Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Mehrerziehung in Frankreich

Ihr klar umrissenes Programm legt auf die Schießübungen mit dem
Jnfanteriegewehr einen ganz besonderen Wert. In zweiter Linie wird die
Marschfähigkeit und die Förderung der physischen Gewandtheit betont; alles aber
wird umwoben von dem häufigen Hinweis auf die Erhaltung und Mehrung
des militärischen Geistes, glühender Begeisterung und selbstloser Vaterlands¬
liebe. Im praktischen Betrieb wird den verschiedensten Faktoren wie Klima,
Landessitten, Berufsleben, körperliche und geistige Vorbildung Rechnung ge¬
tragen. Eine Übung wöchentlich von höchstens zwei Stunden (außer bei
Märschen) soll die Regel bilden. Als gewöhnliche und praktischste Versamm¬
lungszeit wird erfahrungsgemäß ausdrücklich der Sonntag genannt. Im
Oktober und November werden Turnen, militärische Einzelausbildungen und
die den Schießdienst vorbereitenden Übungen berücksichtigt. Die Monate des
Winters und des ersten Frühjahrs sind theoretischen Unterweisungen über die
Schießlehre, das Kartenwesen, die staatsbürgerliche Erziehung, die Körperpflege,
die Folgen des Alkoholgenusses und der Geschlechtskrankheiten, die französische
Kolonialmacht und den Krieg 1870/71 zugedacht. Von Mitte März oder
April ab sollen die praktischen Tätigkeiten des Schießdienstes, des Kartenlesens
im Gelände, der Geländcbeurteilung und Geländebenutzung und der Übungs-
mürsche in den Vordergrund treten. Schieß- und Marschdienst wird mit
großem Nachdruck für diejenigen jungen Leute regelmäßig abgehalten, die im
Oktober des laufenden Jahres eingezogen werden. Als eine besonders wichtige
Aufgabe der Führer gilt das Erforschen und die Beeinflußung der jugendlichen
Seele, damit eine mutige, vaterlandsliebende, kameradschaftlich fühlende, an
Gehorsam und soldatische Zucht gewöhnte Jugend über die Schwelle der Armee
tritt. Eine Reihe von Sportausübungen (Radfahren, Schwimmen, Skifahren,
Schlittschuhlaufen, Ballspiele, Degenfechten und Bogenschießen) sollen eine über
dem Durchschnitt stehende Geschicklichkeit und vielseitige Körperausbildung er¬
zeugen. Zur Abwicklung des ganzen Programms werden nach französischer
Meinung ungefähr drei Jahre, mindestens aber zwei Jahre nötig sein. Für
die Zweige der Schießausbildung werden auch für den begabten und ge-
schickten Schüler mindestens zwei Ausbtldungsjahre gefordert. Es erscheint
vielleicht in diesem Zusammenhang nötig, darüber nachzudenken, ob das in
Frankreich geübte Bogenschießen nicht auch eine gute Augengewöhnung und
Zielübung für die deutsche Jugend werden könnte. Das französische Programm
ist von Anfang an dadurch auf eine breite und sehr volkstümliche Basis ge¬
stellt worden, daß neben den eigentlichen Vereinen zur militärischen Jugend-
Vorbereitung fast jeder Turm- und Schießverein eine, sagen wir einmal, be¬
sondere Wehrabteilung besitzt. (Sections annexöe8.) Wenn auch in Deutschland
aus der Schöpfungskraft unserer Turm- und Schießvereine vereinzelt Ähnliches
hervorgegangen ist, so dürfen wir nicht vergessen, daß in Frankreich alles dies
unter der unmittelbarsten Leitung und Aufsicht der Regierungsbehörden und
militärischer Dienststellen vor sich geht.


