdeckt dann förmlich, daß Rußland als
Lieferant von Nahrungs- und Genußmitteln und von Rohstoffen weit hinter
den Vereinigten Staaten stehe. Daß die Dardanellen zuvor erobert werden
müssen, ist für den „Economist" mehr Tatsache als Voraussetzung. Der Zweck
der Übung enthüllt sich damit: England braucht für Nahrungsmittel und Roh¬
stoffe einen Lieferanten, dem es nicht verschuldet ist; es will der Gefahr aus¬
weichen, von der nordamerikanischen Union abhängig zu werden. Und da
Rußland erhebliche Verpflichtungen gegenüber London hat, deckt es diese
zum Teil durch Warenausfuhr. Mit Abänderung des Abzuändernden gelten
diese Verhältnisse auch für Frankreich. Es hat ebenfalls einige Milliarden
in der Union verpfändet; der tatsächliche Betrag läßt sich nicht feststellen, ist
keineswegs aus den offiziellen Angaben zu entnehmen. Eher sind Schlüsse aus
der Höhe des Notenumlaufs in Frankreich möglich, wenn man die Neigung
der Franzosen zur Thesaurierung berücksichtigt. Der Notenumlauf hat 13 Milliarden
Mark bereits überschritten, obschon er nur für eine Bevölkerung von 36 Millionen
bestimmt ist. Wenn trotzdem die französische Valuta als relativ günstig bezeichnet
werden kann, so erhellt daraus, daß nicht die Inflation mit Papiergeld allein
die Ursache der gewiesenen Wechselkurse sein kann. Dies behauptet unter anderen
auch Professor Gustaf Cassel in seiner Studie über Deutschlands wirtschaftliche
Widerstandskraft, in der er die Erklärung für die ungünstige Valuta Deutschlands
in der Überflutung mit Papiergeld sucht. Das ist schon als Tatsache nicht
richtig, weil der Notenumlauf in Frankreich relativ und absolut höher ist.
Trotzdem darf nicht verkannt werden, daß ein Zusammenhang der un¬
günstigen Valuta Deutschlands mit seinen Geldverhältnissen besteht. Hier
offenbart sich die Schädlichkeit und Gemeingefährlichkeit der Preistreibereien.
England hat einen hoch ausgebildeten bargeldlosen Zahlungsverkehr, der ihm
ermöglicht, die Banknotenausgabe auf ein unerläßliches Maß zu beschränken.
Daß wir ebenso zu dieser Sitte übergehen müssen, ist nicht nur eine kriegs¬
wirtschaftlich gebotene Notwendigkeit, sondern muß eine dauernde Einrichtung
und Gewohnheit bleiben. Unsere Valuta beeinflußt das nur mittelbar; ihre
Verbesserung wird die Aufhebung der Blockade und den freien Eingang zu
den Weltmärkten bringen. Wobei aber damit zu rechnen ist, daß die vor dem


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[0369] Finanzen nach dem Kriege fähigen Preisen anbieten kann. Diese Gefahr hat die City allerdings auch erkannt, vermeidet aber, offen darüber zu reden. Der Abwendung der Gefahr diente die Pariser Konferenz, die die Verbündeten zu einer wechselseitigen Be¬ fruchtung ihrer ökonomischen Energien veranlassen soll. Allein England verfolgt auch dabei unmittelbar seine eigenen Interessen, wenn es sein muß, auf Kosten seiner Waffen geführten von heute. Bezeichnend hierfür ist ein Aufsatz, der am 9. September 1916 im „Economist" erschien. In akademischer Form werden in ihm die Handelsbeziehungen Englands und Rußlands untersucht, erwähnt, daß Rußland einmal der Weizenlieferant Altenglands war, daß es im Fall einer Mißernte in Nordamerika oder Australien sogar noch 1904, 1905 und 1910 ausgeholfen habe. Der Aufsatz entdeckt dann förmlich, daß Rußland als Lieferant von Nahrungs- und Genußmitteln und von Rohstoffen weit hinter den Vereinigten Staaten stehe. Daß die Dardanellen zuvor erobert werden müssen, ist für den „Economist" mehr Tatsache als Voraussetzung. Der Zweck der Übung enthüllt sich damit: England braucht für Nahrungsmittel und Roh¬ stoffe einen Lieferanten, dem es nicht verschuldet ist; es will der Gefahr aus¬ weichen, von der nordamerikanischen Union abhängig zu werden. Und da Rußland erhebliche Verpflichtungen gegenüber London hat, deckt es diese zum Teil durch Warenausfuhr. Mit Abänderung des Abzuändernden gelten diese Verhältnisse auch für Frankreich. Es hat ebenfalls einige Milliarden in der Union verpfändet; der tatsächliche Betrag läßt sich nicht feststellen, ist keineswegs aus den offiziellen Angaben zu entnehmen. Eher sind Schlüsse aus der Höhe des Notenumlaufs in Frankreich möglich, wenn man die Neigung der Franzosen zur Thesaurierung berücksichtigt. Der Notenumlauf hat 13 Milliarden Mark bereits überschritten, obschon er nur für eine Bevölkerung von 36 Millionen bestimmt ist. Wenn trotzdem die französische Valuta als relativ günstig bezeichnet werden kann, so erhellt daraus, daß nicht die Inflation mit Papiergeld allein die Ursache der gewiesenen Wechselkurse sein kann. Dies behauptet unter anderen auch Professor Gustaf Cassel in seiner Studie über Deutschlands wirtschaftliche Widerstandskraft, in der er die Erklärung für die ungünstige Valuta Deutschlands in der Überflutung mit Papiergeld sucht. Das ist schon als Tatsache nicht richtig, weil der Notenumlauf in Frankreich relativ und absolut höher ist. Trotzdem darf nicht verkannt werden, daß ein Zusammenhang der un¬ günstigen Valuta Deutschlands mit seinen Geldverhältnissen besteht. Hier offenbart sich die Schädlichkeit und Gemeingefährlichkeit der Preistreibereien. England hat einen hoch ausgebildeten bargeldlosen Zahlungsverkehr, der ihm ermöglicht, die Banknotenausgabe auf ein unerläßliches Maß zu beschränken. Daß wir ebenso zu dieser Sitte übergehen müssen, ist nicht nur eine kriegs¬ wirtschaftlich gebotene Notwendigkeit, sondern muß eine dauernde Einrichtung und Gewohnheit bleiben. Unsere Valuta beeinflußt das nur mittelbar; ihre Verbesserung wird die Aufhebung der Blockade und den freien Eingang zu den Weltmärkten bringen. Wobei aber damit zu rechnen ist, daß die vor dem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/369>, abgerufen am 23.07.2024.