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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Zum Problem der sogenannten Einheitsschule

anstellen ließ, ergaben sich nach Stichproben, die die Provinzialschulkollegien
veranstalteten, für die Eltern im allgemeinen ein Verhältnis der Klassen
1:2:3*) wie 14.1 "/" : 64°/g : 21.9°/g. Betrachtet man die Beamtensöhne
für sich, so ergibt sich das Verhältnis 16 : 65.4 : 18.6 bei den Nichtbeamten
12 : 63 : 24°/g. Die dritte Klasse ist sonach stärker vertreten als die erste.
Unterstützt wird dies Verhältnis durch die Schulgeldbesreiungen, die mindestens
5°/g, meistens aber 10 °/g betragen. Im ganzen wird bei den höheren
Schulen ein Schulgelderlaß von dreieinviertel Millionen Mark bei einem Ge¬
samteinkommen von etwa sechsunddreißig Millionen Mark gewährt. Man kann
also beim besten Willen nicht sagen, daß die höheren Schulen sich eigensinnig
vor dem Zufluß aus den unteren Klassen verschließen -- im Gegenteil, wo
der Staat oder der Patron der Anstalt helfend eingreifen kann, wird dies gern
und in durchaus freigiebiger Weise getan.

Auf der anderen Seite wird von den Vertretern der höheren Schule selber
über den Ballast geklagt, den sie durch das Mitschleppen uutalentierter Söhne
begüterter Familien erhalten, und gewiß ist das ein recht schwieriger Punkt.

Wie Hartnacke**) richtig ausführt, ist dies sogar eine der bedeutungs¬
vollsten Fragen, die der Lösung harren. Die große Schwierigkeit, die sich hier
auftut, ist die Verquickung der Bildungsziele, die die höhere Schule verfolgt,
mit der Erlangung von Berechtigungen, die im öffentlichen Leben eine große
Rolle spielen. Es handelt sich also um die Frage, wieweit die Schule dem
einzelnen in dem Streben nach Geltendmachung seiner persönlichen Mittel zur
Förderung seiner Kinder im Leben entgegenkommen muß, ohne andererseits
die Interessen des Staates oder des Patrons der Anstalt, der für den Schüler
Aufwendungen macht, zu verletzen und ohne endlich das Staatsleben mit
Untüchtigen, aber zur Erlangung von Stellen im öffentlichen Dienst Berechtigten
zu überlasten.

Dieses Problem versucht eine kürzlich erschienene sehr interessante Schrift
des Reichstagsabgeordneten Kuckhoff***) mit der Formel zu beantworten: Die
höhere Schule hat die Pflicht, ihre Schüler in dem Augenblicke, wo ihre
theoretische Bildung entsprechend ihren geistigen Fähigkeiten auf den Höhepunkt
gelangt ist, an das Leben abzugeben und folglich in die obersten Klassen nur
diejenigen zu übernehmen, welche unter allen Umständen für hochwertige
Stellungen, sei es im Studium oder im Erwerbsleben, geeignet sind. Mit
dieser Formulierung wird man sich namentlich, wenn man die Pflicht der
Schule, auch nach Möglichkeit für das Unterkommen der abzustoßenden Schüler





*) In Klasse 1 gehören die Akademiker, Großkaufleute, Großgrundbesitzer, Fabrikbesitzer
usw., in Klasse 2 die Kaufleute, Gewerbetreibenden usw., in Klasse 3 die Handwerker,
Arbeiter und Angestellten minderer Ordnung.
"*) Das Problem der Auslese der Tüchtigen, 2. Auflage, Quelle u. Meyer, Leipzig, t916.
"*) Höhere Schulbildung und Wirtschaftsleben. München - Gladbach. Volksvereins¬
verlag. 1916.
Zum Problem der sogenannten Einheitsschule

anstellen ließ, ergaben sich nach Stichproben, die die Provinzialschulkollegien
veranstalteten, für die Eltern im allgemeinen ein Verhältnis der Klassen
1:2:3*) wie 14.1 "/„ : 64°/g : 21.9°/g. Betrachtet man die Beamtensöhne
für sich, so ergibt sich das Verhältnis 16 : 65.4 : 18.6 bei den Nichtbeamten
12 : 63 : 24°/g. Die dritte Klasse ist sonach stärker vertreten als die erste.
Unterstützt wird dies Verhältnis durch die Schulgeldbesreiungen, die mindestens
5°/g, meistens aber 10 °/g betragen. Im ganzen wird bei den höheren
Schulen ein Schulgelderlaß von dreieinviertel Millionen Mark bei einem Ge¬
samteinkommen von etwa sechsunddreißig Millionen Mark gewährt. Man kann
also beim besten Willen nicht sagen, daß die höheren Schulen sich eigensinnig
vor dem Zufluß aus den unteren Klassen verschließen — im Gegenteil, wo
der Staat oder der Patron der Anstalt helfend eingreifen kann, wird dies gern
und in durchaus freigiebiger Weise getan.

Auf der anderen Seite wird von den Vertretern der höheren Schule selber
über den Ballast geklagt, den sie durch das Mitschleppen uutalentierter Söhne
begüterter Familien erhalten, und gewiß ist das ein recht schwieriger Punkt.

