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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Finanzen nach dem Ariege

auf 3,6, in Chile auf 3,2 Milliarden Mark zu schätzen. Dieser Milliarden¬
abfluß hat zwar unmittelbar den Erfolg, daß er für alle Welt sichtbar den
Sterlingkurs hält, aber nur so lange, als diese außerordentlichen Verhältnisse
anhalten. Indessen ist der Prozeß der Verschärfung der Werte nicht beendet.
Der Krieg soll nach englischen Versicherungen noch Jahre dauern. Der englische
Schatzkanzler hat vor einigen Wochen im Unterhaus erklärt, die Kriegskosten
würden Ende März 1917 für Altengland auf 69 Milliarden'Mark gestiegen
sein, was nicht zu schrecken brauche, weil das britische Nationaleinkommen rund
56 Milliarden betrage. Dabei hat der ehrenwerte Herr die erste Summe
erheblich unter- und die zweite Summe überschätzt. Die Kriegskosten Englands
und seiner Verbündeten betragen jetzt täglich rund 280. Millionen Mark, die
England in der Hauptsache unmittelbar oder mittelbar zu decken hat, da sowohl
Rußland, als auch Frankreich und Italien am Ende ihrer Kräfte angelangt
sind. Für den Monat wären also rund 8,4 Milliarden Mark Kriegskosten zu
decken, die allerdings zum Teil in den Ländern der Kriegführenden für den
selbst hergestellten Bedarf bleiben, zum anderen Teil aber nach den Vereinigten
Staaten wandern. Es ist wahrscheinlich, daß bis Ende März rund 22 Milliarden
Mark nach der Union abgeflossen sein werden, zumal die Munitionslieferungen usw.
seit Frühjahr 1916 durchschnittlich rund 400 Millionen Mark sür den Monat
betragen. Daß sich die Amerikaner alles gut bezahlen lassen, rücksichtslos die
Preise in die Höhe treiben, das ist die Schattenseite des Geschäftes für die
Alliierten und wofür die probritischen Stimmungen in der Union nicht einen
gleichwertigen Ersatz bieten.

Indessen handelt es sich für Altengland darum, ob es nach dem Kriege
die Absicht ausführen kann, die verschärften Werte wieder einzulösen. Jahr
für Jahr müßten Milliarden dafür mobil gemacht werden, mit dem Erfolg,
daß der Sterlingkurs auf New Uork ungünstig stünde. Dazu wirkt mit, daß
der englische Handel mit der Union immer passiv war, daß z. B. 1913 der
amerikanische Import den britischen Export nach der Union um rund 2,2 Milliarden
Mark überstieg. Vor dem Kriege hatten die Vereinigten Staaten Verpflichtungen
aus Kapitalanlagen, die durch den Besitzwechsel amerikanischer Werte im Kriege
einfach fortfallen. Steht aber der Sterlingkurs auf New Uork ungünstig, dann
muß England den Import aus der Union erheblich teurer als unter normalen
Verhältnissen bezahlen. Dieser Umstand ist bei der Diskussion über den "Wirt¬
schaftskrieg" so gut wie gar nicht beachtet worden. Die Waffe, die England
damit gegen uns schmieden will, ist stumpf. Wenn es mit seinen Verbündeten
in eine praktisch undurchführbare Zollunion träte, fo müßten die Zollschranken sich
auch gegen die Neutralen richten. Ist der Sterlingskurs auf New Aork ungünstig,
und er muß es sein, wenn England seine Pfänder auslösen will, muß Eng¬
land selbst die Halb- und Ganzfabrikate in der Union teuerer bezahlen, als es
sie in Deutschland erhalten könnte. Was wieder zur Folge haben würde, daß
England auf dem Weltmarkt distanziert wäre, weil es nicht mehr zu konkurrenz-


Finanzen nach dem Ariege

auf 3,6, in Chile auf 3,2 Milliarden Mark zu schätzen. Dieser Milliarden¬
abfluß hat zwar unmittelbar den Erfolg, daß er für alle Welt sichtbar den
Sterlingkurs hält, aber nur so lange, als diese außerordentlichen Verhältnisse
anhalten. Indessen ist der Prozeß der Verschärfung der Werte nicht beendet.
Der Krieg soll nach englischen Versicherungen noch Jahre dauern. Der englische
Schatzkanzler hat vor einigen Wochen im Unterhaus erklärt, die Kriegskosten
würden Ende März 1917 für Altengland auf 69 Milliarden'Mark gestiegen
sein, was nicht zu schrecken brauche, weil das britische Nationaleinkommen rund
56 Milliarden betrage. Dabei hat der ehrenwerte Herr die erste Summe
erheblich unter- und die zweite Summe überschätzt. Die Kriegskosten Englands
und seiner Verbündeten betragen jetzt täglich rund 280. Millionen Mark, die
England in der Hauptsache unmittelbar oder mittelbar zu decken hat, da sowohl
Rußland, als auch Frankreich und Italien am Ende ihrer Kräfte angelangt
sind. Für den Monat wären also rund 8,4 Milliarden Mark Kriegskosten zu
decken, die allerdings zum Teil in den Ländern der Kriegführenden für den
selbst hergestellten Bedarf bleiben, zum anderen Teil aber nach den Vereinigten
Staaten wandern. Es ist wahrscheinlich, daß bis Ende März rund 22 Milliarden
Mark nach der Union abgeflossen sein werden, zumal die Munitionslieferungen usw.
seit Frühjahr 1916 durchschnittlich rund 400 Millionen Mark sür den Monat
betragen. Daß sich die Amerikaner alles gut bezahlen lassen, rücksichtslos die
Preise in die Höhe treiben, das ist die Schattenseite des Geschäftes für die
Alliierten und wofür die probritischen Stimmungen in der Union nicht einen
gleichwertigen Ersatz bieten.

