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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Zum Problem der sogenannten Einheitsschule

heute überreichlich durch den Zustrom der Berechtigten seine Bedürfnisse an
Beamten befriedigt sieht.

Aber schon in dem Augenblick, in dem der Familie durch Gewährung von
Vorteilen und durch den Anreiz, ihren Sohn in die höhere Sphäre gehoben zu
sehen, die Verfügung über das Kind entzogen wird, erhebt sich ein außer¬
ordentlich gewichtiges Bedenken. Der stärkste Wunsch jedes Vaters muß natur¬
gemäß der sein, seinen Sohn sich zu Höherem entwickeln zu sehen. Wenn ihm
dies nun mühelos durch Staatsunterstützung usw. gelingt, so wird das Fundament
unserer Volkswirtschaft, der Spartrieb des einzelnen, der die Hebung des
Volksvermögens erst möglich macht, verschwinden. Dieses sozial-ethische Bedenken
ist vielleicht das schwerste, das gegen die Schaffung einer Einheitsschule spricht.

Weiter werden eine Reihe pädagogischer Bedenken geltend gemacht werden
müssen. Zunächst würde die Einheitsschule uns eine Überschätzung des Intellektes
bringen, die uns um Jahrzehnte zurückwerfen würde. Wir haben gelernt, daß
es mindestens ebenso wichtig ist, den Willen zu bilden und seine Richtung
durch die Erziehung zu beeinflussen, wie das Talent zu züchten. Einseitige
Berufsbildung ohne festen Willen ist Zeit- und Kraftvergeudung! Gerade die
Willensbildung aber muß in einer Schule zurücktreten, die die Pflege der Be¬
gabung so stark in den Vordergrund rückt und durch die Erleichterungen, die
sie in Aussicht stellt, die Energie zum mindesten nicht anspornt. Und dieselbe
Forderung, die politisch uns den Zukunftsstaat bringen will, soll pädagogisch
den schlimmsten Rückschritt bedeuten?

Wenden wir uns nun den Einzelwünschen zu. Zunächst der gemeinsame
Unterbau, in den also die Eltern illiberalerweise gezwungen werden, ihre Kinder
zu senden. Dem berechtigten Einwand, daß die Volksschule eine Volksschule
sein soll, nicht aber eine Vorbereitungsanstalt für eine ganz andere Art von
Schulen, versucht man mit der Begründung entgegenzutreten, daß die "gehobene"
Volksschule auch diese Pflicht erfüllen könne. Die Kinder der unteren Stände
sollen in Kindergärten eine Erziehung erhalten, die sie den begüterteren gleich¬
stellt (d. h. man will die Auflösung der Familie, die man beklagt, noch
beschleunigen!). Man will also das Kind des Arbeiters mit einem Schlage
zum Gebildeten durch künstliche Päppelung erheben, während bis jetzt gerade
die allmähliche Hebung der Familie eine Gewähr für die Dauer zu geben
schien. Die Hemmungen, die sich durch die minderbegünstigte Lage der Eltern
ergaben, zu überwinden, schien ein Zeichen des Talentes oder gar des Genies,
jedenfalls aber des Charakters: jetzt räumt man diese Hemmungen fort, um
der Begabung auch ohne Willensstärke vorwärtszuhelfen.

Am Schluß dieses Unterbaues erhebt sich die Frage: wer darf nun in die
höhere Schule gelangen? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder wir
kommen zu einer unzweifelhaft richtigen Methode der Jntelligenzprüsung, oder
der Lehrer, der den Knaben bis dahin unterrichtet hat, erhält ein inappellables
Recht auf Einreihung des Schülers entweder in die obere Stufe der Volks-


Zum Problem der sogenannten Einheitsschule

heute überreichlich durch den Zustrom der Berechtigten seine Bedürfnisse an
Beamten befriedigt sieht.

Aber schon in dem Augenblick, in dem der Familie durch Gewährung von
Vorteilen und durch den Anreiz, ihren Sohn in die höhere Sphäre gehoben zu
sehen, die Verfügung über das Kind entzogen wird, erhebt sich ein außer¬
ordentlich gewichtiges Bedenken. Der stärkste Wunsch jedes Vaters muß natur¬
gemäß der sein, seinen Sohn sich zu Höherem entwickeln zu sehen. Wenn ihm
dies nun mühelos durch Staatsunterstützung usw. gelingt, so wird das Fundament
unserer Volkswirtschaft, der Spartrieb des einzelnen, der die Hebung des
Volksvermögens erst möglich macht, verschwinden. Dieses sozial-ethische Bedenken
ist vielleicht das schwerste, das gegen die Schaffung einer Einheitsschule spricht.

Weiter werden eine Reihe pädagogischer Bedenken geltend gemacht werden
müssen. Zunächst würde die Einheitsschule uns eine Überschätzung des Intellektes
bringen, die uns um Jahrzehnte zurückwerfen würde. Wir haben gelernt, daß
es mindestens ebenso wichtig ist, den Willen zu bilden und seine Richtung
durch die Erziehung zu beeinflussen, wie das Talent zu züchten. Einseitige
Berufsbildung ohne festen Willen ist Zeit- und Kraftvergeudung! Gerade die
Willensbildung aber muß in einer Schule zurücktreten, die die Pflege der Be¬
gabung so stark in den Vordergrund rückt und durch die Erleichterungen, die
sie in Aussicht stellt, die Energie zum mindesten nicht anspornt. Und dieselbe
Forderung, die politisch uns den Zukunftsstaat bringen will, soll pädagogisch
den schlimmsten Rückschritt bedeuten?

