Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Zum Problem der sogenannten Einheitsschule

im Erwerbsleben zu sorgen, konstruiert, einverstanden erklären können. Aber
auch abgesehen von dieser theoretischen Forderung für die Zukunft besitzt die
höhere Schule schon jetzt manmqfalliize Möglichkeiten, wirklich ungeeignete
Schüler abzustoßen. Es ist noch nicht lange her. daß ein Erlaß des Ministers
in Preußen geradezu derartige Maßregeln den höheren Schulen anempfahl.
Einen Unterschied aber zwischen den einzelnen Bevölkerungsklafsen in dem
Streben nach Berechtigungen zu machen, ist überhaupt nicht angängig. Der
Gebildete, der noch dazu imstande ist, kraft seines Besitzes seinen Sohn auch
ohne Staatsprüfungen durchs Leben zu bringen, wird ihn sicher noch eher von
der höheren Schule nehmen als der weniger Begüterte, der dem Wahne lebt,
daß die Abftempelung durch Examina sein Kind in eine "höhere" Sphäre hebt.*)

Scheint somit der Beweis erbracht, daß die Schädigung, die der Volks¬
organismus durch das Bestehen der höheren Schulen, so wie sie augenblicklich
sind, erleidet, nicht allzu groß ist, so ist zweifellos das vorgeschlagene Heilmittel
der Einheitsschule höchst bedenklich.

Glauben wir den Verfechtern der Einheitsschultheorie, so wird nach
Öffnung der hindernden Schranken sich ein breiter Strom Begabter aus den
unteren Volksständen in die höheren Schulen ergießen.**) Es wird dann also
dieselbe Überfüllung der gelehrten Berufe eintreten, die wir schon heute mit
Bedauern registrieren. Aber es wird dann ein großer Teil der nun mit
Berechtigungen Ausgestatteten nicht imstande sein, sich ohne Hilfe des Staates,
der während der Schulzeit für ihn gesorgt hat, weiter zu behaupten. Es ist
ja ganz selbstverständlich, daß die Einheitsschulfreunde mit ihren Forderungen
auf materielle Unterstützung schon in der Schule nicht bei der Schuldgeld¬
befreiung stehen bleiben können, sondern daß sie noch nebenbei verlangen, daß
den Familien, welchen durch die Entziehung ihrer Kinder (durch den Besuch
der höheren Schule) eine Arbeitskraft geraubt wird, diese noch außerdem durch
Geldunterstützung ersetzt wird. Wenn nun der junge Mensch nach bestandenen
Examen auf die Universität übertritt, so muß er zunächst ein Stipendium
erhalten, ferner muß seine Familie weiter entschädigt werden; endlich muß er
die Universität kostenlos besuchen können. Was geschieht nun, wenn er sein
Studium beendet hat und nicht sofort eine Anstellung erhält? Der Staat,
der ihn soweit gebracht hat, hat nicht nur ein Interesse, sondern geradezu die
Pflicht, ihm sobald wie möglich mit Hintansetzung aller anderen Bewerber ein
Amt zu verschaffen. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Forderung den
sozialistischen Zukunftsstaat zur Voraussetzung hat.

Nur in Parenthese füge ich hier hinzu, daß diese ganze Schlußfolgerung
überhaupt den Interessen des Staates deshalb zuwiderläuft, weil er ja schon




*) Sehr mit Unrecht, Wie Kuckhoff in der erwähnten Schrift ausführlich beweist.
**) Meumann, der sich bei seinen Untersuchungen auf Godard stützt, erklärt allerdings,
daß, wenn 7ö°/g der Volksschüler als normal begabt zu gelten haben, nur 4°/g den Durch
schnitt überragen I
Zum Problem der sogenannten Einheitsschule

im Erwerbsleben zu sorgen, konstruiert, einverstanden erklären können. Aber
auch abgesehen von dieser theoretischen Forderung für die Zukunft besitzt die
höhere Schule schon jetzt manmqfalliize Möglichkeiten, wirklich ungeeignete
Schüler abzustoßen. Es ist noch nicht lange her. daß ein Erlaß des Ministers
in Preußen geradezu derartige Maßregeln den höheren Schulen anempfahl.
Einen Unterschied aber zwischen den einzelnen Bevölkerungsklafsen in dem
Streben nach Berechtigungen zu machen, ist überhaupt nicht angängig. Der
Gebildete, der noch dazu imstande ist, kraft seines Besitzes seinen Sohn auch
ohne Staatsprüfungen durchs Leben zu bringen, wird ihn sicher noch eher von
der höheren Schule nehmen als der weniger Begüterte, der dem Wahne lebt,
daß die Abftempelung durch Examina sein Kind in eine „höhere" Sphäre hebt.*)

Scheint somit der Beweis erbracht, daß die Schädigung, die der Volks¬
organismus durch das Bestehen der höheren Schulen, so wie sie augenblicklich
sind, erleidet, nicht allzu groß ist, so ist zweifellos das vorgeschlagene Heilmittel
der Einheitsschule höchst bedenklich.

