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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Amerika als tertius Zemäens im Weltkriege

Angeregt durch diese unter den günstigsten Zahlungsbedingungen ab¬
geschlossenen Millionen-Aufträge trat in den für Kriegslieferungen nicht in
Frage kommenden Industrien eine Fabrikationsumschaltung zutage, wie wir
sie auch in der deutschen Industrie kennen gelernt haben. Die vorhandenen
Einrichtungen wurden benutzt, erweitert und ergänzt, um sie ebenfalls in den
Dienst der Kriegslieferung zu stellen. Wenn aber diese Umschattung in Deutsch¬
land durch die Notwendigkeit hervorgerufen worden war bestehende Betriebe
überhaupt aufrecht zu erhalten und weiterhin durch den Zwang alle ver¬
fügbaren Kräfte in den Dienst der nationalen Verteidigung zu stellen, so war
es in Amerika einzig und allein Profitgier, das Bestreben ebenfalls an den
Millionengewinnen teilzunehmen, welche diese Industrien?erke bewog ihre bis¬
herige Fabrikation ganz oder teilweise aufzugeben und Waffen. Munition und
andere Kriegsgerätschaften zu erzeugen. Die Westinghouse Electric u. Mfg. Co.
richtete sich ein, um für 35 Millionen Dollar Geschosse für Rußland und für
54 Millionen Dollar Gewehre für die englische Regierung herzustellen; die
Baldwin Locomotive Co. erzeugte Munition und Gewehre im Werte von
80 Millionen Dollar, Schreibmaschinenfabriken fabrizierten Schrapnellzünder
und Werkzeugmaschinenfabriken Granaten. Daß man sich dabei einer markt¬
schreierischen Reklame bediente, um die Aufmerksamkeit der für die Entente¬
staaten tätigen Auftraggeber auf sich zu ziehen, ist bei den in Amerika
herrschenden Geschäftsgepflogenheiten nicht verwunderlich. Den Höhepunkt von
Unerhörtheit und Frevelhaftigkeit erreichte die Anpreisung der Cleveland Automatic
Machine Co., Cleveland, Ohio, die im Anzeigenteil des "American Machinist"
vom 6. Mai 1915 Ausnahme fand und in Deutschland Abscheu und berechtigte
Entrüstung hervorgerufen hatte. Diese Fabrik, welche bisher Werkzeugmaschinen
herstellte, hatte die Fabrikation von Granaten aufgenommen und pries ihr Er¬
zeugnis an genannter Stelle mit dem Hinweis an, daß die Detonation der
Ladung durch zwei explosive Säuren bewirkt wird. "Die Sprengstücke über¬
ziehen sich bei der Explosion mit diesen Säuren", so heißt es in der An¬
preisung, "und die dadurch hervorgerufenen Wunden bewirken einen schrecklichen
Tod (äeatk in ternble aZony) binnen vier Stunden, wenn nicht sofort Hilfe
da ist. Wie die Verhältnisse im Schützengraben liegen, ist es unmöglich, ärzt¬
liche Hilfe zur Verhütung des tötlichen Ausganges rechtzeitig heranzuziehen.
Befindet sich die Wunde im Körper oder im Kopf, so muß sie überhaupt
sofort ausgebrannt werden; sind die Gliedmaßen getroffen, so müssen sie ab¬
genommen werden, da es kein anderes Mittel zu geben scheint, mit dem man
dem Gifte wirksam begegnet. Man kann also daraus ersehen, daß unsere
Granate bedeutend leistungsfähiger (!) ist als das gewöhnliche Schrapnell, da
die von Schrapnellkugeln und Sprengstücken im Fleisch hervorgerufenen Wunden
nicht so gefährlich sind und sie keinen giftigen Bestandteil haben, der eine so¬
fortige Hilfe notwendig macht." Es ist unmöglich beim Lesen dieses Muster¬
stückes amerikanischer Reklame nicht daran zu denken, daß es gerade die Regie-