Indessen handelt es sich für Altengland darum, ob es nach dem Kriege
die Absicht ausführen kann, die verschärften Werte wieder einzulösen. Jahr
für Jahr müßten Milliarden dafür mobil gemacht werden, mit dem Erfolg,
daß der Sterlingkurs auf New Uork ungünstig stünde. Dazu wirkt mit, daß
der englische Handel mit der Union immer passiv war, daß z. B. 1913 der
amerikanische Import den britischen Export nach der Union um rund 2,2 Milliarden
Mark überstieg. Vor dem Kriege hatten die Vereinigten Staaten Verpflichtungen
aus Kapitalanlagen, die durch den Besitzwechsel amerikanischer Werte im Kriege
einfach fortfallen. Steht aber der Sterlingkurs auf New Uork ungünstig, dann
muß England den Import aus der Union erheblich teurer als unter normalen
Verhältnissen bezahlen. Dieser Umstand ist bei der Diskussion über den „Wirt¬
schaftskrieg" so gut wie gar nicht beachtet worden. Die Waffe, die England
damit gegen uns schmieden will, ist stumpf. Wenn es mit seinen Verbündeten
in eine praktisch undurchführbare Zollunion träte, fo müßten die Zollschranken sich
auch gegen die Neutralen richten. Ist der Sterlingskurs auf New Aork ungünstig,
und er muß es sein, wenn England seine Pfänder auslösen will, muß Eng¬
land selbst die Halb- und Ganzfabrikate in der Union teuerer bezahlen, als es
sie in Deutschland erhalten könnte. Was wieder zur Folge haben würde, daß
England auf dem Weltmarkt distanziert wäre, weil es nicht mehr zu konkurrenz-


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[0368] Finanzen nach dem Ariege auf 3,6, in Chile auf 3,2 Milliarden Mark zu schätzen. Dieser Milliarden¬ abfluß hat zwar unmittelbar den Erfolg, daß er für alle Welt sichtbar den Sterlingkurs hält, aber nur so lange, als diese außerordentlichen Verhältnisse anhalten. Indessen ist der Prozeß der Verschärfung der Werte nicht beendet. Der Krieg soll nach englischen Versicherungen noch Jahre dauern. Der englische Schatzkanzler hat vor einigen Wochen im Unterhaus erklärt, die Kriegskosten würden Ende März 1917 für Altengland auf 69 Milliarden'Mark gestiegen sein, was nicht zu schrecken brauche, weil das britische Nationaleinkommen rund 56 Milliarden betrage. Dabei hat der ehrenwerte Herr die erste Summe erheblich unter- und die zweite Summe überschätzt. Die Kriegskosten Englands und seiner Verbündeten betragen jetzt täglich rund 280. Millionen Mark, die England in der Hauptsache unmittelbar oder mittelbar zu decken hat, da sowohl Rußland, als auch Frankreich und Italien am Ende ihrer Kräfte angelangt sind. Für den Monat wären also rund 8,4 Milliarden Mark Kriegskosten zu decken, die allerdings zum Teil in den Ländern der Kriegführenden für den selbst hergestellten Bedarf bleiben, zum anderen Teil aber nach den Vereinigten Staaten wandern. Es ist wahrscheinlich, daß bis Ende März rund 22 Milliarden Mark nach der Union abgeflossen sein werden, zumal die Munitionslieferungen usw. seit Frühjahr 1916 durchschnittlich rund 400 Millionen Mark sür den Monat betragen. Daß sich die Amerikaner alles gut bezahlen lassen, rücksichtslos die Preise in die Höhe treiben, das ist die Schattenseite des Geschäftes für die Alliierten und wofür die probritischen Stimmungen in der Union nicht einen gleichwertigen Ersatz bieten. Indessen handelt es sich für Altengland darum, ob es nach dem Kriege die Absicht ausführen kann, die verschärften Werte wieder einzulösen. Jahr für Jahr müßten Milliarden dafür mobil gemacht werden, mit dem Erfolg, daß der Sterlingkurs auf New Uork ungünstig stünde. Dazu wirkt mit, daß der englische Handel mit der Union immer passiv war, daß z. B. 1913 der amerikanische Import den britischen Export nach der Union um rund 2,2 Milliarden Mark überstieg. Vor dem Kriege hatten die Vereinigten Staaten Verpflichtungen aus Kapitalanlagen, die durch den Besitzwechsel amerikanischer Werte im Kriege einfach fortfallen. Steht aber der Sterlingkurs auf New Uork ungünstig, dann muß England den Import aus der Union erheblich teurer als unter normalen Verhältnissen bezahlen. Dieser Umstand ist bei der Diskussion über den „Wirt¬ schaftskrieg" so gut wie gar nicht beachtet worden. Die Waffe, die England damit gegen uns schmieden will, ist stumpf. Wenn es mit seinen Verbündeten in eine praktisch undurchführbare Zollunion träte, fo müßten die Zollschranken sich auch gegen die Neutralen richten. Ist der Sterlingskurs auf New Aork ungünstig, und er muß es sein, wenn England seine Pfänder auslösen will, muß Eng¬ land selbst die Halb- und Ganzfabrikate in der Union teuerer bezahlen, als es sie in Deutschland erhalten könnte. Was wieder zur Folge haben würde, daß England auf dem Weltmarkt distanziert wäre, weil es nicht mehr zu konkurrenz-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/368>, abgerufen am 23.07.2024.