Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Amerika als tsrtius Zauäens im Weltkriege

schwersten zu leiden hatte. Für die eingebrachte Baumwollernte war zu be¬
fürchten, daß sie überhaupt jede Aussicht auf Absatz verlieren würde. Der
europäische Geldmarkt war gesperrt, und auf dem amerikanischen trat eine starke
Goldentziehung ein, da die Guthaben der europäischen Mächte in Amerika mit
Kriegsbeginn abgehoben wurden. Die Abhängigkeit der amerikanischen Industrie
von der europäischen, besonders der deutschen, machte sich drückend fühlbar, und
große Fabrikationszweige Amerikas waren genötigt, wegen des Fehlens not¬
wendiger, aus Europa bezogener Materialien weitgehendste Vetriebseinstellungen
vorzunehmen.

Wenn, wie schon gesagt, der November des ersten Kriegsjahres bereits
einen Umschwung zum Besseren brachte, so trat dieses doch keineswegs mit der
erwarteten Entschiedenheit ein, da man in Amerika mit einem baldigen Friedens¬
schluß der Kriegsführenden rechnete. So ist es zu erklären, daß der Beschäfti¬
gungsgrad der amerikanischen Industrie noch im Mai 1915 75 Prozent der
normalen Höhe nicht überschritten hatte.

Erst, als man in Amerika die Überzeugung gewann, daß der Krieg in
Europa noch Monate, vielleicht Jahre andauern würde, als man anfing den
Aussprüchen der englischen Minister, die einen jahrelang währenden Krieg in
Aussicht stellten, ernst zu nehmen, und als man von der Rüstung der englischen
Industrie und der Aufstellung der Kitchenerschen Armee vernahm, begann die
amerikanische Industrie mit der ihr eigentümlichen Tatkraft und Behendigkeit
an die Auswertung der ihr neuerstandenen und große Gewinne in Aussicht
stellenden Geschäftslage zu gehen. England, Frankreich und Rußland, deren
Industrien sich den durch den Krieg an sie gestellten Anforderungen nicht ge¬
wachsen zeigten, und in denen sich die Umstellung auf die durch den Krieg
geschaffene neue Lage nur fehr langsam und unvollkommen und bei weitem
nicht mit der in Deutschland zutage getretenen Entschlossenheit und Einmütig¬
keit vollzog, sahen sich in der Beschaffung der zur Kriegsführung erforderlichen
Waffen, Munition und allen übrigen Kriegsgeräten auf die weitgehendste
Unterstützung des neutralen Auslandes angewiesen. In jener Zeit war es,
daß Lloyd George den Ausspruch tat: "Dieser Krieg wird nicht auf den
Schlachtfeldern gewonnen, sondern von den Arbeitern in den Fabriken." Wenn
er mit diesen Worten zunächst die Fabrikarbeiter Englands und seiner Ver¬
bündeten zu größeren und gleichmäßigeren Leistungen anzuspornen wünschte,
so zeigten sie doch auch auf einen gangbaren Weg, das Arbeiterheer des neu¬
tralen Amerikas in friedlicher Art an den Kriegsanftrengungen der Entente
teilnehmen zu lassen. Daß England mit gutem Grund und großer Sicherheit
auf die industrielle Mithilfe Amerikas rechnen konnte, geht denn auch aus den
jüngst veröffentlichen Briefen Sir Roger Casements hervor. Casement schildert
die in dieser Hinsicht in Amerika herrschende Stimmung mit den trefflichen
Worten: "Ein Weltreich, das man Demokratie nennt, und in dem man, ohne
selbst kämpfen zu müssen, Reichtum erwerben kann durch systematisches Plündern


Amerika als tsrtius Zauäens im Weltkriege

schwersten zu leiden hatte. Für die eingebrachte Baumwollernte war zu be¬
fürchten, daß sie überhaupt jede Aussicht auf Absatz verlieren würde. Der
europäische Geldmarkt war gesperrt, und auf dem amerikanischen trat eine starke
Goldentziehung ein, da die Guthaben der europäischen Mächte in Amerika mit
Kriegsbeginn abgehoben wurden. Die Abhängigkeit der amerikanischen Industrie
von der europäischen, besonders der deutschen, machte sich drückend fühlbar, und
große Fabrikationszweige Amerikas waren genötigt, wegen des Fehlens not¬
wendiger, aus Europa bezogener Materialien weitgehendste Vetriebseinstellungen
vorzunehmen.

Wenn, wie schon gesagt, der November des ersten Kriegsjahres bereits
einen Umschwung zum Besseren brachte, so trat dieses doch keineswegs mit der
erwarteten Entschiedenheit ein, da man in Amerika mit einem baldigen Friedens¬
schluß der Kriegsführenden rechnete. So ist es zu erklären, daß der Beschäfti¬
gungsgrad der amerikanischen Industrie noch im Mai 1915 75 Prozent der
normalen Höhe nicht überschritten hatte.

