Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
!vir und die Chinesen

Es ist gar keine Frage, daß unsere Kenntnisse der chinesischen Verhältnisse
im Laufe der letzten Jahrzehnte wesentlich zugenommen haben. Nicht nur in
wirtschaftlicher Beziehung sondern namentlich auch, soweit es sich um die Er¬
kenntnis und Durchdringung des geistigen Lebens Chinas, seiner Welt- und
Staatsanschauung handelt. Männer wie von Brandt, Franke, Grube"), Hack¬
mann, Rohrbach, Schrameier, Schüler, Pfarrer Wilhelm und Witte, um nur einige
von ihnen zu nennen, haben uns in neuester Zeit in ihren auch der All¬
gemeinheit zugänglichen und verständlichen Arbeiten reiches Material gegeben,
das weiten Kreisen eine Orientierung über die geistigen Prinzipien Chinas
sehr wohl ermöglicht. Trotzdem sind wir allerdings noch weit davon entfernt,
daß die Beschäftigung mit diesen Dingen und ihre Kenntnis so verbreitet wäre,
wie wir es im Interesse der west-östlichen Beziehungen dringend wünschen
müssen. Alle unsere Bergwerksanlagen nämlich, unsere Eisenbahnen und
Maschinen, unsere Kanonen und Kriegsschiffe, unsere Jurisprudenz und Medizin,
alles das, was wir den Chinesen bringen und was sie sich bei uns holen, ist
nicht ausreichend zu einer gegenseitigen Verständigung. Wir müssen vielmehr
darüber hinaus versuchen, uns mit dem geistigen Leben Chinas auseinander¬
zusetzen.

Das ist heute noch wichtiger als früher. Unsere Freundschaft für den
Fernen Osten ist merklich abgekühlt, seitdem Japan, das einen guten Teil
seiner rapiden Entwicklung auf allen Gebieten Deutschland verdankt, sich auf
die Seite unserer Feinde stellte und sich den lächerlich geringen Ruhm erwarb,
das isolierte deutsche Pachtgebiet Kiautschou uns abzunehmen. Wir wollen
hier nicht untersuchen, welche Motive die japanische Regierung leiteten, und ob
etwa,Vorgänge der hohen Politik, wie z.B. die Haltung Deutschlands im
Bunde mit Frankreich und Rußland gelegentlich des Friedens von Shimonoseki
(April 1895) oder zehn Jahre später die Stellung Deutschlands während des
russisch-japanischen Krieges, von ausschlaggebender Bedeutung für Japans
Eintreten in den Kreis unserer Feinde waren. Tatsache ist jedenfalls, daß
wir das japanische Vorgehen als eine vollendete Felonie einem Staate gegen¬
über empfinden, der wie das Deutsche Reich freudig gegeben hatte, um auf
allen Gebieten, dem Heerwesen, der Industrie, den Geisteswissenschaften usw., den
japanischen Aufstieg zu fördern.

Wenn wir uns auch bemühen, das Verhalten Japans heute objektiver
und leidenschaftsloser als nach Überreichung seines Ultimatums zu betrachten.



") Wilhelm Grube, der 1908 verstorbene Professor der Sinologie an d°- Uno rfttat
B-rum. den von Rich.bösen den besten Kenner des chinesischen V° ^ gerann ha. es d n
"Grenzb°ten--Lesern kein Fremder. In den Heften 29 und 30 des Jahres ^ Achten
die "Grenzboten-- unter dem Titel "Bausteine der chinesischen Kultur" f°el Bortrag ^ l
Grube in der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung hatte
leiden Jahre veröffentlichten sie eine Reihe seiner "Briefe aus China (Heft 45, 4b, 4.. 49,
6", 51. 52>.
!vir und die Chinesen

