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Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

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Zur Geschichte des IVarschaner deutschen Zcitungswesens

Wesen und Leben im dritten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts. Ganz im
Geiste der Aufklärung beschäftigt sich der "Monitor" gern mit Wesen und
Wert der Tugend, die ja für den Rationalisten auch die Grundlage für alle
künstlerische Betätigung sein muß. Wie sehr aber schon damals das polnische
Leben politisch und sozial orientiert war, geht daraus hervor, daß sich der
"Monitor" mit künstlerischen Dingen fast gar nicht, sondern zum allergrößten
Teil mit den Sitten und der Regierungsart in Polen beschäftigt, mit der Er¬
ziehung der polnischen Jugend, mit dem polnischen Adel, wobei er sich als
durchaus demokratisch erweist, mit der polnischen Sprache im Gegensatz zu den
deutschen moralischen Wochenschriften, in denen die Fragen der Poetik einen
großen Raum einnehmen, mit den politischen und sozialen Reformen.

Nur einmal widmet er zwei Nummern dem Theater. Das ist um so
begreiflicher, als Bohomolez zu denen gehört, die sich um die im Jahre des
Erscheinens des "Monitor" eröffnete erste ständige polnische Schaubühne ver¬
dient gemacht hatten, und eine Reihe Schul- und anderer Komödien geliefert
hat. In der Auffassung der Bühne steht der "Monitor" durchaus auf dem
Boden der Ausklärung, die nicht begreift, daß jede Kunst ihre Regel in sich
selbst trägt und daß die Schaubühne, wie der Unterricht, lehrreich an Tugend
sein müssen. Auch er ist der Ansicht, daß das Theater eine moralische Anstalt
sei, nicht in dem richtigen Sinne, daß unmittelbar aus der Kunst eine Ethik
zwangslos hervorgeht, sondern daß das Schauspiel mit der Absicht geschrieben
werde, zu lehren und die Tugend seiner Hörer zu verbessern. Wie wenig er
selbst von dem Wesen der klassischen Kunst verstanden hat, geht daraus hervor,
daß er meint, in allen Städten Griechenlands hätte es nur deshalb Schau¬
spiele gegeben, um dem Müßiggang vorzubeugen, "der oft ein öffentliches
Mißvergnügen und aufrührische Anschläge ausgehecket hat". Recht aber hat
er mit der Behauptung, es sei ein untrügliches Zeichen für den Verfall des
Gemeinwesens, wenn die Schauspiele anfingen, aus der Art zu schlagen, d. h.
wenn sie unsittlich würden. Freilich von einem tieferen Eindringen in das
Wesen der dramatischen Kunst finden wir in seinen Ausführungen keine Spur.
Sie halten sich vielmehr durchaus an Allgemeinheiten, und wenn der "Monitor"
Shakespeare und Addisson, den Begründer der moralischen Wochenschriften und
Verfasser theatralischer Werke, in einem Atem nennt, so begreifen wir, wieviel
ästhetische Arbeit zu jener Zeit in Polen genau so wie in Deutschland noch
geleistet werden mußte, ehe der gerade in dieser Hinsicht verhängnisvolle Ein¬
fluß der Aufklärung überwunden war.




Zur Geschichte des IVarschaner deutschen Zcitungswesens

Wesen und Leben im dritten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts. Ganz im
Geiste der Aufklärung beschäftigt sich der „Monitor" gern mit Wesen und
Wert der Tugend, die ja für den Rationalisten auch die Grundlage für alle
künstlerische Betätigung sein muß. Wie sehr aber schon damals das polnische
Leben politisch und sozial orientiert war, geht daraus hervor, daß sich der
„Monitor" mit künstlerischen Dingen fast gar nicht, sondern zum allergrößten
Teil mit den Sitten und der Regierungsart in Polen beschäftigt, mit der Er¬
ziehung der polnischen Jugend, mit dem polnischen Adel, wobei er sich als
durchaus demokratisch erweist, mit der polnischen Sprache im Gegensatz zu den
deutschen moralischen Wochenschriften, in denen die Fragen der Poetik einen
großen Raum einnehmen, mit den politischen und sozialen Reformen.