Amerika als tertius Zemäens im Weltkriege

Angeregt durch diese unter den günstigsten Zahlungsbedingungen ab¬
geschlossenen Millionen-Aufträge trat in den für Kriegslieferungen nicht in
Frage kommenden Industrien eine Fabrikationsumschaltung zutage, wie wir
sie auch in der deutschen Industrie kennen gelernt haben. Die vorhandenen
Einrichtungen wurden benutzt, erweitert und ergänzt, um sie ebenfalls in den
Dienst der Kriegslieferung zu stellen. Wenn aber diese Umschattung in Deutsch¬
land durch die Notwendigkeit hervorgerufen worden war bestehende Betriebe
überhaupt aufrecht zu erhalten und weiterhin durch den Zwang alle ver¬
fügbaren Kräfte in den Dienst der nationalen Verteidigung zu stellen, so war
es in Amerika einzig und allein Profitgier, das Bestreben ebenfalls an den
Millionengewinnen teilzunehmen, welche diese Industrien?erke bewog ihre bis¬
herige Fabrikation ganz oder teilweise aufzugeben und Waffen. Munition und
andere Kriegsgerätschaften zu erzeugen. Die Westinghouse Electric u. Mfg. Co.
richtete sich ein, um für 35 Millionen Dollar Geschosse für Rußland und für
54 Millionen Dollar Gewehre für die englische Regierung herzustellen; die
Baldwin Locomotive Co. erzeugte Munition und Gewehre im Werte von
80 Millionen Dollar, Schreibmaschinenfabriken fabrizierten Schrapnellzünder
und Werkzeugmaschinenfabriken Granaten. Daß man sich dabei einer markt¬
schreierischen Reklame bediente, um die Aufmerksamkeit der für die Entente¬
staaten tätigen Auftraggeber auf sich zu ziehen, ist bei den in Amerika
herrschenden Geschäftsgepflogenheiten nicht verwunderlich. Den Höhepunkt von
Unerhörtheit und Frevelhaftigkeit erreichte die Anpreisung der Cleveland Automatic
Machine Co., Cleveland, Ohio, die im Anzeigenteil des „American Machinist"
vom 6. Mai 1915 Ausnahme fand und in Deutschland Abscheu und berechtigte
Entrüstung hervorgerufen hatte. Diese Fabrik, welche bisher Werkzeugmaschinen
herstellte, hatte die Fabrikation von Granaten aufgenommen und pries ihr Er¬
zeugnis an genannter Stelle mit dem Hinweis an, daß die Detonation der
Ladung durch zwei explosive Säuren bewirkt wird. „Die Sprengstücke über¬
ziehen sich bei der Explosion mit diesen Säuren", so heißt es in der An¬
preisung, „und die dadurch hervorgerufenen Wunden bewirken einen schrecklichen
Tod (äeatk in ternble aZony) binnen vier Stunden, wenn nicht sofort Hilfe
da ist. Wie die Verhältnisse im Schützengraben liegen, ist es unmöglich, ärzt¬
liche Hilfe zur Verhütung des tötlichen Ausganges rechtzeitig heranzuziehen.
Befindet sich die Wunde im Körper oder im Kopf, so muß sie überhaupt
sofort ausgebrannt werden; sind die Gliedmaßen getroffen, so müssen sie ab¬
genommen werden, da es kein anderes Mittel zu geben scheint, mit dem man
dem Gifte wirksam begegnet. Man kann also daraus ersehen, daß unsere
Granate bedeutend leistungsfähiger (!) ist als das gewöhnliche Schrapnell, da
die von Schrapnellkugeln und Sprengstücken im Fleisch hervorgerufenen Wunden
nicht so gefährlich sind und sie keinen giftigen Bestandteil haben, der eine so¬
fortige Hilfe notwendig macht." Es ist unmöglich beim Lesen dieses Muster¬
stückes amerikanischer Reklame nicht daran zu denken, daß es gerade die Regie-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/314>, abgerufen am 23.07.2024.