Es ist gar keine Frage, daß unsere Kenntnisse der chinesischen Verhältnisse
im Laufe der letzten Jahrzehnte wesentlich zugenommen haben. Nicht nur in
wirtschaftlicher Beziehung sondern namentlich auch, soweit es sich um die Er¬
kenntnis und Durchdringung des geistigen Lebens Chinas, seiner Welt- und
Staatsanschauung handelt. Männer wie von Brandt, Franke, Grube"), Hack¬
mann, Rohrbach, Schrameier, Schüler, Pfarrer Wilhelm und Witte, um nur einige
von ihnen zu nennen, haben uns in neuester Zeit in ihren auch der All¬
gemeinheit zugänglichen und verständlichen Arbeiten reiches Material gegeben,
das weiten Kreisen eine Orientierung über die geistigen Prinzipien Chinas
sehr wohl ermöglicht. Trotzdem sind wir allerdings noch weit davon entfernt,
daß die Beschäftigung mit diesen Dingen und ihre Kenntnis so verbreitet wäre,
wie wir es im Interesse der west-östlichen Beziehungen dringend wünschen
müssen. Alle unsere Bergwerksanlagen nämlich, unsere Eisenbahnen und
Maschinen, unsere Kanonen und Kriegsschiffe, unsere Jurisprudenz und Medizin,
alles das, was wir den Chinesen bringen und was sie sich bei uns holen, ist
nicht ausreichend zu einer gegenseitigen Verständigung. Wir müssen vielmehr
darüber hinaus versuchen, uns mit dem geistigen Leben Chinas auseinander¬
zusetzen.

Das ist heute noch wichtiger als früher. Unsere Freundschaft für den
Fernen Osten ist merklich abgekühlt, seitdem Japan, das einen guten Teil
seiner rapiden Entwicklung auf allen Gebieten Deutschland verdankt, sich auf
die Seite unserer Feinde stellte und sich den lächerlich geringen Ruhm erwarb,
das isolierte deutsche Pachtgebiet Kiautschou uns abzunehmen. Wir wollen
hier nicht untersuchen, welche Motive die japanische Regierung leiteten, und ob
etwa,Vorgänge der hohen Politik, wie z.B. die Haltung Deutschlands im
Bunde mit Frankreich und Rußland gelegentlich des Friedens von Shimonoseki
(April 1895) oder zehn Jahre später die Stellung Deutschlands während des
russisch-japanischen Krieges, von ausschlaggebender Bedeutung für Japans
Eintreten in den Kreis unserer Feinde waren. Tatsache ist jedenfalls, daß
wir das japanische Vorgehen als eine vollendete Felonie einem Staate gegen¬
über empfinden, der wie das Deutsche Reich freudig gegeben hatte, um auf
allen Gebieten, dem Heerwesen, der Industrie, den Geisteswissenschaften usw., den
japanischen Aufstieg zu fördern.

Wenn wir uns auch bemühen, das Verhalten Japans heute objektiver
und leidenschaftsloser als nach Überreichung seines Ultimatums zu betrachten.