Die Mehrerziehung in Frankreich

Ihr klar umrissenes Programm legt auf die Schießübungen mit dem
Jnfanteriegewehr einen ganz besonderen Wert. In zweiter Linie wird die
Marschfähigkeit und die Förderung der physischen Gewandtheit betont; alles aber
wird umwoben von dem häufigen Hinweis auf die Erhaltung und Mehrung
des militärischen Geistes, glühender Begeisterung und selbstloser Vaterlands¬
liebe. Im praktischen Betrieb wird den verschiedensten Faktoren wie Klima,
Landessitten, Berufsleben, körperliche und geistige Vorbildung Rechnung ge¬
tragen. Eine Übung wöchentlich von höchstens zwei Stunden (außer bei
Märschen) soll die Regel bilden. Als gewöhnliche und praktischste Versamm¬
lungszeit wird erfahrungsgemäß ausdrücklich der Sonntag genannt. Im
Oktober und November werden Turnen, militärische Einzelausbildungen und
die den Schießdienst vorbereitenden Übungen berücksichtigt. Die Monate des
Winters und des ersten Frühjahrs sind theoretischen Unterweisungen über die
Schießlehre, das Kartenwesen, die staatsbürgerliche Erziehung, die Körperpflege,
die Folgen des Alkoholgenusses und der Geschlechtskrankheiten, die französische
Kolonialmacht und den Krieg 1870/71 zugedacht. Von Mitte März oder
April ab sollen die praktischen Tätigkeiten des Schießdienstes, des Kartenlesens
im Gelände, der Geländcbeurteilung und Geländebenutzung und der Übungs-
mürsche in den Vordergrund treten. Schieß- und Marschdienst wird mit
großem Nachdruck für diejenigen jungen Leute regelmäßig abgehalten, die im
Oktober des laufenden Jahres eingezogen werden. Als eine besonders wichtige
Aufgabe der Führer gilt das Erforschen und die Beeinflußung der jugendlichen
Seele, damit eine mutige, vaterlandsliebende, kameradschaftlich fühlende, an
Gehorsam und soldatische Zucht gewöhnte Jugend über die Schwelle der Armee
tritt. Eine Reihe von Sportausübungen (Radfahren, Schwimmen, Skifahren,
Schlittschuhlaufen, Ballspiele, Degenfechten und Bogenschießen) sollen eine über
dem Durchschnitt stehende Geschicklichkeit und vielseitige Körperausbildung er¬
zeugen. Zur Abwicklung des ganzen Programms werden nach französischer
Meinung ungefähr drei Jahre, mindestens aber zwei Jahre nötig sein. Für
die Zweige der Schießausbildung werden auch für den begabten und ge-
schickten Schüler mindestens zwei Ausbtldungsjahre gefordert. Es erscheint
vielleicht in diesem Zusammenhang nötig, darüber nachzudenken, ob das in
Frankreich geübte Bogenschießen nicht auch eine gute Augengewöhnung und
Zielübung für die deutsche Jugend werden könnte. Das französische Programm
ist von Anfang an dadurch auf eine breite und sehr volkstümliche Basis ge¬
stellt worden, daß neben den eigentlichen Vereinen zur militärischen Jugend-
Vorbereitung fast jeder Turm- und Schießverein eine, sagen wir einmal, be¬
sondere Wehrabteilung besitzt. (Sections annexöe8.) Wenn auch in Deutschland
aus der Schöpfungskraft unserer Turm- und Schießvereine vereinzelt Ähnliches
hervorgegangen ist, so dürfen wir nicht vergessen, daß in Frankreich alles dies
unter der unmittelbarsten Leitung und Aufsicht der Regierungsbehörden und
militärischer Dienststellen vor sich geht.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0353" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330891"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Mehrerziehung in Frankreich</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1109"> Ihr klar umrissenes Programm legt auf die Schießübungen mit dem<lb/>
Jnfanteriegewehr einen ganz besonderen Wert. In zweiter Linie wird die<lb/>
Marschfähigkeit und die Förderung der physischen Gewandtheit betont; alles aber<lb/>
wird umwoben von dem häufigen Hinweis auf die Erhaltung und Mehrung<lb/>
des militärischen Geistes, glühender Begeisterung und selbstloser Vaterlands¬<lb/>
liebe. Im praktischen Betrieb wird den verschiedensten Faktoren wie Klima,<lb/>
Landessitten, Berufsleben, körperliche und geistige Vorbildung Rechnung ge¬<lb/>
tragen. Eine Übung wöchentlich von höchstens zwei Stunden (außer bei<lb/>
Märschen) soll die Regel bilden. Als gewöhnliche und praktischste Versamm¬<lb/>
lungszeit wird erfahrungsgemäß ausdrücklich der Sonntag genannt. Im<lb/>
Oktober und November werden Turnen, militärische Einzelausbildungen und<lb/>
die den Schießdienst vorbereitenden Übungen berücksichtigt. Die Monate des<lb/>
Winters und des ersten Frühjahrs sind theoretischen Unterweisungen über die<lb/>
Schießlehre, das Kartenwesen, die staatsbürgerliche Erziehung, die Körperpflege,<lb/>
die Folgen des Alkoholgenusses und der Geschlechtskrankheiten, die französische<lb/>
Kolonialmacht und den Krieg 1870/71 zugedacht. Von Mitte März oder<lb/>
April ab sollen die praktischen Tätigkeiten des Schießdienstes, des Kartenlesens<lb/>
im Gelände, der Geländcbeurteilung und Geländebenutzung und der Übungs-<lb/>
mürsche in den Vordergrund treten. Schieß- und Marschdienst wird mit<lb/>
großem Nachdruck für diejenigen jungen Leute regelmäßig abgehalten, die im<lb/>
Oktober des laufenden Jahres eingezogen werden. Als eine besonders wichtige<lb/>