Erst, als man in Amerika die Überzeugung gewann, daß der Krieg in
Europa noch Monate, vielleicht Jahre andauern würde, als man anfing den
Aussprüchen der englischen Minister, die einen jahrelang währenden Krieg in
Aussicht stellten, ernst zu nehmen, und als man von der Rüstung der englischen
Industrie und der Aufstellung der Kitchenerschen Armee vernahm, begann die
amerikanische Industrie mit der ihr eigentümlichen Tatkraft und Behendigkeit
an die Auswertung der ihr neuerstandenen und große Gewinne in Aussicht
stellenden Geschäftslage zu gehen. England, Frankreich und Rußland, deren
Industrien sich den durch den Krieg an sie gestellten Anforderungen nicht ge¬
wachsen zeigten, und in denen sich die Umstellung auf die durch den Krieg
geschaffene neue Lage nur fehr langsam und unvollkommen und bei weitem
nicht mit der in Deutschland zutage getretenen Entschlossenheit und Einmütig¬
keit vollzog, sahen sich in der Beschaffung der zur Kriegsführung erforderlichen
Waffen, Munition und allen übrigen Kriegsgeräten auf die weitgehendste
Unterstützung des neutralen Auslandes angewiesen. In jener Zeit war es,
daß Lloyd George den Ausspruch tat: „Dieser Krieg wird nicht auf den
Schlachtfeldern gewonnen, sondern von den Arbeitern in den Fabriken." Wenn
er mit diesen Worten zunächst die Fabrikarbeiter Englands und seiner Ver¬
bündeten zu größeren und gleichmäßigeren Leistungen anzuspornen wünschte,
so zeigten sie doch auch auf einen gangbaren Weg, das Arbeiterheer des neu¬
tralen Amerikas in friedlicher Art an den Kriegsanftrengungen der Entente
teilnehmen zu lassen. Daß England mit gutem Grund und großer Sicherheit
auf die industrielle Mithilfe Amerikas rechnen konnte, geht denn auch aus den
jüngst veröffentlichen Briefen Sir Roger Casements hervor. Casement schildert
die in dieser Hinsicht in Amerika herrschende Stimmung mit den trefflichen
Worten: „Ein Weltreich, das man Demokratie nennt, und in dem man, ohne
selbst kämpfen zu müssen, Reichtum erwerben kann durch systematisches Plündern