") Wilhelm Grube, der 1908 verstorbene Professor der Sinologie an d°- Uno rfttat
B-rum. den von Rich.bösen den besten Kenner des chinesischen V° ^ gerann ha. es d n
»Grenzb°ten--Lesern kein Fremder. In den Heften 29 und 30 des Jahres ^ Achten
die „Grenzboten-- unter dem Titel „Bausteine der chinesischen Kultur" f°el Bortrag ^ l
Grube in der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung hatte
leiden Jahre veröffentlichten sie eine Reihe seiner „Briefe aus China (Heft 45, 4b, 4.. 49,
6», 51. 52>.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0261" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/330799"/>
          <fw type="header" place="top"> !vir und die Chinesen</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_845"> Es ist gar keine Frage, daß unsere Kenntnisse der chinesischen Verhältnisse<lb/>
im Laufe der letzten Jahrzehnte wesentlich zugenommen haben. Nicht nur in<lb/>
wirtschaftlicher Beziehung sondern namentlich auch, soweit es sich um die Er¬<lb/>
kenntnis und Durchdringung des geistigen Lebens Chinas, seiner Welt- und<lb/>
Staatsanschauung handelt. Männer wie von Brandt, Franke, Grube"), Hack¬<lb/>
mann, Rohrbach, Schrameier, Schüler, Pfarrer Wilhelm und Witte, um nur einige<lb/>
von ihnen zu nennen, haben uns in neuester Zeit in ihren auch der All¬<lb/>
gemeinheit zugänglichen und verständlichen Arbeiten reiches Material gegeben,<lb/>
das weiten Kreisen eine Orientierung über die geistigen Prinzipien Chinas<lb/>
sehr wohl ermöglicht. Trotzdem sind wir allerdings noch weit davon entfernt,<lb/>
daß die Beschäftigung mit diesen Dingen und ihre Kenntnis so verbreitet wäre,<lb/>
wie wir es im Interesse der west-östlichen Beziehungen dringend wünschen<lb/>
müssen. Alle unsere Bergwerksanlagen nämlich, unsere Eisenbahnen und<lb/>
Maschinen, unsere Kanonen und Kriegsschiffe, unsere Jurisprudenz und Medizin,<lb/>
alles das, was wir den Chinesen bringen und was sie sich bei uns holen, ist<lb/>
nicht ausreichend zu einer gegenseitigen Verständigung. Wir müssen vielmehr<lb/>
darüber hinaus versuchen, uns mit dem geistigen Leben Chinas auseinander¬<lb/>
zusetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_846"> Das ist heute noch wichtiger als früher. Unsere Freundschaft für den<lb/>
Fernen Osten ist merklich abgekühlt, seitdem Japan, das einen guten Teil<lb/>
seiner rapiden Entwicklung auf allen Gebieten Deutschland verdankt, sich auf<lb/>
die Seite unserer Feinde stellte und sich den lächerlich geringen Ruhm erwarb,<lb/>
das isolierte deutsche Pachtgebiet Kiautschou uns abzunehmen. Wir wollen<lb/>
hier nicht untersuchen, welche Motive die japanische Regierung leiteten, und ob<lb/>
etwa,Vorgänge der hohen Politik, wie z.B. die Haltung Deutschlands im<lb/>
Bunde mit Frankreich und Rußland gelegentlich des Friedens von Shimonoseki<lb/>
(April 1895) oder zehn Jahre später die Stellung Deutschlands während des<lb/>
russisch-japanischen Krieges, von ausschlaggebender Bedeutung für Japans<lb/>
Eintreten in den Kreis unserer Feinde waren. Tatsache ist jedenfalls, daß<lb/>
wir das japanische Vorgehen als eine vollendete Felonie einem Staate gegen¬<lb/>
über empfinden, der wie das Deutsche Reich freudig gegeben hatte, um auf<lb/>
allen Gebieten, dem Heerwesen, der Industrie, den Geisteswissenschaften usw., den<lb/>
japanischen Aufstieg zu fördern.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_847" next="#ID_848"> Wenn wir uns auch bemühen, das Verhalten Japans heute objektiver<lb/>
und leidenschaftsloser als nach Überreichung seines Ultimatums zu betrachten.</p><lb/>
          <note xml:id="FID_51" place="foot"> ") Wilhelm Grube, der 1908 verstorbene Professor der Sinologie an d°- Uno rfttat<lb/>
B-rum. den von Rich.bösen den besten Kenner des chinesischen V° ^ gerann ha. es d n<lb/>