Glauben wir den Verfechtern der Einheitsschultheorie, so wird nach
Öffnung der hindernden Schranken sich ein breiter Strom Begabter aus den
unteren Volksständen in die höheren Schulen ergießen.**) Es wird dann also
dieselbe Überfüllung der gelehrten Berufe eintreten, die wir schon heute mit
Bedauern registrieren. Aber es wird dann ein großer Teil der nun mit
Berechtigungen Ausgestatteten nicht imstande sein, sich ohne Hilfe des Staates,
der während der Schulzeit für ihn gesorgt hat, weiter zu behaupten. Es ist
ja ganz selbstverständlich, daß die Einheitsschulfreunde mit ihren Forderungen
auf materielle Unterstützung schon in der Schule nicht bei der Schuldgeld¬
befreiung stehen bleiben können, sondern daß sie noch nebenbei verlangen, daß
den Familien, welchen durch die Entziehung ihrer Kinder (durch den Besuch
der höheren Schule) eine Arbeitskraft geraubt wird, diese noch außerdem durch
Geldunterstützung ersetzt wird. Wenn nun der junge Mensch nach bestandenen
Examen auf die Universität übertritt, so muß er zunächst ein Stipendium
erhalten, ferner muß seine Familie weiter entschädigt werden; endlich muß er
die Universität kostenlos besuchen können. Was geschieht nun, wenn er sein
Studium beendet hat und nicht sofort eine Anstellung erhält? Der Staat,
der ihn soweit gebracht hat, hat nicht nur ein Interesse, sondern geradezu die
Pflicht, ihm sobald wie möglich mit Hintansetzung aller anderen Bewerber ein
Amt zu verschaffen. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Forderung den
sozialistischen Zukunftsstaat zur Voraussetzung hat.

Nur in Parenthese füge ich hier hinzu, daß diese ganze Schlußfolgerung
überhaupt den Interessen des Staates deshalb zuwiderläuft, weil er ja schon