Wie Hartnacke**) richtig ausführt, ist dies sogar eine der bedeutungs¬
vollsten Fragen, die der Lösung harren. Die große Schwierigkeit, die sich hier
auftut, ist die Verquickung der Bildungsziele, die die höhere Schule verfolgt,
mit der Erlangung von Berechtigungen, die im öffentlichen Leben eine große
Rolle spielen. Es handelt sich also um die Frage, wieweit die Schule dem
einzelnen in dem Streben nach Geltendmachung seiner persönlichen Mittel zur
Förderung seiner Kinder im Leben entgegenkommen muß, ohne andererseits
die Interessen des Staates oder des Patrons der Anstalt, der für den Schüler
Aufwendungen macht, zu verletzen und ohne endlich das Staatsleben mit
Untüchtigen, aber zur Erlangung von Stellen im öffentlichen Dienst Berechtigten
zu überlasten.

Dieses Problem versucht eine kürzlich erschienene sehr interessante Schrift
des Reichstagsabgeordneten Kuckhoff***) mit der Formel zu beantworten: Die
höhere Schule hat die Pflicht, ihre Schüler in dem Augenblicke, wo ihre
theoretische Bildung entsprechend ihren geistigen Fähigkeiten auf den Höhepunkt
gelangt ist, an das Leben abzugeben und folglich in die obersten Klassen nur
diejenigen zu übernehmen, welche unter allen Umständen für hochwertige
Stellungen, sei es im Studium oder im Erwerbsleben, geeignet sind. Mit
dieser Formulierung wird man sich namentlich, wenn man die Pflicht der
Schule, auch nach Möglichkeit für das Unterkommen der abzustoßenden Schüler





*) In Klasse 1 gehören die Akademiker, Großkaufleute, Großgrundbesitzer, Fabrikbesitzer
usw., in Klasse 2 die Kaufleute, Gewerbetreibenden usw., in Klasse 3 die Handwerker,
Arbeiter und Angestellten minderer Ordnung.
"*) Das Problem der Auslese der Tüchtigen, 2. Auflage, Quelle u. Meyer, Leipzig, t916.
"*) Höhere Schulbildung und Wirtschaftsleben. München - Gladbach. Volksvereins¬
verlag. 1916.
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[0325] Zum Problem der sogenannten Einheitsschule anstellen ließ, ergaben sich nach Stichproben, die die Provinzialschulkollegien veranstalteten, für die Eltern im allgemeinen ein Verhältnis der Klassen 1:2:3*) wie 14.1 "/„ : 64°/g : 21.9°/g. Betrachtet man die Beamtensöhne für sich, so ergibt sich das Verhältnis 16 : 65.4 : 18.6 bei den Nichtbeamten 12 : 63 : 24°/g. Die dritte Klasse ist sonach stärker vertreten als die erste. Unterstützt wird dies Verhältnis durch die Schulgeldbesreiungen, die mindestens 5°/g, meistens aber 10 °/g betragen. Im ganzen wird bei den höheren Schulen ein Schulgelderlaß von dreieinviertel Millionen Mark bei einem Ge¬ samteinkommen von etwa sechsunddreißig Millionen Mark gewährt. Man kann also beim besten Willen nicht sagen, daß die höheren Schulen sich eigensinnig vor dem Zufluß aus den unteren Klassen verschließen — im Gegenteil, wo der Staat oder der Patron der Anstalt helfend eingreifen kann, wird dies gern und in durchaus freigiebiger Weise getan. Auf der anderen Seite wird von den Vertretern der höheren Schule selber über den Ballast geklagt, den sie durch das Mitschleppen uutalentierter Söhne begüterter Familien erhalten, und gewiß ist das ein recht schwieriger Punkt. Wie Hartnacke**) richtig ausführt, ist dies sogar eine der bedeutungs¬ vollsten Fragen, die der Lösung harren. Die große Schwierigkeit, die sich hier auftut, ist die Verquickung der Bildungsziele, die die höhere Schule verfolgt, mit der Erlangung von Berechtigungen, die im öffentlichen Leben eine große Rolle spielen. Es handelt sich also um die Frage, wieweit die Schule dem einzelnen in dem Streben nach Geltendmachung seiner persönlichen Mittel zur Förderung seiner Kinder im Leben entgegenkommen muß, ohne andererseits die Interessen des Staates oder des Patrons der Anstalt, der für den Schüler Aufwendungen macht, zu verletzen und ohne endlich das Staatsleben mit Untüchtigen, aber zur Erlangung von Stellen im öffentlichen Dienst Berechtigten zu überlasten. Dieses Problem versucht eine kürzlich erschienene sehr interessante Schrift des Reichstagsabgeordneten Kuckhoff***) mit der Formel zu beantworten: Die höhere Schule hat die Pflicht, ihre Schüler in dem Augenblicke, wo ihre theoretische Bildung entsprechend ihren geistigen Fähigkeiten auf den Höhepunkt gelangt ist, an das Leben abzugeben und folglich in die obersten Klassen nur diejenigen zu übernehmen, welche unter allen Umständen für hochwertige Stellungen, sei es im Studium oder im Erwerbsleben, geeignet sind. Mit dieser Formulierung wird man sich namentlich, wenn man die Pflicht der Schule, auch nach Möglichkeit für das Unterkommen der abzustoßenden Schüler *) In Klasse 1 gehören die Akademiker, Großkaufleute, Großgrundbesitzer, Fabrikbesitzer usw., in Klasse 2 die Kaufleute, Gewerbetreibenden usw., in Klasse 3 die Handwerker, Arbeiter und Angestellten minderer Ordnung. "*) Das Problem der Auslese der Tüchtigen, 2. Auflage, Quelle u. Meyer, Leipzig, t916. "*) Höhere Schulbildung und Wirtschaftsleben. München - Gladbach. Volksvereins¬ verlag. 1916.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/325>, abgerufen am 23.07.2024.