Aufgabe der Führer gilt das Erforschen und die Beeinflußung der jugendlichen<lb/>
Seele, damit eine mutige, vaterlandsliebende, kameradschaftlich fühlende, an<lb/>
Gehorsam und soldatische Zucht gewöhnte Jugend über die Schwelle der Armee<lb/>
tritt. Eine Reihe von Sportausübungen (Radfahren, Schwimmen, Skifahren,<lb/>
Schlittschuhlaufen, Ballspiele, Degenfechten und Bogenschießen) sollen eine über<lb/>
dem Durchschnitt stehende Geschicklichkeit und vielseitige Körperausbildung er¬<lb/>
zeugen. Zur Abwicklung des ganzen Programms werden nach französischer<lb/>
Meinung ungefähr drei Jahre, mindestens aber zwei Jahre nötig sein. Für<lb/>
die Zweige der Schießausbildung werden auch für den begabten und ge-<lb/>
schickten Schüler mindestens zwei Ausbtldungsjahre gefordert. Es erscheint<lb/>
vielleicht in diesem Zusammenhang nötig, darüber nachzudenken, ob das in<lb/>
Frankreich geübte Bogenschießen nicht auch eine gute Augengewöhnung und<lb/>
Zielübung für die deutsche Jugend werden könnte. Das französische Programm<lb/>
ist von Anfang an dadurch auf eine breite und sehr volkstümliche Basis ge¬<lb/>
stellt worden, daß neben den eigentlichen Vereinen zur militärischen Jugend-<lb/>
Vorbereitung fast jeder Turm- und Schießverein eine, sagen wir einmal, be¬<lb/>
sondere Wehrabteilung besitzt. (Sections annexöe8.) Wenn auch in Deutschland<lb/>
aus der Schöpfungskraft unserer Turm- und Schießvereine vereinzelt Ähnliches<lb/>
hervorgegangen ist, so dürfen wir nicht vergessen, daß in Frankreich alles dies<lb/>
unter der unmittelbarsten Leitung und Aufsicht der Regierungsbehörden und<lb/>
militärischer Dienststellen vor sich geht.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0353] Die Mehrerziehung in Frankreich Ihr klar umrissenes Programm legt auf die Schießübungen mit dem Jnfanteriegewehr einen ganz besonderen Wert. In zweiter Linie wird die Marschfähigkeit und die Förderung der physischen Gewandtheit betont; alles aber wird umwoben von dem häufigen Hinweis auf die Erhaltung und Mehrung des militärischen Geistes, glühender Begeisterung und selbstloser Vaterlands¬ liebe. Im praktischen Betrieb wird den verschiedensten Faktoren wie Klima, Landessitten, Berufsleben, körperliche und geistige Vorbildung Rechnung ge¬ tragen. Eine Übung wöchentlich von höchstens zwei Stunden (außer bei Märschen) soll die Regel bilden. Als gewöhnliche und praktischste Versamm¬ lungszeit wird erfahrungsgemäß ausdrücklich der Sonntag genannt. Im Oktober und November werden Turnen, militärische Einzelausbildungen und die den Schießdienst vorbereitenden Übungen berücksichtigt. Die Monate des Winters und des ersten Frühjahrs sind theoretischen Unterweisungen über die Schießlehre, das Kartenwesen, die staatsbürgerliche Erziehung, die Körperpflege, die Folgen des Alkoholgenusses und der Geschlechtskrankheiten, die französische Kolonialmacht und den Krieg 1870/71 zugedacht. Von Mitte März oder April ab sollen die praktischen Tätigkeiten des Schießdienstes, des Kartenlesens im Gelände, der Geländcbeurteilung und Geländebenutzung und der Übungs- mürsche in den Vordergrund treten. Schieß- und Marschdienst wird mit großem Nachdruck für diejenigen jungen Leute regelmäßig abgehalten, die im Oktober des laufenden Jahres eingezogen werden. Als eine besonders wichtige Aufgabe der Führer gilt das Erforschen und die Beeinflußung der jugendlichen Seele, damit eine mutige, vaterlandsliebende, kameradschaftlich fühlende, an Gehorsam und soldatische Zucht gewöhnte Jugend über die Schwelle der Armee tritt. Eine Reihe von Sportausübungen (Radfahren, Schwimmen, Skifahren, Schlittschuhlaufen, Ballspiele, Degenfechten und Bogenschießen) sollen eine über dem Durchschnitt stehende Geschicklichkeit und vielseitige Körperausbildung er¬ zeugen. Zur Abwicklung des ganzen Programms werden nach französischer Meinung ungefähr drei Jahre, mindestens aber zwei Jahre nötig sein. Für die Zweige der Schießausbildung werden auch für den begabten und ge- schickten Schüler mindestens zwei Ausbtldungsjahre gefordert. Es erscheint vielleicht in diesem Zusammenhang nötig, darüber nachzudenken, ob das in Frankreich geübte Bogenschießen nicht auch eine gute Augengewöhnung und Zielübung für die deutsche Jugend werden könnte. Das französische Programm ist von Anfang an dadurch auf eine breite und sehr volkstümliche Basis ge¬ stellt worden, daß neben den eigentlichen Vereinen zur militärischen Jugend- Vorbereitung fast jeder Turm- und Schießverein eine, sagen wir einmal, be¬ sondere Wehrabteilung besitzt. (Sections annexöe8.) Wenn auch in Deutschland aus der Schöpfungskraft unserer Turm- und Schießvereine vereinzelt Ähnliches hervorgegangen ist, so dürfen wir nicht vergessen, daß in Frankreich alles dies unter der unmittelbarsten Leitung und Aufsicht der Regierungsbehörden und militärischer Dienststellen vor sich geht.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/353
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/353>, abgerufen am 03.07.2024.