*) Sehr mit Unrecht, Wie Kuckhoff in der erwähnten Schrift ausführlich beweist.
**) Meumann, der sich bei seinen Untersuchungen auf Godard stützt, erklärt allerdings,
daß, wenn 7ö°/g der Volksschüler als normal begabt zu gelten haben, nur 4°/g den Durch
schnitt überragen I
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0326" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330864"/>
          <fw type="header" place="top"> Zum Problem der sogenannten Einheitsschule</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1032" prev="#ID_1031"> im Erwerbsleben zu sorgen, konstruiert, einverstanden erklären können. Aber<lb/>
auch abgesehen von dieser theoretischen Forderung für die Zukunft besitzt die<lb/>
höhere Schule schon jetzt manmqfalliize Möglichkeiten, wirklich ungeeignete<lb/>
Schüler abzustoßen. Es ist noch nicht lange her. daß ein Erlaß des Ministers<lb/>
in Preußen geradezu derartige Maßregeln den höheren Schulen anempfahl.<lb/>
Einen Unterschied aber zwischen den einzelnen Bevölkerungsklafsen in dem<lb/>
Streben nach Berechtigungen zu machen, ist überhaupt nicht angängig. Der<lb/>
Gebildete, der noch dazu imstande ist, kraft seines Besitzes seinen Sohn auch<lb/>
ohne Staatsprüfungen durchs Leben zu bringen, wird ihn sicher noch eher von<lb/>
der höheren Schule nehmen als der weniger Begüterte, der dem Wahne lebt,<lb/>
daß die Abftempelung durch Examina sein Kind in eine &#x201E;höhere" Sphäre hebt.*)</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1033"> Scheint somit der Beweis erbracht, daß die Schädigung, die der Volks¬<lb/>
organismus durch das Bestehen der höheren Schulen, so wie sie augenblicklich<lb/>
sind, erleidet, nicht allzu groß ist, so ist zweifellos das vorgeschlagene Heilmittel<lb/>
der Einheitsschule höchst bedenklich.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1034"> Glauben wir den Verfechtern der Einheitsschultheorie, so wird nach<lb/>
Öffnung der hindernden Schranken sich ein breiter Strom Begabter aus den<lb/>
unteren Volksständen in die höheren Schulen ergießen.**) Es wird dann also<lb/>
dieselbe Überfüllung der gelehrten Berufe eintreten, die wir schon heute mit<lb/>
Bedauern registrieren. Aber es wird dann ein großer Teil der nun mit<lb/>
Berechtigungen Ausgestatteten nicht imstande sein, sich ohne Hilfe des Staates,<lb/>
der während der Schulzeit für ihn gesorgt hat, weiter zu behaupten. Es ist<lb/>
ja ganz selbstverständlich, daß die Einheitsschulfreunde mit ihren Forderungen<lb/>
auf materielle Unterstützung schon in der Schule nicht bei der Schuldgeld¬<lb/>
befreiung stehen bleiben können, sondern daß sie noch nebenbei verlangen, daß<lb/>
den Familien, welchen durch die Entziehung ihrer Kinder (durch den Besuch<lb/>
der höheren Schule) eine Arbeitskraft geraubt wird, diese noch außerdem durch<lb/>
Geldunterstützung ersetzt wird. Wenn nun der junge Mensch nach bestandenen<lb/>
Examen auf die Universität übertritt, so muß er zunächst ein Stipendium<lb/>
erhalten, ferner muß seine Familie weiter entschädigt werden; endlich muß er<lb/>
die Universität kostenlos besuchen können. Was geschieht nun, wenn er sein<lb/>
Studium beendet hat und nicht sofort eine Anstellung erhält? Der Staat,<lb/>
der ihn soweit gebracht hat, hat nicht nur ein Interesse, sondern geradezu die<lb/>
Pflicht, ihm sobald wie möglich mit Hintansetzung aller anderen Bewerber ein<lb/>
Amt zu verschaffen. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Forderung den<lb/>
sozialistischen Zukunftsstaat zur Voraussetzung hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1035" next="#ID_1036"> Nur in Parenthese füge ich hier hinzu, daß diese ganze Schlußfolgerung<lb/>
überhaupt den Interessen des Staates deshalb zuwiderläuft, weil er ja schon</p><lb/>
          <note xml:id="FID_67" place="foot"> *) Sehr mit Unrecht, Wie Kuckhoff in der erwähnten Schrift ausführlich beweist.</note><lb/>
          <note xml:id="FID_68" place="foot"> **) Meumann, der sich bei seinen Untersuchungen auf Godard stützt, erklärt allerdings,<lb/>
daß, wenn 7ö°/g der Volksschüler als normal begabt zu gelten haben, nur 4°/g den Durch<lb/>
schnitt überragen I</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0326] Zum Problem der sogenannten Einheitsschule im Erwerbsleben zu sorgen, konstruiert, einverstanden erklären können. Aber auch abgesehen von dieser theoretischen Forderung für die Zukunft besitzt die höhere Schule schon jetzt manmqfalliize Möglichkeiten, wirklich ungeeignete Schüler abzustoßen. Es ist noch nicht lange her. daß ein Erlaß des Ministers in Preußen geradezu derartige Maßregeln den höheren Schulen anempfahl. Einen Unterschied aber zwischen den einzelnen Bevölkerungsklafsen in dem Streben nach Berechtigungen zu machen, ist überhaupt nicht angängig. Der Gebildete, der noch dazu imstande ist, kraft seines Besitzes seinen Sohn auch ohne Staatsprüfungen durchs Leben zu bringen, wird ihn sicher noch eher von der höheren Schule nehmen als der weniger Begüterte, der dem Wahne lebt, daß die Abftempelung durch Examina sein Kind in eine „höhere" Sphäre hebt.*) Scheint somit der Beweis erbracht, daß die Schädigung, die der Volks¬ organismus durch das Bestehen der höheren Schulen, so wie sie augenblicklich sind, erleidet, nicht allzu groß ist, so ist zweifellos das vorgeschlagene Heilmittel der Einheitsschule höchst bedenklich. Glauben wir den Verfechtern der Einheitsschultheorie, so wird nach Öffnung der hindernden Schranken sich ein breiter Strom Begabter aus den unteren Volksständen in die höheren Schulen ergießen.**) Es wird dann also dieselbe Überfüllung der gelehrten Berufe eintreten, die wir schon heute mit Bedauern registrieren. Aber es wird dann ein großer Teil der nun mit Berechtigungen Ausgestatteten nicht imstande sein, sich ohne Hilfe des Staates, der während der Schulzeit für ihn gesorgt hat, weiter zu behaupten. Es ist ja ganz selbstverständlich, daß die Einheitsschulfreunde mit ihren Forderungen auf materielle Unterstützung schon in der Schule nicht bei der Schuldgeld¬ befreiung stehen bleiben können, sondern daß sie noch nebenbei verlangen, daß den Familien, welchen durch die Entziehung ihrer Kinder (durch den Besuch der höheren Schule) eine Arbeitskraft geraubt wird, diese noch außerdem durch Geldunterstützung ersetzt wird. Wenn nun der junge Mensch nach bestandenen Examen auf die Universität übertritt, so muß er zunächst ein Stipendium erhalten, ferner muß seine Familie weiter entschädigt werden; endlich muß er die Universität kostenlos besuchen können. Was geschieht nun, wenn er sein Studium beendet hat und nicht sofort eine Anstellung erhält? Der Staat, der ihn soweit gebracht hat, hat nicht nur ein Interesse, sondern geradezu die Pflicht, ihm sobald wie möglich mit Hintansetzung aller anderen Bewerber ein Amt zu verschaffen. Es liegt auf der Hand, daß eine solche Forderung den sozialistischen Zukunftsstaat zur Voraussetzung hat. Nur in Parenthese füge ich hier hinzu, daß diese ganze Schlußfolgerung überhaupt den Interessen des Staates deshalb zuwiderläuft, weil er ja schon *) Sehr mit Unrecht, Wie Kuckhoff in der erwähnten Schrift ausführlich beweist. **) Meumann, der sich bei seinen Untersuchungen auf Godard stützt, erklärt allerdings, daß, wenn 7ö°/g der Volksschüler als normal begabt zu gelten haben, nur 4°/g den Durch schnitt überragen I

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/326
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/326>, abgerufen am 23.07.2024.