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0312" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330850"/>
          <fw type="header" place="top"> Amerika als tsrtius Zauäens im Weltkriege</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_983" prev="#ID_982"> schwersten zu leiden hatte. Für die eingebrachte Baumwollernte war zu be¬<lb/>
fürchten, daß sie überhaupt jede Aussicht auf Absatz verlieren würde. Der<lb/>
europäische Geldmarkt war gesperrt, und auf dem amerikanischen trat eine starke<lb/>
Goldentziehung ein, da die Guthaben der europäischen Mächte in Amerika mit<lb/>
Kriegsbeginn abgehoben wurden. Die Abhängigkeit der amerikanischen Industrie<lb/>
von der europäischen, besonders der deutschen, machte sich drückend fühlbar, und<lb/>
große Fabrikationszweige Amerikas waren genötigt, wegen des Fehlens not¬<lb/>
wendiger, aus Europa bezogener Materialien weitgehendste Vetriebseinstellungen<lb/>
vorzunehmen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_984"> Wenn, wie schon gesagt, der November des ersten Kriegsjahres bereits<lb/>
einen Umschwung zum Besseren brachte, so trat dieses doch keineswegs mit der<lb/>
erwarteten Entschiedenheit ein, da man in Amerika mit einem baldigen Friedens¬<lb/>
schluß der Kriegsführenden rechnete. So ist es zu erklären, daß der Beschäfti¬<lb/>
gungsgrad der amerikanischen Industrie noch im Mai 1915 75 Prozent der<lb/>
normalen Höhe nicht überschritten hatte.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_985" next="#ID_986"> Erst, als man in Amerika die Überzeugung gewann, daß der Krieg in<lb/>
Europa noch Monate, vielleicht Jahre andauern würde, als man anfing den<lb/>
Aussprüchen der englischen Minister, die einen jahrelang währenden Krieg in<lb/>
Aussicht stellten, ernst zu nehmen, und als man von der Rüstung der englischen<lb/>
Industrie und der Aufstellung der Kitchenerschen Armee vernahm, begann die<lb/>
amerikanische Industrie mit der ihr eigentümlichen Tatkraft und Behendigkeit<lb/>
an die Auswertung der ihr neuerstandenen und große Gewinne in Aussicht<lb/>
stellenden Geschäftslage zu gehen. England, Frankreich und Rußland, deren<lb/>
Industrien sich den durch den Krieg an sie gestellten Anforderungen nicht ge¬<lb/>
wachsen zeigten, und in denen sich die Umstellung auf die durch den Krieg<lb/>
geschaffene neue Lage nur fehr langsam und unvollkommen und bei weitem<lb/>
nicht mit der in Deutschland zutage getretenen Entschlossenheit und Einmütig¬<lb/>
keit vollzog, sahen sich in der Beschaffung der zur Kriegsführung erforderlichen<lb/>
Waffen, Munition und allen übrigen Kriegsgeräten auf die weitgehendste<lb/>
Unterstützung des neutralen Auslandes angewiesen. In jener Zeit war es,<lb/>
daß Lloyd George den Ausspruch tat: &#x201E;Dieser Krieg wird nicht auf den<lb/>
Schlachtfeldern gewonnen, sondern von den Arbeitern in den Fabriken." Wenn<lb/>
er mit diesen Worten zunächst die Fabrikarbeiter Englands und seiner Ver¬<lb/>
bündeten zu größeren und gleichmäßigeren Leistungen anzuspornen wünschte,<lb/>
so zeigten sie doch auch auf einen gangbaren Weg, das Arbeiterheer des neu¬<lb/>
tralen Amerikas in friedlicher Art an den Kriegsanftrengungen der Entente<lb/>
teilnehmen zu lassen. Daß England mit gutem Grund und großer Sicherheit<lb/>
auf die industrielle Mithilfe Amerikas rechnen konnte, geht denn auch aus den<lb/>
jüngst veröffentlichen Briefen Sir Roger Casements hervor. Casement schildert<lb/>
die in dieser Hinsicht in Amerika herrschende Stimmung mit den trefflichen<lb/>
Worten: &#x201E;Ein Weltreich, das man Demokratie nennt, und in dem man, ohne<lb/>
selbst kämpfen zu müssen, Reichtum erwerben kann durch systematisches Plündern</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0312] Amerika als tsrtius Zauäens im Weltkriege schwersten zu leiden hatte. Für die eingebrachte Baumwollernte war zu be¬ fürchten, daß sie überhaupt jede Aussicht auf Absatz verlieren würde. Der europäische Geldmarkt war gesperrt, und auf dem amerikanischen trat eine starke Goldentziehung ein, da die Guthaben der europäischen Mächte in Amerika mit Kriegsbeginn abgehoben wurden. Die Abhängigkeit der amerikanischen Industrie von der europäischen, besonders der deutschen, machte sich drückend fühlbar, und große Fabrikationszweige Amerikas waren genötigt, wegen des Fehlens not¬ wendiger, aus Europa bezogener Materialien weitgehendste Vetriebseinstellungen vorzunehmen. Wenn, wie schon gesagt, der November des ersten Kriegsjahres bereits einen Umschwung zum Besseren brachte, so trat dieses doch keineswegs mit der erwarteten Entschiedenheit ein, da man in Amerika mit einem baldigen Friedens¬ schluß der Kriegsführenden rechnete. So ist es zu erklären, daß der Beschäfti¬ gungsgrad der amerikanischen Industrie noch im Mai 1915 75 Prozent der normalen Höhe nicht überschritten hatte. Erst, als man in Amerika die Überzeugung gewann, daß der Krieg in Europa noch Monate, vielleicht Jahre andauern würde, als man anfing den Aussprüchen der englischen Minister, die einen jahrelang währenden Krieg in Aussicht stellten, ernst zu nehmen, und als man von der Rüstung der englischen Industrie und der Aufstellung der Kitchenerschen Armee vernahm, begann die amerikanische Industrie mit der ihr eigentümlichen Tatkraft und Behendigkeit an die Auswertung der ihr neuerstandenen und große Gewinne in Aussicht stellenden Geschäftslage zu gehen. England, Frankreich und Rußland, deren Industrien sich den durch den Krieg an sie gestellten Anforderungen nicht ge¬ wachsen zeigten, und in denen sich die Umstellung auf die durch den Krieg geschaffene neue Lage nur fehr langsam und unvollkommen und bei weitem nicht mit der in Deutschland zutage getretenen Entschlossenheit und Einmütig¬ keit vollzog, sahen sich in der Beschaffung der zur Kriegsführung erforderlichen Waffen, Munition und allen übrigen Kriegsgeräten auf die weitgehendste Unterstützung des neutralen Auslandes angewiesen. In jener Zeit war es, daß Lloyd George den Ausspruch tat: „Dieser Krieg wird nicht auf den Schlachtfeldern gewonnen, sondern von den Arbeitern in den Fabriken." Wenn er mit diesen Worten zunächst die Fabrikarbeiter Englands und seiner Ver¬ bündeten zu größeren und gleichmäßigeren Leistungen anzuspornen wünschte, so zeigten sie doch auch auf einen gangbaren Weg, das Arbeiterheer des neu¬ tralen Amerikas in friedlicher Art an den Kriegsanftrengungen der Entente teilnehmen zu lassen. Daß England mit gutem Grund und großer Sicherheit auf die industrielle Mithilfe Amerikas rechnen konnte, geht denn auch aus den jüngst veröffentlichen Briefen Sir Roger Casements hervor. Casement schildert die in dieser Hinsicht in Amerika herrschende Stimmung mit den trefflichen Worten: „Ein Weltreich, das man Demokratie nennt, und in dem man, ohne selbst kämpfen zu müssen, Reichtum erwerben kann durch systematisches Plündern

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/312
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/312>, abgerufen am 23.07.2024.