Wenden wir uns nun den Einzelwünschen zu. Zunächst der gemeinsame
Unterbau, in den also die Eltern illiberalerweise gezwungen werden, ihre Kinder
zu senden. Dem berechtigten Einwand, daß die Volksschule eine Volksschule
sein soll, nicht aber eine Vorbereitungsanstalt für eine ganz andere Art von
Schulen, versucht man mit der Begründung entgegenzutreten, daß die „gehobene"
Volksschule auch diese Pflicht erfüllen könne. Die Kinder der unteren Stände
sollen in Kindergärten eine Erziehung erhalten, die sie den begüterteren gleich¬
stellt (d. h. man will die Auflösung der Familie, die man beklagt, noch
beschleunigen!). Man will also das Kind des Arbeiters mit einem Schlage
zum Gebildeten durch künstliche Päppelung erheben, während bis jetzt gerade
die allmähliche Hebung der Familie eine Gewähr für die Dauer zu geben
schien. Die Hemmungen, die sich durch die minderbegünstigte Lage der Eltern
ergaben, zu überwinden, schien ein Zeichen des Talentes oder gar des Genies,
jedenfalls aber des Charakters: jetzt räumt man diese Hemmungen fort, um
der Begabung auch ohne Willensstärke vorwärtszuhelfen.

Am Schluß dieses Unterbaues erhebt sich die Frage: wer darf nun in die
höhere Schule gelangen? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder wir
kommen zu einer unzweifelhaft richtigen Methode der Jntelligenzprüsung, oder
der Lehrer, der den Knaben bis dahin unterrichtet hat, erhält ein inappellables
Recht auf Einreihung des Schülers entweder in die obere Stufe der Volks-


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[0327] Zum Problem der sogenannten Einheitsschule heute überreichlich durch den Zustrom der Berechtigten seine Bedürfnisse an Beamten befriedigt sieht. Aber schon in dem Augenblick, in dem der Familie durch Gewährung von Vorteilen und durch den Anreiz, ihren Sohn in die höhere Sphäre gehoben zu sehen, die Verfügung über das Kind entzogen wird, erhebt sich ein außer¬ ordentlich gewichtiges Bedenken. Der stärkste Wunsch jedes Vaters muß natur¬ gemäß der sein, seinen Sohn sich zu Höherem entwickeln zu sehen. Wenn ihm dies nun mühelos durch Staatsunterstützung usw. gelingt, so wird das Fundament unserer Volkswirtschaft, der Spartrieb des einzelnen, der die Hebung des Volksvermögens erst möglich macht, verschwinden. Dieses sozial-ethische Bedenken ist vielleicht das schwerste, das gegen die Schaffung einer Einheitsschule spricht. Weiter werden eine Reihe pädagogischer Bedenken geltend gemacht werden müssen. Zunächst würde die Einheitsschule uns eine Überschätzung des Intellektes bringen, die uns um Jahrzehnte zurückwerfen würde. Wir haben gelernt, daß es mindestens ebenso wichtig ist, den Willen zu bilden und seine Richtung durch die Erziehung zu beeinflussen, wie das Talent zu züchten. Einseitige Berufsbildung ohne festen Willen ist Zeit- und Kraftvergeudung! Gerade die Willensbildung aber muß in einer Schule zurücktreten, die die Pflege der Be¬ gabung so stark in den Vordergrund rückt und durch die Erleichterungen, die sie in Aussicht stellt, die Energie zum mindesten nicht anspornt. Und dieselbe Forderung, die politisch uns den Zukunftsstaat bringen will, soll pädagogisch den schlimmsten Rückschritt bedeuten? Wenden wir uns nun den Einzelwünschen zu. Zunächst der gemeinsame Unterbau, in den also die Eltern illiberalerweise gezwungen werden, ihre Kinder zu senden. Dem berechtigten Einwand, daß die Volksschule eine Volksschule sein soll, nicht aber eine Vorbereitungsanstalt für eine ganz andere Art von Schulen, versucht man mit der Begründung entgegenzutreten, daß die „gehobene" Volksschule auch diese Pflicht erfüllen könne. Die Kinder der unteren Stände sollen in Kindergärten eine Erziehung erhalten, die sie den begüterteren gleich¬ stellt (d. h. man will die Auflösung der Familie, die man beklagt, noch beschleunigen!). Man will also das Kind des Arbeiters mit einem Schlage zum Gebildeten durch künstliche Päppelung erheben, während bis jetzt gerade die allmähliche Hebung der Familie eine Gewähr für die Dauer zu geben schien. Die Hemmungen, die sich durch die minderbegünstigte Lage der Eltern ergaben, zu überwinden, schien ein Zeichen des Talentes oder gar des Genies, jedenfalls aber des Charakters: jetzt räumt man diese Hemmungen fort, um der Begabung auch ohne Willensstärke vorwärtszuhelfen. Am Schluß dieses Unterbaues erhebt sich die Frage: wer darf nun in die höhere Schule gelangen? Es gibt nur zwei Möglichkeiten: entweder wir kommen zu einer unzweifelhaft richtigen Methode der Jntelligenzprüsung, oder der Lehrer, der den Knaben bis dahin unterrichtet hat, erhält ein inappellables Recht auf Einreihung des Schülers entweder in die obere Stufe der Volks-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/327>, abgerufen am 23.07.2024.