»Grenzb°ten--Lesern kein Fremder. In den Heften 29 und 30 des Jahres ^ Achten<lb/>
die &#x201E;Grenzboten-- unter dem Titel &#x201E;Bausteine der chinesischen Kultur" f°el Bortrag ^ l<lb/>
Grube in der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung hatte<lb/>
leiden Jahre veröffentlichten sie eine Reihe seiner &#x201E;Briefe aus China (Heft 45, 4b, 4.. 49,<lb/>
6», 51. 52&gt;.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0261] !vir und die Chinesen Es ist gar keine Frage, daß unsere Kenntnisse der chinesischen Verhältnisse im Laufe der letzten Jahrzehnte wesentlich zugenommen haben. Nicht nur in wirtschaftlicher Beziehung sondern namentlich auch, soweit es sich um die Er¬ kenntnis und Durchdringung des geistigen Lebens Chinas, seiner Welt- und Staatsanschauung handelt. Männer wie von Brandt, Franke, Grube"), Hack¬ mann, Rohrbach, Schrameier, Schüler, Pfarrer Wilhelm und Witte, um nur einige von ihnen zu nennen, haben uns in neuester Zeit in ihren auch der All¬ gemeinheit zugänglichen und verständlichen Arbeiten reiches Material gegeben, das weiten Kreisen eine Orientierung über die geistigen Prinzipien Chinas sehr wohl ermöglicht. Trotzdem sind wir allerdings noch weit davon entfernt, daß die Beschäftigung mit diesen Dingen und ihre Kenntnis so verbreitet wäre, wie wir es im Interesse der west-östlichen Beziehungen dringend wünschen müssen. Alle unsere Bergwerksanlagen nämlich, unsere Eisenbahnen und Maschinen, unsere Kanonen und Kriegsschiffe, unsere Jurisprudenz und Medizin, alles das, was wir den Chinesen bringen und was sie sich bei uns holen, ist nicht ausreichend zu einer gegenseitigen Verständigung. Wir müssen vielmehr darüber hinaus versuchen, uns mit dem geistigen Leben Chinas auseinander¬ zusetzen. Das ist heute noch wichtiger als früher. Unsere Freundschaft für den Fernen Osten ist merklich abgekühlt, seitdem Japan, das einen guten Teil seiner rapiden Entwicklung auf allen Gebieten Deutschland verdankt, sich auf die Seite unserer Feinde stellte und sich den lächerlich geringen Ruhm erwarb, das isolierte deutsche Pachtgebiet Kiautschou uns abzunehmen. Wir wollen hier nicht untersuchen, welche Motive die japanische Regierung leiteten, und ob etwa,Vorgänge der hohen Politik, wie z.B. die Haltung Deutschlands im Bunde mit Frankreich und Rußland gelegentlich des Friedens von Shimonoseki (April 1895) oder zehn Jahre später die Stellung Deutschlands während des russisch-japanischen Krieges, von ausschlaggebender Bedeutung für Japans Eintreten in den Kreis unserer Feinde waren. Tatsache ist jedenfalls, daß wir das japanische Vorgehen als eine vollendete Felonie einem Staate gegen¬ über empfinden, der wie das Deutsche Reich freudig gegeben hatte, um auf allen Gebieten, dem Heerwesen, der Industrie, den Geisteswissenschaften usw., den japanischen Aufstieg zu fördern. Wenn wir uns auch bemühen, das Verhalten Japans heute objektiver und leidenschaftsloser als nach Überreichung seines Ultimatums zu betrachten. ") Wilhelm Grube, der 1908 verstorbene Professor der Sinologie an d°- Uno rfttat B-rum. den von Rich.bösen den besten Kenner des chinesischen V° ^ gerann ha. es d n »Grenzb°ten--Lesern kein Fremder. In den Heften 29 und 30 des Jahres ^ Achten die „Grenzboten-- unter dem Titel „Bausteine der chinesischen Kultur" f°el Bortrag ^ l Grube in der Vereinigung für staatswissenschaftliche Fortbildung hatte leiden Jahre veröffentlichten sie eine Reihe seiner „Briefe aus China (Heft 45, 4b, 4.. 49, 6», 51. 52>.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/261
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 75, 1916, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341903_330533/261>, abgerufen am 23.07.2024.