Nur einmal widmet er zwei Nummern dem Theater. Das ist um so
begreiflicher, als Bohomolez zu denen gehört, die sich um die im Jahre des
Erscheinens des „Monitor" eröffnete erste ständige polnische Schaubühne ver¬
dient gemacht hatten, und eine Reihe Schul- und anderer Komödien geliefert
hat. In der Auffassung der Bühne steht der „Monitor" durchaus auf dem
Boden der Ausklärung, die nicht begreift, daß jede Kunst ihre Regel in sich
selbst trägt und daß die Schaubühne, wie der Unterricht, lehrreich an Tugend
sein müssen. Auch er ist der Ansicht, daß das Theater eine moralische Anstalt
sei, nicht in dem richtigen Sinne, daß unmittelbar aus der Kunst eine Ethik
zwangslos hervorgeht, sondern daß das Schauspiel mit der Absicht geschrieben
werde, zu lehren und die Tugend seiner Hörer zu verbessern. Wie wenig er
selbst von dem Wesen der klassischen Kunst verstanden hat, geht daraus hervor,
daß er meint, in allen Städten Griechenlands hätte es nur deshalb Schau¬
spiele gegeben, um dem Müßiggang vorzubeugen, „der oft ein öffentliches
Mißvergnügen und aufrührische Anschläge ausgehecket hat". Recht aber hat
er mit der Behauptung, es sei ein untrügliches Zeichen für den Verfall des
Gemeinwesens, wenn die Schauspiele anfingen, aus der Art zu schlagen, d. h.
wenn sie unsittlich würden. Freilich von einem tieferen Eindringen in das
Wesen der dramatischen Kunst finden wir in seinen Ausführungen keine Spur.
Sie halten sich vielmehr durchaus an Allgemeinheiten, und wenn der „Monitor"
Shakespeare und Addisson, den Begründer der moralischen Wochenschriften und
Verfasser theatralischer Werke, in einem Atem nennt, so begreifen wir, wieviel
ästhetische Arbeit zu jener Zeit in Polen genau so wie in Deutschland noch
geleistet werden mußte, ehe der gerade in dieser Hinsicht verhängnisvolle Ein¬
fluß der Aufklärung überwunden war.




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[0287] Zur Geschichte des IVarschaner deutschen Zcitungswesens Wesen und Leben im dritten Viertel des achtzehnten Jahrhunderts. Ganz im Geiste der Aufklärung beschäftigt sich der „Monitor" gern mit Wesen und Wert der Tugend, die ja für den Rationalisten auch die Grundlage für alle künstlerische Betätigung sein muß. Wie sehr aber schon damals das polnische Leben politisch und sozial orientiert war, geht daraus hervor, daß sich der „Monitor" mit künstlerischen Dingen fast gar nicht, sondern zum allergrößten Teil mit den Sitten und der Regierungsart in Polen beschäftigt, mit der Er¬ ziehung der polnischen Jugend, mit dem polnischen Adel, wobei er sich als durchaus demokratisch erweist, mit der polnischen Sprache im Gegensatz zu den deutschen moralischen Wochenschriften, in denen die Fragen der Poetik einen großen Raum einnehmen, mit den politischen und sozialen Reformen. Nur einmal widmet er zwei Nummern dem Theater. Das ist um so begreiflicher, als Bohomolez zu denen gehört, die sich um die im Jahre des Erscheinens des „Monitor" eröffnete erste ständige polnische Schaubühne ver¬ dient gemacht hatten, und eine Reihe Schul- und anderer Komödien geliefert hat. In der Auffassung der Bühne steht der „Monitor" durchaus auf dem Boden der Ausklärung, die nicht begreift, daß jede Kunst ihre Regel in sich selbst trägt und daß die Schaubühne, wie der Unterricht, lehrreich an Tugend sein müssen. Auch er ist der Ansicht, daß das Theater eine moralische Anstalt sei, nicht in dem richtigen Sinne, daß unmittelbar aus der Kunst eine Ethik zwangslos hervorgeht, sondern daß das Schauspiel mit der Absicht geschrieben werde, zu lehren und die Tugend seiner Hörer zu verbessern. Wie wenig er selbst von dem Wesen der klassischen Kunst verstanden hat, geht daraus hervor, daß er meint, in allen Städten Griechenlands hätte es nur deshalb Schau¬ spiele gegeben, um dem Müßiggang vorzubeugen, „der oft ein öffentliches Mißvergnügen und aufrührische Anschläge ausgehecket hat". Recht aber hat er mit der Behauptung, es sei ein untrügliches Zeichen für den Verfall des Gemeinwesens, wenn die Schauspiele anfingen, aus der Art zu schlagen, d. h. wenn sie unsittlich würden. Freilich von einem tieferen Eindringen in das Wesen der dramatischen Kunst finden wir in seinen Ausführungen keine Spur. Sie halten sich vielmehr durchaus an Allgemeinheiten, und wenn der „Monitor" Shakespeare und Addisson, den Begründer der moralischen Wochenschriften und Verfasser theatralischer Werke, in einem Atem nennt, so begreifen wir, wieviel ästhetische Arbeit zu jener Zeit in Polen genau so wie in Deutschland noch geleistet werden mußte, ehe der gerade in dieser Hinsicht verhängnisvolle Ein¬ fluß der Aufklärung überwunden war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/287>, abgerufen am 23.07.2024.